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Existentialismus oder Marxismus PDF

184 Pages·1951·26.736 MB·German
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GEORG LUKACS EXISTENTIALISMUS ODER MARXISMUS? GEORG LUKAcs EXI STENTIALI SMD S ODER MARXISMUS? D AUFBAU-VERLAG BERLIN 1951 Copyright r95r by Aufbau-Verlag GmbH, Berlin W 8 Alk Reclrle vorbehalten. Printed in Germany. Lizenz-Nr. 3or. r35/92/ 50 Dmck: VEB Leipziger Druckhaus, Leipzig (III/r8/203) VORWORT Dieses Buch ist eine Sammlung von Aufsätzen, die im Winter I946/47 geschrieben wurden; nur die als Anhang veröffentlichte Studie über Heidegger ist etwas später entstanden. Diese Daten mußten wir aus zwei Gründen her vorheben. Erstens, weil die Entstehung der einzelnen Teile als selbständiger Essays eine Erklärung für bestimmte unvermeidliche Wiederholungen bietet. Zweitens-und dies ist die Hauptfrage-, weil der Existentialismus heute etwas wesentlich anderes vorstellt als damals und deshalb auch unsere Stellung zu ihm eine wesentlich andere sein muß. Die weltanschaulichen Tendenzen, als deren Folge der Existentialismus seine heutige Form erlangte, sind in diesen Auf sätzen bereits ausführlich auf ihre gefährlichen reaktionären Möglichkeiten hin analysirrt. Nur daß es sich damals noch um Möglichkeiten handelte, noch um die beginnende Krise einer Ideologie des „dritten Weges", noch um den Scheideweg der Existentialisten zwischen Fortsc}tritt und Reaktion. (Auch unsere damaligen Betrachtungen haben betont, daß die Wahl des Fortschritts einen Bruch mit Methodologie und Weltanschauung des E xi stentiaHsmu.s bedeuten müßte.) Heute hat sich der Existentialismus ent schieden: er ist eine der wichtigen Ideologien der Konterrevolution ge worden: die Verleumdung der Sowjetunion, die Verherrlichung der Tito banditen usw. sind heute entscheidende Momente seiner Publizistik. Freilich, auch heute noch unter der Maske einer „erhabenen Überparteilichkeit", eines „ehrlichen" Suchens nach einem „dritten Weg" zwischen USA und Sowjetunion. Heute handelt es sich aber um reine Heuchelei und Demagogie. Sartre und seine Schule sind zu literarischen Agenten des Imperialismus geworden. Der Existentialismus hat aber nicht nur politisch seine damals verborgene wahre Physiognomie gezeigt. Er hat auch philosophisch nicht jene Bedeutung erlangt, die man vor fünf Jahren erwarten konnte: er ist nicht zu einer allgemein führenden Ideologie - auch nicht im konterrevo~ lutionären Sinn - geworden. Die große Mode des Existentialismus ist vor bei; daß er noch immer eine nicht unwichtige Rolle spielt, entspri·ngt allein der beispiellosen Unfruchtbarkeit des heutigen bürgerlichen Denkens; ernt'mmtnur darum noch immer einen gewichtigen Platz ein, weil nach ihm nichts oder so gut wie nichts entstand. Sogar die vorfaschistische Periode - wahrhaft ein erschreckender Tiefpunkt des bürgerlichen Denkens - zeigt ein weniger gesunkenes Niveau im Vergleich zu den philosophischen Manifestationen der „amerikanischen Lebensform". 6 Vorwort Hat es unter solchen Umständen einen Sinn, diese Aufsätze deutsch herauszugeben, nachdem sie seinerzeit in verschiedenen Sprachen erschienen sind? Wir glauben: doch. Denn der ideologische Einfluß des Existentialis m'l!s, schon weil die imperialistische Bourgeoisie unfähig ist, neue, wirk same Philosophien hervorzubringen, ist noch immer nicht unbeträchtlich. Und so sehr alle Gegensätze sich seitdem vertieft haben, gibt es noch immer breite Schichten der Intelligenz, die krampfhaft einen „dritten Weg" suchen. Für den Nachweis seiner Unmöglichkeit können diese Aufsätze nützlich wirken. Und es ist dabei gleichgültig, daß Frau Beauvoir und Herr Merleau Ponty schon längst für die Reaktion optiert haben. Auch die damalige Polemik gegen sie bezweckte weniger, sie s'elbst zu überzeugen, als fene, die ehrlich ihren Weg suchten, die die schillernden Halbwahrheiten und Unwahrheiten des Exi stentialismus leicht irreführen konnten, irregeführt haben und auch heute noch irreführen können. Damm begnügten sich diese Aufsätze einerseits nicht da mit, die politischen Folgen des „dritten Weges" aufzuzeigen, sondern waren gleichzeitig bestrebt, die philosophische Morschheit des Existentialismus auf verschiedenen Feldern mit einer philosophischen Argumentation zu entlarven. Darum beschränkten sie sich andrerseits nicht auf bloße Polemik, sondern stellten den philosophisch[!n Sackgassen des Existentialismus die echten Lösimgen des Marxismus-Leninismus gegenüber; so dem Relativismus und Niht"lismus der existentialistischen Erkenntnistheorie die Lehre von der dialektischen Annäherung unserer Erkenntnis an die obfektive Wirl?lichkeit, die Dialektik des Absoluten und Relativen usw. Daß viele der existentialisti schen Kategorien infolge der Veränderung der gesellschaftlichen Wirklichkeit neue, gefährlichere Bedeutung erlangten, daß z. B. die Sartresche abstrakte Freiheit - ursprünglich entstanden als Mythos des Widerstandes - heute ein wichtiges Element der Propaganda der „amerikanischen Lebensform" geworden ist, ändert nichts Wesentliches an jenem Nachweis ihrer philo sophischen Unhaltbarkeit, den unsere Aufsätze zu geben versuchten. Natürlich würde der Verfasser, auf Grund des heutigen Materials, seine Darlegungen oft mit anderen Beispielen, mit anderen Zitaten belegen. Er hofft aber, daß er die wesentlichen philosophischen Gebrechen des Existen tialismus auch damals bloßgelegt und widerlegt hat. Deshalb glaubt er sich berechtigt, dieses fünf] ahre alte Buch in unveränderter Form den deutschen Lesern vorzulegen. Budapest, September I95I. DIE KRISE DER BÜRGERLICHEN PHILOSOPHIE Die Tatsache der Krise haben nicht nur wir Marxisten festgestellt. „Die Krise" ist schon seit langem ein gewohnter Begriff in der bürger lichen Philosophie. Als z. B. Siegfried Marck, der bekannte Neuhegelia ner, Rickerts Platz in der Entwicklung der Philosophie bestimmen wollte, bezeichnete er ihn als einen Denker „aus der Zeit vor der Krise". Und in der Tat: wenn wir die Entwicklung der bürgerlichen Philosophie in den letzten Jahrzehnten aufmerksam verfolgen, dann sehen wir, daß geradezu alle paar Jahre die Grundlagen der Philosophie immer wieder von neuem in Frage gestellt werden. Es ist kein Zufall, daß am Anfang dieser Entwick lung das Programm Nietzsches: die Umwertung aller Werte, steht; Und so geht es ohne Unterlaß in der modernen Philosophie weiter; ein Jahr, in dem nicht auf irgendeinem Gebiet der Philosophie eine Krise ausbricht, ist ein ereignisloses Jahr. Aber das ernsteste Symptom der Krise ist die Tatsache, daß am Ende dieser Entwicklung die sogenannte „Weltanschauung" des Faschismus steht. Und es kann festgestellt werden, daß der gegen sie entfaltete Widerstand seitens der bürgerlichen Philosophie gleich Null ist. Ja, die Beliebtheit eines beträchtlichen Teiles jener philosophischen Richtungen, die der Faschismus vollkommen, von ihm unabtrennbar, in sich auf genommen hatte (denken wir nur an die Nietzsches), blieb nach wie vor in weiten Kreisen der bürgerlichen Nazigegner unberührt bestehen. Die Tatsache der Krise kann also kaum bestritten werden. Kompli zierter ist ihre Kennzeichnung und ihre Kritik von der historischen und von der im engeren Sinne philosophischen Seit~her. Hier taucht sofort die Frage auf: was ist das spezifisch Neue in der Philosophie der imperia listischen Periode, ist sie tatsächlich radikal neu, und wenn ja, inwiefern? In solchen Fragen ist Vorsicht geboten. Bei der Programmdebatte der Kommunistischen Partei Rußlands verwahrte sich Lenin gegen die von einigen vertretene Auffassung, bei der Analyse der wirtschaftlichen Struktur und der Gesetzmäßigkeiten des Imperialismus könne von de1 all gemeinen Entwicklung des Kapitalismus abstrahiert werden. Ich glaube, daß diese methodologische Feststellung auch für das ideologische, das 8 Die Krise der bürgerlichen Philosophie philosophische Gebiet Gültigkeit hat. Die Philosophie des Imperialismus kann auch nur im Rahmen der allgemeinen Zusammenhänge der kapita listischen Gesellschaft verstanden und kritisiert werden. Denn es unter-- liegt keinem Zweifel, daß, allen Veränderungen zum Trotz, die Wirkung der gemeinsamen ökonomischen Grundlage auch in der Philosophie zum Ausdruck kommt. Diesen Zusammenhang können wir bereits an ganz oberflächlichen Erschernungen beobachten; etwa an dem ständigen Zurückgreifen der modernen Philosophie auf die Systeme der Vergangenheit. So ist Kants Wirkung z. B. bis zu Chamberlain und durch ihn hindurch bis zu Rosenberg offensichtlich; Sartre greift auf Descartes zurück, während der deutsche Irrationalismus feststellt, daß die moderne Philosophie durch Descartes auf einen Irrweg geraten sei, usw. In diesem ewigen, unsteten Suchen nach immer anderen alten Quellen zeigen sich eben falls - in historischem Maßstab gesehen - die Anzeichen der Krise. Denn dieses Herumtappen, diese Unsicherheit verrät das sich ständig erneuernde Gefühl, daß die Philosophie ihren Weg verfehlt hat. Wo und wann hat sie sich verirrt? Wohin muß zurückgegangen werden, damit man den richtigen Weg finde? FETISCHISIERTES DENKEN UND WIRKLICHKEIT Was ist das Neue in der Philosophie der imperialistischen Periode? Im allgemeinen ist es die gedankliche Widerspiegelung des Imperialismus selbst, als der höchsten und deshalb widerspruchsvollsten Stufe des Kapitalismus. Die Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft, die auch bisher den Weg, die Form, den Inhalt der bürgerlichen Philosophie bestimmt haben, erscheinen jetzt auf dem Gipfelpunkt ihrer objektiven Widersprüchlichkeit. Dies bedeutet nicht nur deshalb eine Verschärfung, weil es für die bürgerliche Klasse eine Existenzfrage ist, diese grund legende Widersprüchlichkeit nicht anzuerkennen. Je tiefer, unüberbrückbarer die Widersprüche objektiv sind, um so überstürzter wird der Prozeß, der die philosophische Krise hervorruft: die Trennung der Wege von philosophischem Denken und gesellschaft licher Wirklichkeit. Doch hier handelt es sich um mehr. Das Problem ist nicht einfach der Gegensatz von bürgerlicher Gedankenwelt und im perialistischer gesellschaftlicher Wirklichkeit, sondern der des wirk lichen, wesentlichen Verlaufs dieser gesellschaftlichen Wirklichkeit und der sie verbergenden, unmittelbar sichtbaren Oberfläche. Infolgedessen Fetischisiertes Denken und \Virklichkeit 9 ist es möglich, daß eventuell subjektiv ehrliche Denker die gesellschaft liche Wirklichkeit in ihren Werken vollkommen auf den Kopf stellen, weil sie sich sklavisch an diese trügerische, unmittelbare Oberfläche halten. Dieser Gegensatz ist ein ständiges Problem des bürgerlichen Denkens. Die grundlegende ideologische Erscheinungsform der kapitalistischen Gesellschaft ist die Fetischisierung. Dies bedeutet, kurz gesagt, daß für die in dem Zauberkreis der Oberflfü;henerscheinungen der kapitalisti schen Gesellschaft lebenden Individuen die, freilich oft durch Dinge ver mittelten, Beziehungen zwischen den Menschen als Dinge erscheinen; die menschlichen Beziehungen verdinglichen, fetischisieren sich. Die klarste, elementarste Form dieser Fetischisierung ist eine der Grunderscheinun gen der kapitalistischen Produktion, die Ware. Die Ware ist sowohl in ihrem Entstehen als auch in ihrer weiteren Funktion als Ware der Ver mittler konkreter menschlicher Beziehungen (Kapitalist und Arbeiter, Käufer und Verkäufer). Es müssen ganz konkrete gesellschaftliche, wirt schaftliche Verhältnisse, also ganz konkrete menschliche Beziehungen vorhanden sein, damit das Arbeitsresultat des Menschen, das durch seiner Hände Arbeit geschaffene Produkt zur Ware werde. Sobald die kapitalistische Gesellschaftsordnung diese Zusammenhänge verbirgt, un durchdringlich macht und immer mehr die Tatsache in Nebel hüllt, daß die Warenform des Produkts nur die Widerspiegelung einer konkreten Beziehung zwischen Menschen ist, kristallisieren und verselbständigen sich diese Beziehungen zu Eigenschaften der Ware (z.B. zum Preis), sie erscheinen als Eigenschaften von Dingen, quasi als Natureigenschaften, sie scheinen der Ware eigen wie die Süßigkeit dem Zucker, die Farbe der Rose. Und je weiter eine Erscheinung von der wirklichen Produktion steht, um so leerer, seelenloser wird der Fetisch und um so mehr verdinglicht er sich und beherrscht gleichzeitig um so wirksamer das Denken. Die imperialistische Entwicklung der kapitalistischen Welt, besonders der Aufstieg des Finanzkapitals zur herrschenden Macht, steigert die all gemeine Fetischisierung immer mehr, und immer schwerer und aussichts loser wird es, die Verdinglichung zu entlarven, weil die Zusammenhänge, die als das Wesentliche hinter dieser Fetischisierung stehen, immer mehr in Nebel gehüllt sind. Für die Philosophie ist es hier wichtig, daß das Steckenbleiben in der Fetischisierung in antidialektischer Richtung wirkt. Je mehr die Gesell schaft im bürgerlichen Denken als eine chaotische Anhäufung von toten Dingen und dinglichen Zusammenhängen erscheint, nicht aber - der Wirklichkeit entsprechend - als die ununterbrochene und ununter brochen sich verändernde Reproduktion von Beziehungen zwischen Menschen (Klassen), um so ungünstiger muß für das dialektische Denken 10 Die Krise der bürgerlichen Philosophie eine solche Einstellung werden. Der so entstehende Prozeß wird durch den Parasitismus der imperialistischen Periode noch gesteigert. Ein Großteil der Intelligenz ist so weit von dem die wirkliche Struktur und die Bewegungsgesetze der Gesellschaft bestimmenden Arbeitsprozeß ent fernt, ist so tief in die Welt sekundärer oder tertiärer Erscheinungen der gesellschaftlichen Gesamtproduktion, die sie als die primären empfindet, eingebettet, daß die gedankliche Entlarvung der Fetischisierung geradezu unmöglich wird. So ist die Entfernung zwischen der Wirklichkeit und den die Ober flächenerscheinungen widerspiegelnden Gedanken so groß, daß jede Ver änderung der gesellschaftlichen Entwicklung sich vor dem Denken als unerwarteter, klaffender Abgrund auftut, sich als Krise, als eine unauf hörliche Kette von Krisen manifestiert. Stellen wir aber auch innerhalb des Imperialismus eine ständige philo sophische Krise fest, so müssen wir freilich andererseits zwischen den einzelnen Etappen differenzieren: bis 1914 ist die philosophische Krise verhältnismäßig latent; erst nach 1918 wird sie für jeden offenkundig. 2 DIE HAUPTEPOCHEN DES BÜRGERLICHEN DENKENS All dies ist erst eine allgemeine ideologische Charakterisierung der imperialistischen Periode. Die Philosophie jedoch ist eine besondere ideo logische Form, deren Entwicklung nicht immer mit der Entwicklung anderer ideologischer Formen, z. B. mit der der exakten Wissenschaften oder der Literatur parallel läuft. Die Besonderheit der Philosophie be steht, kurz zusammengefaßt, in der Besonderheit des Gegenstandes selbst, der die Existenz und die letzten Fragen der Erkenntnis, d. h. die auf das a_bstrakte und verallgemeinerte Niveau erhobene Weltanschauung umfaßt. Während dort, wo der unmittelbare Gegenstand die unmittelbar gegebene gesellschaftliche (oder natürliche) Wirklichkeit selbst ist (und nicht nur ihr abstrakter Inbegriff, ihre verallgemeinerten letzten Prin zipien), kann die kühne und unbefangene Betrachtung der Wirklichkeit oft die Verzerrungen der Weltanschauung zurechtrücken~ So können wir in der Literatur häufig sehen, daß einzelne Schriftsteller, die mit ihren persönlichen Meinungen in einer fetischisierten Weltanschauung befangen sind, in ihrem Werk, in ihren Darstellungen des Lebens eine Defetfochi sierung vornehmen, daß sie das, was für ihr Denken als Ding erscheint, in ihren Wirklichkeitsdarstellungen als menschliche Beziehungen fühlbar machen. In der Philosophie ist dagegen von den letzten Prinzipien die

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