Edition Rechtsextremismus Herausgegeben von F. Virchow, Düsseldorf, Deutschland A. Häusler, Düsseldorf, Deutschland Die „Edition Rechtsextremismus“ versammelt innovative und nachhaltige Beiträge zu Erscheinungsformen der extremen Rechten als politisches, soziales und kultu- relles Phänomen. Ziel der Edition ist die Konsolidierung und Weiterentwicklung sozial- und politikwissenschaft licher Forschungsansätze, die die extreme Rechte in historischen und aktuellen Erscheinungsformen sowie deren gesellschaft lichen Kontext zum Gegenstand haben. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei transnatio- nalen Entwicklungen in Europa. Herausgegeben von Fabian Virchow Alexander Häusler Düsseldorf, Deutschland Düsseldorf, Deutschland Martin Langebach • Michael Sturm (Hrsg.) Erinnerungsorte der extremen Rechten Herausgeber Martin Langebach Michael Sturm Düsseldorf, Deutschland Münster, Deutschland ISBN 978-3-658-00130-8 ISBN 978-3-658-00131-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-00131-5 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliogra(cid:191) e; detaillierte bibliogra(cid:191) sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover(cid:191) lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Lektorat: Dr. Jan Treibel, Monika Mülhausen Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Inhalt Erinnerungsorte der extremen Rechten. Zur Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Martin Langebach und Michael Sturm Schicksal – Heldentum – Opfergang. Der Gebrauch von Geschichte durch die extreme Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Michael Sturm Geahnte Ahnen. ›Germanische‹ Erinnerungsorte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Karl Banghard Die Wewelsburg und die »Schwarze Sonne«. Von der Entlastungslegende zum vitalen Mythos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 Dana Schlegelmilch und Jan Raabe Die ›Konservative Revolution‹. Geistiger Erinnerungsort der ›Neuen Rechten‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Volker Weiß ›Tag der nationalen Arbeit‹. Der 1. Mai als Erinnerungsort der extremen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Harriet Scharnberg Der Annaberg. ›Ein Symbol des erwachten Deutschtums‹ . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Jörg Kronauer 6 Inhalt Die Waffen-SS. Deutungsmuster der »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit« (HIAG) und andere Apologien ....................... 157 Karsten Wilke ›Heldengedenken‹. Neonazistische Heldenehrung als Abwehrkampf gegen den Bolschewismus – das Beispiel Halbe ........................ 177 Von Christoph Schulze Luftkrieg. Akteure und Deutungen des Gedenkens seit 1945.............. 197 Martin Clemens Winter 8. Mai 1945 ........................................................ 213 Martin Langebach Alliierte Kriegsgefangenen- und Internierungslager. »Folterlager« in Bad Nenndorf und »Massenvernichtung« in Remagen: Neonazi-Propaganda gegen alliierte Besatzungspolitik .................. 245 Barbara Manthe Rudolf Heß. Kristallisationspunkt der extremen Rechten ............... 265 Maica Vierkant Konzentrationslager. Die Gedenkstätte Sachsenhausen – Ein Erinnerungsort der extremen Rechten? ............................ 287 Dagmar Lieske Autorinnen- und Autorenverzeichnis ................................. 301 Erinnerungsorte der extremen Rechten Zur Einleitung Martin Langebach und Michael Sturm Mit Festakten unter Beteiligung vieler Staatsoberhäupter und anderer politischer Repräsentantinnen und Repräsentanten wurde zu Pfi ngsten 2014 der 70. Jahrestag der Landung alliierter Verbände in der Normandie am 6. Juni 1944 begangen. Der D-Day bildete ein Schlüsselereignis auf dem Weg zur Befreiung Europas und seiner Menschen vom Nationalsozialismus und Faschismus. Doch auch andere historische Ereignisse fi nden ihren Ausdruck in der gegenwärtigen Geschichtskultur. Überall in Europa wird in diesem Jahr im Rahmen zahlloser Ausstellungen, Tagungen und Publikationen an den Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren erinnert. Diese und andere Rückblicke auf historische Ereignisse von nicht selten weltpoli- tischer Bedeutung sind heute stark in der bundesrepublikanischen Öff entlichkeit präsent. Die Erinnerung ist oft mit dem politischen, pädagogischen oder morali- schen Imperativ verknüpft , ›aus der Geschichte zu lernen‹. Doch der Blick auf die Vergangenheit hängt stets ab von der betrachtenden Perspektive – eine Erkenntnis, die nicht nur Historikerinnen und Historiker teilen. Auch für die extreme Rechte stellt Geschichte einen ›Steinbruch‹ da, aus dem sie sich selektiv bedient. Werden an Omaha Beach Kränze den Wellen übergeben, um der gefallenen Soldaten der Alliierten zu gedenken, erinnern Protagonistinnen und Protagonisten der extre- men Rechten an die Tage des zum ›Panzerjäger‹ verklärten SS-Hauptsturmführers Michael Wittmann, der an den Kämpfen in der Normandie beteiligt war. Werden im Bendlerblock des Bundesverteidigungsministeriums in Berlin Reden gehalten, in denen die Courage der Attentäter vom 20. Juli 1944 beschworen wird, heben sie die Rolle Otto Ernst Remers bei der Zerschlagung des Widerstandskreises um Claus Schenk Graf von Stauff enberg hervor. Und wenn am 8. Mai 2015 der 70. Jahrestag des Kriegsendes gefeiert werden wird, ist absehbar, dass Teile der extre- M. Langebach, M. Sturm (Hrsg.), Erinnerungsorte der extremen Rechten, Edition Rechtsextremismus, DOI 10.1007/978-3-658-00131-5_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 8 Martin Langebach und Michael Sturm men Rechten die Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands lautstark zum Ende einer kurzen ›Ära der Freiheit‹ stilisieren werden. 1 Hypothek und Ressource – Die Bedeutung von Geschichte für die extreme Rechte Geschichte stellt für die extreme Rechte ein zentrales Politikfeld dar. Die Demonstra- tionen dieses Spektrums, die sich auf einen entsprechenden Hintergrund oder Anlass beziehen, haben sich in den vergangenen Jahren als besonders mobilisierungsfähig erwiesen (Virchow 2006, S. 80). Die Veröffentlichungen zu historischen Themen- stellungen – vor allem zum Zweiten Weltkrieg aus Perspektive der ›Erlebnisgene- ration‹ – sind kaum zu überblicken. Die damit verbundenen geschichtspolitischen Positionierungen erzielen heute indes nicht mehr allzu viel Zustimmung, wirken sie doch auf den ›Mainstream‹ zumeist irritierend, mitunter grotesk. Gleichwohl wird eine tiefere Auseinandersetzung mit den Mythen und Apologien der extremen Rechten nicht selten auch gescheut aus der Sorge, deren geschichtsrevisionistische Parolen möglicherweise unfreiwillig aufzuwerten. Diese vermeintlich naheliegende Haltung wird der zentralen Bedeutung, die dem Gebrauch von Geschichte in der extremen Rechten der Bundesrepublik zukommt, jedoch nicht gerecht. Im Hin- blick auf die nach außen getragene Propaganda kommt den ständig aufgerufenen historischen Argumentationsmustern und Referenzen die Funktion zu, die eigenen ideologischen Grundpositionen mit dem Nimbus ›absoluter Wahrheit‹ zu versehen. Geschichte avanciert hier zur ›Waffe‹ im Rahmen eines Politikverständnisses, das durchgängig von Kompromisslosigkeit und dichotomen Freund-Feind-Kategori- sierungen geprägt ist. Die extreme Rechte inszeniert sich dabei als ›Gegenelite‹, die für sich in An- spruch nimmt, in der Kontinuität und gleichsam als Reinkarnation der gemeinsam beschworenen gefallenen ›Helden‹ den Kampf um Deutschland weiterzuführen. Freilich: Ihre historischen Deutungsmuster können, zumal wenn sie im Rahmen von Demonstrationen in zumeist aggressiver Diktion vorgetragen werden, gesell- schaftlich und politisch in der offiziellen Erinnerungskultur der Berliner Republik als nahezu vollständig marginalisiert gelten. Doch genau darin scheint offenkundig ihre gemeinschaftsstiftende Bedeutung für das extrem rechte Spektrum zu liegen. Sie sind Ausdruck einer spezifischen Form von ›Geschichtspolitik‹, die ›Identität‹ und ›Kollektivität‹ nicht zuletzt durch ›historisch-fiktionale Gegenerzählungen‹ herzustellen versucht, die an überprüfbaren historischen Erkenntnissen allenfalls instrumentelles Interesse zeigt und diese, »wie in einer Collage, mit Spekulatio- Erinnerungsorte der extremen Rechten 9 nen, Mutmaßungen, widerlegten Thesen und teilweise auch mit reinen Fantasien montiert« (Botsch 2014, S. 48). In ähnlicher Weise hat der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn auch von »Phantasiegeschichte« gesprochen, die genutzt werde, »um eine Wirklichkeit zu interpretieren, die in den Augen ihrer Protagonisten so hätte gewesen sein sollen beziehungsweise müssen, um die eigenen Zukunftsvisionen und das Agieren in der Gegenwart legitimieren zu können« (Salzborn 2011, S. 21). Für die unterschiedlichen Strömungen der extremen Rechten in der Bundesre- publik war und ist Geschichte demnach gleichermaßen Ressource wie Hypothek. Ressource – da es vor allem geschichtspolitische Themen waren, die sich über die Jahrzehnte hinweg als besonders mobilisierungsfähig erwiesen und dazu beitrugen, das notorisch zersplitterte und in Grabenkämpfe verstrickte Spektrum durch den Rekurs auf gemeinsam geteilte Mythen und »Phantasiegeschichten« zumindest anlassbezogen immer wieder zu einen. Die Hypothek wiederum bilden bis heute die präzedenzlosen Verbrechen des Nationalsozialismus, zu denen die extreme Rechte sich gezwungenermaßen in irgendeiner Form verhalten muss. Der Umgang reichte und reicht von offener Verherrlichung des Regimes, seiner Protagonisten und Wegbereiter, über die os- tentative Leugnung oder Verharmlosung der nationalsozialistischen Verbrechen bis hin zum trotzigen Hinweis, dass »Adolf Hitler […] tot und die NSDAP aufgelöst« sei, man »nicht in der Vergangenheit, sondern in der Gegenwart« lebe und darüber hinaus, »die Menschen […] ganz andere Probleme [haben], als sich ständig mit einer Zeit zu beschäftigen, die schon eine Ewigkeit zurückliegt« (NPD 2012, S. 54). Doch Stimmen wie jene aus der NPD, die anmahnen, dass die Partei »mittlerweile rund sechs von zwölf Monaten mit Trauer-, Gedenk und Erinnerungskundge- bungen aus Anlass zeithistorischer Ereignisse beschäftigt« und dass das vor dem Hintergrund »einer Vielzahl ungleich wichtigerer Gegenwartsthemen und einer ungleich breiteren politischen Themenpalette […] für unseren politischen Kampf ausgesprochen kontraproduktiv« sei (Richter 2011), werden politisch abgestraft. Das »Vergangenheitsghetto« (Karl Richter) scheint für die extreme Rechte existenziell. Gleichwohl verweisen Apologien, Banalisierungsversuche und demonstratives Beschweigen trotz ihrer unterschiedlichen Argumentationsmuster im Detail auf ein in der extremen Rechten breit verankertes Geschichtsverständnis, das der His- toriker Martin Broszat pointiert als »Amok-Lauf gegen die Wirklichkeit« (zitiert in: Arndt 1976, S. 196) bezeichnet hat. Geschichtsrevisionismus, also der Versuch, der angeblich von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs und ihren deutschen Erfüllungsgehilfen in Politik, Medien und Wissenschaft dekretierten ›offiziellen Geschichtsschreibung‹ eine eigene ›Wahrheit‹ entgegenzustellen, bildet daher eine zentrale Komponente in den gängigen sozialwissenschaftlichen, aber auch behörd-