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Figuren der Übersetzung PDF

272 Pages·2014·2.05 MB·German
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F Ü IGUREN DER BERSETZUNG DOLMETSCHER IN ERZÄHLTEXTEN DES SPÄTEN 20. JAHRHUNDERTS Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophie an der Ludwig-Maximilians-Universität München vorgelegt von Eva Matt aus Kempten (Allgäu) 2013 Erstgutachter: Prof. Dr. Robert Stockhammer Zweitgutachter: Prof. Dr. Tobias Döring Datum der mündlichen Prüfung: 13. Februar 2013 Danksagung Mein Dank gilt allen voran Prof. Erika Greber. Ohne sie wäre diese Arbeit nie zustande gekommen und ich bin sehr traurig, dass sie den Abschluss nicht mehr erlebte. Ich danke Prof. Robert Stockhammer dafür, dass er ohne Zögern die weitere Betreuung der Arbeit übernommen hat, für die wissenschaftlichen Perspektiven, die er aufgezeigt und für das Vertrauen, das er mir in der Lehre entgegengebracht hat. Prof. Tobias Döring danke ich für die Zweitbegutachtung der Arbeit und für wesentliche Impulse und wertvollen Rat, insbesondere in der Anfangsphase meiner Auseinandersetzung mit dem Thema. Prof. Sebastian Donat danke ich für die Begeisterung, die er mir für die Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft vermittelt hat und für uneingeschränkte Förderung während meines gesamten Studiums und bis zur Promotion. Prof. Jürgen Schläder danke ich für die Grundlagen, die er mir im Magister- studium mitgegeben hat sowie für die Unterstützung im Übergang zum Promotionsstudium. Für Unterstützung, Aufmunterung, praktische Hilfe, wissenschaftlichen Austausch und freundschaftliche Begleitung bedanke ich mich bei allen Freunden und Kollegen, mit denen ich während dieser Phase das Glück hatte, in Kontakt zu sein. Da ich nicht alle Namen aufzählen kann, möchte ich wenigstens diejenigen nennen, die mir besonders wertvolle Unterstützung geleistet haben, sei es beim Korrekturlesen, beim Lösen schwieriger Probleme oder im persön- lichen Austausch: Josef Bairlein, Anne Bäumler, Juliane Dame, Sarah Fekadu, Anja Förschner, Konstanze Heininger, Gesine Hindemith, Vanessa Marlog, Stephan Packard, Karin Peters, Brigitte Rath, Slávka Rude-Porubská, Johanna Schumm, Berenika Szymanski, Katharina Wagner, Christine Wilhelm, Karin Wozonig, Evi Zemanek, Marlene Zöhrer. Außerdem bedanke ich mich bei allen DoktorandInnen und HochschullehrerInnen des Promotionsstudiengangs "Literaturwissenschaft" (ProLit) sowie bei Dr. Brigitte Rath, Dr. Markus Wiefarn und Dr. Elisabeth Dobringer vom Organisationsteam für eine besondere, lehrreiche und produktive Zeit. Auch den Teilnehmern an der Summer School 2008 "Resisting Texts" danke ich für die außergewöhnlichen zwei Wochen, die mich nachhaltig geprägt haben. Der Studienstiftung des deutschen Volkes danke ich für ein Promotionsstipendium von 2007 bis 2011, dem Fakultären Promotionsprogramm (ProLit/LIPP) der Fakultät 13 für ein Abschluss- stipendium 2011/2012. Meinen Eltern Felicitas und Jürgen Schopohl kann ich nicht genug dafür danken, dass sie mich in allem gefördert und unterstützt haben und dass es sie gibt. Das gilt nicht weniger für meine Geschwister Helene und Johannes Schopohl. Und natürlich Dir, Lucas – danke für alles. I Einleitung __________________________________________________ 5 1 Erkenntnisinteresse, Anlage der Arbeit, Forschungsstand ....................................................... 5 2 Dolmetscher in Erzähltexten: Zur Korpuswahl....................................................................... 12 3 Figuren der Übersetzung: Begriffsklärung und methodische Vorbemerkungen ................ 18 II Lektüren___________________________________________________ 26 1 Eine Dolmetscherin in der Ungleichzeitigkeit: Nadja in "Simultan" .................................... 26 1.1 Die Erzählung als mehrsprachiges Stimmengeflecht ..................................................... 28 1.2 Dolmetschen: Das Gleiten der Stimmen und die Stabilisierung von Sinn .................. 43 1.3 Die Dolmetscherin Nadja: Heimatverlust und Sprachlosigkeit .................................... 54 1.4 Ungesagtes: Nadja, Frankel und die Gespenster der Vergangenheit ........................... 62 1.5 Nadjas Krisenerlebnis und die Ambivalenz der Übersetzung ...................................... 71 2 Eine Dolmetscherin im Textgewebe: Die namenlose Dolmetscherin in Between ................ 94 2.1 Der Roman als lustvolles Spiel mit der babylonischen Sprachverwirrung .................. 96 2.2 Die Dolmetscherin: Fokalisierungsinstanz und Schaltstelle von Diskursen ............ 108 2.3 "We merely translate other people's ideas": Darstellung des Dolmetschens ........... 121 2.4 (Fehl-)Übersetzungen als Prinzip der Organisation und Generierung des Textes . 129 2.5 Schwebende Subjektivität: Zwischen Orten, Zeiten, Diskursen ............................... 146 3 Ein Dolmetscher als kolonialer Grenzgänger: Wangrin in L'étrange destin de Wangrin ...... 158 3.1 Hybride Konstruktion des Textes: Multiple Übersetzungsbewegungen .................. 160 3.2 Fremde Blicke: Wangrins Widersprüchlichkeit und Transkulturalität ...................... 168 3.3 Wangrins Handeln als Dolmetscher: Spiele um die Macht der Sprache .................. 175 3.4 'Wortergreifung': Wangrin als Erzähler (seiner selbst) ................................................ 188 3.5 Wangrin zwischen Figurenmodellen: Der Dolmetscher als Trickster ...................... 194 4 Ein Dolmetscher schreibt Geschichte: Jerónimo de Aguilar in "Las dos orillas" ............ 201 4.1 Die Erzählung als metahistoriographische Fiktion ...................................................... 202 4.2 Der Dolmetscher Jerónimo als Verräter ....................................................................... 211 4.3 Sprache, Macht und Begehren: Jerónimo und Malinche ............................................ 216 4.4 Der doppelt Entfremdete: Jerónimos kulturelle Hybridität ....................................... 225 4.5 Übersetzung als Utopie: Jerónimos Verschwinden im Text ...................................... 231 III Schlussbetrachtung _________________________________________ 240 1 Erzählte Figuren: Die Dolmetscher ........................................................................................ 240 2 Figuren der Übersetzung als Textverfahren .......................................................................... 243 3 Denkfiguren der Übersetzung ................................................................................................. 248 Literaturverzeichnis ____________________________________________ 254 I Einleitung In der Erzählliteratur rücken Dolmetscher und Übersetzer als Protagonisten seit einigen Jahr- zehnten immer häufiger ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Als Sprachjongleure sind sie beson- ders geeignete Figuren der Sprach(en)reflexion und des Nachdenkens über Verstehen und Nicht- Verstehen. Der Dolmetscher wird da gebraucht, wo sich zwei (oder mehrere) Parteien keine Sprache teilen; seine übersetzerische Tätigkeit ist daher denen, für die sie ausgeführt wird, nicht zugänglich und verleiht ihm eine Machtposition. Dieses beunruhigende Potential soll in der be- ruflichen Realität von Regelwerken wie dem berufsethischen Kodex1 in Schranken gehalten wer- den. In literarischen Texten bietet die ambivalente Zwischenstellung und die irritierende Macht des Dolmetschers Anlass zu allerlei Fantasien: So werden Dolmetscherfiguren in der Rolle des Verräters, des geheimen Manipulators – oder, im anderen Extremfall, als die Regeln einhaltende, völlig in ihrer Mittlerfunktion aufgehende, unsichtbare Sprachmaschine porträtiert. Das Überset- zen wird bei literarischen Dolmetscherfiguren darüber hinaus oft zu einem weit umfassenderen Sinnbild für deren Existenz: Die Selbstentwürfe und -positionierungen der Dolmetscher werden als Prozesse des Übersetzens, des Vermittelns, des Aushandelns zwischen verschiedenen sprach- lichen und kulturellen Positionen gezeigt, ja ihre gesamte Existenz erscheint als ein ständiges Überschreiten sprachlicher Brüche, ein sich Hin- und Herbewegen zwischen Sprachen und den an diese geknüpften Sinnpositionen, Weltanschauungen und Interpretationsparadigmen. 1 Erkenntnisinteresse, Anlage der Arbeit, Forschungsstand Literarische Dolmetscherfiguren in vier ausgewählten Texten sind der Gegenstand dieser Arbeit. Mich interessiert dabei weniger die bloße Charakterisierung der Dolmetscherfiguren, als die Fra- gen, wie die Erzählweise das Moment des Übersetzens aufnimmt und inwiefern die Idee der Übersetzung der literarischen Konzeptualisierung von kultur-, sprach- oder subjekttheoretischen Problemen dient. Es wurden daher solche Texte ausgewählt, in denen die Dolmetscherfiguren und mit ihnen Akte der Übersetzung nicht nur im Zentrum der Handlung stehen, sondern in denen Übersetzung auch in den Textverfahren und der Verhandlung thematischer Anliegen be- deutend wird; Texte also, die Dolmetscherfiguren als Katalysator für diverse Figuren der Über- setzung auch in erzähltechnischer und konzeptueller Hinsicht fruchtbar machen. Mit der jeweili- gen Dolmetscherfigur als Fluchtpunkt werden in der vorliegenden Arbeit somit drei Aspekte oder Dimensionen von Figuren der Übersetzung untersucht, die auf der Ebene der erzählten 1 Vgl. den berufsethischen Kodex der Konferenzdolmetscher, in: Association Internationale des Interprètes de Conférence (Suisse): Berufsethik. 5 Geschichte, der Ebene des Erzähldiskurses und der Ebene der Konzeptualisierung verortet sind. Die Trennung dieser drei Ebenen ist nur ein analytisches Konstrukt, sie existieren nicht als solche. Der Leser ist konfrontiert mit dem schriftlichen Text, dem Erzähldiskurs, aus dem er in seiner Lektüre eine erzählte Geschichte und mögliche Bedeutungen extrapoliert. Im Hinblick auf die erzählte Geschichte werden die Dolmetscher selbst als Figuren der Übersetzung betrachtet. Sie bewegen sich und beziehen Position in multilingualen und -kulturellen Welten: in der Welt internationaler Konferenzen der späten 1960er Jahre ("Simultan" und Between), im kolonialisierten Westafrika des frühen 20. Jahrhunderts (L'étrange destin de Wangrin), in der blutigen Eroberung Mexikos Anfang des 16. Jahrhunderts ("Las dos orillas").2 An ihrer Tätigkeit des Dolmetschens und ihrer translingualen Existenz reiben sich ihr Selbstver- ständnis und ihr Verhältnis zur Welt. In Bezug auf den Erzähldiskurs werden solche Textverfahren beleuchtet, die als rhe- torische Figuren der Übersetzung betrachtet werden können. Die Betonung der Verfahrensebene in den Lektüren ist zunächst der Erkenntnis geschuldet, dass kein Nachdenken über die erzählten Figuren möglich ist, ohne die Art und Weise, wie sie erzählt werden, mitzubedenken.3 Dabei wird die Rhetorik der Texte nicht einfach als besonders komplexer Code aufgefasst, der mittels der richtigen Analysemethoden auf eine Bedeutung (eine erzählte Geschichte, Eigenschaften einer er- zählten Figur) hin restlos decodiert werden kann, sondern es geht darum aufzuzeigen, inwiefern die Literarizität einen Rest, einen Überschuss, einen Eigenwert und Ambivalenzen in der Sinn- zuschreibung produziert.4 Als Figuren der Übersetzung im Erzähldiskurs werden etwa betrachtet: dialogische Übersetzungen zwischen Stimmen, interlinguale Übersetzungen und Fehlüberset- zungen, Wiederholungen mit Differenz, intertextuelle Übersetzungen anderer Texte und Genre- modelle, interfigurale Übersetzungen von Figurenmodellen oder historischen Figuren. 2 Auf die vier Texte wird im Folgenden mit Siglen verwiesen: Bachmann: "Simultan", 1968/1972 (SIM), Brooke- Rose: Between, 1968 (BET), Bâ: L'étrange destin de Wangrin, 1973 (EDW) und Fuentes: "Las dos orillas", 1993 (LDO). 3 Vgl. Bode: Der Roman, S. 142: "Es gibt keine einigermaßen befriedigende, seriöse Analyse der Figuren eines Romanes, ohne dass man seine Erzählsituation bestimmt hätte. 'Wer erzählt was über wen?', das definiert aber nicht nur die einzelnen Figuren, sondern die ganze Art des Romanes." 4 Vgl. de Man: Semiology and Rhetoric, S. 4: "[L]iterature cannot merely be received as a definite unit of referential meaning that can be decoded without leaving a residue. The code is unusually conspicuous, complex, and enigmatic; it attracts an inordinate amount of attention to itself […]." Hingegen zielen Theorien zu Figuren als Personendarstellung oft darauf, den Erzähldiskurs lediglich darauf hin zu untersuchen, inwiefern ihm eine erzählte Figur 'entnommen' werden kann; so z.B. bei Fotis Jannidis, der danach fragt, wie sich aus "Figuren- informationen" auf der Ebene der Darstellung "figurenbezogene Tatsachen" auf der Ebene der erzählten Welt herleiten lassen (vgl. Jannidis: Figur und Person, S. 198). Das andere Extrem einer ausschließlichen Betonung der Verfahrensebene findet sich etwa bei Deleuze und Guattari: "Es gibt keinen Unterschied zwischen dem, wovon ein Buch handelt, und der Art, wie es gemacht ist. […] Man fragt nie, was ein Buch bedeuten will […]; man fragt, womit ein Buch funktioniert. […]." (Deleuze/Guattari: Rhizom (dt), S. 7) Paul de Man erörtert die beiden Extreme der Reduzierung von Literatur auf 'Bedeutung' oder 'Form' im genannten Artikel (vgl. de Man: Semiology and Rhetoric, S. 4–5). 6 Hinsichtlich der Konzeptualisierung wird danach gefragt, inwiefern Figuren der Über- setzung den Texten als Denkfiguren zugrundeliegen und welche Auffassungen von Übersetzung hier eine Rolle spielen. Während die Unterscheidung zwischen erzählter Geschichte und Erzähl- diskurs ein grundlegendes, wenn auch kontrovers diskutiertes Element in der Erzähltheorie ist,5 bedarf es einer weiteren Erläuterung, was ich unter der Dimension der Konzeptualisierung verstehe. Sie bezieht sich auf die Themen der Texte, also das, was in ihnen verhandelt wird (und zu unterscheiden ist von der Geschichte, die erzählt wird). Dabei richtet sich mein Interesse weniger darauf, inwiefern Übersetzung selbst Thema der Texte ist, als darauf, inwiefern Über- setzung als Denkfigur oder epistemologische Figur dazu dient, thematische Anliegen zu konzep- tualisieren und zu verhandeln. Denkfigur meint damit die bestimmte Art und Weise, ein (abstrak- tes) Problem (konkret) zu fassen, zu modellieren. Die Texte reflektieren, inwiefern literarische Figuren und Textverständnis an Übersetzungsakte (als Verstehensakte) gekoppelt sind, inwiefern Selbstverständnis und Weltverständnis in Übersetzungsakten zustande kommen und inwiefern Übersetzung als menschliche Grundaktivität in einer globalisierten Welt mit unterschiedlichsten Schnittpunkten und Überschreitungen von Sprachen und Kulturen figuriert. Meine Studie fragt danach, inwiefern und welche Art von Übersetzung als Denkfigur zur Modellierung von zwi- schenmenschlicher Kommunikation, Selbstverständnis, Welterkenntnis, Textlektüre und kultu- rellen Aushandlungsprozessen dient. Das Ziel der Arbeit ist ausdrücklich nicht, eine Typologie oder einen Archetypus des Dolmetschers als literarischer Figur zu entwerfen und damit bestimmte Eigenschaften, Darstel- lungsweisen und Bedeutungen festzuschreiben. Vielmehr wird ein bewusst perspektivierter Zu- griff auf ausgewählte Texte unternommen, wobei spezifische Ausprägungen von Dolmetscher- figuren und den mit ihnen zusammenhängenden Textverfahren und Denkfiguren der Über- setzung herausgearbeitet werden. Während den historischen und kulturellen Unterschieden der Texte Rechnung getragen wird, soll ein Versuch unternommen werden, eine Antwort auf die Frage zu finden, was Dolmetscher und Übersetzung für unterschiedliche Autoren ab der Mitte 5 Diese Unterscheidung, die manchmal durch eine dritte Ebene weiter differenziert wird, findet Eingang in die meisten übergreifend angelegten Erzähltheorien. Im Anschluss an die auf die Ereignisfolge abzielende Unter- scheidung des russischen Formalisten Boris Tomaševskij zwischen fabula (Fabel) und sjužet (Sujet) (vgl. Tomaševkij: Fabel und Sujet) hat Tzvetan Todorov das weiter angelegte Begriffspaar histoire (für die erzählte Geschichte) und discours (für den Erzähldiskurs) geprägt (vgl. Todorov: Catégories du récit littéraire). Diese Unterscheidung übernimmt der im angelsächsischen Raum einflussreiche Erzähltheoretiker Seymour Chatman in seinem Story and Discourse betitelten Werk (vgl. Chatman: Story and Discourse, S. 19–20). Gérard Genette differenziert feiner in histoire (Geschichte), récit (Erzählung) und narration (Narration, d.h. der die Erzählung hervorbringende Erzählakt) (vgl. Genette: Erzählung, S. 16–17); daran schließt etwa Shlomith Rimmon-Kenan mit den Begriffen story, text und narration an (vgl. Rimmon-Kenan: Narrative Fiction, S. 3). Wolf Schmid schlägt gar ein Vier-Ebenen-Modell mit der Unterscheidung von 'Geschehen', 'Geschichte', 'Erzählung' und 'Präsentation der Erzählung' vor (vgl. Schmid: Elemente der Narratologie, S. 241–244). Ich verwende im Folgenden großteils die zweiwertige Aufteilung in erzählte Geschichte (histoire, story) als das 'Was' der Geschichte und Erzähldiskurs (discours, discourse) als das 'Wie' des Erzählens; ein spezifischer Bezug auf eine der genannten Begrifflichkeiten wird als solcher kenntlich gemacht. 7 des zwanzigsten Jahrhunderts so besonders interessant macht. Die textnahen Einzellektüren sol- len ermöglichen, schlaglichtartig die Produktivität von 'Figuren der Übersetzung' für poetolo- gische Reflexionen zur Darstellung von Personen (und Welt) in Erzähltexten, subjektphilosophi- sche zum Verhältnis von Ich und Sprache(n) in einer Situation der Translingualität und diskurs- theoretische zur Frage nach der Sprachmächtigkeit von transkulturellen Mittlergestalten zu be- leuchten. Die analytische Trennung von Dolmetscherfiguren, übersetzerischen Textverfahren und Übersetzung als Denkfigur wird sich in dieser Form nicht im Aufbau der Lektürekapitel wider- spiegeln; sie soll jedoch im Schlusskapitel den Vergleich der Lektüren konturieren. Den vier Textlektüre-Kapiteln sind in der Einleitung die Skizzierung des Forschungsstands (I.1), Über- legungen zur Korpuswahl (I.2) sowie theoretische und methodische Grundlagen (I.3) vorge- schaltet. Der Teil der Textlektüren besteht aus vier Kapiteln zu den vier ausgewählten Texten: "Simultan" von Ingeborg Bachmann mit der Simultandolmetscherin Nadja (II.1), Between von Christine Brooke-Rose ebenfalls mit einer, diesmal namenlosen, Simultandolmetscherin (II.2), L’étrange destin de Wangrin von Amadou Hampaté Bâ mit dem im kolonialen Westafrika dolmet- schenden Wangrin (II.3) sowie "Las dos orillas" von Carlos Fuentes mit Jerónimo de Aguilar, der bei der Eroberung Mexikos für Hernan Cortés dolmetscht (II.4). Die Ergebnisse der Einzellektü- ren werden im Schlusskapitel zusammengeführt und in Hinblick auf die drei Aspekte der 'Figuren der Übersetzung', die Dolmetscherfiguren (III.1), Textverfahren (III.2) und Denkfiguren (III. 3) diskutiert. Dolmetscher und Übersetzer als literarische Figuren, und allgemeiner die Fiktionalisierung von Übersetzung, erfreuen sich in den letzten Jahren zunehmender Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Landschaft. Die umfangreichste Auseinandersetzung mit dem Gegenstand hat bisher die Translationswissenschaft unternommen. Seit den 1990er Jahren sind einige transla- tionswissenschaftliche Artikel zu Dolmetscher- und Übersetzerfiguren in der Literatur erschie- nen.6 Der brasilianischen Übersetzungstheoretikerin Else Vieira folgend kann, insbesondere in Bezug auf Lateinamerika, von einem 'fictional turn' in der Übersetzungstheorie gesprochen werden, d.h. dass zunehmend literarische Gestaltungen von Übersetzern und Übersetzungsprozessen für übersetzungstheoretische Überlegungen herangezogen werden.7 Mit Fokus auf die literarische 6 Diese verstreuten Aufsätze beschränken sich meist auf das Sammeln und Zusammenfassen solcher Darstellungen in literarischen Texten, so etwa Kingscott: The Literature of Translation; Bowen: The Fictional Interpreter and Translator; McMillan: Il Traduttore Si Tradisce; Kurz u.a.: Fiction and Reality; später noch Barnett: The Translator as Hero. 7 Vgl. Pagano: Sources for Translation Theory, S. 38; Gentzler: Translation and Identity, S. 108–110. Beispiele für lateinamerikanische übersetzungstheoretische Studien, die auf Fiktionalisierungen von Übersetzung zurück- greifen, sind Arrojo: Writing, Interrpreting und Pagano: Translation as Testimony. Waismans monographische Studie zu Borges und Übersetzung verbindet einen übersetzungstheoretischen mit einem literaturhistorischen und interpretatorischen Blick (vgl. Waisman: Borges and Translation). Über Lateinamerika hinaus sind zu nennen Curran: The Embedded Translator; Rao: L'Étrange destin de Wangrin sowie im literatur- und kulturwissen- 8 Porträtierung von DolmetscherInnen und ÜbersetzerInnen wurden zwischen 2005 und 2010 von den Wiener Translationswissenschaftlern Ingrid Kurz und Klaus Kaindl drei Sammelbände her- ausgegeben.8 Die dort aufgenommenen Beiträge beschäftigen sich mit der literarischen Darstel- lung der translatorischen Tätigkeit im Vergleich zur beruflichen Realität und zu translationswis- senschaftlichen Erkenntnissen über das Übersetzen und Dolmetschen. Das Interesse richtet sich somit auf die 'Adäquatheit' der Darstellung einer bestimmten Berufsgruppe in der Literatur und ist von der Fragestellung der vorliegenden Arbeit weit entfernt. Methodisch beruhen die Aufsätze meist auf einer stark referentiell ausgerichteten Lesart der Texte, die mehr an der thematischen Behandlung von Dolmetschern und Übersetzern und vor allem deren Abgleich mit der Realität als an der spezifischen Literarizität der Texte und Figuren interessiert ist. Obwohl die Bände dadurch für mein Interesse nur bedingt relevant sind, liefern sie einen Fundus für gut siebzig Primärtexte zum Thema.9 Im 2005 erschienenen Band der Zeitschrift Linguistica Antverpiensia mit dem Titel Fictionalising Translation and Multilingualism steht auch der translationswissenschaftliche Aspekt im Vordergrund, aber es wird stärker nach der narrativen Funktionalisierung von Über- setzung und Übersetzern gefragt.10 Als bisher größte Arbeit zu Dolmetscherfiguren in der Trans- lationswissenschaft ist im Jahr 2008 die Habilitationsschrift von Dörte Andres unter dem Titel Dolmetscher als literarische Figuren. Von Identitätsverlust, Dilettantismus und Verrat erschienen.11 Andres untersucht die "Imagologie"12 des Dolmetschers und des Dolmetschens, d.h. das Bild vom Dolmetscher in der Literatur, und kontrastiert es mit dem Selbstbild in der Translations- wissenschaft. Die Literaturwissenschaft zeigt in den letzten Jahren zwar großes Interesse an literari- schen Reflexionen von Übersetzung,13 hat sich bisher aber nur wenig im engeren Sinne mit schaftlichen Kontext Asman: 'Der Satz ist die Mauer'; Bachmann-Medick: Übersetzung im Spannungsfeld und Arbeiten von Sherry Simon (etwa Simon: Gender in Translation, insb. Conclusion; Simon: Translating Montreal, insb. Kap. 2 u. 4). 8 Kurz/Kaindl (Hg.): Wortklauber, Sinnverdreher, Brückenbauer; Kaindl/Kurz (Hg.): Helfer, Verräter, Gaukler; Kaindl/Kurz (Hg.): Machtlos, selbstlos, meinungslos. Von den Herausgebern sind an anderer Stelle kurze Über- blicksdarstellungen erschienen (Kurz: Dichtung und Wahrheit; Kaindl: Von Fährmännern, Drachen und Killern). 9 Von den in der vorliegenden Arbeit ausgewählten Texten werden zwei besprochen: Bachmanns "Simultan" (Reinagel: Mehrsprachigkeit als Verlust der Muttersprache) und Bâs L'étrange destin de Wangrin (Spitzl: Hüter der Sterne). 10 Delabastita/Grutman (Hg.): Fictionalising Translation and Multilingualism. Hier finden sich Aufsätze zu Fuentes' "Las dos orillas" (Logie: Escena de traducción) und, eingebettet in eine breitere Betrachtung des indigenen Dolmetschers im kolonialisierten Afrika, wieder Bâs L'étrange destin de Wangrin (Mopoho: Perception et autoportrait). 11 Andres: Dolmetscher als literarische Figuren. Unter den zwölf von Andres näher betrachteten Werken sind mit Between von Brooke-Rose und "Simultan" von Bachmann zwei auch von mir ausgewählte Texte. 12 Ebd., S. 15. 13 Als Beispiele seien herausgegriffen: Jullien: In Praise of Mistranslation, die mit Borges als dem exemplarischen Autor das schon angesprochene große lateinamerikanische (und übergreifender im Zusammenhang mit postkolonialen Situationen herrschende) Interesse an Phänomenen der Übersetzung illustriert, sowie Koppenfels: Durch die Schrift gehen, der am modernen 'Urtext' der literarischen Darstellung von Übersetzung, Cervantes' Don Quijote, schrifttheoretische Überlegungen anstellt. Während Übersetzen, wie in diesen Beispielen, typischer- weise als Teilaspekt einer anderen Fragestellung oder der Untersuchung eines einzelnen Autors oder Werks 9 literarischen Dolmetscher- und Übersetzerfiguren befasst. Der in dieser Hinsicht frühe Beitrag Hans-Martin Gaugers aus dem Jahr 1990 untersucht die Figur des Rüdiger Schildknapp in Thomas Manns Doktor Faustus (1947) und stellt treffende Beobachtungen zu den im Zusammen- hang mit Übersetzerfiguren oft wiederkehrenden Topoi des Dienens, der Unsichtbarkeit, des Scheiterns, des Eroberns und der Frustriertheit an.14 Zu einer übergreifenden Auseinandersetzung mit Dolmetscher- oder Übersetzerfiguren sind lediglich drei ergiebige Aufsätze zu nennen: John Thiem stellt die These auf, dass Übersetzerfiguren erstmals vermehrt in postmoderner Literatur auftreten, und bespricht die Motive der Übersetzung als Verrat, der Identitätskrise der Sprachmittler und der Grenzverwischung zwischen Autorschaft und Übersetzung.15 Renate von Bardeleben geht der Vermittlerrolle und der multikulturellen Lebenssituation von Dolmetschern und Übersetzern in Literatur nach;16 und Sabine Strümper-Krobb untersucht die literarische Darstellung von Translatoren in Hinblick auf die Themen Marginalisierung, Deplatzierung, Mani- pulation und Machtkonflikte.17 Von Sabine Strümper-Krobb stammt außerdem die erste literaturwissenschaftliche Monographie zum Thema, die 2009 unter dem Titel Zwischen den Welten. Die Sichtbarkeit des Übersetzers in der Literatur erschien.18 Als zentrale Themenkomplexe der dort untersuchten, überwiegend aus dem späten 20. Jahrhundert sowie aus unterschiedlichen Sprachen und Literaturen stammenden Werke identifiziert Strümper-Krobb Manipulation im Kultur- austausch, Fragen der Identität und metafiktionale Diskurse.19 Strümper-Krobb geht es letztlich darum, welche Funktion die Übersetzerfiguren für die Aussage der literarischen Texte haben, weshalb sie auch von einer "Instrumentalisierung des Übersetzungsmotivs"20 spricht. Aufgrund der breiten Anlage der Arbeit mit einem Korpus von fast 50 Texten werden übergreifende thematische Trends aufgezeigt, und die notgedrungen kurzen Darstellungen der einzelnen Texte konzentrieren sich auf eine Charakterisierung der Übersetzerfiguren und eine Einordnung ihrer Funktion bezüglich der genannten Problemfelder. Im Gegensatz dazu richtet sich das Interesse der textnahen Lektüren eines sehr kleinen Korpus in der vorliegenden Arbeit auf die Fragen, inwiefern die Übersetzungsthematik auch auf der Verfahrensebene produktiv gemacht wird und welche Denkmuster der Übersetzung dabei zum Tragen kommen. Ebenfalls mit Konzentration auf wenige Texte befasst sich Christine Wilhems 2010 erschienene literaturwissenschaftliche behandelt wird, rückt Judith Klein es mit der Frage nach der Metaphorik des Übersetzens für Sinnverlust und Tod in der modernen Literatur ins Zentrum eines Überblicksartikels, der aber wenig ergiebig ist (vgl. Klein: Sinnzerstörung und Tod). 14 Vgl. Gauger: Rüdiger Schildknapp. 15 Vgl. Thiem: Translator as Hero. 16 Vgl. Bardeleben: The Translator as Mediator and Metaphor. 17 Vgl. Strümper-Krobb: The Translator in Fiction. Weitere Aufsätze von Strümper-Krobb, die das Thema variieren, werden hier nicht einzeln genannt. 18 Strümper-Krobb: Zwischen den Welten. Sie behandelt in ihrem Korpus von fast 50 Texten zwei der auch hier untersuchten Erzählungen: "Simultan" von Bachmann und "Las dos orillas" von Fuentes. 19 Vgl. ebd., S. 7; 26. 20 Ebd., S. 26. 10

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Ein Dolmetscher schreibt Geschichte: Jerónimo de Aguilar in "Las dos . Dimensionen von Figuren der Übersetzung untersucht, die auf der Ebene . die zweiwertige Aufteilung in erzählte Geschichte (histoire, story) als das .. 39 Als Figuren des 'Dritten'40 gewähren Übersetzerfiguren einen Blick in
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