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Erinnern, Umschreiben, Vergessen. Die Stiftung des disziplinären Gedächtnisses als soziale Praxis PDF

325 Pages·2019·1.429 MB·German
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Der Blick auf wissenschaftliche Disziplinen und ihre Geschich- n Erinnern te ändert sich, sobald Akte der Überlieferung als machtförmi- e s ge soziale Praktiken betrachtet werden. Als solche ziehen sie s e Grenzen und verweigern bestimmten Wissensbeständen die g Umschreiben Aufnahme in das disziplinäre Gedächtnis. r e Auch für die Erziehungswissenschaft ist diese Annahme fol- V genreich: Sie erscheint unter dieser Perspektive nicht nur als , n Vergessen ein kollektives Unternehmen, das Wissen erzeugt und die Er- e b gebnisse seiner Forschungen abspeichert, sondern auch als i ein umkämpftes politisches Projekt. Richtungsentscheidungen e r werden also nicht erst dann virulent, wenn es um die Zukunft h der Disziplin geht, sondern auch beim Einvernehmen darü- c s ber, welche (Theorie-)Traditionen erinnert werden (und wel- m Die Stiftung des disziplinären Gedächtnisses che nicht), welche Wissensbestände als bewahrenswert gelten U als soziale Praxis (und welche nicht), welche Fachvertreter/innen als »legitime« , n Ahn/innen aufgerufen werden (und welche nicht). r e n n Herausgegeben von Der Band versammelt erziehungswissenschaftliche wie auch i soziologische, philosophische und geschichtswissenschaftli- r Markus Rieger-Ladich, Anne Rohstock E che Beiträge, die sich von schlichten Modellen der Akkumu- und Karin Amos • lation des Wissens verabschieden – und damit rechnen, dass ) . g wichtige Hinweise auf die Zukunft der Disziplin auch in der Ver- H gangenheit liegen können. ( . a . u h c i d a L - r e g e i R T www.velbrueck-wissenschaft.de F KA CH ISBN 978-3-958320-68-0 ÜC RS BN VELBRÜCK LE ES VWIS WISSENSCHAFT https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Markus Rieger-Ladich, Anne Rohstock und Karin Amos (Hg.) Erinnern, Umschreiben,Vergessen https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Erinnern, Umschreiben, Vergessen Die Stiftung des disziplinären Gedächtnisses als soziale Praxis Herausgegeben von Markus Rieger-Ladich, Anne Rohstock und Karin Amos VELBRÜCK WISSENSCHAFT https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Erste Auflage 2019 © Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2019 www.velbrueck-wissenschaft.de Printed in Germany ISBN 978-3-95832-068-0 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Inhalt Markus Rieger-Ladich, Anne Rohstock und Karin Amos Wissen und Macht, Wissenschaft und Disziplin. Eine Einleitung 7 Markus Rieger-Ladich Archivieren und Speichern. Das Gedächtnis der Disziplin als Politikum . . . . . . . . 17 Jürgen Oelkers Disziplingeschichte und Erinnerungslast . . . . . . . . . 49 Sebastian Engelmann Alles wie gehabt? Zur Konstruktion von Klassikern und Geschichte(n) der Pädagogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Karin Amos und Laura Böckmann Relationalität, Kollektivität, Konvivialität, Wissenschaft: Überlegungen zu einem erziehungswissenschaftlich relevanten Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . 94 Anne Rohstock Vom NS-Statistiker zum bundesrepublikanischen Bildungsforscher: Friedrich Edding und seine Verstrickung in den Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . 120 Rita Casale und Jeannette Windheuser Feminismus nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . 158 Dirk Braunstein und Fabian Link Demokratisches Denken durch die Praxis der Soziologie. Die Reeducation-Konzepte des Instituts für Sozialforschung in den 1950er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Morvarid Dehnavi, Julia Kurig, Andrea Wienhaus und Carola Groppe Gedächtnispolitik in den Geisteswissenschaften. Wissenspfade und Wissenskonflikte am Beispiel der Geschichtswissenschaft, Erziehungswissenschaft und Germanistik in den 1960er und 1970er Jahren . . . . . . . 210 https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Carsten Bünger und Sabrina Schenk »Belehrung« und »Neufassung« – Tradieren als Übersetzen. Überlegungen zum Anschluss an Günther Buck und Heinz-Joachim Heydorn . . . . . . 235 Meike Sophia Baader Blinde Flecken der Disziplin und ihrer Geschichte. Die Involviertheit der Wissenschaft in pädosexuelle Diskurspositionen der 1960er bis 1990er Jahre . . . . . . 254 Micha Brumlik Vergangenheit, die nicht vergehen will – Wie sich die deutsche Erziehungswissenschaft mit nationalsozialistischen Altvorderen plagt . . . . . . . . . 277 Heinz-Elmar Tenorth Zu Recht vergessen. Zum Lob einer nicht selten verkannten Praxis in den Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Information zu den Herausgeber/innen und Beiträger/innen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Markus Rieger-Ladich, Anne Rohstock und Karin Amos Wissen und Macht, Wissenschaft und Disziplin Eine Einleitung Das Angebot war überaus verführerisch. Als Ende der 1980er Jahre an der University of Illinois at Urbana-Champaign eine große internatio- nale Konferenz vorbereitet wurde, die den Titel »Cultural Studies Now and in the Future« tragen sollte, erging auch eine Einladung an Stuart Hall. Dieser zählte schon damals zu den einflussreichsten Intellektuellen und politischen Aktivisten Großbritanniens; es spricht allerdings eini- ges dafür, dass er als eine der prägenden Figuren der britischen Cultural Studies adressiert und aus genau diesem Grunde auch in die USA einge- laden wurde. Hall war der erste Mitarbeiter, der Mitte der 1960er Jah- re von Richard Hoggart, dem Gründungsdirektor des Centre for Con- temporary Cultural Studies (CCCS) an der University of Birmingham, angestellt worden war. Hier, an einer zuvor nicht sonderlich bekann- ten Universität in den englischen West Midlands, nahm die Erfolgsge- schichte der Cultural Studies ihren Anfang. Nach einigen Jahren über- nahm Hall die Leitung des Instituts, das schnell an Renommee gewann und schon bald als Inbegriff einer machtkritischen Analyse kultureller Praktiken galt (vgl. Lindner 2000; Marchart 2008). Nun ist diese gän- gige Darstellung gleichzeitig eine hervorragende Illustration für die Re- levanz des Titels der vorliegenden Publikation: das CCCS war nämlich lange Zeit »extra-mural« angesiedelt und keineswegs ein Lieblingspro- jekt der Universität. Erst mit dem internationalen Erfolg, der Anerken- nung eines breiten Kulturbegriffs, der sich vom tradierten Verständnis der »Höhenkammkultur« verabschiedete – »the best that has been said and thought in this world« (Matthew Arnold) –, integrierte man das Centre gerne in die Universität. In Urbana-Champaign sah sich Hall daher mit der Erwartung kon- frontiert, nun einen ›authentischen‹ Einblick in die Anfänge der Cultural Studies zu geben und diesen – als einer der sogenannten Gründerväter – gleichsam auch zu beglaubigen. Er hatte bei der Konferenz, die im Früh- jahr 1990 stattfand und auf sehr große Resonanz stieß, die Gelegenheit, die unterschiedlichen, durchaus voneinander abweichenden Geschichten über die Entstehungsphase zu korrigieren und – ausgestattet mit der Au- torität des Zeitzeugen – ein verbindliches Narrativ zu etablieren. 7 https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. MARKUS RIEGER-LADICH / ANNE ROHSTOCK / KARIN AMOS So vertraut diese Situation innerhalb des wissenschaftlichen Feldes ist und so verlockend sie lange Zeit für eine Generation meist (männlicher) Diskursbegründer und Gatekeeper war: Hall verweigerte sich den Ansprü- chen der scientific community seinerzeit erfolgreich. Stattdessen unter- nahm er den Versuch, sich den diskursiven Zwängen zu entziehen und eine andere Erzählung zu lancieren. So stellte er gleich zu Beginn seines Vor- trags klar, dass er, um das Thema der Konferenz zu bedienen, zwar durch- aus in die Vergangenheit zurückblicken wolle, aber dies ohne sich dabei auf die »Autorität des Ursprungs« zu berufen, möglichst frei von einem pat- riarchalen Gestus und den »Lasten der Repräsentation« (Hall 2000: 34). Hall lenkte zunächst das Augenmerk auf den eigentümlich hybriden Charakter jener Forschungspraktiken, die unter dem Begriff Cultural Stu- dies subsummiert werden, und wies im Anschluss darauf hin, dass es sich hier um einen Zusammenschluss von Forscherinnen und Forschern sowie Aktivistinnen und Aktivisten handele, der »keinen simplen Ursprung« (Hall 2000: 37) kenne: Vielmehr sehe man sich hier einer »diskursiven Formation« (Foucault) gegenüber, die sich aus einer Vielzahl von Vorläu- fern ganz unterschiedlicher Art zusammensetze. Diese selbstkritische Po- sitionierung, die stets darum bemüht ist, die exkludierenden Effekte der eigenen Erzählung zu bedenken (und diese zum Gegenstand zu machen), ist auch für Halls weitere Ausführungen charakteristisch. Besonders deut- lich wird dies in jenen Passagen, in denen er auf die allmählich einset- zende Institutionalisierung der Cultural Studies zu sprechen kommt. So wendet er sich – nach erhellenden Kommentaren zu Karl Marx, Antonio Gramsci und Louis Althusser – zwei Etappen innerhalb der Theoriebil- dung zu, die augenscheinlich von besonderer Bedeutung waren und die er »Unterbrechungen« (interruptions) nennt (Hall 2000: 42). Vielleicht noch wichtiger als die systematische Erforschung der unterschiedlichen Spielarten des Rassismus als erste Unterbrechung gängiger Erzählungen war dabei die zweite Unterbrechung: die intensive Auseinandersetzung mit dem Feminismus. Obwohl diese von den machtkritisch geschulten, weit überwiegend männlichen Vertretern der Cultural Studies zunächst durchweg begrüßt wurde, schien doch schon bald die Bereitschaft zur Selbstkritik erschöpft. Im Rückblick beschreibt Hall diese Phase, die er- kennbar von heftigen Auseinandersetzungen und persönlichen Kränkun- gen, aber eben auch intensiven Lernprozessen geprägt war, wie folgt: »Wir öffneten die Tür für feministische Studien, schließlich waren wir gute, neue Männer. Aber als der Feminismus durch das Fenster einbrach, leistete die voll institutionalisierte patriarchale Macht, die sich bis da- hin so erfolgreich verleugnet hatte, unvermutet Widerstand. Der Wider- stand drang in allen Formen an die Oberfläche. Hier gibt es keine Leiter, pflegten wir zu sagen: wir alle, graduierte Studierende und Mitarbeiter- Innen, arbeiten zusammen und lernen gemeinsam Cultural Studies zu 8 https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. EINLEITUNG praktizieren. Ihr könnt entscheiden, was immer ihr wollt, usw. Aber als es dann um die Literaturliste ging...« (Hall 2000: 44). Diese enge Verknüpfung von Wissen und Macht, von Wissenschaft und Disziplin, die Hall im Rückgriff auf Überlegungen Michel Foucaults und Edward Saids reflektiert, ist nun durchaus kein Alleinstellungsmerkmal der Cultural Studies. Sie ist nach unserer Überzeugung charakteristisch für jene sozialen Praktiken, über die sich das wissenschaftliche Feld kon- stituiert (vgl. Rieger-Ladich 2017). Typisch für die meisten Vertreterin- nen und Vertreter der Cultural Studies ist nun, dass sie diese Dimensi- on nicht bagatellisieren oder tabuisieren, sondern sie ausdrücklich zum Gegenstand ihrer Forschung machen. Sie wenden sich dem Verdrängten zu, bemühen sich darum, die eigenen Verstrickungen in Dominanzkultu- ren aufzudecken und die machtförmigen Effekte der Institutionalisierung der eigenen Forschungspraxis kritisch zu reflektieren (vgl. Freud 1914). Damit teilen die Cultural Studies das Anliegen von Vertreterinnen und Vertretern der Kritischen Theorie und des Poststrukturalismus, der Gen- der Studies oder etwa der Postcolonial Studies. Sie weisen aber zugleich auch Überschneidungspunkte zu einer im Sinne der historischen Episte- mologie verfassten (kritischen) Wissens- und Disziplingeschichte auf, wie wir sie in diesem Band anlegen. Diese Perspektive ist sich mit Stuart Hall vor allem über die Notwendigkeit einig, erinnern nicht als in ideenge- schichtlicher Textexegese befangene Hagiographie zu betreiben (Hagner 2001), die Gegenstände der Disziplin nicht und schon gar nicht als zwei- felsfrei identifizierbare ›Objekte‹ vorauszusetzen und auch nicht einer ex post facto etablierten, linearen und teleologischen Fortschrittsgeschichte das Wort zu reden. Sie versucht im Gegenteil Vergessene und Vergessenes, Ab- und Umbrüche, Neben- und Abwege, ja die umkämpfte Hervorbrin- gung erziehungswissenschaftlichen Wissens, das gleichsam im Prozess des Entstehens immer auch schon wieder umgeschrieben wird, allererst sicht- bar zu machen. Eine nach den Maßstäben historischer Epist emologie ver- fahrende Wissens- und Disziplingeschichte beteiligt sich daher in dem Maße selbst an emergenten Praktiken des Erinnerns, Umschreibens und Vergessens, wie sie diese Praktiken zum historiographischen Gegenstand ihrer (selbstreflexiven) Untersuchung macht. Wie Edgar Forster und Tanja Obex unlängst herausgestellt haben, ist dieses Anliegen trotz der Institutionalisierung der Wissenschaftsge- schichte in der Erziehungswissenschaft bislang nur von wenigen Arbei- ten eingelöst worden (Forster/Obex 2017). Lediglich eine geringe An- zahl erziehungswissenschaftlicher Studien habe in Anlehnung an die Erkenntnisse der »Gründerväter« der historischen Epistemologie Michel Foucault (Foucault 1981), Ludwik Fleck (Fleck 1980), Gaston Bachel- ard (1980/1940) und Georges Canguilhem (1979) auf den »Produkti- onsprozess« erziehungswissenschaftlichen Wissens als soziale Praxis mit 9 https://doi.org/10.5771/9783748901662 Generiert durch Universität Leipzig, am 11.09.2021, 13:19:23. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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