Königs Erläuterungen und Materialien Band 410 Erläuterungen zu Anne Frank Das Tagebuch der Anne Frank von Walburga Freund-Spork Über die Autorin dieser Erläuterung: Walburga Freund-Spork, Studium der Germanistik und Geschichte an der Universität Münster. Realschullehrerin, Fachleiterin für das Fach Deutsch Sekundarstufe I, Mitautorin des Lehrplans Deutsch für die Sekundarstufe I (NRW), Refe- rentin für Fort- und Weiterbildung bei der Bezirksregierung Detmold, stellv. Seminarleiterin am Studienseminar Sek. I in Paderborn. In den Zeitschriften Diskussion Deutsch, Praxis Deutsch, Blät- ter für den Deutschlehrer und Literatur für Leser hat sie lite- raturdidaktische Beiträge vorgelegt. Literaturwissenschaftliche Untersuchungen zu Heinrich Heine, zu Novellen und Roma- nen der Gegenwart sowie zur modernen Essayistik sind von ihr in den Universitäts-Taschenbüchern und in den Grabbe- Jahrbüchern erschienen. Frau Freund-Spork ist Autorin von Interpretationen und Lern- hilfen namhafter Verlage. 2., ergänzte Auflage 2002 ISBN 3-8044-1751-5 © 2001 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Titelabbildung: Anne Frank, Foto: Ullstein Bilderdienst Druck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk 2 Vorwort................................................................. 5 1. Anne Frank: Leben und Werk ...........................10 1.1 Biografie ................................................................10 1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund.............................19 1.3 Erläuterungen zum Werk .......................................35 2. Textanalyse und -interpretation ........................39 2.1 Entstehung und Quellen ........................................39 2.2 Inhaltsangabe.........................................................45 2.2.1 Annes Verhältnis zu ihrer Familie..........................45 2.2.2 Der mühsame Alltag der Versteckten im Hinterhaus........................................................49 2.2.3 Unvorsichtigkeiten der Versteckten .......................53 2.2.4 Annes Verhältnis zu Peter van Daan.......................54 2.2.5 Annes Echo auf das Schicksal der Juden................57 2.2.6 Annes Echo auf den Kriegsverlauf .........................58 2.2.7 Urteile über die Helfer..........................................59 2.3 Personenkonstellation und Charakteristiken...........62 2.4 Stil und Sprache.....................................................68 3. Themen und Aufgaben........................................70 4. Rezeptionsgeschichte...........................................74 5. Materialien...........................................................80 Literatur...............................................................88 3 4 Vorwort Vorwort Zu ihrem 13. Geburtstag am 12. Juni 1942 bekam Anne Frank von ihren Eltern neben anderen Geschenken ein rotkariertes Tagebuch. Sie begann sogleich mit den Eintragungen. Zu einem aufrüttelnden, unverzichtbaren Dokument für alle deutschen Schülerinnen und Schüler nach Anne Frank und nach Nazi-Deutschland mit seinem Völkermord an den europäischen Juden wird das Tagebuch seit dem 8. Juli 1942. Von diesem Datum an berichtet Anne aus einem Versteck im Hinterhaus Prinsengracht 263 in Amsterdam. Sie teilte das Ver- steck mit ihren Eltern Edith und Otto Frank, ihrer Schwester Margot und der Familie von Pels, Auguste und Hermann mit Sohn Peter. Die Pels’, in Annes Tagebuch mit dem Decknamen „van Daan“ versehen, waren ebenfalls in Amsterdam lebende jüdische Emigranten aus Deutschland. Später kam der Zahn- arzt Fritz Pfeffer dazu, von Anne Dussel genannt. Über zwei Jahre lebten diese acht Personen im Versteck des Hinterhauses, in ständiger Angst und Gefahr entdeckt oder verraten zu wer- den und der Nazi-Polizei, der Gestapo, in die Hände zu fallen. An der Prinsengracht 263 befanden sich die Geschäfts- und Lagerräume der von Otto Frank gegründeten holländischen Niederlassung der Opekta-Werke, vermittelt durch seinen Bruder, der eine ähnliche Dependance in Basel gegründet hat- te. Ende 1941 musste Frank die Firma seinem Freund Kugler aus politischen Gründen, über die an anderer Stelle mehr ge- sagt werden wird, übertragen. Er und die übrigen Mitarbeiter der Firma (Kleiman, Hermine genannt Miep Gies, Jan Gies, Elisabeth genannt Bep Voskuijl) waren in den Versteckplan eingeweiht. Sie waren für die Untergetauchten der Kontakt zur Außenwelt. Vorwort 5 Vorwort Der Unterschlupf war von langer Hand vorbereitet. Von ihm versprach man sich eine kurzfristige Übergangslösung bis zum erhofften nahen Kriegsende, dem Sieg der Alliierten über Nazi- Deutschland und seine faschistischen Verbündeten. Am 10. Mai 1940 hatten deutsche Truppen die Niederlande überfallen. Vier Tage später kapitulierte Holland und die Deut- schen besetzten das Land. Die jüdischen Emigranten konnten sich nicht mehr sicher fühlen, die so genannten „Säuberungs- aktionen“, die Verfolgung und Deportation der Juden began- nen nun auch hier. Jüdischen Mitbürgern wurden von den deutschen Besetzern und ihren holländischen Helfern „Aufru- fe“ zugestellt. Sie forderten die Betroffenen auf, sich zur ange- gebenen Zeit an einer Sammelstelle einzufinden. Von dort wurden sie zunächst auf Arbeitslager verteilt, später in Kon- zentrationslager deportiert, in denen Millionen Juden ermor- det worden sind. Am 5. Juli 1942 traf Margot Frank ein solcher Aufruf. Am 6. Juli wurde daraufhin das Versteck bezogen, nachdem die Fa- milie falsche Spuren für ihr Verschwinden nach Belgien und in die Schweiz gelegt hatte. Nach dem Krieg befragte ehema- lige Nachbarn und Freunde der Franks bestätigten, dass man sie in der Schweiz vermutete. Bis zum 4. August 1944, über zwei Jahre, lebten die acht Men- schen im Hinterhaus, verborgen hinter einem drehbaren Schrank, der die Tür zum Stiegenhaus verdeckte. Dann wur- den sie – offensichtlich verraten – von der Gestapo verhaftet und zunächst ins Arbeitslager Westerbork gebracht und später ins KZ Auschwitz deportiert. Anne und Margot wurden von dort 1944 noch einmal ins KZ Bergen-Belsen in der Lünebur- ger Heide verschleppt, wo sie im März 1945 starben, zwei Monate vor Kriegsende. 6 Vorwort Vorwort Ernst Schnabel (1913–1986), nach dem Krieg Chefdramaturg und Intendant des Nordwestdeutschen Rundfunks in Hamburg, Autor von Romanen, Hörspielen, Opernlibretti u. a., ist in seinem Bericht1 der Spur Anne Franks nachgegangen. Seinen Recherchen stellt er als Motto voran: „Für meine Kinder, dass sie es wissen“. Eine zupackendere, ergreifendere Begründung für die Lektüre des Tagebuchs der Anne Frank gibt es eigentlich nicht. l Anne Frank und ihr Schicksal steht beispielhaft für das Schicksal von mehr als 6 Millionen Juden aus vielen Län- dern Europas, die von Hitler und seinen Nazi-Schergen im 2. Weltkrieg wegen ihrer Rasse und ihres Glaubens verfolgt, in Konzentrationslager verschleppt und systema- tisch ermordet worden sind. „Endlösung“ hieß dies im Nazi-Jargon, der Sprache des Unmenschen, vergleichbar den bereits erwähnten Beschönigungen wie „Aufruf“ und „Säuberung“. Die Lektüre des Tagebuchs und die Aufarbeitung des historischen Umfelds kann wesentlich der Schärfung des Geschichtsbewusstseins dienen. l Anne Franks Tagebuch gibt in diesem Zusammenhang Anstoß, sich mit der menschenverachtenden Ideologie von Rassismus, Intoleranz und Fremdenhass auseinander zu setzen, die ihr innewohnende Dummheit zu entlarven und die Folgen des Glaubens an die Weltherrschaft durch arische Herrenmenschen sehen und verachten zu lernen. l Die Verfasserin schreibt dieses Vorwort in einer Zeit, in der neonazistische Skinheads in Knobelbechern und mit Nazi-Emblemen zu Demonstrationen aufmarschieren, in 1 Schnabel, Ernst: Anne Frank. Spur eines Kindes. Ein Bericht. Fischer Taschenbuch Verlag, Frank- furt/M. 1997, überarbeitete Neuausgabe. Vorwort 7 Vorwort der junge Türkinnen in den Flammen ihres Hauses umge- kommen sind, in dem Feuer gelegt wurde, wo Brandsätze in Unterkünfte von Asylbewerbern geschleudert, junge Farbige aus der Straßenbahn gestoßen, Fremde gejagt und zu Tode getrampelt, jüdische Friedhöfe und Gotteshäuser geschändet worden sind und wo in verzweifelter Geste Politiker auf die Idee verfallen sind, in Internetaufrufen jungen Neonazis Hilfe beim Ausstieg aus der Szene ver- sprechen, um ihrer Herr zu werden. Angesichts solcher Fakten darf kein Versuch unterbleiben, jungen Menschen das Schicksal Anne Franks vor Augen zu führen. l Das Tagebuch der Anne Frank ist ein authentisches Do- kument. Es ist Seelenspiegel eines sehr jungen Mädchens, das von ihren Lehrern und Lehrerinnen als normales, keinesfalls außergewöhnliches Kind beschrieben worden ist. Sie ist schreibbegabt, will Journalistin und Autorin werden, ist aber kein Wunderkind, wie einige ihrer Zeit- genossen betonen.2 Im Tagebuch finden die jungen Lese- rinnen und Leser ihre eigenen Probleme in denen Annes gespiegelt. In der Auseinandersetzung mit ihnen lernen sie deren Verarbeitung für sich und zusammen mit den Mitschülerinnen und Mitschülern. Sie erfahren, dass vie- les, was sie für individuell und persönlich einmalig hal- ten, entwicklungsbedingt vorübergehend ist. l Die Einschätzung und Bewertung des Tagebuchschreibens am Beispiel von Anne Frank und des Schreibens allge- mein als Möglichkeit persönlicher Entlastung und Hilfe bei der Bewältigung von psychischen und sozialen Proble- men kann dazu beitragen, über den Sinn der Beschäfti- gung mit Literatur nachzudenken. Die literarische Fiktion 2 Ebd. S. 40 ff. 8 Vorwort Vorwort legt Entwürfe für mögliche – oft bessere – Welten vor und trägt zur Auseinandersetzung mit der bestehenden Wirk- lichkeit bei. Von ihr gehen notwendige Impulse für Ver- änderungen aus, indem sie andere, ungeahnte Möglich- keiten aufzeigt. Authentisches Schreiben kann daher Brücke zum literarischen Schreiben und zur schöngeisti- gen Literatur sein. l Das Tagebuch der Anne Frank fordert von seinen Lese- rinnen und Lesern die persönliche Auseinandersetzung mit der Geschichte des Dritten Reichs. Das Beispiel Anne Frank fördert die motivierte Auseinandersetzung mit der Willkür und dem Terror der Nazis gegenüber Fremden und Andersdenkenden. Hierin liegt die Chance für die Einsicht, dass durch Ideologie irregeleitete Menschen vor nichts zurückschrecken, um den vermeintlich politischen Gegner auszuschalten. Die Identifikation mit Anne und der Nachvollzug ihres Lebenswegs kann die jungen Men- schen vor Fanatismus und dem aus ihm erwachsenden Hass schützen. l Im Gegenzug kann das vorbildlich humane Verhalten der verschwiegenen Mitwisser und Helfer im Versteck, ihr dauernder persönlicher Einsatz trotz aller Bedrohung von außen, Vorbild dafür sein, Mut und Bekennertum zu wa- gen und gegen Unrecht und Gewalt einzutreten, statt gleichgültig oder feige wegzuschauen. Vorwort 9
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