Essays nach Auschwitz Reihe Geschichtswissenschaft Band 52 Hanns-Fred Rathenow (Hrsg.) Essays nach Auschwitz Ein Seminar 40 Jahre nach Adornos Radiovortrag Norbert H. Weber zum 65. Geburtstag Centaurus Verlag & Media UG 2007 Zum Herausgeber: Hanns-Fred Rathenow ist Professor für Didaktik der Sozialkunde an der Techni- schen Universität Berlin Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek: Die deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-8255-0688-9 ISBN 978-3-86226-833-7 (eBook) D OI 10.1007/978-3-86226-833-7 ISSN 0177-2767 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Über- setzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikro- film oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet wer- den. © CENTAURUS Verlags-GmbH. & Co. KG, Herbolzheim 2007 www.centaurus-verlag.de Redaktion: Katja Kalex, Georg Rübensam Umschlaggestaltung: Antje Walter, Titisee-Neustadt Umschlagabbildung: Jakob Ebert Satz: Vorlage des Herausgebers Von Frankfurt aus über die A5 Richtung Nord fahren. In Gießen die A48 Richtung Osten fahren. Die A48 wird später die A4 heißen, an Erfurt, Dresden, Breslau vorbei Richtung Kattowitz fahren, wo man nach Süden abbiegen soll. Nach etwa 30 Minuten erscheint Auschwitz. Wilhelm Sasnal. Ohne Titel. Plakat 70x50 cm. In: Irmtrud Wojak (Hrsg.): Auschwitz-Prozeß 4 s 2/63 Frankfurt am Main. Frankfurt M./Köln: Snoeck Verlagsgesellschaft 2004, S. 836. Inhalt Vorwort des Herausgebers Hanns-Fred Rathenow 9 „Erziehung nach Auschwitz“ – ein Seminar 40 Jahre 14 nach Adornos Radiovortrag Einleitung Georg Rübensam Wir fahren nach Auschwitz. O(cid:2)wi(cid:3)cim. 22 Maria Pocher Meine Großmutter war Zwangsarbeiterin … 30 Gedanken zur Kriegswahrnehmung junger Polen und junger Deutscher Anna Pukaj(cid:2)o Schweigen ist Silber, Reden ist Gold 37 Vom Ausschneiden und Umdeuten unliebsamer Vergangenheit Deborah Constanze Helmcke Was Auschwitz mit mir zu tun hat … 46 Sabine Wagenfeld Über Auschwitz schreiben: es bleibt bei Fragmenten 51 Jan Polei Auschwitz sichtbar machen – ein Brief an einen blinden Freund 61 Georg Rübensam Erziehung nach Auschwitz 72 deutsche Schuld – Schuld der Deutschen heute? Axel Eichberg Wir sind verantwortlich für das, was aus der Geschichte wird 86 Anmerkungen zur Gedenkstättenpädagogik Juliana Kattchin 8 Inhalt „Der Krieg ist ein Winterschlaf der Kultur“ 95 Musik in Auschwitz Anna Magdalena Bartkowiak Frauenabteilung im Stammlager Auschwitz. Ein historischer 102 Abriss Franziska Jahn Polenbilder in Romanen nach 1945: 109 zum Umgang mit Stereotypen in Johannes Bobrowskis „Levins Mühle“ und Günter Grass’ „Die Blechtrommel“ Konstanze Jung Autorinnen und Autoren 123 Programm für die Gedenkstättenfahrt nach 127 Auschwitz und Krakau Vorwort des Herausgebers Hanns-Fred Rathenow Die vorliegende Schrift ist dem Hochschullehrer Norbert H. Weber zum 65. Geburtstag gewidmet. Sie geht zurück auf ein Seminar, das wir beide gemeinsam im Sommer 2005, sechzig Jahre nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, zum Thema Adornos „Erziehung nach Auschwitz“ –- noch immer eine Herausforderung? an der Fakultät für Geisteswissenschaften der Technischen Universität Berlin durchführten. Wie dieses Buch entstand Unsere Lehrveranstaltung richtete sich an Studierende der Lehrämter und Magister-Studierende mit dem Haupt- oder Nebenfach Erziehungswissen- schaft, die wir gleichzeitig als Vorbereitung auf eine einwöchige Exkursion mit einer Seminargruppe in die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau und nach Krakau im Anschluss an das Seminar im Juli desselben Jahres verstanden. Als Seminarleiter hatten wir uns darauf verständigt, den Studierenden als Möglichkeit für ihren Leistungsnachweis u.a. ein Essay vorzuschlagen, weil wir glaubten, ihnen damit einen persönlichen Bezug zum Seminarthe- ma zu ermöglichen. Dass daraus ein Geburtstagsgeschenk für meinen Kol- legen werden könnte, ergab sich erst, nachdem die meisten Studierenden ihre Arbeiten abgegeben hatten. Quantität und Qualität der hier versammel- ten, lediglich redaktionell bearbeiteten Seminarergebnisse spiegeln den Geist des Seminars insgesamt und der Exkursion im Besonderen wider. Die Ernsthaftigkeit, die Authentizität und die Wahrhaftigkeit der vorgetragenen Argumente und Meinungen rechtfertigen die Veröffentlichung dieser Essays in besonderem Maße. Sie zeichnen sich durch einen ethischen Rigo- rismus aus, der in akademisch geschliffenen Auseinandersetzungen nicht eben häufig ist, aber letztlich für das studentische Engagement im Sinne der Thesen Adornos in seinem Rundfunkvortrag „Erziehung nach Auschwitz“1 spricht. Daher ist das vorliegende Buch auch keine Festschrift im klassi- schen Sinne, seine Beiträge dokumentieren eher die Lebendigkeit akademi- scher Arbeit von und mit Studierenden, wie sie ihren politisch-existenziel- len Grundüberzeugungen entspricht. Die Zusammensetzung der Studierenden entsprach keineswegs dem Bild eines durchschnittlichen Seminars einer deutschen Universität, vielmehr der Studentenschaft der TU Berlin, an der ca. 20% Ausländer eingeschrie- ben sind. Dies wurde uns Seminarleitern besonders anlässlich der Gesprä- che in Auschwitz und vor allem an den Abenden und am Rande der offi- ziellen Programmpunkte deutlich: neun Kommilitoninnen und Kommilito- nen aus den alten und den neuen Bundesländern, fünf Studierende mit 10 Hanns-Fred Rathenow polnischer beziehungsweise polnisch-deutscher Sozialisation sowie eine russische Kommilitonin aus Sibirien, deren Großvater Wolgadeutscher war – ihr anderer Großvater beteiligte sich als Angehöriger der Roten Armee an der Befreiung Berlins –, die beiden Seminarleiter durch ihre Sozialisation im Nachkriegs-Westdeutschland beziehungsweise in West-Berlin geprägt. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass die (politischen) Soziali- sationsbedingungen, die in unserer Gruppe aufeinander trafen, zu lebhaften Debatten bereits im Seminar in Berlin führten. Sie verdichteten sich aber noch einmal vor dem Hintergrund der Begegnung mit der Geschichte, die uns die Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau vermittelte. Daher gehört neben der Darstellung der gedenkstättenpädagogischen Spezifika zu den Zielen unseres Buches, auch den Kern der intensiven Ge- spräche beispielsweise über die national unterschiedlichen Perspektiven in den deutsch-polnischen Beziehungen und die Art und Weise der immer fairen Auseinandersetzungen in Auschwitz, wie man dies in den Beiträgen der Studierenden lesen kann, wenigstens ansatzweise nachvollziehbar zu machen. Für Norbert H. Weber und mich als Hochschullehrer zeigten die oft kontrovers geführten Dispute, wie notwendig es ist, werdende Lehrkräf- te nicht nur mit Dokumenten, Texten oder gedenkstättenpädagogisch rele- vanten Zeitschriftenartikeln zu konfrontieren, sondern sie selbst erleben zu lassen, was sie später auch ihren Klassen bei einem Gedenkstättenbesuch zumuten würden. So berichteten die Studierenden am Abend nach dem ers- ten Besuch in Auschwitz und Birkenau darüber, dass sie Tränen in den Augen hatten angesichts der Eindrücke, die für sie „unvorstellbar“, „nicht fassbar“ gewesen seien und wie sie versuchten, die Demütigung und Er- niedrigung nachzuempfinden, die die Deportierten erfahren mussten, wenn sie im Innersten verletzt, ihrer Persönlichkeit und ihres Menschseins be- raubt zur Nummer wurden. Kontrovers wurde das Gespräch dort, wo sich polnische Sichtweisen, geprägt durch die deutsche Okkupation während des Zweiten Weltkrieges, in der Betonung der Opferrolle quer stellten zur Wahrnehmung der deutsch-polnischen Beziehungsgeschichte dieser Zeit durch die deutschen Kommilitoninnen und Kommilitonen. Anna Pukaj(cid:2)o aus Szczecin/Stettin sieht das in ihrem Essay so: „Jede Nation sieht die Geschichte aus ihrer Perspektive, sie wählt einen gewissen Fokus, aus dem heraus sie ‚ihre’ Geschichte betrachtet und beschreibt.“ Wie notwendig die Auseinandersetzung mit der deutschen Nazi- Vergangenheit und ihren ausländerfeindlichen Reflexen in der Gegenwart noch immer ist, beweisen Ereignisse wie die in Mügeln/Sachsen im August 2007 und die nicht enden wollenden „Fehltritte“ konservativer deutscher Politiker, besonders offenbar jener aus dem südwestdeutschen Raum: Erst nach tagelangem Zögern und erheblicher Kritik auch aus den Reihen der eigenen Partei (CDU) distanzierte sich Mitte April 2007 der baden- württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger von seiner Aussage
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