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Erkaeltungskrankheiten und Kaelteschaeden: Ihre Verhuetung und Heilung PDF

454 Pages·1916·28.361 MB·German
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ENZYKLOPA EDIE DER KLINISCHEN MEDIZIN HERAUSGEGEBEN VON I. . , LANGSTEIN C. VON NOORDEN C. VON PIRQUET BERLIN FRANKFURT .A.. M. WIEN A. SCHITTENHELM KOENIGSBERG I, PRo SPEZIELLER TElL ~~RKAELTUNGSKRANKHEITEN UND KAELTESCHAEDEN IHRE VERHUETUNG UND HEILUNG VON G. STICKER MUENSTER I. W. BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1916 ERKAELTUNGSKRANKHEITEN UND KAELTESCHAEDEN IHRE VERHUETUNG UND HEILUNG VON PROFESSOR DR. GEORG STICKER IN MUENSTER I. W. MIT 10 TEXTABBILDUNGEN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 1916 ISBN- 13:978-3-642-88843-4 e-ISBN-13:978-3-642-90698-5 DOl: 10.1007/978-3-642-90698-5 Uopyright 1915 by Julius Springer in Berlin_ Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1915 Alle Rechte, insbesondere das der Ubersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Vorwort. ErkaJtung! seit langerer Zeit oin wesenloses Wort fur die Wissenschaft, welcher Leeuwenhoek, Fahrenheit, Morgagni, Laennec, Fechner, Liebig, Edison, Roentgen neue Sinno leihen. Warmes odeI' heiBes FuBbad fUr einen Erkalteten? wohl eine bedeutungslose Frage und Erorterung fUr die Kunst, die sich von Morton, Lister, Faraday, Pasteur, Koch, Behring, Ehrlich neue We:r:kzeuge reichen laBt. Schnupfen, Hasten, GliederreiBen, Frostbeule! Kleinigkeiten fitr einen Geist, del' einmal auf del' hohen Warte stehen dmfte, von del' aus er das unaufhorliche Werden und endlose Drangen volkervernichtender Seuchen uberschaute. Offen gestanden, ich war verwundert, einen Augenblick sogar verstimmt, als mil' hochgeschatzte Kollegen die Bettrbeitllng del' Erkaltungskrankheiten fur ihre neue Enzyklopadie del' klinischon Medizin vorsehlugen. Die unent wegte Fortsetzung meiner Arbeiten auf dem Gebiete del' Seuehenlehro und Seuehengesehiehte, die ieh fitr meine wissensehaftliehe Lebensaufgabe halte, durfte mil' wiehtiger und riehtiger erseheinen als die Beal'beitung einer Sehad liehkeit und ihrer Folgen, die von den gelehl'ten Experimentatoron geleugnet und von den alten Weibel'll als das unvel'auBel'liehe Feld ihl'er Liebestatigkeit betraehtet wird. Dann abel' sagte ieh mil', daB es in del' Kunst, zu del' ieh mieh bekenne, niehts Unbedeutendes und Niedl'iges gibt und daB, weI' nieht das un geheure Recht des Kleinsten im Ganzen lebendig sieht und nieht im Geringen die Treue bewahrt, aueh an das GroBe nieht rt'thren solI. Uberdies, sind denn Erkaltungen wirklieh nul' Kleinigkeiten? Unter graben sie nieht die Volksgesundheit so tief und vielleieht naehhaltiger als manehe gefurehteten Seuehen im engeren Sinne? Hat nieht ein Arzt wie Syden ham gesagt, daB an Erkaltungskrankheiten mehr Mensehen sterben als an Pest und Krieg? Die Lehre von del' Erkaltung liegt im Argen. Sie muB neu gepriift werden. Es gibt genug Experimente, die sie leugnen; genug Theorien, die sie mit Redens arten umsehreiben und das eine Erklarung nennen. Die Frage lautet einfaeh: gibt es Erkaltungskrankheiten und in welehem Sinne darf man davon spreehen? Falls es Erkaltungskrankheiten gibt, wie konnen sie verhutet, wie mussen sie behandelt werden? Was dreiBigjahrige Erfahrung und Uberlegung in Stadt praxis und Landpraxis, Poliklinik und Klinik, Krankenhaus und Lazarett, zu Hause und auf Reisen auf diese Frage geantwortet hat, niederzulegen, ist doeh vielleieht del' Muhe wert. So unterzog ieh mieh denn del' Aufgabe, das folgende Bueh zu sehreiben. Es weicht von den gangbaren Lehrbuehern einigermaBen ab, indem es immer so weit wie moglich uber den wissenschaftlichen Gesichtskreis del' letzten zehn und zwanzig Jahre hinauszudringen versueht; sogar das aufnimmt,was sonst als Volksmedizin und Hausapotheke wohl beiseite gelassen wird;rdazu del' haus- VI Vorwort. lichen Gesundheitspflege den weitesten Raum gibt und im allgemeinen nicht einmal eine Scheidung zwischen hoher Schule und hausbackener Lebenskunst anstrebt. Ich bin in del' Tat del' Meinung, daB zur Heilwissenschaft alles gehort, was del' Heilkunst wil'klich dienen kann, ob es nun aus dem Geiste von Hum boldts, Liebigs, Pasteurs geboren ist odeI' von einem namenlosen Land arzt in del' Not gefunden, ob es auf del' Hohe des zwanzigsten Jahrhunderts entdeckt oder, ehe Agyptens Pyramiden standen, 'lorn heiligen Vogel Ibis erprobt worden ist. Indem ich also das schliehte Haus- und Volksmittel an seinem Platz fUr so ehrwiirdig erklare wie die wunderbarsten Leistungen del' chirurgischen Technik und wie die modernsten Darbietungen del' Immunotherapie und Chemo therapie, raume ich damit keineswegs dem wilden Heilbeflissenen das Recht cin, seine vorgebliche Kunst zu riihmen und zu iiben in einer Zeit, wo del' Staat jedem, den Gott und die Natur zur Heilkunst berufen haben, Gelegenheit und Mittel gibt, sich gehol'ig dazu vorzubereiten. Moge del' erfahrene Arzt in meinem Buch den Vorsatz verwil'klicht finden, Arzt zu bleiben in einer Zeit, die uns zwingen moehte, entweder Naturforscher odeI' Subalterne hoherer Heilgehilfen und Gesundheitswaehter zu werden. Moge ucr werdende Arzt daraus lernen, daB del' Unterschied zwischen Arzt und Schar latan nicht in gildenhaften Dbereinkiinften sondern in del' zweckentsprechenden Auswahl und Anwendung des jeweilig erforderten Hilfsmittels liegt, und daB die staatliche Zulassung nichts bedeutet, wenn del' Medikaster seiner wissen schaftliehen Ausbildung zum Hohn sich bei seinen Verordnungen von enthusiasti schen odeI' industriellen Reklamezettehl und von Modesueht leiten laBt anstatt von dem wohlgepriiften Bediirfnis des Hilfesuchenden und del' durch die Er fahrung bezeugten Hilfskraft des gewahlten Mittels. Das Buch wnrde geschrieben in den drangvollen Tagen eincs Herbst lind Winterkrieges, del' bei Freund und Feind zu Verstt'tmmelungen, Erschiit tcrungen und Entbehrungen alIer Art den heimlicheren Jammer del' Erkal tungsleidcn und Frostleiden haufte. Es solIte fiir einen zweiten Winterfeld zug fel'tig sein. Diesel' steht bevor. Das Buch kommt also wohl ZUl' rechten Stunde. Miinster in Westfalen, am 31. Oktober 1915. GeOl'g Stickel'. Il1haltsverzeichl1is. Seite Erster Teil. KliJtestorungen und Kalteschaden. A. Die Eigenwarme des MeIh~chen (Abschn. 1-18) ......... . 1-18 B. Warmeempfindung und Temperaturempfindlichkeit (Abschn. 19-28). 18-28 C. Kaltestorungen (Abschn. 29-58) . 29-63 D. Kalteschaden (Abschn. 59-70) ................. . 63-76 Zweiter Teil. Die Erkaltung. E. Spekulationen und Tierexperimente (Abschn. 71-82). 77-90 F. Tatsachen (Abschn. 83-104). . . . . . . . . . 90-122 G. Verwechslungen (Abschn. 105-120) ...... . 122-138 Dritter Teil. Erkaltung und Erkaltungskrankheit. R. Die Erkaltungsanlage (Abschn. 121-145) . . . . 139-177 J. Del' Erkaltungsschaden (Abschn. 146-154) ... 177-190 K. Erkiiltung und Krankheitserreger (Abschn. 155-166). 190-204 Vim'ter Teil. Die Erkaltungskrankheiten. L. Ubersicht tiber die Erkaltungskrankheiten (Abschn. 167-175). 205-215 M. Erkiiltungsfieber (Abschn. 176-178) .... . 216-219 N. Rheuma der Raut (Abschn. 179-182) .... . 219-224 O. Katarrhe del' Atmungswege (Abschn. 183-189) . 224-235 P. Akuter Rheumatismus (Abschn. 190-238). . . . 236-302 Q. Der chronische Rheumatismus (Abschn. 239-258) 302-325 R. Gicht und Zuckerharnruhr (Abschn. 259-262). . 325-332 Fiinfter Teil. Verhiitung und Reilung del' Kalteschaden und del' Erkaltungskrankheiten. S. Aufgaben der Kunsthilfe bei Kaltewirkungen und Erkaltungen (Abschn. 263-267) ....................... . 333-337 T. Verhtitung der Kalteiiberempfindlichkeit (Abschn. 268-275) .... 337-345 U. Abhartung del' Kalteempfindlichen (Abschn. 276-285). . . . . . . 345-355 V. Vermeidung der Erkaltungsgelegenheiten (Abschn. 286-299) .... 356-372 W. Ausrottung von Infektionsherden bei Erkaltungsempfindlichen (Abschn. 300-304) .................. . 372-377 X. Behandlung des Kalteschadens (Abschn. 305-311). 377-385 Y. Behandlung des Erkalteten (Abschn. 312-328) .. 385-405 Z. Behandlung der Erkaltungsreste (Abschn. 329-353) 405-434 Namenverzeichnis . 435-439 Sachverzeichnis 440-446 Erster Teil. Kaltestorungen und Kalteschaden. A. Die Eigenwarme des }}Ienschen. 1. Der gesunde Mensch halt unter geringen Schwankungen eine be stimmte Eigenwarme gegeniiber auBeren Einfliissen in weiten Grenzen mit groBer Zahigkeit fest, und zwar das ganze Leben hindurch, in allen Verhalt nissen, zu allen J ahreszeiten, an allen Orten der Erde, im starren Eis der Polar nacht wie in der verzehrenden Glut des Tropenmittags, im warmeentziehenden Ather des Hochgebirges und der Flugregionen wie im warmestauenden Dunst der GroBstadte und des Tauchermantels. Der Mensch bleibt gesund solange und insofern er seine Eigenwarme bewahrt; er wird krank oder stirbt, wenn iibermachtige Einfliisse sie auch nur fiir Stunden oder Tage verandern. Das neugeborene Kind, das im Mutterleibe eine Eigenwarme von 38° C hat, ungefahr einen halben Grad mehr als die Gebarmutter und als das mi'ttter liche Blut in der Geburtsarbeit, kann beim Eintritt in eine kiihlere Temperatur der Umwelt durch die Warmeabgabe von seiner Oberflache an Binnenwarme verlieren, bis hinab zu 35° C. Aber das dauert nicht lange; falls es lebenskraftig ist und ihm der Schutz des MutterschoBes einigermaBen von kiinstlichen Hiillen und kiinstlicher AuBenwarme ersetzt wird, zeigt es schon eine Stunde naeh der Geburt 37,8-38,1° Warme im After. Spatestens naeh wenigen Stunden steigt seine Temperatur wieder und erhalt sieh vom zweiten Tage ab, in nieht zu kiihler Umgebung mit geringen Tagessehwankungen vom Morgen zum Abend und vom Abend zum Morgen; durchschnittlich auf der Zahl 36,80 in der Friihe, 37,60 am Abend. Dabei kommen die h6heren Werte und sehnelleren Anpas sungen dem vollkraftigen gesunden, die niederen Werte und die langsameren Herstellungen dem lebenssehwachen krankliehen Kinde zu. 1m Sehlaf sinkt die Binnenwarme um ein geringes; nach den Anstrengungen des Trinkens und Strampelns und am Abend ist sie ein wenig hoher. Zu friihgeborene Kinder haben eine etwas erhohte Eigenwarme und be diirfen groBeren Warmeschutzes. Mit fortschreitendem Waehstum sinkt die Eigenwarme bei den meisten Mensehen um ein geringes. Zu Ende der ersten Woche betragt die Blutwarme des Neugeborenen 37,60-38,20 C; beim einjahrigen Kinde werden die Grenzen 37,2°-37,6°, beim fiinfjahrigen Kinde 37,10_37,40 gemessen. Beim gesunden Erwaehsenen liegen die auBersten Grenzen zwischen 36,6° und 37,4°, in der Aehselhi:ihle gemessen (W u n d e r Ii e h, 1868) . Die angegebene Korperwarme bezieht sich im allgemeinen auf die 1\1ast darmhohle; Seheidenhohle und Mundhohle weichen nicht wesentlicli ab; die S ti c ke r, Erkii.!tuugskrankheiten. 1 2 Kiiltestorungen und Kiilteschaden. geschlossene Achselh6hle zeigt gegenuber dem Mastdarm etwas geringere Werte; der Unterschied betragt 0,3°-1,0° beim Kinde; 0,5° beim Erwachsenen; 1,0° bis 3,0° beim Greisen. Diese wachsenden Unterschiede zwischen Achselwarme und Mastdarmwarme, sowie auch die geringe Verminderung der Warme im allgemeinen k6nnen mit steigenden Jahren hervortreten, mussen es aber nicht. Der vollkraftige Mensch behalt unter naturlichen Bedingungen seine feststehende Eigenwarme, also 37,2°-37,5° C, an allen inneren Teilen von der Stunde der Geburt bis ins hOchste Greisenalter fest. Fur ibn gibt es kein Absinken, kein bedeutenderes Abweichen der Hautfaltenwarme von der Binnenwarme mit zunehmenden Jahren. Dieselbe Temperatur, die das vollwertige neugeborene Kind hat, hat auch das heranwachsende Kind, der Jungliug, der Mann, der hochbetagte aber unverminderte Greis. Die Annahme de Haens (1776) und von Baerensprungs (1851), daB mit fortschreitendem Alter die Korper warme gesetzmaBig vermindert werde, trifft nicht fur das Bejahrtwerden an sich, sondern nur fUr das Altern im Sinne der Kraftvermi'nderung zu. John Davy (1835) fand bei hochbetagten Greisen ganz unveranderte Mundtem peraturen. Eine hundertjahrige gesunde Frau, die Charcot (1874) beobachtete, hatte in der Achsel Warmegrade zwischen 37,20 und 37,5° und im Mastdarm 38,0°. Fur gew6hnlich miBt man allerdings bei Greisen eine Mastdarmwarme von 37,20-37,50, eine Achselwarme von 36,2°-37° oder noch weniger. 2. Soweit das Thermometer beim Menschen reicht, im Munde, im Mast darm, in der Scheide, in der Harnr6hre, in der Blase, im Magen, uberall ist die Binnenwarme dieselbe. Messungen, die John Hunter (1792) am Hunde, John Davy (1814) an frisch get6teten Schafen und Ochsen, Claude Bernard (1859) an verschiedenen Tieren gemacht haben, lassen annehmen, daB das Blut der driisigen Organe, Magen, Leber, Niere, bei gesteigerter Arbeit etwas warmer ist als das Blut im Herzen und in den groBen GefaBen; in den Arterien etwas warmer als in den Venen; wieder ein wenig kuhler im Gehirn und in den Knochen und Gelenken der GliedmaBen ist. Aber die Unterschiede be tragen kaum einige Zehntelgrade. Die Temperatur des Unterhautbindegewebes fanden Becquerel und Breschet (1835, 1841) beim Menschen um 1,25°-2,0° geringer als die der ruhenden Muskeln. Der ruhende Muskel hat die Warme der Mundh6hle; im arbeitenden steigt sie uber die Norm. In der Ruhe und im Alter nimmt bei Geschwachten die Binnenwarme vom Rumpf zu den Gliederenden langsam um 0,50-1,00 abo Die auBere Hautwarme des Menschen ist durchschnittlich um 5°-10° C geringer als seine Binnenwarme; kiihler an den unbekleideten, warmer an den bekleideten Hautstellen; kuhler bei niedriger, warmer bei h6herer Luftwarme; kiihler im Alter, h6her in der Jugend. Genaueres dariiber weiter unten (20, 23). Das Absinken der Eigenwarme mit zunehmenden Jahren, das Gr6Ber werden der Warmeunterschiede zwischen Rumpf und Gliedern, die zunehmende Entfernung der Hautwarme von der Binnenwarme bei Schwachen und Ab standigen ist der Ausdruck dafiir, daB die meisten Menschen mit der Zeit nicht mehr den DberschuB an innerer Warme aufbringen, der den Vollkraftigen auszeichnet. Wenn wir fiir den gesunden vollkraftigen Menschen eine feste Warme ziffer beanspruchen, so sind wir naturlich weit entfernt davon, niedere oder h6here Dauerwerte ohne weiteres als krankhaft zu bezeichnen. Es gibt uber und untertemperierte Menschen; aber der mitteltemperierte ist im all gemeinen der wohltemperierte, der vollwertige. Falsch ist es jedenfalls, einen Normalwert fur alle Menschen vorauszusetzen. Diejenige Eigenwanne ist fur den einzelnen die normale, bei der er sich am wohlsten fuhlt lllI:d am meisten Die Eigenwarme des Menschen. 3 leistet. Fur den kraftigen Menschen, der im allgemeinen auf 37,20-37,50 C eingestellt ist, bedeutet ein Absinken der Binnenwarme auf 36,50 oder ein An steigen auf 380 Unwohlsein, Kranksein. Schwachliche Menschen, deren Binnen warme etwa auf 360 eingestellt ist, fuhlen sich bei 370 krank; und fur u.berernahrte, vollblutige Menschen, die eine Eigenwarme von 380 C haben konnen, ist schon eine Binnenwarme von 370 Kollaps. In Allgemeinleiden, die mit einer Steige rung der Eigenwarme einhergehen, in den sogenannten Fieberkrankheiten, kann ffir den blutarmen Schwachling schon bei 380 C ein hoherer Grad der Krank heit und der Lebensgefahr bestehen als fur den Vollkraftigen bei 400; und der Temperaturabfall auf 370, der fur den Dberernahrten schon vollige Entfieberung bedeutet, ist ffir den Lebensschwachen noch Fieberzustand. 3. Die Erhaltung der gesetzmaBigen Eigenwarme beruht auf einer bestandigen Anpassung der inneren Warmebildung des Organismus an den Wechsel der AuBenweltwarme. Das ausgleichende Organ ist die Haut; ein Hilfsorgan die Lunge. Instinkt, Erfahrung und Dberlegung fugen kunst liche Hilfsmittel in Form der Kleidung und W ohnung, besonderer Warme quellen und besonderer Kiihlvorrichtungen hinzu. Storungen der gesetzmaBigen Korperwarme konnen auf zwei Weisen er folgen, einmal durch Veranderungen der Warmebildung im Korper, sodann durch Schwierigkeiten fur die Warmeerhaltung nach auBen. Eine Starung der Eigenwarme aus inneren GrUnden geschieht im Sinne der Warmeverminderung bei Verminderung der Warmequelle, des hippo kratischen .:t8(!ftlw Efl(pv'WV, also wenn infolge weitgehender Schwache oder Lahmung des Zellebens groBe Warmeherde des Korpers auBer Tatigkeit ge setzt werden, so bei angeborener Lebensschwache, bei langer erzwungener Muskelruhe, ferner und besonders bei weitreichenden Gewebslahmungen durch Gifte wie Alkohol, Morphium, Schierling, bei der Cholera usw.; ferner bei er heblicher Verminderung des Heizungsfutters, der Nahrung mit ihren Energien und Kalorien, also im Hungerzustande wie in Zustanden darniederliegender Tatigkeit der Verdauungsorgane und der inneren Verdauungskraft. Die Storung der Eigenwarme geschieht im Sinne der Warmesteigerung bei starken Muskelubungen, also bei langem angestrengtem Gehen, Laufen, Steigen, Holzhacken, Turnen u. dgl. Es kann die Temperatur des kraftigen Mannes sich unter dem EinfluB erheblicher Muskelarbeit um 0,50, 1,00, ja 1,50 C erheben. Das gleiclie geschieht, wenn auch in geringerem MaBe, unter dem EinfluB reichlicher Nahrungsaufnahme. Zu den bedeutendsten und anhaltend sten Warmesteigerungen kommt es bei weitgehenden Reizungen und Auf regungen des gesamten Zellebens infolge von Dberschwemmungen des Blutes und der Gewebe mit feindlichen Eindringlingen und ihren Giften, in dem ProzeB, den wir Fieber nennen, wobei die Hohe der Warmevermehrung ebensosehr das Zeichen fur die Kraft der Gegenwehr wie ein Gradmesser fur die GroBe der Krankheit ist. 4. oDie Steigerung der Korperwarme, welche auf Vermehrung der inneren Warmebildung beruht, nennen wir Fieber. Fieber entsteht, wie wir gesehen haben, bei auBergewohnlicher und anhaltender Muskelanstrengung, bei starken Belastungen des Stoffwechsels, bei toxischen und parasitaren Reizungen der Gewebe; endlich auch bei weitgehenden GewebszertriimmerungeIi. Fur ge wohnlich pflegt man das Anstrengungsfieber, Arbeitsfieber, Geburts fieber, das Verdauungsfieber, das Fieber nach Quetschungen und Er schutterungen vom Fieber in Krankheiten engeren Sinnes und ganz besonders vom Infektionsfie ber strenge zu trennen und das letztere eigentliches Fieber oder allein Fieber zu nennen. Dazu ist kein Grund. Aber es gilt allerdings, zu unterscheiden und im einzelnen Falle wohl zu untersucheq, welche hinzu- 1* 4 Kaltestorungen und Kaltesohaden. tretende Schadlichkeit die Korperwarme steigert, die Warmevermehrung unterhalt, ob auBere oder innere Bedingungen den Warmeabfall bewirken. Warmesteigerung und Warmeabfall bei einem Kranken mit akutem oder chronischem Infekt allein auf die zunehmende oder abnehmende Infektion zu beziehen, ist ein lITtum, der durch jene einseitige Begriffsbestimmung des Fiebers bedingt und unterhalten wird. Bei einem Tuberkulosen, einem Typhus kranken, einem Malariakranken genugt oft eine geringe Steigerung der Nah rungszufuhr, eine maBige Korperbewegung, eine fluchtige Kalteeinwirkung, ja eine Gemutserregung, die Korperwarme in unbehaglicher und nachteiliger Weise zu steigern. Erfahrene Arzte wissen zwischen Infektionsfieber und Verdauungsfieber usw. wohl zu unterscheiden, und Penzoldt und Birgelen (1899) empfehlen mit Recht, darauf zu achten, ob bei Tuberkulosen, Rekon valeszenten, Anamischen, Chlorotischen, Fettleibigen ein Spaziergang von einer Stunde die Korperwarme merklich steigert und, wenn dieses der Fall ist, eine Liegekur durchzufiihren. Der besorgte Arzt, der seinen Kranken kennt und schont, unterlaBt in manchen Fallen jede Temperaturmessung, weil er weiB, daB schon die Furcht vor einer Fiebersteigerung die Eigenwarme zu vermehren, unnutz zu vermehren, imstande ist. Um die Hohe und Bedeutung einer Warmesteigerung richtig beurteilen zu konnen, muB der Arzt die normale Eigenwarme seines jeweiligen Patienten wissen. Er wird nun' und nimmermehr den roten Strich auf vorgedruckten Fiebertafeln bei 37° oder bei 37,5° C fiir durchaus bindend erachten und sofort die Antipyrese mit ihren tausend Mitteln in Gang setzen, wenn der rote Strich uberschritten ist; die Kampferspritze und Atherspritze oder andere Lebens retter anstrengen, wenn die K6rperwarme einen merklichen Abstand yom roten Strich nach unten zeigt. Wenn Marx (1900) nach seinen Messungen an 200 Patienten im Koch schen Institut fur Infektionskrankheiten die normale Korperwarme auf 36° bis 37° C bestimmt und bei 37,2° Fieber beginnen laBt, so ist das einigermaBen willkurlich und nicht zu billigen. Wir wiederholen es, eine Mastdarmwarme von 37,2°, die bei dem einen dem Zustand voller Gesundheit entspricht, kann bei einem anderen schon Dberreizung der Gewebe, Infektion, Fieber und also unter Umstanden Gefahr, bei einem dritten aber Schwache und beginnendes Erliegen bedeuten. Vor nichts hat sich der Arzt mehr zu huten als vor der Aufstellung und Anerkennung von Durchschnittswerten und vor einer patho gnomonischen Semiologie. Fur ihn gibt es Grenzwerte, keine absoluten Ziffern. Je kraftiger ein Mensch, desto hoher innerhalb der angegebenen Grenzen seine Eigenwarme, desto hoher auch unter sonst gleichen Umstanden seine Fiebertemperatur, das heiBt seine Gegenwehr in Allgemeinstorungen. Die Freude der Antipyretiker uber Temperaturerniedrigungen in Fieberkrankheiten ist nicht immer gerechtfertigt. 1m allgemeinen pflegt im hOheren Alter die fieberhafte Reaktion geringer zu werden entsprechend der Abnahme der Lebenskraft. Das dekrepide Alter kann des Fiebers ganZlich entbehren; ein Grund dafiir, daB bei Greisen schwere und Wdliche Lungenentzundungen, Nervenfieber, Pesterkrankungen usw. so oft ubersehen werden. Was im Greisenalter auch bei guter Fieberreaktion aufzufallen pflegt, ist der groBere Unterschied zwischen Hautwarme und Binnenwarme. Das trifft aber nicht immer zu. Bei einer 86jahrigen Fr~u mit kruposer Pneumonie und heftiger DiarrhOe maG Charcot am fiinften Tage in der Achsel 37°, im Mastdarm 40,2°; am sechsten Tage in der Achsel 40°' und ebenso im Mastdarm 40°. . - Ich selbst fand bei einem schlecht genahrten 60jahrigen Hindu am zweiten Tage der Pestkrankheit in der Achsel eine Warme von 39;50, im Mast-

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