SWP-Studie Wolfgang Richter Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa Vom Gleichgewicht der Blöcke zur regionalen Stabilität in der Krise Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 17 Juli 2019, Berlin Kurzfassung ∎ Der KSE-Vertrag ist konzeptionell überholt, sein Anpassungsabkommen politisch gescheitert. In der Nato-Russland-Kontaktzone im baltischen Raum entfaltet er keine stabilisierende Wirkung. ∎ Eine neue gesamteuropäische Rüstungskontrollvereinbarung unter Ein- schluss osteuropäischer Konfliktgebiete hat wegen prinzipieller Diver- genzen auf absehbare Zeit keine Aussicht auf Erfolg. ∎ Es sollte aber im Interesse der Nato und Russlands sein, die Spannungen im baltischen Raum abzubauen. Dazu wäre ein subregionales Stabilitäts- regime geeignet, das auf fortbestehende politische Zurückhaltungs- erklärungen und bewährte Kernelemente der Rüstungskontrolle aufbaut. ∎ Um dies zu verwirklichen, müsste Russland weiterhin bereit sein, in diesem Raum Zurückhaltung zu üben. ∎ In der Nato wird zwar weiterhin der Grundsatz gelten, dass mit Russland kein business as usual möglich ist, solange es sich nicht aus den Konflikt- gebieten zurückzieht. Es muss aber klargestellt werden, dass ein subregio- nales Stabilitätsregime diesem Grundsatz nicht widerspräche, sondern der Sicherheit aller Bündnispartner dient. ∎ Für diese Ausrichtung sollten Deutschland und gleichgesinnte Staaten werben, und zwar sowohl in der Nato als auch im Strukturierten Dialog der OSZE mit Russland, Weißrussland und bündnisfreien Staaten. ∎ Ein subregionales Stabilitätsregime könnte auch als Nukleus betrachtet werden, um mit weiteren maßgeschneiderten Instrumenten ein Netz von Vereinbarungen zu schaffen, die sich gegenseitig ergänzen und in ihrer Gesamtheit die Sicherheit und Stabilität im OSZE-Raum stärken. SWP-Studie Wolfgang Richter Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa Vom Gleichgewicht der Blöcke zur regionalen Stabilität in der Krise Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit SWP-Studie 17 Juli 2019, Berlin Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Verfahren der Begut- achtung durch Fachkolle- ginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review), sie werden zudem einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- Website unter https:// www.swp-berlin.org/ueber- uns/qualitaetssicherung/. SWP-Studien geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2019 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-200 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 doi: 10.18449/2019S17 Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Defizite der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa 7 Bedrohungsperzeptionen und Reaktionen 11 Ziele und Regelungen des KSE-Vertrags 15 Geopolitische Veränderungen und postsowjetische Territorialkonflikte 17 Nato-Erweiterung und KSE-Anpassung 21 Wiener Dokument 22 Russische Manöver und »Modernisierung« des Wiener Dokuments 26 Politische Blockaden gegen die Erneuerung der Rüstungskontrolle 26 KSE-Schlussakte und politische Erklärungen 27 Die Haltung der USA zur Ratifikation des AKSE 31 Kurswechsel Russlands und der Nato: KSE-Suspendierung und »Parallel Action Package« 33 Georgienkrieg und Scheitern des KSE-Vertrags 36 Eckwerte für einen Neuansatz der Rüstungskontrolle in Europa 36 Prinzipien europäischer Rüstungskontrolle 38 Ziele subregionaler Rüstungskontrolle 39 Politische Anknüpfungspunkte 40 Operative Faktoren: Kräfte, Raum und Zeit 41 Begrenzungen und Transparenz 42 Anwendungsgebiet und Struktur subregionaler Regelungen für den baltischen Raum 44 Abkürzungsverzeichnis Wolfgang Richter ist Wissenschaftler in der Forschungs- gruppe Sicherheitspolitik. Problemstellung und Empfehlungen Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa. Vom Gleichgewicht der Blöcke zur regionalen Stabilität in der Krise Seit 2014 befindet sich Europa in der schwersten Sicherheitskrise nach dem Ende des Kalten Krieges. Die Intervention Russlands in der Ostukraine und die Annexion der Krim haben Spannungen zwischen der Nato und Russland verursacht. Beide Seiten be- schuldigen einander, Prinzipien des Völkerrechts und der europäischen Sicherheitsordnung verletzt zu haben. Verstärkt wurden diese Bedrohungsperzep- tionen durch Restrukturierung und grenznahe Statio- nierung der Streitkräfte, Großmanöver, Alarmübun- gen sowie vermehrte Aufklärungsflüge im internatio- nalen Luftraum über den europäischen Randmeeren. Auf die Ängste der mittelosteuropäischen »Front- staaten« hat die Nato mit einer Politik der militäri- schen Rückversicherung reagiert. Sie hat die Einsatz- fähigkeit ihrer Reaktionskräfte erhöht und im baltisch- polnischen Raum erstmals eine Vornepräsenz multi- nationaler Nato-Verbände eingerichtet. Zudem hat sie den militärischen Dialog mit Russland abgebrochen. Während die politische Rhetorik eskaliert und Kriegsszenarien offen erörtert werden, erweisen sich die vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen (VSBM) der Organisation für Sicherheit und Zusam- menarbeit in Europa (OSZE) als unzureichend, um militärische Stabilität zu wahren. Das wichtigste Rüs- tungskontrollinstrument, der Vertrag über konven- tionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag), entfaltet in der baltischen Region und im Schwarzmeerraum keine stabilisierende Wirkung. Schon 2008 war das Vorhaben gescheitert, diesen einstigen »Eckpfeiler der europäischen Sicherheit« den geopolitischen Verände- rungen in Europa anzupassen, die sich aus der Nato- Osterweiterung ergaben. Die Nato-Staaten haben das Anpassungsabkommen nicht ratifiziert, Russland hat den KSE-Vertrag Ende 2007 suspendiert, und die balti- schen Republiken sind keine Vertragsstaaten. Daher schlug der damalige deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier im August 2016 vor, die kon- ventionelle Rüstungskontrolle zu erneuern. Er emp- fahl, sich auf Obergrenzen und Transparenzmaßnah- men in sensitiven Regionen wie im Baltikum zu ver- ständigen, neue militärische Fähigkeiten zu berück- SWP Berlin Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa Juli 2019 5 Problemstellung und Empfehlungen sichtigen und neue Technologien zu integrieren. Auch instrumente der OSZE noch geeignet, militärische Sta- legte er nahe, die Krisenfestigkeit der Verifikation zu bilität zu gewährleisten, und wo liegen ihre Defizite? erhöhen und die Wirksamkeit von Vereinbarungen in Woran sind Versuche zu ihrer Anpassung gescheitert, Gebieten ungelöster Territorialkonflikte zu gewähr- und wie könnten die geopolitischen Veränderungen leisten. Im Dezember 2016 konnte der deutsche OSZE- berücksichtigt werden, die seit 2001 eingetreten sind? Vorsitz einen »Strukturierten Dialog« in der Organi- Welche Neuregelungen könnten dazu beitragen, Be- sation verankern. Im Zuge dieses Dialogs soll sowohl drohungsperzeptionen abzubauen und neue militäri- die Faktenbasis der Bedrohungsperzeptionen über- sche Fähigkeiten einzuhegen, um in kritischen geo- prüft als auch erörtert werden, wie Rüstungskontrolle graphischen Räumen stabilisierend zu wirken? Welche ergänzt werden könnte, um deeskalierend zu wirken. politischen Spielräume gibt es dafür? In Westeuropa stieß die »Steinmeier-Initiative« Es ist wenig wahrscheinlich, dass die Nato und auf Zustimmung, in den USA und den »Frontstaaten« Russland in absehbarer Zeit über ein neues gesamt- hingegen auf Skepsis. Sie lehnen die Anpassung der europäisches Rüstungskontrollabkommen verhandeln konventionellen Rüstungskontrolle ab und konzen- werden, das auch die ungelösten Territorialkonflikte trieren sich auf militärische Abschreckung. Die Sicher- im Schwarzmeerraum einbindet. Doch könnte er- heitskooperation mit Russland wollen sie erst dann wogen werden, existierende Vereinbarungen zu stär- wiederaufnehmen, wenn Moskau sämtliche Truppen ken, um die Risiken gegenseitiger Abschreckung aus umstrittenen Gebieten im postsowjetischen Raum zu reduzieren und die militärischen Spannungen im zurückzieht. Zwar streben die USA (mit allen Nato- baltischen Raum einzudämmen. Ein subregionales Staaten) an, das politisch verbindliche Wiener Doku- Stabilitätsregime könnte an die Zurückhaltungs- ment der OSZE über VSBM zu modernisieren, um verpflichtungen beider Seiten aus den Jahren 1990 russische Manöver transparenter zu machen. Doch bis 1999 anknüpfen. Offensivfähige Potentiale auch das erfordert die Kooperation mit Russland, da müssten nachprüfbar begrenzt werden, damit Über- die OSZE Beschlüsse nur im Konsens fassen kann. raschungsangriffe ausgeschlossen, Verteidigungs- Dazu ist Moskau nicht bereit, solange die Nato ihre fähigkeit erhalten und militärische Berechenbarkeit Abschreckungspolitik gegen Russland fortsetzt und wiederhergestellt werden können. Um politische die Anpassung der konventionellen Rüstungskontrolle Akzeptanz dafür zu gewinnen, käme es auch darauf blockiert. Die Nato-Vornepräsenz an den russischen an, den Grundsatz der Reziprozität zu wahren. Grenzen betrachtet Moskau ebenso als strategisches In einem Stabilitätsregime müssten Maximal- Risiko wie das Bestreben der USA, ihre Raketenabwehr umfänge definiert werden, sowohl für die jeweilige auszubauen und weitreichende konventionelle Präzi- ständige Stationierung zusätzlicher Kampftruppen sionswaffen zu entwickeln. Während die Nato sich als auch für übungsbedingte vorübergehende Über- um die subregionalen Kräfteverhältnisse im baltischen schreitungen in einem politisch akzeptablen und Raum sorgt, hält Russland die strategische Balance in militärisch relevanten geographischen Raum. Dieser Europa und darüber hinaus für gefährdet. wiederum müsste groß genug sein, um die baltischen Diese gegensätzlichen Positionen werden sich bis Staaten nicht politisch zu isolieren, den strategischen auf Weiteres nicht überwinden lassen. Für die deut- Zusammenhang der Bündnisverteidigung zu wahren sche Politik liegt die Herausforderung darin, ein Rüs- und militärische Wirksamkeit zu erreichen. Deshalb tungskontrollkonzept zu entwickeln, mit dem wieder sollte der Raum westliche Nachbarstaaten und den für militärische Zurückhaltung und Berechenbarkeit nordwestlichen Teil des russischen Militärbezirks West gesorgt wird und das ausreichend Schnittmengen bei mit einer angemessenen operativen Tiefe einschließen. den Sicherheitsinteressen der wesentlichen Akteure Zudem sollte er durch ein intrusives Transparenz- enthält, um politische Akzeptanz zu erzielen. Dafür und Verifikationsregime überwacht werden. Es müss- wären zunächst die geopolitischen Interessengegen- te auch auf weitreichende Präzisionswaffen und sätze im postsowjetischen Raum und die Sicherheits- schnelle Reaktionskräfte angewandt werden, die sich vereinbarungen der 1990er Jahre zu analysieren, weil in operativer Reichweite befinden. deren kontroverse Interpretation seit 2001 die Anpas- Ein solches subregionales Stabilitätsregime könnte sung der konventionellen Rüstungskontrolle verhin- den Kern eines künftigen Netzwerks spezifischer dert und bis heute den Diskurs bestimmt. Rüstungskontrollinstrumente der OSZE bilden. Weite- Vor diesem Hintergrund werden folgende Fragen re Regionalvereinbarungen könnten hinzutreten, zu erörtern sein: Inwieweit sind die Rüstungskontroll- sobald die politische Lage dies zulässt. SWP Berlin Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa Juli 2019 6 Bedrohungsperzeptionen und Reaktionen Defizite der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa Rüstungskontrolle kann die Sicherheitslage stabilisie- den Präambeln der Vereinbarungen festgehalten ren helfen, wenn sie die militärischen Fähigkeiten werden. Allerdings ist die Einhaltung solcher Prinzi- potentieller Gegner zu grenzüberschreitenden Offen- pien politisch weitaus umstrittener als die Umsetzung siven zuverlässig einschränkt, ohne die legitime in- der materiellen Regelungen von Rüstungskontroll- dividuelle oder kollektive Verteidigung der Staaten abkommen. zu behindern. Dazu müssen geopolitische, operative Die Vertragsparteien des 1990 geschlossenen KSE- und technologische Faktoren berücksichtigt werden, Vertrags1 befolgten in der ersten Dekade nach seinem die den Rahmen für Bedrohungsszenarien setzen. Inkrafttreten 1992 diese konzeptionellen Grundsätze, Da militärische Fähigkeiten unterschiedlich be- weil auf allen Seiten der politische Wille zur Sicher- wertet werden können, muss ein politischer Kompro- heitskooperation bestand. Gemäß den Vorgaben des miss vereinbart werden, der von Maximalforderungen Vertrags wurden die militärischen Kräfte der beiden absieht und für alle Seiten akzeptable Regelungen früheren Blöcke beträchtlich reduziert und die gegen- enthält. Dies setzt ein Mindestmaß an Offenheit und seitigen Bedrohungsperzeptionen abgebaut. Nach Sicherheitskooperation zwischen den Staaten ebenso 2002 jedoch erwies sich der Streit um Prinzipien im voraus wie das Vertrauen, dass die Vereinbarungen Kontext der Nato-Erweiterung und der postsowjeti- eingehalten werden. Je geringer das Vertrauen ist, schen Territorialkonflikte mehr und mehr als Hürde, desto wichtiger sind Kontrollinstrumente, mit denen an der die Anpassung der konventionellen Rüstungs- die Einhaltung verlässlich überwacht werden kann. kontrolle schließlich scheiterte. Schritt halten konnte Umfangreicher Datenaustausch und intrusive Veri- der KSE-Vertrag daher weder mit den geopolitischen fikation sind daher unverzichtbare Kernelemente der Entwicklungen in Europa noch mit der Einführung Rüstungskontrolle. moderner Waffen und neuer militärischer Fähig- Wenn Staaten die politischen Absichten bewerten, keiten. Gegenüber den 1990er Jahren haben sich die welche vermutlich hinter der Entwicklung militäri- Bedrohungsperzeptionen allerdings entscheidend schen Fähigkeiten anderer Staaten stehen, so reflek- verändert. tieren sie nicht nur das tatsächliche Verhalten poten- tieller Gegner, sondern auch ihre eigenen nationalen Interessen und subjektiven Narrative. Gleichwohl Bedrohungsperzeptionen und Reaktionen geht Rüstungskontrolle davon aus, dass die Bereit- schaft der Staaten, die eigenen Streitkräfte Beschrän- Russlands Annexion der Krim und seine Unterstützung kungen zu unterwerfen, auch Rückschlüsse auf ihre für lokale Milizen in der Ostukraine hat der Westen politischen Absichten zulässt. Sie nimmt ferner an, einhellig als Bruch des Völkerrechts und der europäi- dass verifizierte militärische Beschränkungen das schen Sicherheitsordnung verurteilt. Zugleich wuchs Risiko eines unbemerkten Aufbaus von Offensiv- die Sorge über die künftigen politischen Absichten potentialen reduzieren, selbst wenn sich die politi- Moskaus. Vor allem die Begründung des Kreml, er schen Absichten ändern sollten. handle aus Verantwortung für den Schutz russischer Darüber hinaus setzen Rüstungskontrollabkom- Landsleute oder prorussischer Minderheiten im »nahen men einen normativen Rahmen, um das künftige politisch-militärische Handeln einzuhegen. Wesent- 1 Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa [im Folgen- licher Bestandteil ist das Bekenntnis zu völkerrecht- den: KSEV], 19.11.1990, <https://www.osce.org/library/14087>. lichen und politischen Prinzipien, die gewöhnlich in Alle Online-Daten wurden zuletzt am 15.2.2019 überprüft. SWP Berlin Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa Juli 2019 7 DDeeffiizziittee ddeerr kkoonnvveennttiioonneelllleenn RRüüssttuunnggsskkoonnttrroollllee iinn EEuurrooppaa Karte 1 Ausland«, hat die Ängste der Nato-»Frontstaaten« vor verhältnisse erlaubten es, einen Überraschungsangriff weiteren Interventionen genährt. Das gilt besonders gegen die baltischen Staaten zu führen. für Estland und Lettland mit ihren großen russisch- Dagegen müssten westliche Verstärkungskräfte sprachigen Minderheiten. entweder über den See- und Luftweg oder durch den Vor diesem Hintergrund bewerten vor allem die engen Landkorridor zwischen der russischen Exklave östlichen Nato-Staaten Russland als das größte Sicher- Kaliningrad und Weißrussland herangeführt werden. heitsrisiko. Sie halten zwei Szenarien im baltischen Westliche Analysen legen nahe, dass Russland die nur Raum für möglich: Erstens könnte Russland auch in etwa 80 Kilometer breite Landverbindung von Polen den baltischen Staaten einen »hybriden« Krieg begin- nach Litauen (Suwalki-Korridor) sperren könnte, etwa nen. Durch Propaganda könnte es prorussische Kräfte durch Kampftruppen, ballistische Kurzstreckenraketen dort beeinflussen und mit getarnt operierenden und Marschflugkörper sowie moderne, raumdecken- Spezialkräften dabei unterstützen, die innenpolitische de Luftverteidigungssysteme. Dies würde den Zeit- Lage zu destabilisieren. Zugleich könnten russische vorteil Moskaus bei der Konzentration von Angriffs- Drohaufmärsche in Grenznähe die Handlungsfähig- kräften im baltischen Raum verstärken.2 keit der Regierungen in den Ländern des Baltikums lähmen. Zweitens könnten russische Landstreitkräfte 2 Wesley Clark/Jüri Luik/Egon Ramms/Richard Shirreff, schnell aus dem Landesinneren an die europäische Closing NATO’s Baltic Gap, Tallinn: International Centre for Peripherie verlegt werden (»innere Linien«). Die geo- Defence and Security, Mai 2016; David A. Shlapak/Michael strategischen Vorteile und die subregionalen Kräfte- W. Johnson, Reinforcing Deterrence on NATO’s Eastern Flank. SWP Berlin Erneuerung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa Juli 2019 8