bogner_ringvorl_6_Layout 1 23.02.2017 13:47 Seite 1 Saarbrücker literaturwissenschaftliche Ringvorlesungen 6 Erkundungen zwischen Krieg und Frieden Der Krieg ist nicht nur eine Kategorie, die das politische Denken und Handeln bestimmt. In allen Epochen haben Herausgegeben von Krieg und Kriegserlebnis auch die Literatur, die Künste und Wissenschaften geprägt. Vor diesem Hintergrund haben Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihren Werken einerseits Erfahrungen des Krieges verarbeitet Manfred Leber und reflektiert und andererseits über Voraussetzungen und Bedingungen wie die grundsätzliche Möglichkeit des Sikander Singh friedlichen Miteinanders menschlicher Gesellschaften nachgedacht. Die Beiträge der sechsten Saarbrücker literaturwissen- n e schaftlichen Ringvorlesung fragen deshalb nach bellizi- d e stischen und pazifistischen Diskursen in der Literatur. ri Der Schwerpunkt liegt hierbei auf den kanonischen Wer- F ken der Literaturgeschichte, die im Hinblick auf Reprä- nd sentation und Inszenierung, auf Darstellungsstrategien u g und Rhetoriken, auf Erinnerungen und Deutungen von e Krieg und Frieden untersucht werden. ri K n e h c s wi z n e g n u d n u k r E universaar Universitätsverlag des Saarlandes Saarland University Press Presses Universitaires de la Sarre Saarbrücker literaturwissenschaftliche Ringvorlesungen 6 Manfred Leber, Sikander Singh (Hg.) Erkundungen zwischen Krieg und Frieden universaar Universitätsverlag des Saarlandes Saarland University Press Presses Universitaires de la Sarre © 2017 universaar Universitätsverlag des Saarlandes Saarland University Press Presses Universitaires de la Sarre Postfach 151150, 66041 Saarbrücken ISBN 978-386223-237-6 gedruckte Ausgabe ISBN 978-386223-238-3 Online-Ausgabe URN urn:nbn:de:bsz:291-universaar-1625 Projektbetreuung universaar: Natascha Magyar Satz: Muriel Serf Umschlaggestaltung: Julian Wichert Abbildung auf dem Umschlag: Artillerie und Landsknechte mit kleiner Kanone; Medaillon mit Umrandung; Holzschnitt, um 1600 (Literaturarchiv Saar-Lor-Lux-Elsass) Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier durch readbox unipress Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National - bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. Inhaltsverzeichnis Vorwort. ............................................................................................................7 Friedenshoffnung und Bürgerkrieg in Vergils Aeneis Von Peter Riemer .......................................................................................9 Helden ohne Frieden. Von der gesellschaftlichen Rolle der Gewalt in früher h eroischer Epik (Beowulf, Hildebrandslied, Waltharius und andere) Von Wolfgang Haubrichs .........................................................................23 Kriegsstück oder Antikriegsstück? Von der Subjektivierung des Krieges in Shakespeares Heinrich V. Von Ralf Hertel ........................................................................................53 Paul Gerhardt und das Ende des Dreißigjährigen Krieges Von Sikander Singh .................................................................................69 Kriegstreiber, Verräter oder verhinderter Friedensstifter? Das schwankende Wallenstein-Bild vor, nach und bei Friedrich Schiller Von Manfred Leber..................................................................................87 Von der Pflugschar zum Schwert. Wehrpflicht, Kriegsdienst und Desertion in der österreichischen Dorfgeschichte Von Ralf Bogner .....................................................................................121 Lev N. Tolstojs Война и мир (Krieg und Frieden) Von Roland Marti ..................................................................................147 Der Erste Weltkrieg in der französischen Literatur damals und heute: Volker Schlöndorff, Marcel Proust und Jean Echenoz Von Patricia Oster ..................................................................................175 Fluchtgeschichten. Erzählen vom Zweiten Weltkrieg bei Irène Némirovsky und Anna Seghers Von Christiane Solte-Gresser .................................................................191 Vom Krieg in den Frieden: Traum und Trauma in der Heimkehrerliteratur nach dem Zweiten Weltkrieg Von Romana Weiershausen ...................................................................223 Terror und die Sprache der Folter: Krieg und Frieden in der amerikanischen Literatur Von Astrid M. Fellner ............................................................................243 Ahmadou Kouromas Allah muss nicht gerecht sein (Allah n’est pas obligé, 2000) Von Hans-Jürgen Lüsebrink ..................................................................257 Beiträgerinnen und Beiträger. ......................................................................273 Personenregister ...........................................................................................275 Vorwort Der Krieg, als „Zustand der öffentlichen Gewaltthätigkeiten zwischen Staaten oder beträchtlichen Theilen derselben“, wie der Dresdner Bibliothekar und Lexi kograph Johann Christoph Adelung (1732–1806) in seinem Grammatisch- kritischen Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart definiert, bestimmt nicht nur das politische Denken und Handeln. In allen Epochen haben Krieg und Kriegserlebnis auch die Literatur, die Künste und Wissenschaften geprägt. Da aber die Erfahrung des Krieges und die Sehnsucht nach Frieden einander dia- lektisch bedingen, haben Schriftstellerinnen und Schriftsteller in ihren Werken auch über Voraussetzungen und Bedingungen wie die grundsätzliche Möglich- keit des friedlichen Miteinanders menschlicher Gesellschaften nachgedacht. Vor dem Hintergrund der Bürgerkriege, der Eroberungs-, Befreiungs-, An- griffs- und Verteidigungskriege, in denen Macht und Ohnmacht politischen Handelns in unserer Gegenwart offenbar werden, fragte die sechste Saarbrücker literaturwissenschaftliche Ringvorlesung nach bellizistischen und pazifisti- schen Diskursen in der Literatur. Der Fokus lag hierbei auf den kanonischen Werken der Literaturgeschichte, die im Hinblick auf Repräsentation und Insze- nierung, auf Darstellungsstrategien und Rhetoriken, auf Erinnerungen und Deutungen von Krieg und Frieden befragt werden – auch und gerade vor dem Hintergrund einer Zeit, da zunehmend populistisches Schlagwortgetöse die öffentlichen Auseinandersetzungen bestimmt. Mit unserem Projekt verbinden wir die Hoffnung, die Stimmen unserer kulturellen Umgebung und unseres kul- turellen Erbes hörbar zu machen, die uns auf ihre Weise ergreifen und zur Nachdenklichkeit anhalten. Die Ringvorlesung wurde am 25. April 2016 von Charlotte Britz, Oberbürger- meisterin der Landeshauptstadt Saarbrücken, und Universitätsprofessor Dr. Uwe Hartmann, Vizepräsident für Forschung und Technologietransfer der Universi- tät des Saarlandes, eröffnet. Hierfür gilt ihnen unserer besonderer Dank. Eben- falls zu Dank verpflichtet sind wir Christel Drawer von der Kontaktstelle Wissenschaft in der Kulturabteilung der Landeshauptstadt Saarbrücken für die ebenso umsichtige wie liebenswürdige Betreuung des organisatorischen Ab- laufs der Ringvorlesung im Rathaus St. Johann. Der Landeshauptstadt Saarbrücken ist für die Gewährung eines Druck- kostenzuschusses zu danken, der die Veröffentlichung dieses Bandes ermög- licht hat. Nicht zuletzt ist den Referentinnen und Referenten für ihre Aufsätze zu dem vorliegenden Band Dank zu sagen. Ohne ihre engagierten Beiträge wäre die Ringvorlesung nicht möglich gewesen. Schließlich danken wir den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Litera- turarchivs Saar-Lor-Lux-Elsass: Muriel Serf für den Satz sowie Dr. Hermann Gätje, Bianka Michel, Stefanie Stalter und Celina Brandt für die kritische Kor- rekturlektüre des Bandes. Saarbrücken, im März 2017 Manfred Leber und Sikander Singh Friedenshoffnung und Bürgerkrieg in Vergils Aeneis Peter Riemer Wer Vergils Aeneis, das römische Nationalepos in 12 Büchern, einmal ganz gelesen hat, wird zugeben, dass es ein Werk von zauberhafter Schönheit ist, geprägt von hohem Pathos, dabei bestrebt eine dezente Mittellage zu halten; immer wieder wird der Frieden beschworen. Allein 36 Mal findet sich die Vo- kabel pax (Frieden) in der Aeneis, eine Vokabel, die in den anderen Werken Vergils fast gar nicht vorkommt (nur in den Georgica zweimal). Und doch bleibt der Krieg am Ende mit all seinen Facetten in der Erinnerung des Lesers haften. Woran liegt das? Es ist nicht die Erzählung vom Untergang Trojas im 2. Buch; es sind vielmehr die Kämpfe auf italischem Boden in den Büchern 9 bis 12, also dem letzten Drittel des Werks, die den Leser noch verfolgen, wenn er das Epos aus der Hand legt. Geschildert wird in dem epischen Schlussakkord der Krieg zwischen den einheimischen Italern und den Flüchtlingen aus Troja, die auf italischem Boden eine neue Heimat suchten, nachdem sie ihre Stadt an den Dardanellen hatten aufgeben müssen. Mit dem Trojanischen Krieg und seinen Folgen waren lange vor Vergils Aeneis die ersten Werke der Griechen befasst: Ilias und Odyssee, die frü- hesten Schriftzeugnisse der europäischen Kultur (wohl aus dem 8. Jahrhun- dert v. Chr.). Zwar stehen in beiden homerischen Epen jeweils Helden und deren Einzel- schicksale im Zentrum der Erzählung, Achill und Odysseus, aber Kulisse ist in der Ilias das Kampfgeschehen vor Troja und in der Odyssee die schwere, ver- lustreiche Heimreise des siegreichen Trojabezwingers Odysseus vom Krieg nach Hause. In der attischen Tragödie, der klassischen Literaturgattung des 5. Jahrhunderts v. Chr., spielt der trojanische Krieg und was ihm folgt ebenfalls eine große Rolle. Man denke allein an das Schicksal eines Agamemnon, der in der aischyleischen Orestie als Kriegsheimkehrer von seiner eigenen Frau er- schlagen wird. Damit habe er den Frevel gesühnt, so erklärt Klytaimestra die grausame Tat, dass er ihre gemeinsame Tochter Iphigenie vor Beginn des Krieges geopfert hat, als die Flotte in Aulis wegen einer Flaute, die den Grie- chen als Strafe für die Missachtung ihrer Gottheit von Artemis auferlegt war, nicht aussegeln konnte; um die Göttin zu besänftigen, opferte Agamemnon seine Tochter. Natürlich war Klytaimestras Ehebruch mit Aigisth das eigent- liche Motiv für den Gattenmord. Aber immerhin war es ihr möglich, eine 10 Peter Riemer Verfehlung Agamemnons anzuführen, eine schuldhafte Handlung im Zusam- menhang mit dem Feldzug gegen Troja. Im 5. Jahrhundert v. Chr., einem Jahrhundert, das geprägt war von den großen kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Persern und dem inner- griechischen Konflikt zwischen Athen und Sparta, wandten sich die Tragödien- dichter immer wieder den Mythen des Krieges zu, den Kämpfen um die Stadt Theben und dem trojanischen Sagenkreis. Selten bis nie brachten sie reale his- torische Ereignisse auf die Bühne. Die Zeitgeschichte zu dramatisieren, war ver- pönt. Aischylos durfte sich als einer der Wenigen darüber hinwegsetzen. Er behandelte in seinen Persern die endgültige Abwehr der persischen Bedrohung im Jahr 480 mit dem großen Sieg auf dem Wasser bei Salamis. Diese Tragödie mit klarem historischem Sujet ist ein Dokument von enormer Bedeutung. Der Tragiker Aischylos versetzt sich nämlich in die Lage des Verlierers. Er schildert die Schlacht und die Katastrophe aus der Sicht der Perser und erwartet von dem griechischen Publikum in Athen 472 v. Chr., also acht Jahre nach dem Sieg, Mitleid zu haben mit dem ehemaligen Kriegsgegner. Mehr noch: Er spricht mit dem tragischen Beispiel eine Warnung aus, an alle Menschen gerichtet, natür- lich auch und vor allem an die Athener, nicht überheblich zu sein. Hochmut kommt vor dem Fall. Diese Lehre haben die Perser aus ihrem missglückten Feldzug gegen Griechenland ziehen müssen. Es kam dann noch im 5. Jahrhundert zu einem Krieg der Griechen unter- einander, dem sogenannten Peloponnesischen Krieg, in welchem die Groß- mächte Athen und Sparta mit ihren Verbündeten unerbittlich und vor allem jahrzehntelang gegeneinander kämpften. Die Tragiker thematisierten auf der Bühne des Dionysostheaters erneut die Kämpfe um Troja, um den Krieg und seine Auswüchse zu brandmarken; man denke an euripideische Dramen wie die Troerinnen, die Andromache, die Hekabe. Die Autoren der Alten Komödie wiederum konnten durchaus tagesaktuelle politische und historische Momente karikieren. Eindrucksvoll in diesem Zu- sammenhang die Lysistrate des Aristophanes, ein Stück, aufgeführt 411 v. Chr. in der Hochphase des Peloponnesischen Kriegs: In ihm zwingen die Frauen Athens und Spartas ihre Männer auf uncharmante Art und Weise (sie verwei- gern schlichtweg das Ehelager), alle Kampfhandlungen einzustellen, mit Er- folg, ‚Ende gut, alles gut‘ in typischer Komödienmanier. Der Tragödie war es (mit Ausnahme des genannten aischyleischen Perserdramas) nicht gestattet, zeitgenössische Themen auf die Bühne zu bringen. Daher griffen die griechi- schen Tragiker immer wieder auf den Trojamythos zurück. Den Kriegen der Griechen folgten die Kriege der Römer. Mehrfach war das republikanische Rom durch Angriffe von außen traumatisiert. Gefahr ging von den Kelten im Norden und von den Puniern im Süden aus. Beinahe hätte es