Kinder, Kindheiten und Kindheitsforschung Band 12 Herausgegeben von S. Andresen, Frankfurt, Deutschland I. Diehm, Frankfurt, Deutschland Ch. Hunner-Kreisel, Vechta, Deutschland C. Machold, Bielefeld, Deutschland Die aktuellen Entwicklungen in der Kinder- und Kindheitsforschung sind unge- heuer vielfältig und innovativ. Hier schließt die Buchreihe an, um dem Wissens- zuwachs sowie den teilweise kontroversen Ansichten und Diskussionen einen angemessenen Publikationsort und breit gefächertes -forum zu geben. Gegen- standsbereiche der Buchreihe sind die aktuelle Kinderforschung mit ihrem stärke- ren Akzent auf Perspektiven und Äußerungsformen der Kinder selbst als auch die neuere Kindheitsforschung und ihr Anliegen, historische, soziale und politische Bedingungen des Aufwachsens von Kindern zu beschreiben wie auch Th eorien zu Kindheit zu analysieren und zu rekonstruieren. Die beteiligten Wissenschaft lerinnen sind mit unterschiedlichen Schwerpunkten in der Kinder- und Kindheitsforschung verankert und tragen zur aktuellen Ent- wicklung bei. Insofern versteht sich die Reihe auch als ein neues wissenschaft lich anregendes Kommunikationsnetzwerk im nationalen, aber auch im internationa- len Zusammenhang. Letzterer wird durch eine größere Forschungsinitiative über Kinder und ihre Vorstellungen vom guten Leben aufgebaut. Entlang der beiden Forschungsperspektiven – Kinder- und Kindheitsforschung – geht es den Herausgeberinnen der Reihe „Kinder, Kindheiten und Kindheitsfor- schung“ darum, aussagekräft igen und innovativen theoretischen, historischen wie empirischen Zugängen aus Sozial- und Erziehungswissenschaft en zur Veröf- fentlichung zu verhelfen. Dabei sollen sich die herausgegebenen Arbeiten durch teildisziplinäre, interdisziplinäre, internationale oder international vergleichende Schwerpunktsetzungen auszeichnen. Herausgegeben von Sabine Andresen Christine Hunner-Kreisel Goethe-Universität Universität Vechta, Deutschland Frankfurt am Main, Deutschland Claudia Machold Isabell Diehm Universität Bielefeld, Deutschland Goethe-Universität Frankfurt am Main, Deutschland Ulrike Graff • Katja Kolodzig Nikolas Johann (Hrsg.) Ethnographie – Pädagogik – Geschlecht Projekte und Perspektiven aus der Kindheits- und Jugendforschung Herausgeber_innen Ulrike Graff Katja Kolodzig Nikolas Johann Universität Bielefeld, Deutschland Kinder, Kindheiten und Kindheitsforschung ISBN 978-3-658-07279-7 ISBN 978-3-658-07280-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-07280-3 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliogra(cid:191) e; detaillierte bibliogra(cid:191) sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover(cid:191) lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Lektorat: Stefanie Laux, Stefanie Loyal Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Grußwort zur Tagung Jürgen Schattmann1 „Ethnographische Forschung zu Pädagogik und Geschlecht in außerschulischen und schulischen Feldern“, Bielefeld, 8.-9. Juli 2013 Mit der Tagung „Ethnographische Forschung zu Pädagogik & Geschlecht“ wird ein auch für die Jugendarbeit zentrales Th ema aufgegriff en. Seit über 20 Jahren, nämlich seit dem Inkraft treten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG), gilt die Berücksichtigung von „Geschlecht“ als fester Bestandteil der Konzipierung von Angeboten der Jugendarbeit. Aber bekanntlich entwickelt sich die Praxis langsam und selten in Sprüngen. Die letzten 20 Jahre waren daher auch eine Art Experimentierküche für Praxis- und Th eorieentwicklung. Heute können wir feststellen, dass die Zeit von Anfang der 90er Jahre bis heute eine fruchtbare Entwicklungszeit für eine geschlechtersensible Jugendarbeit war. Ich möchte hier nicht die Linien nachzeichnen – das würde zu weit führen –, aber doch ein wenig die Ergebnisse bilanzieren: Wir verfügen heute in NRW über eine ausgebaute Struktur landesweit aktiver Träger, die wesentlich Einfl uss nehmen auf die Ausgestaltung der Jugendarbeit in der Breite. Erwähnen möchte ich hier bspw. die entsprechenden Landesarbeitsgemeinschaft en für Mädchen- und Jungenarbeit sowie die Fachstelle Gender des Trägers FUMA. Auch in der Breite der Träger off ener, verbandlicher und kultureller Jugendarbeit ist das Th ema längst angekommen. Im Vergleich zum Beginn der 90er Jahre fi nden wir heute viele selbstbewusst agierende Strukturen und Projekte der geschlechtersensiblen Jugendarbeit. Es ist also ein gewisser Zustand der Normalität eingetreten. Dies ist aber nicht gleichbedeutend mit einem Zustand der Anforderungslosigkeit. Die Normalität 1 Leiter der Gruppe „Jugend“, Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport NRW VI Jürgen Schattmann besteht vielmehr darin, dass es ein Bewusstsein über die Bedeutung des Themas gibt und ein erkennbares mit Sachverstand versehenes Bemühen der Träger die Jugendarbeit mit Blick auf die Geschlechterdifferenz weiterzuentwickeln. Zu- dem – und das scheint mir besonders erwähnenswert – gibt es mehr als nur erste Schritte, die Erfahrungen der Jugendarbeit auf andere pädagogische Settings wie den Ganztag oder die Kindertageseinrichtungen zu übertragen. Hier ist sicher noch viel zu tun. Gleiches gilt für ein nah verwandtes Thema: Heute wird verstärkt über sexuelle Orientierung und Identität mit Blick auf Menschen mit LSBT*-Bezug geblickt. Dadurch stellen sich auch neue Fragen an die Theorie und Praxis einer geschlechtsdifferenzierten pädagogischen Arbeit. Die Jugendarbeit, und mit ihr ihre Träger, ist für die sich neu stellenden Her- ausforderungen gut gerüstet. Mit dem Kinder- und Jugendförderplan des Landes NRW, der ja mehr ist als nur ein Papier mit Regelungen zur Förderung der Träger, ist die Orientierung auf eine geschlechtergerechte und in Bezug auf die sexuelle Identität gleichberechtigte Jugendarbeit vollzogen worden. Auch der finanzielle Rahmen des Kinder- und Jugendförderplans lässt über ausreichende Projektmittel zu, diese Orientierung in Praxis umzusetzen. Die Jugendarbeit kann ihre Weiterentwicklung im o. g. Sinne jedoch nicht im reflexionsfreien Raum vollziehen. Es bedarf des Austauschs zwischen den Akteuren und es bedarf insbesondere des Dialogs mit der Wissenschaft. Diese Reflexionsebene kann die Jugendarbeit nicht aus sich selbst heraus schaffen. Vor diesem Hinter- grund ist die heutige Fachtagung und das damit verbundene Forschungsprojekt ein wichtiger Baustein nicht nur für die wissenschaftliche Bearbeitung von Gen- derpädagogik, sondern auch für die pädagogische Praxis. Denn es geht u. a. darum, neu zu vermessen, was Genderpädagogik in unterschiedlichen pädagogischen Arbeitsbereichen leisten kann. Dabei scheint es mir besonders wichtig, dass der Bereich Schule im Sinne von Unterricht und Ganztag stärker in den Fokus rückt. Denn hier ist die stärkste Breitenwirkung von Genderpädagogik zu erwarten, weil alle Kinder und Jugendlichen erreicht werden können. Die Erkenntnisse der Tagung können hilfreich sein, um der Genderpädagogik die Möglichkeit zu geben, sich in der pädagogischen Praxis der unterschiedlichen Settings von Jugendhilfe und Schule zu entfalten. Vorwort Vorwort „Ethnographie – Pädagogik – Geschlecht“. Diese Stichworte benennen zunächst drei Komponenten erziehungswissenschaft licher Forschung: einen qualitativen Forschungszugang, ein Feld und einen Gegenstandsbereich. Zugleich markieren sie einen Schnittpunkt zentraler Perspektiven aktueller pädagogischer Forschung. Mit dem Fokus auf ‚Geschlecht‘1 wird dabei das Erkenntnisinteresse der Rekon struktion sozialer Prozesse der Diff erenzierung im Feld der Pädagogik verfolgt, für dessen Erforschung sich das methodische Inventar der Ethnographie als ergiebig erwiesen hat (vgl. u. a. Breidenstein und Kelle 1998; Rose und Schulz 2007; Budde et al. 2014). Methodologisch werden hier Potentiale ethnographischer Forschungsstrategien für die Untersuchung von Diff erenzkonstruktionen in pädagogischen Feldern seit vie- len Jahren diskutiert und dabei auf verschiedene Kategorien wie Alter, Geschlecht, Behinderung, Ethnizität, Migration etc. bezogen (vgl. zuletzt: Tervooren et al. 2014). In diesem Kontext verortet sich der vorliegende Sammelband. Er versteht sich als Beitrag für diesen Diskurs, indem er methodologische und feldbezogene Refl exionen zur Ethnographie pädagogischer Geschlechterforschung vorstellt. Hintergrund des Bandes ist das Forschungs projekt „Selbstbestimmung und Geschlecht. Bildungsqualitäten genderpädagogischer Angebote der Jugendarbeit und im Kontext der Ganztagsschule“, das die Herausgeber_innen an der Universität Bielefeld seit 2013 durchführen. Im Vorfeld veranstalteten wir als Kooperation zwischen der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld und dem Mädchentreff Bielefeld e. V. die Arbeitstagung „Ethnographische Forschung zu Pädagogik und Geschlecht in außerschulischen und schulischen Feldern“, auf 1 ‚Geschlecht‘ alleine stellt keinen Forschungsgegenstand dar, sondern ist stets an theo- retische Konzepte wie Sozialisation, Identität, Diff erenzierung etc. gekoppelt. VIII Vorwort welche die Beiträge des Sammelbandes zurückgehen.2 Die Arbeitstagung hatte das Ziel, Praxisperspektiven und Forschungsperspektiven zusammenzubringen. Unsere Einladung erreichte rund 40 Forscher_innen und Fachkräfte aus der pädagogischen Praxis, allerdings war ein quantitativ ausgewogenes Zusammenkommen von For- schung und Praxis nicht realisierbar: Praktiker_innen blieben in der deutlichen Minderheit, spielten aber in den Diskussionen eine wichtige Rolle. Insofern konnte erreicht werden, dass (zumindest einigen) Fachkräften aus der Praxis Einblicke in aktuelle Forschungsprojekte ermöglicht wurden, indem sowohl Ergebnisse als auch Fragen zu Anlage und Durchführung von pädagogischer Feldforschung kritisch diskutiert wurden. Wissenschaftler_innen konnten sowohl von dieser Rückbindung an Praxis für die Interpretation beobachteter Phänomene profitieren als auch durch den Austausch über vergleichbare Studien forschungspraktisch voneinander lernen. Die meisten Forschungsarbeiten, die in diesem Band vorgestellt werden, beschrei- ben Aspekte von Kindheiten an Orten formaler und non-formaler Bildung und rekonstruieren darin die Perspektive von Kindern mit ethnographischen Mitteln. Insofern sind sie in der Buchreihe „Kinder, Kindheiten und Kindheitsforschung“ gut aufgehoben. Einige Beiträge beziehen sich eher auf die Lebensphase Jugend und erweitern damit den Fokus. Der vorliegende Band versammelt Beiträge, die zum einen auf der Ebene der Methodologie (Teil I) auf grundsätzliche sowie konkret forschungsprojektbezogene Probleme rekurrieren und zum anderen auf thematisch-inhaltlicher Ebene des Fel- des der Pädagogik (Teil II) Perspektiven genderpädagogischer Praxis und konkrete Ergebnisse ethnographischer Forschung in schulischer und außerschulischer sowie frühkindlicher Bildung entlang der Differenzlinien Geschlecht, Ethnizität sowie Generation formulieren. Dabei werden durchaus unterschiedliche Stadien von Forschungsarbeiten, verschiedenartige Fragestellungen und vielfältige theoretische Rahmungen präsentiert, die zusammen ein Tableau aktueller Perspektiven aus der ethnographischen Forschung zu Pädagogik und Geschlecht zeigen. Helga Kelle führt mit ihrem Beitrag grundlegend in methodologische Fragen ethnographischer (Geschlechter-)Forschung in der Pädagogik und damit in den Teil I „Methodologie“ dieses Bandes ein. Dabei nimmt sie zunächst eine systema- tische Bestimmung von Methodologie und Gegenstandstheorie vor. Im Sinne des prominenten Konzeptes „doing gender“ fragt sie nach dem Forschungsgegenstand der Differenzierungspraktiken (und nicht nach Differenz selbst) in pädagogischen 2 Die Tagung wurde finanziell durch das Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kul- tur und Sport des Landes NRW unterstützt. Wir danken Jürgen Schattmann für sein ministerielles und fachliches Grußwort, das wir den Beiträgen voranstellen. Vorwort IX Feldern und danach, wie diese sich identifizieren lassen. Abschließend greift sie intersektionale und interdependente Ansätze auf, mit denen sie Hinweise für ana- lytische Blicke auf (Differenzierungs-)Praktiken formuliert, um Reifizierungen in der Geschlechterforschung auf „methodologisch-innovativen Weisen“ zu begegnen. Ulrike Graff, Katja Kolodzig und Nikolas Johann setzen sich mit der Methodologie des „Dichten Vergleichs“ für von vorn herein vergleichend angelegte Ethnographien auseinander. Anhand ihres Projektes zu Bildungsqualitäten genderpädagogischer Angebote der Jugendarbeit in Kooperation mit Schule entwickeln sie eine Ver- gleichsperspektive, die zunächst methodologisch gestützt und schließlich mit der Interpretation des Phänomens des ‚Weinens‘ anhand von Forschungsmaterial konkretisiert wird. Jan Wolter stellt theoretische Überlegungen zu seinem Promotionsvorhaben dar, in welchem er entlang der Konzepte „Anerkennung“ und „Differenz“ den Zusammen- hang zwischen schulischer Disziplin und sozialer Ungleichheit in der Grundschule untersuchen will. Hierzu entwirft er einen ethnographischen Forschungszugang, der teilnehmende Beobachtung und diskursanalytische Verfahren kombiniert. Katharina Gosse und Friederike Lorenz diskutieren, wie Irritationen im For- schungsfeld für den ethnographischen Erkenntnisprozess nutzbar gemacht werden können. Ihr Ziel ist, über diese methodologische Reflexion ein besseres Verständnis für und über das noch junge Feld der Kooperation von Offener Kinder- und Ju- gendarbeit mit Schule zu erlangen. Die in ethnographischen Beobachtungen von Forschenden stets erlebte Unübersichtlichkeit von Situationen potenziert sich in diesem neuen pädagogischen Feld, da die Beteiligten (noch) nicht wissen, wie es zu gestalten ist. Bianca Baßler beschäftigt sich mit dem so genannten „Differenzdilemma“, mit dem sowohl die praktische Sozialpädagogik als auch die ethnographische Forschung konfrontiert sind. Dieses beschreibt die grundlegende Problematik, dass durch das Beschreiben von Differenzen diese gleichzeitig festgeschrieben und somit reproduziert werden. Da das Beschreiben in der Ethnographie zu den zentralen (Forschungs-)Tätigkeiten gehört, reflektiert die Autorin Umgangsweisen mit diesem Dilemma. Dafür bearbeitet sie selbstreflexiv ein Beobachtungsprotokoll aus ihrer Untersuchung im Feld der feministischen Mädchenarbeit als Produkt eigener Differenzherstellung.