Heidelberger Taschenbiicher Band 126 Otfried Madelung Festkorpertheorie III Lokalisierte Z usHinde Mit 57 Abbildungen Springer-Verlag Berlin· Heidelberg . New York 1973 Prof. Dr. Otfried Madelung Fachbereich Physik der Universitiit Marburg/Lahn ISBN-13:978-3-540-06255-4 e-ISBN-13:978-3-642-80746-6 DOl: 10.1007/978-3-642-80746-6 Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ahnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Bei Vervielfiiltigungen fUr gewerbliche Zwecke ist gemiiS § 54 UrhG eine Vergiitung an den Verlag zu zahlen, deren Hohe mit dem Verlag zu vereinbaren ist. e by Springer-Verlag Berlin· Heidelberg 1973 Library of Congress Catalog Card Number 78--189459 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung aIs frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Herstellung: Zechnersche Buchdruckerei, Speyer. Vorwort Das in den beiden ersten Biinden benutzte Ordnungsprinzip der elementaren Anregungen und ihrer Wechselwirkungen iiberdeckt nicht das Gesamtgebiet der Festkorperphysik. Oberall dort, wo die endliche Ausdehnung des Festkorpers oder Abweichungen von der strengen GitterperiodiziUit wichtig werden, kann eine lokale Be schreibung der Festkorperphanomene vorteilhafter sein. Den elemen taren Anregungen werden deshalb in diesem abschlieBenden Band die lokalisierten Zustiinde zur Seite gestellt. Bei der Breite des behandel ten Gebietes war eine Beschrankung auf reprasentative Beispiele notwendig. Ich habe dabei den Halbleiter als Modellsubstanz fUr die Untersuchungen von GitterstOrungen und gestorten Gittem starker in den Vordergrund gestellt als in den vorhergehenden Banden. Nahe res zu Inhalt und Gliederung der folgenden Kapitel findet der Leser im einleitenden Abschnitt 92. In einem Anhang werden - wie in den ersten beiden Banden - wieder mathematische Hilfsmittel bereit gestellt. Den AbschluB bilden ein Literatur- und ein Sachverzeichnis fUr aile drei Bande. Meine Mitarbeiter haben mich auch bei diesem Band wesentlich unter stiitzt. Besonderen Dank schulde ich den Herren Dr. K. Maschke, Dr. H. Overhofund Prof. Dr. P. Thomas fUr eine kritische Durchsicht des gesamten Manuskripts. Fiir Hinweise und Ratschllige zu einzelnen Kapiteln danke ich femer Herm Prof. Dr. U. Rossler, Regensburg, und Herm Prof. Dr. J. Treusch, Dortmund. MarburgfLahn, im Mai 1973 Otfried Madelung v Inhaltsverzeichnis 92. Lokalisierte und delokalisierte Beschreibung von Fest- korpereigenschaften . . . . . . . . . . . . . .. 1 XII Die cbemiscbe Bindung in Festkorpem 93. Einfiihrung .. . . . . . . . . . 4 94. Die lokalisierte Einzelbindung . . . 6 95. Lokalisierte und delokalisierte Bindungen 11 96. Festkorper mit lokalisierter Bindung: Isolatoren und Halbleiter. . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 97. Die dielektrische Theorie der covalenten Bindung . 23 98. Festkorper mit delokalisierter Bindung: Metalle 29 XIII Lokalisierte Bescbreibung von Vorgiingen im ungestorten Gitter 99. Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . 33 100. Die Beriicksichtigung von Korrelationen, das Hubbard-Modell. . . . . . . . . . . . . 34 101. Metall-Isolator-Ubergiinge . . . . . . . . 40 102. Grenzen der Boltzmann-Gleichung, die Kubo-Formel . 43 103. Das kleine Polaron. . . . . . . . . . . . . . .. 46 XIV Storstellen 104. Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . . 50 105. Beschreibung der Storstellen im Rahmen des Biindermodells. . . . . . . . 54 106.· Kristallfeldtheorie . . . . . . . . 63 107. Lokalisierte Gitterschwingungen . . 70 108. Storstellenstatistik, Reaktionskinetik 77 109. Fehlordnungsgleichgewichte. . . . 81 110. Diffusion und Ionenleitung . . . . 85 111. Rekombinationsprozesse an Storstellen. 89 112. Optische Ubergiinge in Storstellen, Konfigurations- Koordinaten. . . . . . . . . . . . . . . . 93 113. Elektron-Phonon-Wechselwirkung an Storstellen . . 96 VII 114. Gebundene Exzitonen. . . . . . . . . . . . . 101 115. Storstellen als Streuzentren, der Kondo-Effekt . . 103 XV Lokalisierte Zostande ond elementare Anregongen an Festkorperoberflacben 116. Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . . . 108 117. Elektronische OberflachenzusHinde. . . . . . 109 118. Oberflachenphononen, Oberflachenpolaritonen, Oberflachenplasmonen . . . . . . . . . . . 113 XVI Ungeordnete Gitter 119. Einfiihrung .................... 119 120. Lokalisierte und delokalisierte Zustande in ungeordneten Gittem. . . . . . . . . 121 121. Ein-dimensionale Modelle. . . . . . . . . . . 123 122. Anderson-Lokalisierung. . . . . . . . . . . . 128 123. Delokalisierte Zustande bei fehlender Femordnung 131 124. Transport in ungeordneten Gittem 136 125. Die Kubo-Greenwood-Formel. . . . . . . . . 139 126. Die Hopping-Wahrscheinlichkeit. . . . . . . . 142 127. Elektrische LeiWihigkeit in Storbandem und amorphen Halbleitem . . . . . . . . . . . . . . . 144 128. Hopping-Leitnihigkeit in polaren Festkorpem 150 Anhang C: Greenscbe Funktionen . 155 Liste der verwendeten Symbole . . 173 Literaturverzeichnis der Bande I-III . 177 Sachverzeichnis der Bande I-III 185 VIII 92. Lokalisierte und delokalisierte Beschreibung von Fe stkorpereigenschaften Zur theoretischen Beschreibung der Eigenschaften eines Festkorpers kann man von zwei Standpunkten ausgehen: Stellt man den Aufbau des Festkorpers aus Atomen mit gegebenen Eigenschaften in den Vordergrund, so betrachtet man Vorgiinge im Festkorper als lokale Prozesse an Einzelatomen, die durch die Ein bettung der Atome in ein Gitter beeinfluBt werden. Durch die Wechselwirkung der Gitterbausteine konnen sich lokale Anregungen im Festkorper fortpflanzen. Sieht man die Zusammenlagerung von Atomen zu einem Gitter gegebener Struk tur als wesentlichstes Kennzeichen eines Festkorpers an, so sind es die Kollektiv eigenschaften des Gitters, die zur Deutung der Festkorpereigenschaften heranzu ziehen sind. Dem zweiten Standpunkt entspricht das Konzept der elementaren Anregungen. Der Schwingungszustand eines Gitters wird nicht als Summe lokaler Schwingun gen der Gitteratome aufgefaBt, sondern durch eine ()berlagerung harmonischer Gitterwellen beschrieben, denen. als Energiequanten die Phononen zugeordnet sind. Zur Beschreibung der Spinorientierung der Gitterionen werden Spinwellen und die Ihnen zugeordneten Magnonen eingefiihrt. Lokale Anregungen eines Elektron-Loch-Paares werden zu der Kollektivanregung "Exziton" superponiert. Allen diesen Kollektivanregungen gemeinsam ist, daB den Zustiinden ihres Energie spektrums ein fester Wert eines Wellenzahlvektors zugeordnet ist, wiihrend der Ort unbestimmt bleibt. Die Zustiinde erstrecken sich durch den ganzen Festkorper. In diesem Sinn sind sie delokalisiert. Die gleiche delokalisierte Beschreibung linden wir bei den Quasi-Teilchen des Biindermodells. Die Translationsinvarianz des Kristallgitters fUhrt zu gitterperi odisch modulierten ebenen Wellen als Losungen der Ein-Elektronen-Schrodinger Gleichung. Die Aufenthaltswahrscheinlichkeit eines Bloch-Elektrons in einem Zustand E.(k) des Biindermodells ist in allen Elementarzellen des Gitters die gleiche. Die Delokalisation der Zustiinde des Biindermodells wird in der englisch sprachigen Literatur durch die Bezeichnung extended states ausgedriickt. In der Beschreibungsform des Biindermodells sind die Kollektiveigenschaften des Gitters in die Eigenschaften des Kristall-Elektrons einbezogen. Die weitere Wech selwirkung im Gitter wird beschrieben durch Ubergiinge des Elektrons von einem delokalisierten Zustand in einen anderen unter Anderung seiner Energie und seines Wellenzahlvektors. 1m Gegensatz hierzu geht in einer lokalen Beschreibung das Elektron von einem lokalisierten Zustand an einem Gitteratom unter Wechsel- 1 wirkung mit allen geladenen Teilchen seiner Umgebung in einen anderen lokali sierten Zustand tiber. Wenn die Beschreibung von Vorgangen im Festk6rper durch delokalisierte elemen tare Anregungen und deren Wechselwirkung auch hliufig entscheidende Vorteile besitzt, so gibt es doch Falle, bei denen die Einfiihrung lokalisierter Zustiinde (localized states) zweckmaBig oder sogar notwendig ist. Mit soJchen Problemen wollen wir uns in diesem Band beschaftigen. Schon in Kapitel VII hatten wir gesehen, daB das Konzept des Exzitons sowohl mittels delokalisierter Bloch-Funktionen als auch lokalisierter Wannier-Funk tionen eingefiihrt werden kann. Die beiden Grenzfalle des Wannier- und des Frenkel-Exzitons beschreiben Zustande, bei denen einmal die freie Beweglichkeit des Exzitons, das andere Mal die Lokalisierung an ein Gitterion im Vordergrund steht. WeJche Beschreibung zweckmaBig ist, richtet sich nach der Natur des zu untersuchenden Festkorpers. Ein Fall, in weJchem delokalisierte und lokalisierte Beschreibungsformen aquiva lent sind, liegt vor bei einem voll besetzten Energieband, also etwa dem Valenz band eines Isolators. 1m delokalisierten Modell tragt dieses Band nichts zur Leit fahigkeit bei, da sich in einem voll besetzten Band jeweils zwei Elektronen gleicher Energie mit entgegengesetztem Wellenzahlvektor kompensieren. In einer lokali sierten Beschreibung sind Ubergange von einem Atom zu einem anderen unmog lich, da die entsprechenden Zustande der Nachbaratome ebenfalls besetzt sind. Die Beschreibungsform des Bandermodells wird man beispielsweise wahlen, wenn man die optische Anregung eines Elektrons aus einem voll besetzten Band durch Absorption eines Photons gegebener Energie und Wellenzahl betrachtet. Die lokalisierte Beschreibung ist oft zweckmaBig bei Fragen der chemischen Bindung. SoJche Fragen werden wir im folgenden Kapitel untersuchen. Dabei werden wir feststellen, in weJchen Fallen die Begriffe der lokalisierten Beschreibungsweise fiir das qualitative (und teilweise auch quantitative) Verstandnis der verschiedenen Bindungstypen im Festkorper hilfreich sind. 1m ungestOrten, unendlich ausgedehnten Gitter gewinnt eine lokalisierte Be schreibungsweise Bedeutung, wenn die Naherungen des Bandermodells (Vernach lassigung der expliziten Elektron-Elektron-Wechselwirkung und der Elektron Phonon-Wechselwirkung bei der Definition der Ein-Elektronen-Zustande) ver sagen. In Kapitel XIII werden wir diese Fragestellung untersuchen. In den darauf folgenden Kapiteln wenden wir uns gestOrten Gittern zu. Wir be ginnen in Kapitel XIV mit den StOrstellen, zu denen man einzelne, in ein sonst streng periodisch angeordnetes Gitter eingebaute Fremdatome und eine lokale Fehlordnung des Gitters rechnet. SoJche StOrstellen besitzen echt lokalisierte Zustande, an die Elektronen zeitlich unbegrenzt gebunden sein konnen. Die Ein fiihrung soJcher Zustande ist hier nicht mehr eine Frage der ZweckmaBigkeit der einen oder der anderen Beschreibungsform. Sie sind neben den elementaren An regungen vorhanden und konnen mit diesen in Wechselwirkung treten. Diese Wechselwirkung fuhrt zu einer endlichen Verweilzeit eines Elektrons in einem 2 lokalisierten Zustand und gleichzeitig zu einer endlichen Lebensdauer der elemen taren Anregungen. Neben lokalisierten Zustanden an Storstellen findet man an ein-dimensionale Versetzungen und zwei-dimensionale Oberflachen gebundene Zustande. Den Ober flachenzustanden ist das Kapitel XV gewidmet. In Kapitel XVI schlieBlich betrachten wir ungeordnete Gitter. Wegen des Fehlens der Fernordnung, also der strengen Gitterperiodizitat, werden wir die Begriffe des Bandermodells einer Revision unterziehen miissen. 1m Energiespektrum def Elektronen treten Bereiche mit lokalisierten Zustanden neben Bereichen mit delokalisierten Zustanden auf. 3 XII Die chemische Bindung in Festkorpern 93. Einftihrung Die chemische Bindung in einem Festkorper beruht auf der gegenseitigen Wechsel wirkung der Valenzelektronen aller Gitteratome. Bestimmend fUr die Natur der Bindung ist also die Elektronenkonliguration der freien Atome (Zahl der Elek tronen auBerhalb abgeschlossener Schalen, Symmetrie der Wellenfunktionen der besetzten Zustande) und die Einbettung der Atome in das Kristallgitter (Art, Zahl und Anordnung der Nachbaratome). Zwei Bindungstypen stehen im Vorder grund: 1st die Anzahl der nachsten Nachbarn eines Gitteratoms gleich der Anzahl seiner Valenzelektronen, so lassen sich die Elektronen paarweise Einzelbindungen zwischen nachsten Nachbarn zuordnen. Die Bindung liiBt sich dann durch Paare lokalisierter Elektronen beschreiben. Reicht die Zahl der Valenzelektronen nicht aus, so tritt ein Valenzelektron mit den Elektronen mehrerer Nachbaratome in Wechselwirkung. Die Bindung ist delokalisiert. Wir beginnen in Abschnitt 94 mit einer Betrachtung der lokalisierten Einzel bindung. Dieser FalllaBt sich analog zur chemischen Bindung eines zweiatomigen Molekiils behandeln. Die Erweiterung auf mehratomige Molekiile in Abschnitt 95 fUhrt zur Nahordnung in der Umgebung eines Gitterbausteins und damit zum Festkorper. In diesem Zusammenhang werden wir Kriterien dafUr linden, wann eine lokalisierte Beschreibung und wann eine delokalisierte Beschreibung der Bindung zu wahlen ist. Der lokalisierten Bindung wenden wir uns in Abschnitt 96 zu. Sie umfaBt die beiden Grenztypen der covalenten Bindung und der Ionenbin dung, sowie deren Mischformen, die in Halbleitern und Isolatoren realisiert sind. Eine spezielle, in neuerer Zeit entwickelte Theorie der covalenten Bindung bringen wir in Abschnitt 97. Eine delokalisierte Bindung liegt in Metallen vor. Wir be sprechen sie in Abschnitt 98. Neben den drei Haupttypen der chemischen Bindung, der metallischen Bindung, der covalenten Bindung und der Ionenbindung gibt es weitere schwache Bindungstypen (van der Waals-Bindung zwischen neutralen Molekiilen oder Edelgasatomen, Wasserstoflbrucken zwischen H-Atomen in Molekiilkristallen). Wir werden auf diese Bindungstypen nicht eingehen. Die Literatur zu den in diesem Kapitel behandelten Fragen geht vorwiegend von der chemischen Bindung in Molekiilen aus. Wir verweisen besonders auf die Bucher von Coulson [117], Hartmann [118] und Pauling [119]. FUr die in Ab- 4