~ SpringerWienNewYork Stefan Bienenstein Mathias Rother Fehler in der Psychotherapie Theorie, Beispiele und Lösungsansätze für die Praxis SpringerWienNewYork Mag. Dr. Stefan Bienenstein Wien, Österreich Mag. Dr. Mathias Rother Wien, Österreich Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Spei- cherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vor- behalten. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be- trachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Produkthaftung: Sämtliche Angaben in diesem Fachbuch/wissenschaftlichen Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung und Kontrolle ohne Gewähr. Insbesondere Angaben über Do- sierungsanweisungen und Applikationsformen müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Eine Haftung des Autors oder des Verlages aus dem Inhalt dieses Werkes ist ausgeschlossen. © 2009 Springer-Verlag/Wien Printed in Germany SpringerWienNewYork ist ein Unternehmen von Springer Science + Business Media springer.at Umschlagbild: © GettyImages/Man in question mark maze/Paul Schulenburg Satz: Jung Crossmedia Publishing GmbH, 35633 Lahnau, Deutschland Druck: Strauss GmbH, 69509 Mörlenbach, Deutschland Gedruckt auf säurefreiem, chlorfrei gebleichtem Papier SPIN 12044443 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-211-75602-7 SpringerWienNewYork Do not fear mistakes. There are none. Miles Davis Danksagung An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich beim Zustan- dekommen dieses Buches unterstützt haben. In erster Linie gilt mein Dank meiner Familie, meiner Frau Martina und meinen Kindern, für ihre Geduld und für ihre direkte und indirekte Unterstützung während der Erstellung dieser Arbeit. Judith Amtmann-Katz hat in sorgfältiger und sehr beeindru- ckender Weise für die korrekte orthografische Form gesorgt. Sie hatte wirk- lich viel zu tun. Danke. Diese Arbeit wäre nicht zustande gekommen, hätten sich nicht 15 Kollegen bereit erklärt, mir Einblick in ihre therapeutische Ar- beit zu gewähren. Ich möchte jenen Kollegen, die sich von mir interviewen haben lassen, meinen ganzen Respekt und Dank ausdrücken. Sie haben mir das Vertrauen erwiesen, über ihre Fehler offen zu sprechen. Ihre Geschich- ten machen diese Arbeit lebendig. Dieses Buch basiert auf der Dissertation „Fehler in der Psychotherapie“, die ich 2009 an der Sigmund Freud Universität erstellt habe. Herzlichen Dank an Prof. Rieken und sein Team für die freundliche, kompetente und motivierende Unterstützung in allen Belangen. Ganz besonderer Dank gilt auch meinem Freund und Kollegen Dr. Mathias Rother. Sein Fachwissen und seine Beiträge „Technik als Aus- gangspunkt der modernen Fehlerkultur“ sowie „Die Fehlerperspektive in der systemischen Psychotherapie“ sind eine wesentliche Bereicherung für dieses Buch. Zudem hat er mit geduldiger Motivationsarbeit und differen- zierten Diskussionen das Entstehen dieses Buches von Anfang an begleitet. Danke! Stefan Bienenstein Anmerkung: Nach einem langen Prozess der Überzeugungsbildung und Abwägung haben wir uns entschieden, auf die Verwendung des Binnen-I zu verzichten. Wir hoffen, so die Lesbarkeit zu fördern, ohne zu diskriminieren. Die in diesem Text häufig vorkom- menden Begriffe wie Therapeut, Patient oder Klient bezeichnen demnach sowohl Frauen wie Männer. Vorwort Therapeutische Arbeit besteht zu vielen Teilen aus dem Versuch zu verste- hen. Psychotherapeuten versuchen die Patienten in ihrer gesamten Dyna- mik zu verstehen. Sie versuchen ihre Symptome, ihr Leben und besonders ihr Leiden verstehend zu erfassen. Dementsprechend gründen Psychothera- peuten ihre Interventionen auf Verstehen. Besondere Aufmerksamkeit im psychotherapeutischen Prozess bekommt dabei die Dynamik, die zwischen den Patienten und den Therapeuten entsteht, das heißt, was sich eigentlich in der Praxis tatsächlich und tagtäglich ereignet. Es ist ein jede Therapie begleitendes Erfordernis, die Elemente dieser Dynamik möglichst zu ver- stehen. Fehler sind ein fixer Bestandteil des Geschehens in der Praxis und es ist eine naheliegende Schlussfolgerung, auch dieses Phänomen verstehen zu wollen. Mit dem Verstehen und mit dem Erhellen der Entstehungsumstände des Fehlers ergeben sich neue Facetten der therapeutischen Situation. Ge- lingt es nun, diese Facetten in die therapeutische Arbeit reflektierend und reflektiert zu integrieren, dann kann man davon sprechen, dass der Fehler nutzbringend für die therapeutische Arbeit bearbeitet wurde. Nicht immer kann das gelingen: Mitunter ist der Fehler selbst dafür verantwortlich, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, das Fehlergeschehen reflektierend zu in- tegrieren. In vielen Fällen aber kann die Bearbeitung des Fehlers und der zur Entstehung führenden Faktoren nicht nur nutzbringend sein, sondern Dinge erst ins Laufen bringen, die zuvor zu stocken schienen. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit Fehlern, die während der psy- chotherapeutischen Arbeit auftreten. Gemeinsames Merkmal der hier un- tersuchten Fehler ist, dass sie sich innerhalb des juristischen und ethischen Rahmens bewegen. Demnach sind nicht diejenigen Fehler Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, die sich mit juristischen Verfehlungen beschäf- tigen, beispielsweise Fälle von sexuellem Missbrauch im Rahmen einer Psy- chotherapie oder grobe Berufsverfehlungen außerhalb der therapeutischen Ethik. Untersucht werden Alltagsfehler in der Psychotherapie. Es wird da- bei aber nicht festgeschrieben, was ein Fehler ist, sondern Fehler entstehen durch die Einschätzung des Therapeuten und werden hier folgendermaßen definiert: x Vorwort Alltagsfehler sind Elemente der therapeutischen Arbeit, die in der ersten Reaktion des Therapeuten von diesem als unerwünscht wahrgenommen werden. Fehler brauchen dabei keinen objektiven Gehalt zu haben, sondern lediglich der Therapeut nimmt wahr, dass das, was er gerade gesagt, getan, gemacht oder gezeigt hat, in irgendeiner Weise, zunächst nicht klar definierbar, nicht gepasst hat. Die vorliegende Untersuchung geht diesem Phänomen in mehr- facher Art nach, wobei das vorrangige Ziel darin besteht, eine Metareflexion zum Thema anzubieten, und nicht Anleitungen zur Vermeidung oder zur Korrektur von Alltagsfehlern zu geben. Einleitend wird die Stellung von Fallgeschichten in der Psychothera- pieforschung thematisiert und versucht, diese im Kontext anderer For- schungsinstrumente zu positionieren. Fallgeschichten eröffnen hier erst die Möglichkeit, Fehler in der Psychotherapie auch von der praktischen Seite her zu untersuchen, wie das im zweiten Teil der vorliegenden Untersuchung auch unternommen wird. Zunächst wird aber die theoretische Ebene betrachtet, auf der exempla- risch der Bedeutung des Begriffes Fehler in der Naturwissenschaft, in der Pädagogik und in der Betriebswirtschaft nachgegangen wird. Die Naturwis- senschaften bieten unterschiedlichste Fehlerdefinitionen an und stellen die Grundlage des technisierten Fehlerverständnisses dar. Der Abschnitt über Fehler als Begriff in der Pädagogik zeigt, wie ein Begriff mit einer ethischen Grundhaltung verknüpft wird. Die Betriebswirtschaft als dritter theoreti- scher Rahmen zeigt die pragmatische Seite unterschiedlicher Fehlerstrate- gien. Die Rezeption des Begriffes Fehler in der einschlägigen Fachliteratur wird verschiedene, sich grundlegend unterscheidende Zugänge zu dem Phä- nomen zeigen. Das darauf folgende Kapitel beschäftigt sich mit möglichen Faktoren, die für das Entstehen von Fehlern verantwortlich gemacht werden können. Der zweite Teil dieser Untersuchung durchleuchtet das Phänomen des Fehlers anhand der praktischen Arbeit selbst. In mehreren Interviews mit Berufskollegen aus den unterschiedlichsten therapeutischen Richtungen wurden Fallgeschichten zum Thema erfragt. Diese Fallberichte wurden den Interviews entnommen, inhaltlich geordnet und interpretiert. Im Blick- punkt stand dabei nicht nur, wie mit den geschehenen Fehlern umgegangen wurde, sondern wie Fehler den weiteren Therapieverlauf beeinflusst haben. Ein Kollege formulierte das folgendermaßen: Vorwort xi „Sie können mit einem Fehler ihren besten Fall haben oder einen sofortigen Therapie abbruch.“1 Im Laufe dieser Untersuchung werden verschiedene Definitionen und Blick- winkel zu dem Thema Fehler angeführt. Bei allen Perspektiven darf man nicht vergessen, dass Fehler im allgemeinen Sprachverständnis grundsätz- lich als etwas Unerwünschtes gewertet werden. Der Versuch, einem uner- wünschten Element Nutzen zuzuschreiben, kann nicht dazu führen, dass dieses Element erwünscht ist. Das Unterfangen kann aber zu einem diffe- renzierten Umgang mit dem Phänomen Fehler führen. Es ist eben möglich, dass ein Phänomen unerwünscht ist und es dennoch gleichzeitig gelingt, die Entstehung dieses unerwünschten Elementes zu verstehen. Dieses Ver- stehen des Geschehenen ist die Basis, um den Fehler für die therapeutische Arbeit nutzbar zu machen. In dem von Eva Jaeggi geschriebenen Bestseller „Und wer therapiert die Therapeuten?“ ist ausführlich beschrieben, dass die Ansprüche, die an The- rapeuten gestellt werden, enorm hoch sind. „Die schon öfters erwähnte Komplexität des Handlungsfeldes, das jeweils neue und unsichere Handlungsstrategien erforderlich macht, die unklare Feedbacksituation: all das verunsichert und belastet oft in erheblichem Maß.“2 Auch Wolfgang Schmidbauer nimmt sich in seinen Büchern der Person des Therapeuten an. Sowohl Jaeggis als auch Schmidbauers Buch „Hilflose Hel- fer“ wurden in kürzester Zeit zu Bestsellern. Obwohl „Hilflose Helfer“ schon 1977 erschienen ist und Schmidbauer in der Folge noch weitere Bücher mit ähnlicher Thematik ver fass te, hat sich in diesem Bereich der Psychotherapie wenig verändert. Im Gegenteil, die voranschreitende Professionalisierung des Berufsstandes hat auch den Druck auf die Therapeutenschaft erhöht. Was auf der einen Seite die Professionalität und die Qualitätsstandards er- höht, führt auf der anderen Seite zu Verunsicherung und Druck. Der mün- dige Patient fordert zu Recht eine gute Behandlung ein. Was aber ist eine gute Behandlung? Das Bild des klassischen, orthodoxen Psychoanalytikers, der zögert, seinen Patienten bei der Begrüßung die Hand zu schütteln, hat einen Standard geprägt. Dieser heute längst als realitätsfern erkannte Stan- dard lässt aber dennoch die Therapeuten zumindest in einer fantasierten Grauzone von gut und schlecht, richtig und falsch arbeiten. Ist es legitim, während einer Sitzung das Telefon abzunehmen, ist es rechtens, Details aus 1 Kollege L, S. 55 2 Jaeggi 2001, S. 114 xii Vorwort dem Privatleben zu erzählen, ist es ethisch in Ordnung, dem Patienten einen Buchtipp zu geben oder ihm gar einen Immobilienmakler zu empfehlen? Wie wir in manchen Fallgeschichten sehen, entsteht aus diesen Unsicher- heiten mitunter eine Überstrenge, die weder dem Therapeuten und schon gar nicht den Patienten dient. Es steht nicht infrage, dass der Beruf des The- rapeuten gesetzlich und im Speziellen auch ethischen Normen unterliegt, sehr wohl aber stellt sich die Frage, wovor sich die verunsicherten Therapeu- ten fürchten. Vor Schadensersatzforderungen wegen Verfehlungen, Kunst- fehlerprozessen oder, dass vielleicht ein eigener blinder Fleck oder ein Stück Eitelkeit verantwortlich dafür gemacht werden, Schaden angerichtet zu ha- ben? An den Therapeuten wird unausgesprochen ein hoher Anspruch gestellt. Eva Jaeggi schreibt dazu: „Der Therapeut muss auch selbst ein Mensch sein, der die Wanderungen des Lebens gut und richtig besteht.“3 Diese Vorstel- lungen sind es, so Jaeggi, die ihn nicht zur Ruhe kommen lassen. Er müsse sich und alle seine Bedürfnisse, Affekte und Ambitionen im Griff haben, alle seine Geschichten geklärt haben, alle Neurosen aufgelöst und verarbeitet haben. Zumindest sollte er diese kennen und in der therapeutischen Arbeit rechtzeitig auch erkennen. Die Arbeit des Analytikers, so meint die Analyti- kerin Gabriele Junkers, stellt hohe Ansprüche an unsere Fähigkeit, allein zu sein und das Gefühl Einsamkeit zu tolerieren.4 Das klischeehafte Idealbild eines Psychotherapeuten ist der allseits freundliche, wohlwollende und vor allem verstehende Mensch, der sein eigenes Ich hintan hält und keine Fehler macht. Dieser Prototyp eines selbstlosen, einsamen Geschöpfes möge dann andere verstehen, begleiten und ihnen zur Heilung verhelfen. Nur leider ist der so verstandene Psychotherapeut kein Mensch mehr, sondern nur mehr eine Projektionsfläche, wie in den Anfängen der Psychotherapie gefordert. Die Beschäftigung mit Fehlern in der Psychotherapie wirkt diesem reali- tätsfernen Ideal entgegen. Wie die vorliegende Untersuchung zeigt, ist es oft die Art und Weise, wie der Therapeut mit Fehlern umgeht, ob er dazu stehen kann oder diese verleugnet, die darüber entscheidet, ob der Fehler nutzbrin- gend oder schädlich für den weiteren Verlauf der Therapie wirkt. Ebenso ist auch der Therapeut als Lehrender von Idealisierungen beglei- tet. Er ist deswegen in seiner lehrenden Funktion aufgerufen, das Fehlerma- chen als ständigen Begleiter der psychotherapeutischen Arbeit anzuerken- nen und das auch weiterzugeben. Ähnlich wie der angehende Autofahrer das Schleudern kennenlernen und erfahren soll, dass sein Lehrer auch gele- gentlich ins Schleudern kommt, kann auch der Psychotherapiestudierende von Berichten über außergewöhnliche Vorkommnisse in der Praxis profi- 3 Jaeggi 2001, S. 216 f. 4 Vgl. Junkers 2007, S. 155 Vorwort xiii tieren. Je wirklichkeitsnaher sich die Realität der psychotherapeutischen Arbeit während der Ausbildung abbildet, umso besser ist der Studierende auf seine zukünftige Tätigkeit vorbereitet. Sein Verhältnis zu seinen Lehrern wird sich darüber hinaus verändern, sobald der abgehobenen Idealisierung das normale, alltägliche Fehlermachen zur Seite gestellt wird. Eine der be- fragten Kolleginnen hat das mit folgenden Worten umschrieben: „Therapiemachen lernt man nur durch die Erfahrung. Am Ende der Aus- bildung steht der Beginn der Fehlerphase.“5 5 Kollegin I, S. 54