Königs Erläuterungen und Materialien Band 420 Erläuterungen zu Alfred Andersch Sansibar oder der letzte Grund von Reiner Poppe Über den Autor dieser Erläuterung: Reiner Poppe: Studium der Anglistik, Romanistik und Germa- nistik. Unterrichtstätigkeit im In- und Ausland. Postgraduiertenstudium im Fachbereich Erziehungswissen- schaften und „Interkulturelle Studien“. Langjährige Sonderauf- gaben in der Lehrerausbildung und -fortbildung. Zahlreiche unterrichtsbezogene Veröffentlichungen zur amerikanischen, englischen und deutschen Literatur. Hinweis: Die Rechtschreibung wurde der amtlichen Neurege- lung angepasst. Zitate von Bertolt Brecht müssen auf- grund eines Einspruches in der alten Rechtschreibung beibehalten werden. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich ge- schützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG: We- der das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt oder gespeichert und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. 3., korrigierte Auflage 2007 ISBN 978-3-8044-1802-8 © 2004 by C. Bange Verlag, 96142 Hollfeld Alle Rechte vorbehalten! Herstellung: Andrea Ruf Titelabbildung: Alfred Andersch Druck und Weiterverarbeitung: Tiskárna Akcent, Vimperk Inhalt Vorwort ................................................................. 5 1. Alfred Andersch: Leben und Werk ..................... 8 1.1 Biografie ................................................................ 8 1.2 Zeitgeschichtlicher Hintergrund ............................. 14 1.3 A ngaben und Erläuterungen zu wesentlichen Werken ......................................... 17 2. Textanalyse und -interpretation ......................... 22 2.1 Entstehung und Quellen ......................................... 22 2.2 Inhaltsangabe ......................................................... 26 2.3 Aufbau ................................................................... 35 2.4 Personenkonstellation und Charakteristiken............ 43 2.5 Sachliche und sprachliche Erläuterungen ................ 54 2.6 Stil und Sprache ..................................................... 59 2.7 Interpretationsansätze ............................................ 65 3. Themen und Aufgaben ....................................... 72 4. Rezeptionsgeschichte ........................................... 77 5. Materialien ........................................................... 82 Literatur ............................................................... 90 Zitiert wird nach Alfred Andersch: Sansibar oder der letzte Grund. Diogenes Verlag, Zürich 2006 4 Vorwort Vorwort Alfred Anderschs Roman Sansibar oder der letzte Grund er- schien vor 47 Jahren, als die erste Phase der „Bewältigungs- literatur“ nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges mit dem Untergang und der Wiederauferstehung Deutschlands gerade abgeschlossen war.1 Im Kern hatte Andersch für sich als Schriftsteller nur eine Aufgabe gesehen: das Trauma des Hitler-Faschismus ‚wegzuschreiben’. Zur Bewältigung dieser Vergangenheit hatte er schon zwischen 1948 und 1957 mit mutigen, kritischen und innovativen Arbeiten seinen künst- lerisch-politischen Beitrag geleistet, vor allem mit dem rück- haltlos offenen Roman Die Kirschen der Freiheit (⇒ 1.3), aber auch mit programmatischen Schriften, Essays und Hörspielen, Erzählungen und Rundfunkfeatures. Mit dem Sansibar-Roman wollte er seinen künstlerischen Standort neu und schärfer definieren. Das ist ihm gelungen. Heute gilt der Roman als das menschliche und künstlerische Credo Alfred Anderschs (⇒ 1.2; 1.3). Was geschieht im Roman? „Rerik, ein Ostseehafen im Bereich des heutigen Wismar, wird im Jahr 1937 zum Zentrum einer Widerstandsaktion gegen die Nazis, an der sich, z. T. wider Willen, z. T. ohne ihr Wis- sen, fünf Personen beteiligen. In Sicherheit gebracht werden in einem gefährlichen Fluchtunternehmen nach Schweden die als ,entartete Kunst‘ verfemte Barlach-Figur des ‚Lesenden Kloster- schülers‘ und die Jüdin Judith. In 37 Abschnitten (...) werden 1 Vgl. dazu u. a. Heinz Ludwig Arnold: Die westdeutsche Literatur 1945–1990. Ein kritischer Über- blick. München 1995, S. 32–56. VVoorrwwoorrtt Vorwort die Protagonisten (...) in wechselnden Konstellationen einzeln miteinander in Verbindung gebracht, bis zu dem Höhepunkt, wo sie durch den Initiator der Aktion, Gregor, geradezu gewalt- sam zusammengeführt werden. Dank der selbstlosen Planung des KP-Funktionärs Gregor gelingt die Rettung des bedrohten Kunstwerks und der nicht minder bedrohten Jüdin.“2 In unseren Ausführungen versuchen wir dem (jugendlichen) Leser Hilfen zu geben, sich in den Roman und das außertext- liche Umfeld einzulesen. Wir führen deshalb in diesem Erläu- terungsband einzelne Schwerpunkte so ausführlich wie nötig, keineswegs aber extensiv aus. Dabei wird zunächst das zum Verständnis des Autors Erforderliche in den einleitenden Kapi- teln knapp vorgetragen (⇒ 1.1–1.3). Hier geht es vornehmlich um Anderschs innere Auseinandersetzung mit dem National- sozialismus. Wichtig für Anderschs Positionsbestimmung als moderner Erzähler ist auch seine Auseinandersetzung mit dem französischen „nouveau roman“, auf den er in einem Inter- view mit Horst Bienek einging. Schließlich ist Anderschs poli- tisch-ästhetische Haltung nicht zu trennen von seiner religiös- philosophischen. Sie wird zeigen, dass es töricht wäre, ihm bei aller Skepsis Nihilismus oder gar Anarchismus vorzuwerfen. Diese Aspekte greifen wir im Interpretationszusammenhang (⇒ 2.1; 2.4 und 2.7), später noch einmal in den ergänzenden Materialien (⇒ 5.) schwerpunktmäßig auf. Im Sinne einer wirklichen Verstehenshilfe möchten wir das Interesse des Lesers auch auf Anderschs Kunst der Figuren- führung und auf die raffinierte Verknüpfung der Handlungs- stränge in diesem Roman lenken. (⇒ 2.2.; 2.3) Der Autor hat sich dabei verschiedener Elemente des Dramas bedient. So ist es nicht verwunderlich, dass der Roman bereits 1961 von 2 Zitiert aus Reclams Roman-Lexikon, Stuttgart 2000, S. 26. Vorwort Vorwort Leopold Ahlsen im Süddeutschen Rundfunk für einen Fern- sehfilm bearbeitet worden ist. (⇒ 4.) Sansibar oder der letzte Grund ist auch im Unterricht einer der am meisten gelesenen modernen Romane. Demzufolge fehlt es nicht an didaktisch-methodischen Planungshilfen. Da un- ser Erläuterungsband sich in erster Linie an Schülerinnen und Schüler wendet, verzichten wir auf die Entfaltung von Stun- denreihen zu diesem Roman. Stattdessen legen wir eine Reihe differenzierter, die Romanlektüre vertiefender Themen und Aufgaben vor. Sie sind ausschließlich an Verfahren des „pro- duktiven Umgangs mit Texten“ orientiert, die sich gerade für diesen Roman hervorragend eignen. (⇒ 3.) Unsere Literaturhinweise bleiben auf erreichbare Titel be- schränkt. (⇒ Literatur) Dabei ist es aber durchaus unsere Absicht, die (jugendlichen) Leserinnen und Leser mit Sekun- därliteratur bekannt zu machen, die über die eng auf den Ro- man bezogene hinausführt. Auf bewährte Darstellungen der Autoren Haffmanns, Hamburger, Hinderer, Jendricke, Pisch- dovdijan wollten wir nicht verzichten. Zur Einführung in den Gedanken- und Werkkosmos Anderschs sei auf den Band in der Reclam-Reihe „Literaturwissen“ (RUB 15219) von Reiner Poppe besonders hingewiesen. Wir wünschen uns aufmerksame Leserinnen und Leser. Über kritische Anregungen freuen wir uns, und wir ermutigen dazu. Eigenständiges Lesen ist widerständiges Lesen. Wohl sollte da- bei berücksichtigt werden, dass ein Erläuterungsband, der „ge- brauchsorientiert“ verfasst ist und demzufolge in seinem Um- fang begrenzt bleiben muss, an vielen Stellen nur andeuten kann, was gut und gern breiter auszuführen wäre. Dennoch: viel Vergnügen und Erfolg beim Lernen. Reiner Poppe Vorwort 1.1 Biografie 1. Alfred Andersch: Leben und Werk 1.1 Biografie Jahr Ort Ereignis Alter 1914 München Alfred Andersch wird am 4. Fe- bruar geboren. 1920–28 Darmstadt Schulbesuch in München, ver- 6––1144 lässt nach der Untertertia das Wittelsbacher Gymnasium, das er ab 1924 besucht hat. 1928–30 Buchhandelslehre in Mün- 14––1166 chen. 1931–33 Arbeitslos, tritt in den Kom- 17––1199 munistischen Jugendverband (KJV) ein, ab 1932 dessen Organisationsleiter für Süd- bayern. 1933 Dachau 27. Februar; Reichstagsbrand. 19 Andersch wird verhaftet, ins KZ Dachau gebracht, im Mai entlassen, im Herbst wieder verhaftet. Nach der Entlas- sung unter Aufsicht der Gesta- po (Geheime Staatspolizei). 1933–40 München/ Büroangestellter in München 19––2266 Hamburg und Hamburg. 1940 Siegen Zu einer Pioniereinheit in Sie- 26 gen eingezogen, danach als Be- satzungssoldat in Frankreich. 1. Alfred Andersch: Leben und Werk 1.1 Biografie Jahr Ort Ereignis Alter 1941 Frankfurt Aus der Wehrmacht entlassen, 27 a. M. Büroangestellter in Frankfurt a. M. 1943 Wieder eingezogen. 29 1944 Italien Desertiert am 6. Juni an der 30 italienischen Front. 1945 In amerikanischer Gefangen- 31 schaft. 1946 München Als Redaktionsassistent Erich 32 Kästners bei der Neuen Zei- tung. 1946–47 Gibt mit Hans Werner Richter 32––3333 die Zeitschrift Der Ruf heraus. Diese wird nach 16 Nummern von der amerikanischen Mili- tärregierung in Bayern verbo- ten. 1947 Teilnahme an der ersten Ta- 33 gung der „Gruppe 47“.3 1948 Veröffentlichung: Deutsche Li- 34 teratur in der Entscheidung. Ein Beitrag zur Analyse der litera- rischen Situation. 1948–50 Frankfurt Gründet und leitet das „Abend- 34––3366 studio“ des Frankfurter Sen- ders. 3 Als „Gruppe 47“ wurde die von Hans Werner Richter im Jahre 1947 ins Leben gerufene Schrift- steller-Vereinigung bezeichnet, ein Forum, in dem sich überwiegend junge deutsche Autoren kritisch zur zeitgenössischen Literatur äußerten. – Vgl. Hans Werner Richter: Im Etablissement der Schmetterlinge, München 1993. 1. Alfred Andersch: Leben und Werk