Monographien aus dem Gesamtgebiete der Psychiatrie Springer Berlin Heidelberg New York Barcelona Budapest Hongkong London Mailand Paris Santa Clara Singapur Tokio Monographien aus clem Gesamtgebiete cler Psychiatrie Herausgegeben von H. Hippius, Miinchen . W. Janzarik, Heidelberg C. Miiller, Onnens (VD) Band 75 Die Psychiatrie in der Kritik Die antipsychiatrische Szene und ihre Bedeutung fUr die klinische Psychiatrie heute Von T. Rechlin und J. Vliegen Band 76 Postpartum-Psychosen Ein Beitrag zur Nosologie Von J. Schopf Band 77 Psychosoziale Entwicklung im jungen Erwachsenenalter Entwicklungspsychopathologische Vergleichsstudien an psychiatrischen Patienten und seelisch gesunden Probanden Von H.-P. Kapfhammer Band 78 Dissexualitiit im Lebensliingsschnitt Theoretische und empirische Untersuchungen zu Phiinomenologie und Prognose begutachteter Sexualstraftater Von K. M. Beier Band 79 Affekt und Sprache Stimm- und Sprachanalysen bei Gesunden, depressiven und schizophrenen Patienten Von H. H. Stassen Band 80 Psychoneuroimmunologie psychiatrischer Erkrankungen Untersuchungen bei Schizophrenie und affektiven Psychosen Von N. Miiller Band 81 Schlaf, Schlafentzug und Depression Experimentelle Studien zum therapeutischen Schlafentzug Von M.H. Wiegand Band 82 Qualitative Diagnostikforschung Inhaltsanalytische Untersuchungen zum psychotherapeutischen Erstgesprach Von J. Frommer Band 83 Familiendiagnostik bei Drogenabhiingigkeit Eine Querschnittstudie zur Detailanalyse von Familien mit opiatabhangigen Jungerwachsenen Von R. Thomasius Rainer Thomasius Fatniliendiagnostik bei Drogenabhangigkeit Eine Querschnittstudie zur Detailanalyse von Familien mit opiatabhangigen Jungerwachsenen Mit 37 Abbildungen Springer Priv. Doz. Dr. Rainer Thomasius Psychiatrische und Nerven- und Poliklinik Universitiits-Krankenhaus Eppendorf MartinistraBe 52 D-20246 Hamburg ISBN-13: 978-3-642-64719-2 e-ISBN-I 3:978-3-642-6 I I 52-0 DOl: 10.1007/978-3-642-61152-0 Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Thomasius. Rainer: Familiendiagnostik bei Drogenabhangigkeit: eine Querschnittstudie zur Detailanalyse von Familien mit opiatabhangigen Jungerwachsenen - Rainer Thomasius. - Berlin; Heidelberg; New York; Barcelona; Budapest; Hongkong; London; Milan; Paris; Santa Clara; Singapur; Tokio: Springer. 1996 ISBN-I3: 978-3-642-64719-2 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte. insbesondere die der Oberset zung. des Nachdrucks. des Vortrags. der Entnahme von Abbildungen und Tabellen. der Funksendung. der Mikroverfilmung oder der Vervielfaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Daten verarbeitungsanlagen. bleiben. auch bei nur auszugsweiser Verwertung. vorbehalten. Eine VervielfaItigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland yom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zuiassig. Sie ist grundsatzlich vergiitungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1996 Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1996 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen. Handelsnamen. Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme. daB solehe Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Umschlaggestaltung: Design & Production Satz: Reproduktionsfertige Autorenvorlage Herstellung: Renate Miinzenmayer SPIN 10511922 25/3135- 5 4 3 2 I 0 - Gedruckt auf saurefreiem Papier Vorwort Wissenschaftler und Praktiker haben sich in den 90er Jahren international urn eine Verbesserung und Differenzierung von Erklarungsmodellen tiber stoffgebundene Stichte bemtiht. Mehr und mehr setzte sich in diesem Zusammenhang die Erkenntnis durch, daB zu einem angemessenen Verstandnis von Suchtphanomenen eine integrative Perspektive, die biologische, psychologische und soziale Aspekte bertihrt, notwendig und sinnvoll ist. Wenn heute systemische Konzepte in der theoretischen Auseinandersetzung mit Fragen tiber die Entstehung und den Veri auf von Abhangigkeitserkrankungen einen wichtigen Stellenwert einnehmen, so auch deshalb, weil der Suchtbereich in den letzten Jahren einem epistemiologischen Wandel unterworfen war. Wo der Erkenntnisfundus urspriinglich auf die intra psychische bzw. personale Dimension begrenzt war, dort haben sich Theorie und Diagnostik auf interpersonale und beziehungsregulierende Funktionen erweitert. Zur gleichen Zeit vollzog sich in den Beratungs- und Behandlungsstellen fUr Suchtkranke eine fortwiihrende Tendenz in Richtung zunehmender Professionali sierung und Ausdifferenzierung der therapeutischen Angebote. Familientherapeu tische und systemische Ansatze gewannen bei der Behandlung und in der Pravention von Suchterkrankungen zusehends an Bedeutung. Vieles weist darauf hin, daB diese Neuorientierungen dazu beigetragen haben, die Behandlungserfolge in der Sucht krankenhilfe zu verbessern. Allerdings steht der wissenschaftliche Beleg noch aus. Ganz im Gegensatz zur anwachsenden system- und familientherapeutischen Literatur sind empirische Untersuchungen in diesem Bereich auBerst selten geblie ben. Besonders liickenhaft ist der Stand familienorientierter Suchtforschung - und zwar sowohl im Hinblick auf Grundlagen und Ursachen stichtigen Verhaltens als auch hinsichtlich systemtherapeutischer Behandlungserfolge und Therapieprozesse. Erst in jiingster Zeit verfiigt die Familienforschung tiber ein klinisch relevantes Untersuchungsinstrumentarium, das dem Untersuchungsgegenstand gerecht wird und methodischen Uberprtifungen standhalt. Dieses Buch enthalt die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung, die auf der Grundlage moderner familiendiagnostischer Methoden und Verfahren gewonnen wurden. Verglichen werden Familien mit drogenkonsumierenden und klinisch un auffiilligen Kindern. Die Lektiire fiihrt den Leser nicht nur in das Thema "Familie und Sucht" ein, sondern sie gibt dariiber hinaus einen griindlichen Einblick in die Moglichkeiten und Grenzen der heutigen Familienforschung. 1m iibrigen handelt es sich urn die erste umfassende Darstellung zum Thema "Familiendiagnostik bei Drogenabhangigkeit" im deutschsprachigen Raum. Getragen wird die Veroffent lichung von der Hoffnung, Praxis und Wissenschaft an der Schnittstelle von Sucht und Familienforschung urn eine empirische Dimension zu erweitern und zu reger Nachahmung anzuregen. VI Zunachst wird der Leser an die unterschiedlichen Sichtweisen der gangigsten familienthetapeutischen Schulen uber Suchterkrankungen herangefUhrt. In einem weiteren Schritt werden die Theorien und Konzepte verschiedener familiendiag nostischer Methoden und Anwendungsformen besprochen. Die Ergebnisse der vorliegenden empirischen Untersuchung belegen, daB sich insbesondere im Fruhstadium der Suchtentwicklung Drogenkonsum und familiare Belastungen wechselseitig beeinflussen und zu einem Fortschreiten der Drogenkarriere beitragen. Folgerungen, die sich daraus fUr die Behandlung, die Drogenpravention und fur die weitere psychiatrische Suchtforschung ergeben, werden in einem eigenen Kapitel diskutiert. Bei der Fertigstellung der Arbeit wurde mir Unterstiitzung von vielen Seiten zuteil. Frau Doz. Dipl.-Psych. E.-M. Biermann-Ratjen und Frau Dr. G. Griep sowie Herrn Prof. Dr. P. Gotze, Herrn Prof. Dr. J.-M. Burchard, Herrn Prof. Dr. J. Eckert in Hamburg und Frau Dipl.-Psych. Dr. G. Frevert in Ulm verdanke ich inhaltliche und methodische Anregungen und kritische Diskussionen. Dem ehem. Direktor der Psychiatrischen und Nervenklinik des Universitats-Krankenhauses Eppendorf, Herrn Prof. Dr. J. Gross und dem Leiter des Drogenberatungszentrums des Amtes fUr Jugend, Ko 16A, Herrn Dipl.-Soz.pad. H. Hohmann, sei fur die Erlaubnis, in ihren Einrichtungen Patienten zu befragen gedankt. Herr Dipl.-Psych. M. Wuchner war bei der Datenverarbeitung eine wertvolle Hilfe. Frau cando med. A. Muller half in engagierter Weise bei der Datenerhebung. Die Schreibarbeiten wurden mit groBer Sorgfalt durch Frau J. Blecken erledigt. Wesentlich zum Gelingen des Buches bei getragen haben auBerdem die Mitarbeiter des Springer-Verlages, vor allem Herr Dr. Th. Thiekotter und Frau Benko, die das Projekt nachhaItig fOrderten. Ihnen allen gebuhrt mein Dank -nicht zuletzt auch den befragten Patienten und ihren Familien. Hamburg, April 1996 Rainer Thomasius Inhaltsverzeichnis 1 . Einfiihrung ................................................................... . 2. Forschungsstand........................................................... 8 2.1 Familien mit einem Drogenabhangigen aus Sicht der psychodynamisch-familientherapeutischen Schulen.. ........... ...... 8 2.2 Familien mit einem Drogenabhangigen aus Sicht der strukturell-familientherapeutischen Schul en....................... ..... 10 2.3 Familien mit einem Drogenabhangigen aus Sicht der systemisch-und strategisch-familientherapeutischen Schulen..... 13 2.4 Theorie der "Co-Abhangigkeit" ............................................ 15 2.5 Empirische Untersuchungen uber den Zusammenhang zwischen Drogenkonsum im Jugend- und Junger- wachsenenalter und familiarer Dysfunktionalitat........ .............. 19 3. ZieIsetzungen und FragesteIIungen der Untersuchung.... ................ ...... ....... .......... .......... .... 27 3.1 Untersuchungsziele....... ... ....... ..... ............... ......... ...... ........ 27 3.2 Fragestellungen und Hypothesen.......................................... 28 4. Methodik und Untersuchungsdurchfiihrung................. 33 4.1 Familienforschung............. ................... ...................... ....... 33 4.2 Untersuchungsplan............................................................. 39 4.2.1 Selektionskriterien............................................................. 41 4.2.2 Medizinische Diagnostik..................................................... 41 4.2.3 Untersuchungsablauf.... ...................................................... 42 4.2.4 Instrumente.............. ....... ..... ....................... ....... ..... ......... 44 4.2.4.1 Selbsteinschatzungsverfahren........... .......... ..... ...... ............... 45 4.2.4.2 Fremdeinschatzungsverfahren............................................... 48 4.3 Auswertung und statistische Verfahren.. ... ........... ................... 50 4.4 Uberlegungen zur Reliabilitlit und Validitat der Untersuchung.................................................................... 51 4.5 Ethische und rechtliche Fragen...... ........ .... .... .... ............. ... .... 52 s. Stichprobenbeschreibung.............................................. 53 5.1 Zusammensetzung der Stichprobe.................... ..... ... ......... ..... 53 5.2 Beschreibung der Stichprobe........ ... .... ...... .......... ... .... ........ ... 55 5.2.1 Patienten und Jungerwachsene.............................................. 57 5.2.2 Mutter............................................................................. 63 5.2.3 Vater............................................................................... 65 5.2.4 Geschwister...................................................................... 66 VIII 5.3 Zusammenfassung und Beurteilung der Repriisentativitiit............ 67 6. Ergebnisdarstellung................................................. ..... 69 6.1 Selbstbeschreibung............................................................. 69 6.1.1 Ergebnisse aus dem "Freiburger Personlichkeitsinventar" (FPI)... 69 6.1.1.1 Darstellung der Untersuchungsbefunde.............................. ...... 69 6.1.1.2 Diskussion der Untersuchungsbefunde.................................... 75 6.1.2 Ergebnisse aus dem "Familieneinschiitzungsbogen" (FAM III).... 79 6.1.2.1 Darstellung der Untersuchungsbefunde.................................... 79 6.1.2.2 Diskussion der Untersuchungsbefunde.................................... 104 6.2 Fremdbeschreibung............................................................. 107 6.2.1 Ergebnisse aus dem "Patterns of Individual Change Scales" (PICS)...... ............ ............ ............... .............. ....... 107 6.2.1.1 Darstellung der Untersuchungsbefunde................................... 107 6.2.1.2 Diskussion der Untersuchungsbefunde.................................... 110 6.2.2 Ergebnisse aus dem "Psychischen und Sozialkommu- nikativen Befund" (PSKB)................................................... 112 6.2.2.1 Darstellung der U ntersuchungsbefunde.... ............................... 112 6.2.2.2 Diskussion der Untersuchungsbefunde.................................... 125 6.2.3 Ergebnisse aus der "Global Assessment Scale" (GAS)............... 128 7. Zusammenfassung und Diskussion...... ... ...... ............... 131 8. Schlu8folgerungen........................................................ 145 Anhang.......................................................................... 149 Literaturverzeichnis...................................................... 159 Sachverzeichnis ............................................................. 170 1 Einfiihrung Lange Zeit stand sowohl in der Beratung und Therapie als auch in der Forschung im Bereich von Suchtproblemen allein der Suchtkranke im MitteJpunkt. 1m Oktober 1976 befaBte sich die Fachkonferenz der Deutschen HauptsteJle gegen die Suchtgefahren erstmals mit dem Thema "Familie und Suchterkrankung". Prof. Dr. Joachim Gerchow sagte damals in seinem SchluBwort: 'Eine wichtige Konsequenz scheint mir aber darin zu bestehen, daB die Familie als therapeutische Einheit zu sehen ist. Auf diesem relativ wenig durchforschten Gebiet wird noch sehr viel zu leisten sein. Es ist ein weites Feld, auf dem offentliche Institutionen mit ihren Hilfsangeboten und Familien zusammen arbeiten miissen.' (Deutsche HauptsteJle gegen die Suchtgefahren (1992) Programmheft zur Fachkonferenz "Sucht 1992", 2). Nach heutigem Kenntnisstand sind die Entstehungsbedingungen des Konsums legaler und illegaler Suchtmittel komplex und umfassen biologische, psycholo gische und soziale Faktoren. Die sozialpsychologische Forschung der letzten Jahre hat einen engen Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Lebensbedingungen der Betroffenen aufdecken konnen. Konsumverhalten wird als ein Resultat von Faktoren betrachtet, die mit der sozialen Situation, dem famiWiren Hintergrund, der Personlichkeit, mit Einstellungen, Erwartungen und Werthaltungen der Konsu menten in Zusammenhang stehen. Es gibt Hinweise darauf, daB Storungen oder Abweichungen in einzelnen dieser Bereiche zu erhohtem Drogengebrauch fUhren (Johnston et al. 1987, Kandel et al. 1986, Hurrelmann 1991, Silbereisen und Kastner 1985). Aufgrund seiner prospektiven Uingsschnittuntersuchung zum Suchtmittel gebrauch junger Menschen gelangt Sieber (1988) zu dem SchluB, daB fUr eine verbesserte Prognose des Konsumverhaltens vor aHem Verkniipfungsregeln einzelner, mittlerweile bekannter Bedingungsfaktoren fehlen sowie Zusatzinforma tionen, welche die Verkniipfungsregeln weiter prazisieren. Sozialwissenschaftliche Studien konnten heute nicht mehr als die Halfte der Varianz des Konsumverhaltens erklaren. Erreicht sei ein Sattigungsbereich, bei dem der EinschluB weiterer Pradiktoren das Resultat nur noch unwesentlich verbessern konne. Deshalb sei eine Weiterentwicklung der Bedingungsanalyse nicht etwa dadurch zu erreichen, neue Merkmalsbereiche zu erschlieBen, die auch noch fUr das Konsumverhalten relevant waren, sondern darin, innerhalb eines bestimmten Pradiktorsatzes die Detailanalyse zu fordern. Einer dieser Bereiche, der sich in der jiingeren sozialwissenschaftlichen Forschung als wichtige EinfluBvariable erwiesen hat, ist die Herkunftsfamilie. Beispielsweise folgert Hurrelmann (1987a, 1987b) aus den Ergebnissen seines Bielefelder 2 Forschungsprojektes, daB Drogenkonsum im 1ugend- und 1ungerwachsenenalter sich versUirke, wenn Konflikte mit den Eltern bestehen, etwa hinsichtlich der eigenen Lebensgestaltung. Verstarkter Gebrauch sei eine Begleiterscheinung konfliktreicher Beziehungen und deute auf eine schwierige Ablbsungsphase hin. Deshalb miisse sich die Forschung auf diesen Bereich konzentrieren. Zu ganz ahnlichen Ergebnissen kommen auch andere sozialwissenschaftlich orientierte Forschergruppen im deutschsprachigem Raum (u.a. Hornung et al. 1983, Infratest Gesundheitsforschung 1989, Kindermann et al. 1989, Projektgruppe TUdrop 1984, Sieber 1988). Die Erkenntnis, daB die Familie eine wichtige EinfluBgrbBe auf den Konsum illegaler Drogen darstelIt, zumindest in bezug auf das Friihstadium, ist nicht neu. Denn die jenseits aller sozialwissenschaftlich-epidemiologischen Forschung kli nisch tatigen Psychiater und Drogentherapeuten beschrieben in zahlreichen VerOffentlichungen seit Mitte der 70er 1ahre aus ihrer taglichen Arbeit, daB das Suchtverhalten 1ugendlicher und 1ungerwachsener als kompromiBbildende Be ziehungsgestaltung eines Familiensystems verstanden werden kann: Insbesondere der fortgesetzte MiBbrauch von Drogen starke die familiare Kohasion, entschiirfe Loyalitatskonflikte und verschiebe oder verhindere Prozesse, die mit einer eventuellen Trennung des Drogenkonsumenten einhergehen. In diesem Kontext wirke die Droge als zentraler Regulator von AblOsung und Autonomie einerseits und von Verschmelzung und Abhangigkeit andererseits. GewissermaBen diene die Droge im Sinne eines "Niihe-Distanz-Regulators" und reprasentiere (iibersetzt in die psychodynamische Terminologie) den regressiven und somit abgespaJtenen (Familien-) Systemanteil (s. Abschn. 2.). 1edoch gerieten die Familientherapeuten in ein Dilemma, wenn das, was zu beob achten war, empirisch iiberpriift werden sollte. Die Methoden der humanistischen Psychologie und Sozialwissenschaft erwiesen sich fUr die Erfassung und Beschreibung von Interaktionsphanomenen nicht brauchbar (s. Abschn. 4.1). Geeignete Verfahren wurden erst in den letzten 1ahren entwickeIt und erprobt (s. Abschn. 4.2.4). Demzufolge wurde bislang nur wenig empirisches Material gewonnen -Beobachtungs- und Erfahrungswerte hingegen waren zahlreich. Dieses Dilemma belegte exemplarisch die 1ahresfachkonferenz 1992 der "Deutschen Hauptstelle gegen die Suchtgefahren" (DHS)!, die unter dem Titel "Sucht und Familie" stand. Mehr als 1000 Fachkrafte und Wissenschaftler des In und Auslandes, die an dem Kongress teilnahmen, bekamen das Paradoxon vor Augen gefUhrt: In der deutschen Suchtkrankenhilfe hat die Bedeutung der Familie des Abhangigkeitskranken enorm zugenommen. Immer mehr Behandlungseinrich- Die Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren ist der ZusammenschluB der bundesweit in der Vorbeugung, Hilfe und Nachsorge ftir Menschen mit Suchtproblemen Uitigen Verbande. Durch die Arbeit der Mitgliedsverbande der DHS werden jahrlich mehr als 300000 Menschen erreicht, die Hilfe und Unterstiitzung bei ihren Suchtproblemen suchen. Angeschlossen sind 4500 Selbsthilfegruppen, 1000 ambulante Beratungs- und Behandlungsstellen ftir Suchtkranke und deren AngehOrige sowie Fachkliniken und stationare Behandlungseinrichtungen mit mehr als 6000 Behandlungspllitzen.