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Europa-Studien: Eine Einführung PDF

432 Pages·2013·150.846 MB·German
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Europa-Studien Timm Beichelt • Bożena Chołuj • Gerard C. Rowe Hans-Jürgen Wagener (Hrsg.) Europa-Studien Eine Einführung 2. Aufl age Herausgeber Prof. Dr. Timm Beichelt Prof. Dr. Bożena Chołuj Prof. Dr. Gerard C. Rowe Prof. (em.) Dr. Hans-Jürgen Wagener Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder), Deutschland ISBN 978-3-531-19863-7 ISBN 978-3-531-19864-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-531-19864-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufb ar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2006, 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht aus- drücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfi lmungen und die Ein- speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk be- rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürft en. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.springer-vs.de Inhalt Einleitung: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Europastudien? ....................... 9 Timm BeicheltlBozena Choluj/Gerard C. RowelChristina Ückerl Hans-Jürgen Wagener 1. Kultur Europa. Anmerkungen zur Genese eines rastlosen Kontioents ......................................... 35 Heinz-Dieter Kittsteiner t Religion und Politik in Europa - alte Fragen und neue Herausforderungen ..................... 53 Michael Minkenberg Islam in Europe ................................................................................................................... 73 AyhanKaya Schriftsteller und ihre Europa-Konzepte ........................................................................... 91 Bozena Choluj Grenzen im Neuen Europa ............................................................................................... 109 Werner SchifJauer 2. Politik Politik in Europa zwischen Nationalstaaten und EU - auf dem Weg zu einem integrierten Analysekonzept ...................................................... 119 Timm Beichelt Die europäische Demokratie und die deliberative Integrationstheorie ........................... 135 Jürgen Neyer Die zerfasernde Union - Differenzierung als Realität des Integrationsprozesses .......... 149 Nicolai von Ondarza 6 Inhalt Regionale Entwicklung in der Europäischen Union ........................................................ 167 Ste/an Krätke Polizeikooperation im Zuge europäischer Terrorismusbekämpfung: Transformation des staatlichen Gewaltmonopols? ........................................................... 187 Christina Ücker Europa in der Welt: Die vielen Gesichter der EU-Außenbeziehungen ............................ 209 Nicolai von Ondarza/J ohannes Varwick 3. Recht Der lange Weg zur Europäischen Union .......................................................................... 231 Matthias Pechstein/Phi/ipp Kubicki Menschenrechtsschutz und europäische Integration ........................................................ 247 Carmen Thiele Europäische Integration durch Verwaltung und Verwaltungsrecht ................................. 263 Gerard C. Rowe Die Verfassung der Erwerbsarbeit in der Europäischen Union- Rechtsgrundlagen eines Sozialen Europa ........................................................................ 281 Eva Kocher Entwicklungstendenzen im europäischen Unternehmensrecht ....................................... 297 Bartosz Makowicz Europäisches Internationales Schuldrecht ....................................................................... 315 Dieler Martiny Grundlagen der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen in der EU ......................... 329 Michael Stümer 4. Wirtschaft Europäische Integration und kapitalistische Vielfalt ....................................................... 345 Frank Bönker ... and never the twain shall meet? Die Osterweiterung der Europäischen Union .................................................................. 357 Hans-Jürgen Wagener Inhalt 7 Europäische Sozialpolitik ................................................................................................. 377 Hermann Ribhegge Europäische Finanzmarktintegration ............................................................................... 397 Mechthild Schrooten Die grenzüberschreitende Unternehmensbesteuerung in der Europäischen Union ........ 409 Stephan KudertlMarcin Jamrozy I Jens Glowienka Der rechtliche Rahmen der Europäischen Wirtschafts-und Währungsunion ................ 431 UlrichHäde Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ........................................................................ 451 Einleitung: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Europastudien? Timm BeicheltlBoiena Choluj/Gerard C. RowelChristina ÜckerlHans-Jürgen Wagener 1. Europawissenschaft und Integrationsforschung als area studies Der Begriff ,,Europa-Studien" bezeichnet Vorgänge von Forschung und Lehre im Hinblick auf den geogrsphisch eingegrenzten Gegenstand "Europa". Mit einem analogen Fokua exis tieren etwa Afrika-oder Lateinamerikastudien. Verwendet wird der Begriffd er ,,Europa-Stu dien" indes meistens dann, wenn es um Prozesse der europäischen Integrstion in politischer, rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht geht. Wir schließen uns dieser gebräuchlichen Pra xis an und verwenden die Bezeichnung "Europa-Studien" für die Herausbildung sowie die Grenzen eines Integrationsraums seit dem Epochenbruch des Zweiten Weltkriegs. Die Zeit seither lässt sich in drei Phasen unterteilen. Während der ersten Jahrzehnte existierten auf dem europäischen Kontinent konkurrierende Integrstionsprojekte - in der politischen Sphäre generell die Systemkon1rurrenz zwischen Ost und West, militärisch die NATO und der Warschauer Pakt, in ökonomischer Hinsicht die konkurrierenden Organi sationen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWGIEG), die European Free Trade Association (EFTA) und der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RgW). Die zweite Pha se begann mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) im Jahr 1986, die nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in den Maastrichter Vertrag (1991) überführt wurde. Die darauffol genden Jahre markierten den Höhepunkt der Praxis der europäischen Integrstion, die Euro pa als hegemoniale Idee prägte. Wahrzeichen dieser Entwicklung waren die Einführung des Euro als gemeinsame Währung, der sukzessive Wegfall der Grenzkontrollen ab den 1990er Jahren sowie die erfolgreichen Erweiterungen der Jahre 1995 und 2004. Die dritte Phase setzte etwa 15 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer ein und ist durch eine Infragestellung der Ergebnisse des Integrstionsprozesses geprägt. Sie begann mit den gescheiterten Referenden zum Europäischen Verfassungsvertrsg, insbesondere in Frankreich und den Niederlanden (2005), und setzte sich fort mit den Beitritten der - wie man heute weiß - nicht vollständig beitrittsf"ähigen EU-Staaten Bulgarien und Rumänien. Die wohl schwers te Krise der europäischen Integration begann, nachdem seit dem Frühjahr 2010 eine Reihe von Ereignissen die mangelnde Anpassung einzelner Mitgliedsländer an eine grundsätzlich stabile gemeinsame Währung offen legte, wodurch die Solidarität zwischen den Euro-und EU-Staaten auf eine harte Belastungsprobe gestellt wurde (BeicheltiOndarza/Verheugen 2011; Kunstein/Wessels 2011). Zum Redaktionsschluss unseres Bandes im Auguat 2012 ist noch offen, ob sich die europäischen Krisensymptome weiter fortsetzen und zu einem Zer fall der Euro-Zone (mit nicht kalkulierbaren weiteren Folgen) führen werden, ob - wie mit- T. Beichelt et al. (Hrsg.), Europa-Studien, DOI 10.1007/978-3-531-19864-4_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 10 Timm Bcichclt/Bo:iena Choluj/Gcrard C. Rowc/Christina Ückcr/Hans-Jürgcn Wagcncr unter zu hören ist - die Krise einen weiteren Integrationsschub auslösen wird, oder ob die kommenden Jahre durch einen fortdauernden Zustand zwischen Sklerose und Agonie ge kennzeichnet sein werden. Die Herausgeber der zweiten Auflage der Europa-Studien haben sich zur Aufgabe ge macht, die Auswirkungen der veränderten Großwetterlage auf unterschiedliche Teilbereiche der EU sowie der Integration zu untersuchen. Wie schon bei der ersten Auflage aus dem Jahr 2006 kommen dabei ausschließlich solche Autoren zu Wort, die im Master-Studiengang "Eu ropa-Studien" an der Europa-Universität Viadrina als Lehrkräfte tätig sind oder dort in der näheren Vergangenheit gelehrt haben. Der Band dokumentiert damit auf zwei Ebenen, wie die Dynamik der Europäischen Integration an der Viadrina eingeordnet wird. Auf der em pirischen Ebene werden die Veränderungen analysiert, die sich aus der verlangsamten - und z.T. möglicherweise inversen - Integration der europäischen Gesellschaft, Politik und Wirt schaft ergeben. Der Blick auf die versammelten Beiträge zeigt dabei, dass die europäische Krise in der Schulden-und Geldpolitik zwar nicht alle Politikfelder der EU erfasst, aber den noch zu deutlichen Zweifeln hinsichtlich der Kohäsionskraft des Europäischen geführt hat. Auf der konzeptionellen Ebene setzt sich dagegen eine Annäherung zwischen vorma ligen "EU-Studien" sowie den allgemein angewendeten Methoden der beteiligten Wissen schaftsdisziplinen fort. EU-Studien im engen Sinn haben vorwiegend die Europäische Union zum Gegenstand und sind in der Regelsozial-, politik-, rechts-oder wirtschaftswissenschaft lich geprägt bzw. bestehen aus multidisziplinären Verbindungen dieser drei Lehr-und For schungsgebiete. Das Integrationsprojekt ist allerdings äußerst dynamisch: Schon die Entwick lung vom Europa der Sechs zur EU-27 macht das deutlich. Deshalb umfasst der potentielle Integrationsraum den gesamten europäischen Kontinent und damit alle europäischen Gesell schaften. Auch europäische Staaten, die sich dem Integrationsprojekt der EU nicht anschlie ßen, gehören zum Gegenstand der Europa-Studien. Ein zweiter Punkr ist, dass die integra tion nicht nur Politik, Recht und Wirtschaft, sondern die gesamte Bandbreite des Sozialen berührt. Wird "Europa" in dieser breiten Betrachtungsweise studiert, sprechen wir von "Eu ropa-Studien", die sich zusätzlich mit der Geschichte und den gesellschaftlichen Deutungs mustern (z.B. in Literatur und bildenden Künste) in und um Europa auseinandersetzen. "Eu ropa" wird dann zu einer wissenschaftlichen Region: zu einem Gegenstand von area studies. Die Geburt der modernen area studies vollzog sich in den 1960er-Jahren in Großhri tannien. Seinerzeit etablierte die britische Regierung infolge des sogenannten Hayter Re ports interdisziplinäre Forschungsinstitute zu Afrika, Asien sowie der Sowjetunion (Hayter 1975). In Deutschland hatte es noch früher Regionalinstitute gegeben. "An den ostdeutschen Universitäten Königsberg und Breslau furmierten sich die osteuropakundlichen Interessen in den zwanziger und dreißiger Jahren zu großen multidisziplinären Osteuropainstituten" (Zernack 1977: 15). Das Breslauer Institut wurde nach dem Krieg im Münchner Osteuropa Institut wieder aufgenommen. Das Hamburger Asien-Afrika-Institut wurde 1908 als Koloni alinstitut gegründet. Auch fachspezifische Einrichtungen regionaler Schwerpunktsetzungen können genannt werden, z. B. die Abteilung für Ostrechtsfurschung der Universität Hamburg ,Ur (1953, später Institut für Ostrecht) oder die Institute Ostrecht München (1957) oder Köln Einleitung: Was heißt und zu welchem Ende studiert man Europastudien? 11 (1964), die allerdings wohl konkreten Informationsbedürfnissen bzgl. des Rechts der unter kommunistischer Herrschaft stehenden Staaten Osteuropas zu entsprechen versucht haben. In der ersten Auflage haben wir ausgef"lihrt, dass Europa-Studien als Orientierungs wissenschaft im Sinne der vor etwa zwanzig Jahren geführten Debatte um Kulturwissen schaften gelten können. In Zeiten der europäischen Integrationskrise zeigt sich jedoch, dass der orientierungswissenschaftliche Anspruch nur begrenzt greifen kann, wenn in der politi schen Arena komplexe Probleme mit hohem Zeitdruck gelöst werden müssen. In der Euro pawissenschaft werden heute die Lösungswege zur Schulden- und Eurokrise überwiegend in den traditionellen Bahnen diskutiert. Die Debatten werden (wieder) von Politik-, Rechts und Wirtschaftswissenschaftlern untereinander geführt; der Austausch zwischen den Diszi plinen bleibt die Ausnahme. Es zeigt sich, dass die Herausforderung multidisziplinärer Re gionalstudien weiterhin bestehen bleibt. Die Herausgeber verstehen Europa-Studien als Bemühen, Entwicklungen in verschie denen sozialen Arenen in Europa - etwa der Wirtschaft und der Kultur - gleichermaßen zu registrieren und aufeinander zu beziehen (ähnlich bei Murray 2009). Mit diesem Verständ nis der Europa-Studien ordnen wir uns in eine bestimmte Linie der wissenschaftlichen Aus einandersetzung mit "Europa" ein. Als wichtige Referenzpunkte zu nennen sind der Berli ner Historiker Hartmut Kaelble, der in Erfurt und Freiburg tätige Soziologie Hans Joas oder der kürzlich verstorbene Geschichtssoziologe Willfried Spohn. Wenngleich es verfehlt wäre, von einer Schule zu sprechen, scheinen diese und weitere Wissenschaftler in der Überzeu gung vereint, der Charakter - und möglicherweise der Erfolg oder Misserfolg - der euro päischen Integration stünde nicht nur in engem Zusammenhang mit kulturellen und histo rischen Wurzeln, sondern auch mit deren Interpretation durch Individuen, Öffentlichkeiten und Gesellschaften. So beginnen Hans Joas und Klaus Wiegandt in einem Herausgeberwerk über "die kulturellen Werte Europas" mit einem Ausschnitt aus einem Roman von Joseph Roth, in welchem ein Dialog über Werte der Religion, der Gesittung und der Kunst als "Idee Europa" bezeichnet wird (Joas/Wiegandt 2005: 11-12). Im Mittelpunkt steht damit nicht die Substanz bestimmter Traditionen - iufrage kommen bei Joas und Wiegandt etwa das jü disch-christliche, das griechisch-römische, das rationalistische und das aufklärerische Erbe - , sondern deren Spiegelung durch Interpreten und Interpreten der Interpreten. Es handelt sich um eine Herangehensweise, die aus der kulturwissenschaftlichen Kommunikationsfur schung hinlänglich bekannt ist (Linke 2008). Von vielen anderen Regionen, die mit einem Ansatz der area studies bearbeitet wer den, unterscheidet sich das integrierte Europa - jedenfalls bisher - durch seinen Vorbild charakter. Der Plan, den der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 verkündete, sollte bewirken, dass ,jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich ist". Europa werde dann "die Verwirklichung einer seiner wesentlichsten Aufgaben verfolgen können: die Entwicklung des afrikanischen Erdteils."· Zu diesem Zeitpunkt standen die europäischen Kolonialmächte England, Frank- Dokumentation bei http://curopa.euJabout-eu!basic-informationlsymbols/curope-day/schuman-declarationl index_ de.htm; (abgerufen am 6. 9. 2012). 12 Timm Bcichclt/Bo:iena Choluj/Gcrard C. Rowc/Christina Ückcr/Hans-Jürgcn Wagcncr reich, Portugal und Belgien in Afrika bereits unter erheblichem Druck. Doch sahen sie die Entwicklung Afrikas vornehmlich als ihre und nicht als Aufgabe der Afrikaner. Mit der Er reichung der Unabhängigkeit in den 1960er Jahren folgten diese allerdings eher älteren eu ropäischen Vorbildern von Krieg und Bürgerkrieg als dem Wirtschaftsaufschwung in der befriedeten Europäischen Gemeinschaft. Während Lateinamerika, der Nahe Osten, Afrika und auch weite Teile Asiens überwie gend im Paradigma der nachholenden Entwicklung und Modernisierung behandelt werden, gilt die Relativierung des Nationalstaats, wie sie im Europa der Nachkriegszeit stattgefun den hat, bei vielen als wegweisend f"lir den Entwicklungs-und Friedfertigkeitsvorsprung, den Europa gegenüber der nicht-westlichen Welt erreicht hat. Bis in die jüngste Zeit wird das eu ropäische Integrationsmodell als fortschrittlichste weltgeschichtliche Entwicklung gepriesen (Rifkin 2004; Hili 2010; Moravcsik 2012). Joas, Kaelble und Spohn gehen bei der verstehenden Erklärung der europäischen Integ ration einen weniger normativ geprägten Weg. Joas und Wiegandt verweisen in ihrem hand buchähnlichen Werk "Die kulturellen Werte Europas" auf solche Elemente, die Europa ver binden und diskutieren, inwiefern sich der Kontinent damit vom Rest der Welt absetzt (Joas! Wiegandt 2005). Zur Sprache kommen dabei auch die "Schattenseiten der europäischen Ge schichte" (ebd.: 8); vertieft diskutiert werden etwa die Sklaverei oder der Totalitarismus. Sh muel Eisenstadt und Willfried Spohn haben diese Erkenntnis in den Begriff der "multiplen Modernität" Europas gegossen (Eisensladt 2000; Spohn 2006). Besonders Spohn geht dabei auf die Unterschiede innerhalb Europas ein. Er ordnet dem westeuropäischen Raum folgende Begriffe zu: "ökonomische Entwicklung, innere Staatsbildung, nationale Homogenisierung" (Spohn 2006: 439). Mittel-, Südost- und Osteuropa werden zu den genannten Begriffen in Gegensatz gebracht, wobei Mitteleuropa als Region betrachtet wird, welche erst in jüngerer Zeit den Pfad der ,Modernität' eingeschlagen habe. Ähnlich differenzierend setzt sich der Berliner Historiker Hartmut Kaelble mit gesellschaftlichen Unterschieden in Europa ausei nander (Kaelble 2005). Wie bei vielen anderen Autoren wird in den Schriften Kaelbles die Fähigkeit der europäischen Gesellschaften gewürdigt, insbesondere nach 1945 Differenzen auszuhalten und einen institutionellen Rahmen zum Ausgleich der wichtigsten Unterschie de und Interessen geschaffen zu haben. Schon in diesen wenigen Verweisen wird deutlich, dass sich die europäischen area studies in starkem Maße an Schriften und Befunde der allgemeinen Soziologie sowie der Geschichts- und Wirtschaftswissenschaft aulehnen. Ein Grund hierf"lir kann - wieder im Vergleich mit anderen Regionalstudien - darin gesehen werden, dass viele Vertreter der Eu ropawissenschaft selbst aus Europa kommen. Damit sprechen sie schon vor dem Eintritt in das Forschungsfeld eine, häufig mehrere, einheimische Sprachen und sind auch sonst mit vielen kulturellen Eigenarten Europas vertraut. Gleichzeitig existiert in allen europäischen Ländern eine reiche (und zumeist freie) Presse, mit der empirische Informationen über die zu beforschende Region viel leichter zugänglich sind als etwa in China, Russland oder den meisten afrikanischen Staaten. Europaforscher sind mithin nicht gezwungen, sich über phi lologische Studien ihrem Feld zu nähern, sondern können sogleich auf die Erkenntnisse ih rer jeweiligen Herkunftsdisziplinen zurückgreifen, deren Theorieangebote sich darüber hi-

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