Helmut Genaust Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen Dritte, vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage Springer Basel AG Erste Auflage 1976 Zweite Auflage 1983 Die Deutsche 8ibliothek -CIP-Einheitsaufnahme Genaust, Helmut: Etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamenl Helmut Genaust. -3., vollständig überarb. und erw. Aufl. - 8asel ; Boston; Berlin : Birkhäuser, 1996 ISBN 978-3-0348-9976-5 NE:HST Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. © 1996 Springer Basel AG Ursprünglich erschienen bei Birkhäu5er Verlag, Ba5el1996 Softcover reprint of the hardcover 1s t edition 1996 Gedruckt auf säurefreiem Papier, hergestellt aus chlorfrei gebleichtem Zellstoff. TCF ~ Umschlaggestaltung: Markus Etterich, Basel ISBN 978-3-0348-9976-5 ISBN 978-3-0348-9282-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-9282-7 987654321 v INHALTSVERZEICHNIS Vorwort .. . VII Einleitung . 1-16 I. Zur Etymologie der Pflanzennamen ...... . I 2. Zur Geschichte der botanischen Pflanzennamen 3 3. Zur sprachlichen Typologie der botanischen Taxa, ihrer Aussprache und Betonung 11 4. Zu den deutschen Pflanzennamen . 15 Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . 17-29 Etymologisches Wörterbuch der botanischen pnanzennamen . 31-701 VII VORWORT Seit dem Beginn der Arbeiten zur ersten Auflage dieses Wörterbuchs sind mehr als 25 Jahre vergangen. Mein damals gehegter Wunsch, daß mit diesem Werk der botanischen Forschung und Praxis ein zuverlässigeres Mittel zur schnellen Orientierung über Etymologie, Geschichte und Aussprache der botanischen Namen in die Hand gegeben werden könnte, ist über Erwarten in Erfüllung gegangen, wie die zahlreichen Zuschriften und Rezensionen gezeigt haben. Auf der anderen Seite sind aber im vergangenen Vierteljahrhundert gerade auf dem taxonomischen Gebiet Veränderungen in einer Größenordnung von mehreren Tausenden eingetreten, die allein schon deswegen eine Neubearbeitung dieses Buches erforderlich machten. Es genügt hierfür, die von mir damals benutzte 9. Aufl. des ZANDER von 1964 mit der aktuellen 14. Aufl. von 1993 zu vergleichen, die insgesamt 27 308 Namen, darunter aber 8209 Synonyme, umfaßt. Es war also zunächst angebracht, das taxonomische Material zu aktualisieren und die Synonyme bis auf wenige, in der Forschung noch diskutierte (z. B. Pritzelago = Hutchinsia) oder aus Gewohnheit beibehaltene Relikte (z. B. Ophrys fuciflora statt regelhaftem Ophrys holoserica) zu eliminieren. Zugleich habe ich die Mate rialgrundlage durch die massenhafte Neuaufnahme von Gattungen und Arten der Bakterien, Algen, Flechten, Moose und Farne, aber auch der Gymnospermen und Angiospermen, erheblich erweitert. Aus konventionellen Gründen sind auch die mykologischen Taxa weiterhin in diesem Buch vertreten, selbst wenn nach neueren Erkenntnissen die Pilze nicht mehr dem Pflanzenreich zugeordnet werden können. Auf dieser Grundlage bietet das Wörterbuch jetzt mehr als 35 000 Taxa, die einer etymo logischen Prüfung zu unterziehen waren. Im Vorwort zur ersten Auflage habe ich 1975 ausgeführt, daß bis dahin das heute fast 150 Jahre alte Etymologisch-botanische Handwörterbuch von Georg Christian WITTSTEIN noch das beste und um fangreichste Nachschlagewerk seiner Art darstellte, obwohl es 1852 kaum 30 Jahre nach den ersten Anfängen der Historischen Sprachwissenschaft und noch vor Erscheinen der ersten maßgebenden etymologischen Wörterbücher des Lateinischen und Griechischen entstanden war und somit aus lin guistischer Sicht einen Stand bot, wie ihn die Botanik vergleichsweise etwa vor der Zeit LINNES innehatte. Mein Bestreben war daher zunächst, die Erklärung der botanischen Pflanzennamen mit dem aktuellen Stand der etymologischen Forschung in den indogermanischen Sprachen zu vereinbaren und im einzelnen solche Etymologien, wo möglich, auch in semantischer Hinsicht kritisch zu prüfen. Was dabei an ersten Ergebnissen herausgekommen ist, hat leider auf linguistischer Seite keine Re sonanz gefunden (so bleibt dieses Buch etwa bei KLUGE 1989 unberücksichtigt), dafür aber erfreu licherweise auf botanischer und mykologischer Seite. So hat PACIONI 1982 jeder Pilz-Art einen etymologischen Artikel gewidmet, der auf meinen Erklärungen fußt, und NICOLSON 1988 leitet die wissenschaftliche Diskussion dieser Ergebnisse auf dem Sektor der Gattungsnamen der Araceae ein. Die Anregungen von Manfred A. FISCHER wurden mit dem Kürzel M. Fisch. übernommen. Allen diesen Kritikern, auch den strengeren, bin ich gleichwohl zu Dank verpflichtet, weil sie das not wendige Ferment im sonst so schleppenden Gärungsprozeß der botanisch-etymologischen Forschung bilden. Auf der Grundlage aller dieser kritischen Anregungen und nicht zuletzt der unermüdlichen Unter stützung des Verlages Birkhäuser habe ich eine Neubearbeitung des Materials in Angriff genommen, die nicht mehr allein den linguistischen, sondern jetzt verstärkt, und dies zu gleichen Teilen, den botanischen Aspekten der Etyma gerecht zu werden versucht. Die dabei verfolgte Methode wird, wie ich hoffen möchte, auch bei scheinbar ganz vertrauten Etymologien (z. B. Agaricum, Androsace, Ane mone. Atropa. Calendula usw.), aber auch bislang ganz schwierigen Artikeln (z. B. Aquilegia. Armeria. Armoracia. Arnica usw.), zu neuen Erkenntnissen führen. Ferner wird sie die zahlreichen nicht nur in den sprachlichen, sondern auch in den botanischen Handbüchern (s. die Art. Forskalia.pardalianches. piscipula usw.) überlang konservierten Ruinen wohl endlich zum Einsturz bringen. Insofern erwarte ich gerne eine Neubelebung der Diskussion sowohl auf botanischer wie auf linguistischer Seite und möchte alle Fachkollegen bitten, sich mit Kritiken und Ergänzungen direkt an mich zu wenden. Waldkirch i. Br., im März 1996 Helmut Genaust Einleitung EINLEITUNG 1. Zur Etymologie der Pflanzen namen Ein etymologisches Wörterbuch der botanischen Pflanzennamen ist streng genommen ein etymolo gisches Wörterbuch der botanischen Tax a. Diese sind im Rahmen der biologischen Wissenschaften und damit auch der Botanik Einheiten eines Systems als Ergebnis einer definitorischen Setzung einer Benennung für eine jeweilige Sippe, also einer vor der Namengebung (Nomenklatur) als na türliche Verwandtschaftsgruppe existierenden und nach den je geltenden klassifikatorischen (taxo nomischen) Prinzipien der Sippensystematik bestimmten Einheit von Organismen, hier der als Pflan zen im weitesten Sinne (unter Einschluß auch der Bakterien und Cyanobakterien, der Pilze und Iichenisierten Pilze = Flechten sowie der verschiedenen Klassen der Algen) angesprochenen Sippen, deren Erforschung Gegenstand und Aufgabe der Botanik ist. Aus sprachwissenschaftlicher Sicht sind die Taxa dagegen nichts weiter als sprachliche Z eie h e n, die wie andere (gemein sprachlich «Wörter» genannte) sprachliche Zeichen auch das lexikalische System einer Sprache (frz. langue) bilden und wie diese einen aus Phonemen aufgebauten Signi fikanten «<lautliche» oder «Ausdrucksseite» ) und ein durch mehrere Seme (minimale semantische Einheiten) bestimmbares Signifikat (<<Bedeutungs- oder Inhaltsseite» ) besitzen. Als solche Zeichen sind auch die botanischen Taxa keineswegs in höherem Maße arbiträr als andere neugeschaffene Zeichen wie Mikroskop, Gas oder Botanik. Was sie aber von den sonstigen sprachlichen Zeichen unterscheidet, ist zum einen der Umstand, daß sie keiner der natürlichen (primär als Muttersprache erlernten) Einzelsprachen, sondern einem supranationalen Sprachsystem angehören, dem botanischen Latein, seiner Natur nach ein künstliches System, das aber im Gegensatz zum Esperanto (in dieser Sprache verfaßten z. B. G. CLAUZADE & C. Roux 1985 ihr Werk Likenoj de Okcidenta Europo) seine traditionellen Wurzeln im Neulatein der Renaissance und der folgenden Jahrhunderte sowie im Mittellatein (von 500 bis 1500) hat und über diese bereits supranationalen Kommunikationssysteme hinweg seinen Anschluß an die Schriftsprache des Römischen Reiches und die Sprache der Stadt Rom, eben das Latein, findet. Zum anderen unterscheiden sich die Taxa von den einzelsprachlichen Zeichen und hierunter besonders von den als «Pflanzennamen» betrachteten Zeichen, die im Grunde keine Namen als Kennzeichnung von Individuen (wie etwa Waldi für einen Dackel oder General Grant für einen Riesenmammutbaum), sondern durchaus Appellativa zur Benennung außersprach licher Dinge darstellen, durch die Wohldefiniertheit auf semantischer Seite und zugleich durch die verbindliche Kundgabe ihres Urhebers, der als Autor mit der Wahl des Taxons auch dessen Rangstufe innerhalb des taxonomischen Systems festgelegt und die definitorischen Kriterien der je so benannten Sippen bestimmt hat. Es leuchtet ein, daß Taxa von Arten wie Allium cepa L. oder Phaseolus vulgaris L. um ein Vielfaches eindeutiger und aufschlußreicher sind als die entsprechenden dt. Pflanzennamen «Zwiebel» oder «Bohne». Aufgabe der Etymologie (gr. etymologfa) ist, wie schon von den Griechen (z. B. Strab. 16,784; Athen. 2,35 c) formuliert, die Erforschung der ältesten Herkunft eines sprachlichen Zeichens und der Nachweis seiner eigentlichen, wahren (gr. hymos «wahr, echt, wirklich») Bedeutung in Über einstimmung mit der dadurch bezeichneten Sache. «Die Richtigkeit des Wortes», sagt Sokrates in Platons dem Problem der Etymologie gewidmeten Dialog <Kratylos>, «besteht darin, daß es anzeigt, wie die Sache beschaffen ist» (428 d). So hehr dieses Ziel beschrieben ist, so schwer ist es doch im gegebenen Falle, den richtigen Weg dahin zu beschreiten, wie schon die Beurteilung der von Sokrates und Platon gewonnenen Ergebnisse zeigt, die uns aus heutiger Sicht kaum anders als hilflose Versuche anmuten, während solche etymologischen Deutungen Varros wie die von lat. cadäver <Leich nam> aus caro data vermibus <den Würmern preisgegebenes Fleisch> oder die noch von Wi. 912 akzeptierte Erklärung des älteren Plinius von lat. unedo <Frucht des Erdbeerbaums> (s. unedo) aus ünum tantum edii <ich esse nur eine (Frucht» heute schon eher zu teils überheblichem, teils mit leidigem Schmunzeln reizen mag. Aber wieso denn? Waren denn diese antiken Pioniere nicht weniger um den wahren Sinn der sprachlichen Zeichen bemüht als etwa Georg Christian WITTSTEIN und seine Epigonen, die mit ähnlich unzulänglichen Mitteln den ursprünglichen Sinn der botanischen Pflanzennamen aufzuspüren versuchten? Denn die Grundlagen der Historisch-vergleichenden Sprach- 2 Einleitung wissenschaft sind erst seit 1816 durch Franz Bopp, Jacob GRIMM und Friedrich DIEZ geschaffen worden und haben im Bereich der Indogermanistik frühestens seit August SCHLEICHERS Compendium der vergleichenden Grammatik der indogermanischen Sprachen (1861-62) Gestalt angenommen. Auch als nach der Mitte des 19. Jh. die Standardwerke zur Etymologie der einzelnen indogermanischen Sprachen erschienen, beginnend mit GRIMMS Deutschem Wörterbuch (l854ff.) und Georg CURTlUS' Grundzügen der griechischen Etymologie (1858-62), denen die vergleichenden etymologischen Wör terbücher mehrerer Sprachen wie das von FICK zum Indogermanischen selbst (I. Aufl. 1868) bis hin zu MEYER-LüBKES Romanischem Etymologischen Wörterbuch (I. Aufl. 1911-19) folgten, hat sich, soweit es die Frage nach der Herkunft der botanischen Pflanzennamen angeht, die Lage nicht grundsätzlich verbessert. Denn nun tat sich eine methodische Kluft auf: Selbst für einen altphilologisch geschulten Botaniker war es überaus schwierig, den dank des neuerschlossenen Materials und vor allem durch die Entdeckung und Anwendung der Gesetzmäßigkeiten der Lautveränderungen gewon nenen Wissensstand der diachronischen Linguistik nachzuvollziehen. Umgekehrt stellten die im glei chen Zeitraum von der Systematischen Botanik erbrachten Fortschritte auch für den botanisch in teressierten Sprachwissenschaftler doch eher schwer übersteigbare Hindernisse dar. Diese methodische Kluft wird allenthalben sichtbar, wo man in botanischen Werken nach stichhaltigen sprachlichen Erklärungen und in sprachwissenschaftlichen Handbüchern nach botanisch zuverlässigen Angaben sucht. So erklären sich wohl auch die meisten der bedauerlicherweise tradierten Irrtümer in beiden Lagern, etwa die Deutung von lat. cucurbita als <Garten-Kürbis, Cucurbita pepo> (obwohl schon seit Ende des 19. Jh. erkannt war, daß diese Art aus Amerika stammte) oder auf botanischer Seite die Herleitung des Taxons Amelanchier aus dem Griechischen (obwohl dies von frz. amelanchier <Felsenbirne> aus geprägt wurde, einem Pflanzennamen, dessen Etymologie freilich nur in der Spe zialliteratur zu finden ist). Die Aufgabe des vorliegenden Wörterbuchs wird unter diesen Voraussetzungen vor allem darin be stehen, die Kluft zwischen den beiden Wissenschaften zu ihrem beiderseitigen Nutzen so weit wie möglich zu überbrücken. Daß dabei der Vortrieb einer solchen Brücke von der sprachwissenschaft lichen Seite aus geschieht, würde nur nachteilig ins Gewicht fallen, wenn auf der botanischen Seite nicht ein sicherer Brückenkopf angelegt wäre. Tragfahig kann ein solches Vorgehen ohnehin nur sein, wenn auf beiden Seiten solide Fundamente vorhanden sind. Unzureichend wären daher die bislang allzuoft praktizierten Verfahrensweisen, die sich damit begnügen, die Etymologie eines ge gebenen Taxons durch bloßes Nachschlagen etwa in einem gängigen Schulwörterbuch klären zu wollen, ohne die damit häufig verbundenen Probleme lautlicher, vor allem aber semantischer, und das heißt botanischer Art wie auch die der gelegentlich recht verwickelten Benennungsgeschichte des Taxons zu berücksichtigen. Selbst scheinbar so einfache Etymologien wie «Rosa < lat. rosa» oder «Viscum < lat. viscum» lassen mehr Fragen offen (Welche Arten waren denn bei den Römern mit rosa bzw. viscum gemeint?) als sie befriedigende Antworten geben. Ungleich schwieriger sind ohne Beachtung der sprachlichen und botanischen Probleme solche Gattungsnamen wie Lythrum (nicht< gr. lythron <Mord» oder Narthecium (ohne semantische Beziehung zu lat. narthecium <kleine Salbenbüchse> ) oder Artepitheta wie medium (nicht< lat. medius <der mittlere» und piscipula (sicher nicht «Fische fangende Pflanze») etymologisch zu begründen. Als sinnvollstes methodisches Verfahren empfiehlt sich das dialektische: Wenn als These die sprach liche Analyse eines Taxons und als Antithese die botanischen Beschreibungsmerkmale der damit bezeichneten Sippe (oder auch in umgekehrter Form) gesetzt werden, dann sollte die Synthese eine einleuchtende Verbindung zwischen diesen Standorten herstellen, also den Nachweis der eigentlichen Bedeutung dieses sprachlichen Zeichens in Übereinstimmung mit der so benannten Sache und damit die Etymologie im Sinne dieses Wortes liefern. Diese Methode führt in der Mehrzahl der Fälle zu annehmbaren und vielfach sogar auch zu neuen Ergebnissen: Wenn beispielsweise Platanthera <flache Anthere> bedeutet (sprachliche These), dann muß sich in der Beschreibung des Blütenbaus der Arten (zumindest der namengebenden Art wie hier P. bifolia) ein Merkmal finden, das einer solchen Deutung entspricht (Antithese); ist dies gefunden, kann auch die Synthese leicht vollzogen werden. Wenn aber Petroselinum <Felsen-Eppich> zu bedeuten scheint, die botanische Beschreibung der Petersilie Arten und ihrer Konvarietäten aber keinerlei Hinweise dafür bringt, daß eine dieser Arten auf Fels böden wachse, so muß dieser Widerspruch im synthetischen Schritt aufgehoben werden; er löst sich Einleitung 3 auf, sobald erkannt ist, daß diese Arten in der antiken Medizin als Heilmittel gegen Nieren- und Blasensteine eingesetzt wurden. Dieser Befund korrigiert zum einen die sprachliche These, zum anderen bereichert er unser Wissen über die antike Benennung und Nutzung der so bezeichneten Sippen (ähnlich gelagert sind die Probleme beim Taxon Saxifraga). In anderen Fällen kann es auch die botanische Antithese sein, die eine Korrektur verlangt, wenn nämlich der sprachliche Befund unzweideutig ist; so zeigt sich, daß unter Androsace nicht bloß im Alterum, sondern noch im 18. Jh. keine Pflanzen-, sondern eine Tiergattung verstanden wurde, wie umgekehrt bis in die neuesten Handbücher hinein (BoERNER 1989: S. 104) ein zoologisches Taxon wie Forsskaolea (?) als bota nische Gattung der Urticaceae aufgeführt erscheint. Schließlich haben sich in nicht wenigen, zuge gebenermaßen schwierigen Fällen im Verlauf der Synthese sowohl der sprachliche wie der botanische Ansatz als unhaltbar erwiesen: Als Beispiel für viele sei das Taxon Anemone herausgegriffen, für das die sprachliche These « gr. anemos <Wind» und die botanische Antithese (wenigstens für A. sylvestris ist Windverbreitung gesichert, doch werden in der antiken Literatur andere Argumente zur Begründung des Namens angeführt) letztlich doch auf schwankendem Boden stehen, so daß eine neue Etymologie zu suchen war. Nicht verschwiegen sei endlich, daß trotz der hier angestrebten Methode eine beträchtliche Anzahl von Taxa ohne befriedigende Etymologie oder gänzlich ungeklärt geblieben sind. Die Gründe dafür liegen nicht immer in den unzureichenden sprachlichen oder botanischen Kenntnissen des Etymologen. In vielen Fällen versagen einfach die Quellen zur Benennungsgeschichte eines Taxons, oder die Wi dersprüche zwischen dem sprachlichen und botanischen Aspekt eines Pflanzennamens tun sich schon in der antiken Literatur auf (z. B. bei Chelidonium), oder es ist schlicht auch die Einfallsgabe gewisser Autoren wie etwa ADANsoN oder RAFINESQUE, die die Nachwelt vor häufig unlösbare Rätsel stellt. «Also kommt es nicht jedem zu, Wörter einzuführen», sagt Sokrates (bei Platon, Kratylos 389 a), «sondern nur einem besonderen Wortbildner. Und dieser ist, wie es scheint, der Gesetzgeber, von allen Künstlern unter den Menschen der seltenste». Diese Bemerkung darf auch wohl auf die Autoren der botanischen Taxa bezogen werden, und ihre klugen, aber oft doch recht verzwickten Gedankengänge nachzuvollziehen, ist zwar ein reizvolles, aber gleichwohl nicht einfaches Kapitel der Etymologie. Alles Gescheite ist schon einmal gedacht worden; man muß nur versuchen, es noch einmal zu denken. GOETHE, Sprüche in Prosa 2. Zur Geschichte der botanischen Pflanzennamen Das genial einfache System der binären Nomenklatur der Arten mit großgeschriebenem Gattungs namen und kleingeschriebenem Artepitheton ist, auch wenn es auf einer heute nicht mehr akzeptierten klassifikatorischen Grundlage beruht, eine Schöpfung LINNES und hat seit der 10. Auflage (1757-59) seines Systema Naturae für Botanik und Zoologie gleichermaßen normierenden Charakter erreicht. Zwar finden sich schon in vorlinnäischer Zeit solche binären Kombinationen zur Benennung von Arten, z. B. Triticum aestivum oder Populus tremula bei C. BAUHIN, ja sogar (dann jedoch ohne Großschreibung) in der römischen Literatur selbst, wie z. B. lflium candidum oder pöpulus alba; aber entscheidend ist, daß diese Syntagmen keinerlei nomenklatorischen Systematik unterworfen sind, sondern gewissermaßen Findlinge in einem ungeordneten Steinhaufen darstellen. Denn ge wöhnlich folgt auch C. BAUHIN der gängigen Praxis, mit der Benennung einer Sippe eine Art Kurz steckbrief (Phrase) zu geben, der stichwortartige Angaben zu ihrem Habitus, zu ihren älteren Be zeichnungen und ähnliches enthält, wie z. B. Rhaponticum folio Lapathi majoris glabro, Rha & Rheum Dioscoridis oder Nigella angustifolia, flore majore simplici coeruleo. Die bahnbrechende Leistung und die Vorgehensweise LINNES ist vielfach beschrieben und gewürdigt worden, so neuerdings bei MÄGDEFRAU 1992: 68 ff. Was aber viele moderne Botaniker heute noch verwundern mag, ist bei all dem Maß an Freiheit oder genauer gesagt an Arbitrarietät, das dem Schöpfer eines Taxons und damit eines sprachlichen Zeichens (denn dieses ist, wie Ferdinand de SAUSSURE betonte, grundSätzlich seiner Natur nach arbiträr) zugestanden werden muß, der Eindruck, daß LINNE in einzelnen Fällen dieses Maß überschritten habe. So wählt er für die im tropischen 4 Einleitung Amerika wachsende Sippe, die wir wegen ihrer melonenähnlichen Obstfrüchte als <Melonenbaum> oder mit ihrem Vernakularnamen als <Papaya> ansprechen, den Gattungsnamen Carica, der lautlich identisch ist mit dem Artepitheton des Echten Feigenbaums, Ficus carica, und so bereits antik (ficus Ciirica bei PLINIUS d. Ä. und PETRON) zur Bezeichnung einer besonders geschätzten Sorte von Kul turfeigen verwendet wurde. Wenn somit ein Zeichen, zwar mit unterschiedlichem taxonomischen Rang, für die Mitglieder zweier gänzlich unverwandter Familien, die überdies noch weit getrennten Flo rengebieten angehören, als Taxa eingeführt wird, so mag dies dem heutigen Betrachter in der Tat befremdlich erscheinen. Die Verwirrung löst sich sofort auf, wenn erkannt wird, wie sich die no menklatorische Situation dem Blick zuzeiten LINNES selbst darbot. Denn in der Systematischen Botanik des 16. und 17. Jh., die damals ja schon universitären Rang gewann und somit auch den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit erheben durfte, wurden, wie im Artikel Ficus ausgeführt, mindestens 5 ver schiedene Verwandschaftsgruppen (die strenge Gliederung in Familien, Gattungen und Arten vollzog erst LINNE) unter der Benennung Ficus bzw. Ficoides subsumiert, und dazu gehörte neben dem Fei genbaum selbst eben auch der Melonenbaum. Im Bestreben, diese nun wirklich verwirrende, ausgei lende Vielfalt mit energischen Schnitten zurechtzustutzen, dabei aber das abfallende Namensmaterial soweit wie möglich auch im neuen, geordneten System wiederzubenutzen, setzte LINNE Ficus als Taxon für die Gattung der Moraceae ein, verwendete aber wenigstens zwei der bei dieser Räumungs arbeit übriggebliebenen Namensreste aus dem semantischen Bereich von Feigenbaum und Feige für die taxonomische Bearbeitung der übrigen Verwandtschaftsgruppen, nämlich Carica für die Gattung der Caricaceae und Jicus-indica als Artepitheton von Opuntia, einer Gattung der Cactaceae. Dieses Beispiel, dem sich viele weitere hinzufügen lassen (s. die Artikel Lysimachia, Lythrum u. a.), zeigt, daß die etymologische Erforschung der botanischen Taxa auch einen Beitrag zur Wissen schaftsgeschichte leisten kann, indem sie neues Licht auf bislang dunkle und zuweilen sogar ver wirrende Kapitel der Geschichte der Nomenklatur wirft. Diese ist aber wie die Schaffung gebrauchs fähiger Termini ein Wesensbestandteil jeder Wissenschaft und selbstverständlich an die geistige Arbeit ihrer Urheber gebunden, deren Namenskette in der Botanik von THEOPHRAST über LINNE bis in unsere Gegenwart hineinreicht. Die Geschichte der botanischen Pflanzennamen im strengeren Sinne dieses Wortes als den Regeln des Internationalen Codes der Botanischen Nomenklatur (ICBN) unterworfene wissenschaftliche Be nennungen (Taxa) von Pflanzensippen im Ralimen eines hierarchischen Systems von Rangstufen beginnt also eigentlich erst mit Carl von LINNE. Gemäß Art. 13 des ICBN wird als terminus post quem (Ausgangszeitpunkt) für die Bewertung der Priorität von je veröffentlichten Taxa für Samen und Farnpflanzen das Erscheinungsjahr der 1. Auflage von LINNES Species plantarum gesetzt, genauer der 1. Mai 1753. Dieses Datum markiert somit eine Schnittlinie in der Benennungsgeschichte der Pflanzensippen, da erst von diesem Zeitpunkt an die regelhaften Taxa mit den wenigen zulässigen = = Alternativbenennungen für bestimmte Familien (z. B. Asteraceae Compositae, Fabaceae Le = guminosae, Poaceae Gramineae) als Synonyme im linguistischen, nicht botanischen Sinne Bestand haben, deren etymologische Analyse den Gegenstand dieses Buches bildet. Auf die Schwierigkeiten der taxonomischen Nomenklatur, insbesondere auf ihre Irrungen und Wirrungen, die seit der Pu blikation des ersten international verbindlichen Regelwerks im Jahre 1868 aufgetreten sind, soll hier nicht weiter eingegangen werden. Sie sind ausführlich bei Rudolf MANSFELD (Die Technik der wissenschaftlichen Pflanzenbenennung, 1949) und mit lehrreichen Beispielen in den Einleitungen vieler Handbücher (z. B. ZANDER 1993: 15 ff.; FISCHER 1994: 32 ff.) dargestellt. Wichtig und fest zuhalten ist in diesem Zusammenhang allein der Umstand, daß in Verfolg der gleichsam mit der Kraft von Gesetzen wirksamen Regeln des Internationalen Codes - frz. code meint ja wie lat. cödex <Gesetzbuch> - die Arbitrarietät der botanischen Taxa in einzelnen, aber spektakulären Fällen so weit getrieben wurde, daß offenkundige Widersprüche zwischen der sprachlichen Bedeutung eines Artnamens wie z. B. Ulmus glabra oder Mespilus germanica und den botanischen Informationen etwa zur Morphologie oder geographischen Herkunft der so benannten Sippen auftreten. Denn die Berg-Ulme hat keine glatten, sondern behaarte Laubblätter (Fisch. 32), und die Mispel stammt nach weislich nicht aus Deutschland oder dem germanischen Sprachgebiet, sondern aus Westasien und allenfalls noch aus SO-Europa. Man wird jedoch nicht so weit gehen dürfen, zu sagen, daß die Wortbedeutung des Taxons für dessen Gültigkeit völlig unerheblich sei (Fisch. 32); denn in der