Arnulf Krause ist promovierter Germanist und Skandinavist, erfolgreicher Sachbuchautor und Experte für germanische Heldensagen und die Dich- tung der Edda. Er lehrt als Honorarprofessor am Institut für Germanistik, vergleichende Literatur- und Kulturwissenschaft der Universität Bonn. Bei Campus erschienen von ihm außerdem Die Geschichte der Germanen (2002, 2005), Die Welt der Kelten (2004, 2007) und Die Welt der Wikinger (2006). Arnulf Krause Europa im Mittelalter Wie die Zeit der Kreuzzüge unsere moderne Gesellschaft prägt Campus Verlag Frankfurt/New York Für Roswitha Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-593-38507-5 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Copyright © 2008 Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main Umschlaggestaltung: Kathrin Steigerwald, Hamburg Umschlagmotiv: © AKG Images, Berlin Karten im Vor- und Nachsatz: Peter Palm, Berlin Satz: Fotosatz L. Huhn, Linsengericht Druck und Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer«, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.campus.de Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1. Europa zur Zeit der Kreuzzüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Jerusalem – Die große Sehnsucht? Die Kreuzzüge . . . . . . . . . . 40 3. Herrscher zwischen Heil und Demut: Der Staat im hohen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 4. Beten, Arbeiten und Herrschen: Der erste Stand der Kleriker . . 122 5. Totschläger und edler Ritter: Der zweite Stand der Adligen . . . 147 6. Stumme Masse und Volkskultur: Der dritte Stand der Bauern . 179 7. Das moderne Europa im hohen Mittelalter: Die Stadt und ihre Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 8. Alte oder neue Eva? Frauen im hohen Mittelalter . . . . . . . . . . 227 9. Das Fremde zwischen Hass und Furcht: Die Ängste Europas im hohen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 10. W ie nah ist uns der mittelalterliche Mensch? Diesseits, Jenseits und die Liebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Exkurse Mythen I: Das Rolandslied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Mythen II: Der Schatz der Nibelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Mythen III: Der Gral und die Artusritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Die Sprache der Kathedralen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 Auf dem Jakobsweg – Wallfahrten und Reliquien . . . . . . . . . . . . . . 47 Das Geheimnis der Tempelritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 6 Europa im Mittelalter Die Schande des Vierten Kreuzzugs: Westliche Ritter plündern Konstantinopel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 Die Sainte-Chapelle in Paris: Ein monumentaler Reliquienschrein . . . . . 89 Die Staufer I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 Die Staufer II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 Die Pracht der Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Burg Trifels und die Reichsinsignien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Feige Ritter und verirrte Könige? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Schamlose Europäerinnen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 Orts- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 Vorwort Am 4. Mai 2001 sprach Papst Johannes Paul II. in Athen von Ereignissen, die »tiefe Wunden im Geist und im Herzen der Menschen« hinterlassen hätten. Der orthodoxe Patriarch von Griechenland, dem diese Worte gal- ten, wusste, woran der Gast aus Rom dachte: »an die verheerende Plün- derung der Kaiserstadt Konstantinopel, die lange Zeit das christliche Bollwerk des Ostens war«. Fast 800 Jahre lag diese Katastrophe damals zurück – gleichwohl war sie von aktueller Brisanz. Sie erinnerte daran, wie die Kreuzritter des lateinisch-katholischen Westens über die Metro- pole des griechisch-orthodoxen Ostens hergefallen waren. Jene Angreifer wollten ursprünglich »den Christen freien Zutritt zum Heiligen Land« sichern (Johannes Paul II.). Nun vertieften sie die ohnehin schon vorhan- dene Spaltung der Christenheit, deren Folgen bis heute nachwirken. Seit einem Jahrtausend hatte kein Pontifex Maximus mehr Griechen- land besucht; zwei Tage später folgte eine weitere denkwürdige Premiere: Erstmals betrat ein Papst ein muslimisches Gebetshaus. In der Omaija- den-Moschee von Damaskus warb er um den Dialog beider Religionen eingedenk der Tatsache, dass man sich in der Vergangenheit allzu oft als Gegner gegenübergestanden habe. Auch hier wirkte die Vergangen- heit nach: Die Mauern einer der prächtigsten Moscheen gehörten einst zu einer Kirche, in der der Kopf Johannes des Täufers begraben worden sein soll. Jahrhunderte später eroberten die Araber Syrien und das Heilige Land, das die westlichen Kreuzritter im hohen Mittelalter zurückgewin- nen wollten. Die Erinnerung an jene Kreuzzüge schwang auf den beiden Pilgerrei- sen Johannes Pauls II. stets mit, die er in den Jahren 2000 und 2001 in 8 Europa im Mittelalter den Nahen Osten unternahm. Sie führten ihn unter anderem nach Ägyp- ten auf den Sinai, nach Israel und Palästina, wo er Jerusalem und Bethle- hem besuchte, schließlich nach Griechenland und Syrien – dorthin also, wo die Wiege des Christentums liegt, wo Jesus und die Apostel gewirkt hatten. Diese Reise folgte unbeabsichtigt den Routen der Kreuzzüge, mit denen die Europäer zwischen 1096 und 1291 versucht hatten, Jerusalem zurückzugewinnen. Über die Nachwirkungen jener mittelalterlichen Kriege zwischen Christen und Muslimen hatte man bereits in den intensiven Debatten um den »Kampf der Kulturen« in den neunziger Jahren gestritten.Vier Mo- nate nach der Pilgerreise Papst Johannes Pauls II. wurde daraus ein globa- les Problem, das weltweit die Schlagzeilen beherrschte: Am 11. September 2001 verübten muslimische Selbstmordattentäter jene denkwürdigen Anschläge in New York und Washington, denen mehrere Tausend Men- schen zum Opfer fielen. Sie folgten einer Ideologie, der zufolge der Westen die Muslime bedrohe. Darum wollten sie die »Kreuzzügler« treffen – wie islamische Fundamentalisten Amerikaner und Europäer bezeichnen. Als hätte es damit nicht genug der historischen Reminiszenzen gegeben, griff der amerikanische Präsident George W. Bush diesen Begriff auf, indem er zu einem Kreuzzug (englisch crusade) gegen den Terrorismus aufrief.Die »bewaffneten Wallfahrten« des hohen Mittelalters hatten plötzlich eine überraschende Aktualität gewonnen. Sie hält weiter an und führt zu kon- troversen Diskussionen über das Verhältnis von westlicher und muslimi- scher Kultur, von Christentum und Islam. Die westeuropäischen Züge nach Palästina waren konkret wie symbo- lisch von herausragender Bedeutung. Trotzdem stellen sie lediglich einen Aspekt jener Zeit dar. Denn mitten im »dunklen Mittelalter« erfasste das – erst später so genannte – Abendland eine erstaunliche Dynamik, die Europa bis heute prägt: Ein zeitweilig günstigeres Klima und landwirt- schaftliche Innovationen sorgten für die Kultivierung Mitteleuropas. Reichere Erträge gingen mit einem enormen Bevölkerungsanstieg einher. Erstmals nach dem Ende des Römischen Reichs entstanden wieder Städte, die gemeinsam mit gewaltigen Kathedralen, imposanten Klosteranlagen und zahlreichen Ritterburgen Europa sein markantes Antlitz verliehen. Damals herrschte die später romantisch verklärte christliche wie kirchliche Einheit des Abendlandes; allerdings wies sie zunehmend Brü- Vorwort 9 che auf. Denn Papst, Kaiser und Könige stritten um die Macht, Häretiker und Kirchenoppositionelle zweifelten das römische Dogma an oder leug- neten es, Gelehrte stellten das Vorbild des unabhängigen europäischen Intellektuellen. Europa gewann Konturen: Seine Nationen nahmen mehr oder weni- ger schnell Gestalt an – mit Auswirkungen bis in die Gegenwart. Europas Wirtschaft blühte auf, Handwerk und Handel entwickelten sich zu be- stimmenden Faktoren. Hierbei zeigte sich im 12. und 13. Jahrhundert eine bezeichnende Ambivalenz: Wo der Reichtum der Händler wuchs, erhob sich eine Gegenstimme. Sie verfluchte die Macht des Geldes und propa- gierte das Ideal der Armut und Nächstenliebe. Rationale wie emotionale Gegensätze gaben dem Abendland sein Gesicht – was sich an Grundsätz- lichem zeigte. Wo mehr und mehr das Geld und die exakt bestimmte Zeit regierten, artikulierte sich Widerstand. Die Zeit sei doch Gottes und nicht des Menschen! Krisengedanken unseres modernen Lebens taten sich be- reits zur Zeit der Kreuzzüge auf. Überraschend ist die Vielzahl dessen, was im hohen Mittelalter Gestalt annahm und bis heute selbstverständlich ist. Dazu gehören unter den re- ligiösen Vorstellungen das Christusbild des gekreuzigten und leidenden Gottessohnes, die herausragende Verehrung Marias sowie ein sehr per- sönlicher Zugang zu Gott. Zugleich emanzipierten sich die Laien von den Klerikern, da sich die Fähigkeit des Lesens und Schreibens ausbreitete und die städtischen Schulen den Klosterschulen Konkurrenz machten. Auch vor Privatem machte der Wind des Wandels nicht halt; die lange gültigen Ehevorstellungen wurden damals formuliert, und die Liebe zwischen Mann und Frau kannte zumindest das Ideal von Zärtlichkeit und Frauen- verehrung. Überhaupt erfreuen sich die imaginären Vorstellungswelten des Mittelalters ungebrochener Beliebtheit: Minnesänger und Trouba- doure preisen die Liebe der »hohen vrouwe«; höfische Recken messen sich im Turnier; die Nibelungen gehen in Hass, Hader und Verrat unter; die Ritter von König Artus’ Tafelrunde suchen den Heiligen Gral, der fantasie- voll der Obhut der geheimnisvollen Templer anvertraut wird. Die Epoche der Kreuzzüge hat zwei Gesichter: ein helles des huma- nen Fortschritts, zu dem Aufklärung, Emanzipation, Nächstenliebe und Toleranz gehören. Und ein dunkles der Gewalt: gegen Andersgläubige, was sich in den Judenpogromen und in der Inquisition ausdrückt; gegen 10 Europa im Mittelalter Frauen, denen die Ursünde Evas angelastet wird. Gewalt beherrscht noch lange die Gesellschaften Europas. Im hohen Mittelalter keimten jedoch jene Ideen und Gefühle, die alle folgenden Jahrhunderte prägen sollten. Sie bestimmten das Wesen des Abendlandes, sie gaben ihm seine Identität. Um deren Schlüsselbegriffe zu nennen: Christentum, das Vermächtnis der antiken Griechen und Römer, selbstständiges Denken, Individualismus. Die Kreuzzüge sind zweifelsohne als Ausdruck der Gewalt zu verstehen – zuweilen paart sich mit ihnen der Aspekt der Sehnsucht, der einen Ausdruck in jenem Himm- lischen Jerusalem fand, das im Jenseits als Belohnung den reuigen Sün- dern winkte. Dieses Buch will keine letzte Wahrheit über jene Epoche verkünden, die uns bis heute bewegt. Hingegen sammelt es Stimmen ihrer Menschen, Zeugnisse aus Ost und West, von Oben und Unten, von Männern und Frauen. Sie drücken Grausamkeit, Kurioses und Amüsantes aus, Unver- ständliches und Verwandtes, Seltsames und überraschend Modernes. Sie unterstreichen die Erkenntnis: Die Zeit der Kreuzzüge hat Europa und unsere moderne Gesellschaft geprägt – bis ins 21. Jahrhundert.
Description: