FORSCHUNGSBERICHTE DES LANDES NORDRHEIN -WESTFALEN Nr. 1088 Herausgegeben im Auftrage des Ministerpräsidenten Dr. Franz Meyers von Staatssekretär Professor Dr. h. c. Dr. E. h. Leo Brandt DK 629.138.5: 658.562 629.138.003.13 Dipl.-Ing. Volkmar Wilckens Lehrstuhl fiir Luftfahrt der Rhein.-Westf. Technischen Hochschule Aachen Erstellung eines Verfahrens zur Ermittlung der Güte van Verkehrsflugzeugen Teil I und II WESTDEUTSCHER VERLAG· KÖLN UND OPLADEN 1962 ISBN 978-3-663-06298-1 ISBN 978-3-663-07211-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-07211-9 Verlags-Nr.011088 © 1962 Westdeutscher Verlag, Köln und Opladen Gesamtherstellung: Westdeutscher Verlag Vorwort Vorliegende Arbeit wurde auf Grund eines Forschungsauftrages des Verkehrs ministeriurns des Landes N ordrhein-Westfalen in Angriff genommen. lm Laufe der Sitzungen des Technischen Ausschusses der Deutschen Lufthansa hatte sich herausgestellt, daB das in diesem Gremium behandelte Thema »Vergleichsschema zur Bewertung von Verkehrsflugzeugen« sich zu einem in Besprechungen nicht lösbaren Problem auswuchs. Der noch unvollständige Schemavorschlag des Technischen Ausschusses bot somit die eigentliche Ausgangsbasis für die folgen den Untersuchungen. Da der Schemavorschlag nicht in der Fachliteratur er schienen ist, wurde er im Anhang beigefügt. Die einfacheren Teilbewertungsvor schläge wurden hauptsächlich der V ollständigkeit halber, aber auch deshalb in die Betrachtungen mit einbezogen, weil man an ihnen die einzelnen Schwierigkeiten einer Verkehrsflugzeugbewertung und die nicht zum Ziel führenden Wege ein facher aufzeigen konnte. Übersicht Nach kurzgefaBten Betrachtungen der sich als unbrauchbar erweisenden Teil bewertungsvorschläge führt die Diskussion des Schemavorschlages des Tech nischen Ausschusses der DLH über Verbesserungsmöglichkeiten zu einem wesent lich zuvcrlässigeren Lösungsweg. 5 Inhalt TEIL I 1.1 Bedarf für ein Güteberechnungsschema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2 Weitere Ausführungen zur Verdeutlichung der Problemstellung ....... 9 2. Bisherige Gütebestimmungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... 12 2.1 Bewertung mittels gekoppelter Leistungsdaten ...................... 12 2.2 Güteformel ..... '" ...................... ,. . . . . .. . . .. . ... ... . .. . 16 2.3 Flugzeugbewertung an Hand ihrer streckenabhängigen GröBen.. . . . . .. 16 2.31 Transportarbeit = f (Flugstrecke) ................................. 17 2.32 Andere Kurven L = f (R) ........................................ 20 2.4 Vorschlag eines Güteberechnungsschemas des Technischen Ausschusses der DLH ...................................................... 21 2.41 Beschreibung................................................... 21 2.42 Kritische Betrachtung ................................•........ ,. 23 2.43 Zusammenstellung der Mängel des Schemas ........................ 29 2.5 Verbesserungsmöglichkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.51 Vorschläge für zweckmäBigere Gütezahldiagramme ............... . .. 29 2.52 Verbesserung der übersicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 32 2.53 Hinweise auf den zum Ziel führenden Lösungsweg .................. 33 3. Das neue Bewertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 35 3.1 überleitende Betrachtung ........................................ 35 3.2 Entwurf des Schemas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 TEIL 11 1. V orbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 37 2. V orbereitungen zur schematischen Berechnung der Rentabilität. . . . . . . .. 38 2.1 Einsatzverhältnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2.2 Vorauswahl. . . . . . . . ... . . .. . . . .. . . . . . . . . . . . ... . . . .. . . . . . . . . ... .. 41 2.3 Bestimmung der erforderlichen FlottengröBe ....................... 42 3. Beschreibung des Schemas ........................................... 45 3.1 Feste Kosten ................................................... 45 3.2 Von Streckennetz und Verkehrsleistung abhängige Kosten ........... 47 7 3.3 Einnahmen. ... . . . .... . . . .. .. . . ... . . . ... . . . . . . . . . . . . . . . ... . . . ... 47 3.4 Zusammenfassung der direkten Einflüsse der Flugleistungen auf die Wirtschaftlichkeit ............................................... 51 4. Korrektur der Wirtschaftlichkeitsberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 53 4.1 Korrekturfaktor Sicherheit ....................................... 53 4.11 EinfluB der Sicherheit auf die Kosten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 4.12 EinfluB der Sicherheit auf die Wirtschaftlichkeit durch die »Beliebtheit bei den Fluggästen« ............................................. 53 4.13 Diskussion der Unfallursachen .................................... 54 4.131 Serienunfälle neuer Flugzeugmuster ............................... 54 4.132 Notlandesicherheit .............................................. 56 4.133 Notlandeeigenschaften ........................................... 57 4.134 Brandsicherheit ................................................. 58 4.135 Beanspruchung der Piloten ....................................... 59 4.2 EinfluB des Korrekturgliedes »Annehmlichkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 59 4.3 Vorschlag für eine rechnerische Erfassung der KorrekturgröBe» Sicherheit« 60 4.4 Bemerkungen zur rechnerischen Erfassung der KorrekturgröBe »An- nehmlichkeit« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 5. Zusammenfassung................................................... 66 6. SchluBwort und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 67 7. Literaturverzeichnis.................................................. 69 8. Anhang............................................................. 71 8 TEILI 1.1 Bedarf für ein Güteberechnungsschema Wenn der Flugzeugpark einer Luftverkehrsgesellschaft infolge des technischen Fortschritts zu veralten beginnt, ist das Untemehmen wegen absinkender Kon kurrenzfähigkeit gezwungen, seine Luftflotte zu emeuem. Man wird also ver suchen, aus dem Angebot der Flugzeughersteller den geeignetsten Typ herauszu finden. Die richtige Auswahl könnte nun sehr schnell getroffen werden, wenn alle Lei stungsdaten, Preise usw. eines Flugzeugs die Werte aller anderen Typen über treffen würden. Dieser Flugzeugtyp wäre der beste. Eine so eindeutige Oberlegen heit ist aber zwischen allen, nicht allzu altersunterschiedlichen Flugzeugtypen u. a. aus flugmechanischen Gründen nicht möglich. Zwischen Leistungswerten, Preisen usw. bestehen zum Teil einander entgegenwirkende Wechselbeziehungen. Ein Flugzeug mit groBer Reichweite benötigt z. B. eine teuere lange Startbahn, während ein anderes zwar mit kürzeren Pisten auskommt, dafür aber vielleicht einen wichtigen Flughafen mangels genügender Reichweite nicht allfliegen kann. Wie wichtig solche Vor-bzw. Nachteile für die Güte des Verkehrsflugzeugs sind, ist nicht ohne weiteres erkennbar. Ebensowenig läBt sich übersehen, wie stark sich Güteeinflüsse, wie z. B. »Beliebtheit beim Publikum«, )} Unfallsicherheit« usw., auswirken. Das geeignetste Verkehrsflugzeug kann also nicht durch Vergleich einzelner Leistungsdaten usw. gefunden, sondem muB nach einem geeigneten Verfahren aus allen Güteeinflüssen berechnet werden. Ein solches Verfahren ist bisher nicht aufgestellt bzw. bekannt geworden, so daB die Auswahl des geeignetsten Flug zeugs nur mit viel Erfahrung und Glück getroffen werden kann. Fachleute mit diesen Qualitäten sind - besonders in der deutschen Nachkriegsluftfahrt - noch selten, und auf Glück verläBt man sich in kostspieligen Angelegenheiten nicht gem. Es würde jedenfalls das Gewissen der die Auswahl treffenden Sachbearbeiter er heblich entlasten, wenn ein geeignetes Arbeitsverfahren zur Verfügung stünde, das nach Einsetzen aller wesentlichen EinfluBgröBen zuverlässige Aussagen über die Gesamtgüten der zur Wahl gestellten Flugzeugtypen liefem könnte. 1.2 Weitere Ausführungen zur Verdeutlichung der Problemstellung Zur vollständigen UmreiBung des Bewertungsproblems bedürfen die einleitenden Worte des vorigen Kapitels noch einiger Ergänzungen. Die im folgenden beschrie- 9 benen Beispiele aus dem sportlichen Zweig der Luftfahrt sollen näher an die Kern fragen einer Bewertung heranführen. In den dreiBiger Jahren strebten die Flugzeugfirmen u. a. danach, sich gegen seitig den Geschwindigkeitsrekord abzujagen. Die hierzu für nur wenige Rekord flüge gebauten Flugzeuge waren auf Kosten aller übrigen Leistungen und Eigen schaften nur auf einen Zweck, auf Höchstgeschwindigkeit gezüchtet. Bewertungs probleme bestanden in solchen Fällen nicht: Das schnellste Flugzeug war das beste, und der Zahlenwert der erreichten maximalen Geschwindigkeit war das Maf! für die Giite I Halten wir dem einmal eine weniger einfache Bewertungsaufgabe gegenüber: Bei sportlichen Wettbewerben werden meist mehrere Aufgaben gestellt, die auf die Anforderungen an Flugzeug und Pilot im praktischen Flugbetrieb abgestimtnt sein solltenl• LäBt man einmal die hier nicht interessierenden Güteunterschiede der Piloten auBer acht, dann bestimmt nicht eine überragende Flugleistung, son dern eine Anzahl ïtgendwie zusammengefaBter LeistungsgröBen den besten Flug zeugtyp fiir diesen Zweck. Die mitunter wertvollen Siegerpreise geben einen groBen Anreiz, das Flugzeugmuster mit den gröBten Gewinnchancen vorher zu ermitteln. Hierzu benötigt man für jeden in Frage kommenden Flugzeugtyp einen geschl08se nen Ausdruck, der irgendwie aus den Leistungsdaten zusammengesetzt ist un:d die Erfolgsaussichten angibt. Wie müssen nun die LeistungsgröBen zusammengefaBt werden? Man sieht, daB man mit einer einfachen Sichtung der Leistungsdaten - selbst wenn sie stimmen - und einem Vergleich mit den Daten der Konkurrenten nicht auskommt. Man be nötigt ein geeignetes Berechnungsverfahren. ErfahrungsgemaB bedient man sich in solchen Fällen eines Schemas, das in Form der Wettbewerbsbedingungen zur Ver fügung steht. Manche Wettbewerbsteilnehmer berechnen an Hand der gestellten Anforderungen und der Leistungsfähigkeiten der Maschinen den günstigsten Typ bzw. die Chancen, die sie mit ihrer Maschine bei Anwendung der (ebenfalls hierbei be~ rechenbaren und typabhängigen) optimalen Taktik haben. Wie müBte wohl ein Flugzeug beschaffen sein, das die Wettbewerbshedingungen optimal erfüllt? Ist es ein Muster, das infolge der Fähigkeiten seines Konstrukteurs und der angewandten neuesten Erkenntnisse im Flugzeugbau an der Spitze der technischen Entwicklung steht? Oder wird es ein Flugzeugtyp sein, der den Wettbewerbsbedingungen ganz streng angepaBt ist? Überzüchtung einerseits und starke Spezialisierung andererseits bedingen häufig eine groBe Empfindlichkeit gegenüber schwankenden Einsatzbedingungen. Da der Wettbewerb wegen unvorhersehbarer Einflüsse (Wetter usw.) selten genauso ablaufen wird, wie er geplant war, verspricht offensichtlich den sichersten Erfolg ein Flugzeug, das eine optimale Kombination von technischem Fortschritt mit der Eignung für die speziellen Einsatzverhältnisse darstellt. 1 In heutigen Wettbewerben, wie »Deutschlandflug« usw., geht es fast nur urn die Be wertung der Leistungsfähigkeit der Besatzungen. Die Unterschiede der beteiligten Flugzeugtypen werden weitgehend durch ein entsprechendes Wertungssystern elirni niert. 10 Bisweilen sind bei flugsportlichen Wettbewerben Bewertungsformeln angewandt worden, die nicht mit einer gesunden Kombination von Flugzeuggüte und Ge schicklichkeit der Besatzung optimal zu erfüllen waren. Sie ermöglichten vielmehr, über mehr oder weniger abwegige Tricks zum Sieg zu gelangen. Zur Verdeutlichung dieser Frage, diene folgendes Beispiel : Eine Wettbewerbsleitung legt irgendwelche Aufgaben fest, die die Teilnehmer erfüllen sollen. Natürlich müssen die verlangten Leistungen so festgelegt werden, daB die höchste Anforderung im allergünstigsten Fall nur vom besten Teilnehmer erreicht werden kann, da sonst die Vergabe des ersten Preises z. B. durch Los ent schieden werden müBte. Da sich aber schwer vorausschätzen läBt, wie hoch die beste Leistung liegen wird, und man sich auch scheut, ein zu groBes Sicherheits risiko durch harte Bedingungen einzugehen, neigt man dazu, die Êntscheidung durch hochbewertete, von Glück und Zufall abhängige »Leistungs«-Bedingun gen herbeizuführen. Zwar kann man mit der so erzielten Streuung der» Punkte«-Ergebnisse eine Ent scheidung herbeiführen. Der eigentliche Zweck des Wettbewerbs, die Auslese des Leistungsfähigsten, wird bei einer solchen willkürlichen Bewertung jedoch ver fehlt. Es liegt nahe, daB die oben betrachteten Fragen auf die zu untersuchenden Pro bleme der Verkehrsluftfahrtanwendbar sind. Natürlich sind hier die »Wettbewerbs bedingungen« weitaus lromplizierter und schärfer und die Folgen einer falschen Typenwahl viel schwerwiegender als auf sportlichem Gebiet. Mit Rücksicht hier auf sollte wohl besonders darauf geachtet werden, daB sich in ein hierfür aufzu stellendes, entsprechend kompliziertes Bewertungsschema keine willkiir/iche Be wertungsmöglichkeit einschleicht. Wie das zur Ermittlung des günstigsten Verkehrsflugzeuges geeignete Berech nungsverfahren aufgebaut sein muB, ist das eigentliche Ziel der vorliegenden Arbeit. Diese Aufgabe wäre wohl kaum gestellt worden, wenn eines der bisher angewandten bzw. vorgeschlagenen Güteberechnungsverfahren seinen Zweck er füllt hätte. lm folgenden Kapitel solI geprüft werden, weshalb diese Verfahren versagten. 11 2. Bisherige Gütebestimmungsverfahren Die bisherigen Berechnungsverfahren sind sehr verschieden in Umfang und Art und müssen schon deshalb voneinandet abweichende Güteaussagen erbringen. Würde eine Auswahl zwischen Flugzeugen mit gröBeren Qualitätsdiflerenzen ge troffen, dann würde an sich ein einfacheres, relativ ungenaues Berechnungsver fahren das Auffinden des besten Typs ermöglichen. Es liegt jedoch in der Natur der Sache, daB durch Vorauswahl, z. B. nach erforder licher »Mindestreichweite«, meist nur noch eine kleine Anzahl von annähernd gleichartigen Typen in Frage kommt und daher die Güteunterschiede nur noch relativ gering sind. An das Berechnungsverfahren müssen also gewisse Genauig keitsforderungen gestellt werden, da sonst U. die Fehler der Güteaussagen die U. tatsächlichen Gütedifferenzen überdecken und eine fehlerhafte Bewertung erfolgt. 2.1 Bewertung mittels gekoppelter Leistungsdàten Vom Standpunkt des Ingenieurs aus liegt es nahe, die Güte in ers ter Linie aus berechenbaren Flugleistungsdaten zu bestimmen. So findet man schon in den Reklametexten der Fachzeitschriften neben den auf fälligsten Leistungsdaten Begriffe wie Transportarbeit und Transportleistung. Man versteht darunter die Produkte a) Nutzlast X Reichweite = Transportarbeit (AT) b) Nutzlast X Reisegeschwindigkeit = Transportleistung (LT) und betrachtet ein Verkehrsflugzeug als gut, wenn diese Werte mögHchst hoch liegen. Nach diesem Prinzip lassen sich noch andere »Wertbegriffe« bilden, Z. B. c) Nutzlast X Reisegeschwindigkeit X Reichweite (GN • VR • R) = (LT' R) d) Transportarbeit / max. Fluggewicht (AT/G) e) Transportleistung / max. Fluggewicht (LT/G) f) Transportleistung X Reichweite / max. Fluggewicht (L~R) 12