ERFINDUNG UND ERFINDER VON A. DU BOIS-REYMOND BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER I906 ISBN-13: 978-3-642-93953-2 e-ISBN-13: 978-3-642-94353-9 DOl: 10.1007/978-3-642-94353-9 AIle Rechte, insbesondere die 'Obersetzung iIi. fremde Sprachen, vorbehalten. Softcover reprint of the hardcover 1st edition 1906 Vorwort. DaB diese Arbeit auBer vielleicht der zusammenhangen den Darstellung einiger bisher wenig beachteter Erscheinungen den Fachgenossen wesentlich Neues bieten kann, dad nicht erwartet werden. Aber die uns Technikern durch ihre Be schaftigung mit dem Erfinderrecht nahestehenden Juristen werden darin einige Auffassungen vertreten finden, in denen ich von dem abweiche, was sie bisher vorgetragen haben. Wenn ihre Analysen des Erfindungsbegriffs noch nicht be friedigt haben, so trifft die Schuld sicher weit weniger sie selbst, als vielmehr die Techniker. Denn die Juristen haben stets ihr Bestes gegeben, aber da ihre Erkenntnisquellen im wesentlichen auf H6rensagen und die Forderungen der Rechts praxis beschrankt bleiben muBten, so ist ihre Arbeit not wendig ein logisches Gerippe geblieben und sie selbst haben es ja an Aufforderungen an die Techniker nicht fehlen lassen, nunmehr aus ihrer Welt der Werkstatten, der Hiitten und Gruben das Leben hineinzutragen. Die wenigen Techniker, die dieser Einladung gefolgt sind, haben indessen kaum etwas Neues gebracht, wohl hauptsachlich deshalb, wei! sie geglaubt haben, auf demselben Wege weiterzukommen, den jene schon gebahnt hatten, anstatt die Frage aus ihrer eigenen Stellung heraus anzugreifen. So schien mir der Versuch nicht aus sichtslos, einmal die doch in Wirklichkeit nur sekundare Frage der Patentfahigkeit aus der Betrachtung des Erfindungs begriffs vollstandig auszuscheiden, und dasjenige systematisch zusammenzustellen, was wir unmittelbar aus dem Leben lernen k6nnen. IV Vorwort. Wenn ich als Einleitung einen kurzen Bericht iiber die Resultate der bisherigen Untersuchungen gegeben und meine Auffassungen dazu in einen gewissen Gegensatz gestellt habe, so haben mich dabei zwei Beweggriinde geleitet. Einmal diirften die Dinge, die sich iiber Erfindung und Erfinder sagen lassen, auch fUr weitere Kreise von Interesse sein als diejenigen, die sich berufsmaBig damit zu beschaftigen haben, und fiir so1che Leser schien es wiinschenswert, daB sie in die Bedeutung und den Stand der Frage eingefiihrt wiirden. Zweitens war ich mir bewuBt, daB ich mit der Zergliederung des natiirlich Praexistierenden in der Erfindung neuen Boden betreten miisse und ich empfand daher das rhetorische Be diirfnis, diese nach meiner Ansicht bisher nicht geniigend beachtete Seite der Frage etwas starker zu betonen, als sonst vielleicht gerechtfertigt ware. Sollte also hier und da in der Darstellungsform ein An Rug von Polemik empfunden werden, so wollen mir das die J uristen zugute halten und meine Versicherung gelten lassen, daB ich dasjenige, was sich an meinen Ausfiihrungen als brauchbar erweisen sollte, als einen Baustein meine, den ich ihnen zum EinfUgen in das von ihnen bereits aufgefiihrte stattliche Gebaude darbringe, nicht als ein GeschoB, mit dem ich es zerstoren mochte. Potsdam, im Juni 1906. Der Verfasser. Inhaltsiibersicht. Seite I. Kapitel. Was ist Erfinduog? . . . Die praktische Bedeutung der Frage . . . . . . . . . . . . Genesis des Patentrechts. - Handelsmonopol und Erfindungs patent. - Das Patent ein Vertrag. - Manufacture und Invention. - Useful Manufacture . . . . . . . . . .• 4 Das franzosische Gesetz von 1844. - Publicite suffisante.. 14 Das deutsche Gesetz. - Drei Bedingungen der Patentfii.hi.gkeit. - Logische Analyse des Anmeldungsgegenstandes. - Strenge und Milde im Erteilungsverfahren . . . • . " 20 Die Enqu8te-Kommission. - Erfindung und Neuheit. - Er :linden und Erfundenes. • . . . . . . . . . . . . . .. 33 Die Tautologie im Gesetz. - Objektive und subjektive Neu- heit. - Andere Unterarten der Neuheit. - Erfindung ohne Neuheit . . . . 41 Robinsons Theorie ................... " 44 II. Kapitel. Das Inveotat . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 48 Darlegung der Untersuchungsmethode. - Einteilung des Er :lindungsbegriffs. - Resultat und Objekt des Erfindens. 48 Unabhangigkeit des Inventats von der Zeit. - Unterscheidung zwischen Inventat und wissenschaftlicher Erkenntnis. - Fehlen einer Beziehung zwischen natiirlichen Moglichkeiten und menschlichen Postulaten. - Rolle der Entdeckung im Er:lindungsbegriff ................... 53 Erfindung keine Schopfung. - Unvollkommenheit technischer Losungen. - Unlosbare Probleme. - Moglichkeitsgrenzen in der Schopfung . . . . . . . . . . . . 65 Rangordnung der Deckungen. - Liicken in der Moglich keitenreihe ...............••..•.. 76 Ortlich und zeitlich beschrlinkte Moglichkeiten. - Konstante Bediirfnisse.-Ortlich und zeitlich beschrlinkte Bediirfnisse 79 Entwickelung der Bediirfnisse. - Entwickelung der technischen' Moglichkeiten . • . . . . . . . . . . . . . . . . . " 85 Beschrlinkung in der Wahl der Mittel. - Wirtschaftliche Mog- lichkei t . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . .. 95 VI Inhaltsiibersicht. Seite III. Kapitel. Die Invention . . . . . . . . . . . . . . . . " 98 Mechanik des Erfindens. - Helmholtz und Eyth iiber Erfin- den. - Geistesblitz und Experimentieren in der Vor- stellung ...................... , 98 Unfreiheit der erfinderischen Phantasie. - Erfinden und Reimen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104 Zeichnen, Rechnen und Experiment. - Rangordnung der Schwierigkeiten. - Das Experiment des Erfinders und des Forschers. - Schonheit in der technischen Konstruktion. - Qualitative und quantitative Seiten des Problems.. 105 Das Leben der Erfindung. - Vererbung und Variation. - Artenbildung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . " 118 Stammbaume. - Inzucht und Kreuzungen. - Stammbaum des Hammers . . . . . . . . . . . . . . . . . . " 123 Entwickelungsfeindliche Triebe. - Erhaltung der Formen. - Korperhaltung und Werkzeug . . . . . . 131 Konvergenz und Divergenz der Losungstypen ...... 135 Fortschreiten von niederen zu hoheren Formen . . . . .. 140 Das Sterben der Erfindung. - Umgehung der Aufgabe. - Versagen des Konnens. - Versagen der Mittel 141 IV. Kapitel. Erfinder. . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Landlaufige Erfindertypen. - Der Phantast. - Der Zauberer von Menloe Park. - Die Erfinderzunft . . . . . . .. 151 Beweggriinde zum Erfinden nach Eyth. - Erweckung von Erfindern. - Erfinder erster und zweiter Klasse . .. I 55 Erfindererweckende Kraft. - Bediirfnisse in statu nascendi. - Abhangigkeit der erfindererweckenden Kraft der Be diirfnisse von ihrem Alter. - Hoffnung auf Gewinn. - Erfinder dritter Klasse. - Technische Verliebtheit .. 164 Relative Bewertung von Beobachtungsgabe und Ideenreich- tum. - Dberproduktion an Ideen . . . . . . . . .. 181 Forscher und Erfinder. - Geschaftliche Begabung. - Berufs- erfinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 189 Erfinderische Produktivitat. - Entfernung der Nachbarn. - Einflu13 der Gesetzgebung. - Frauen als Erfinder. - Bodenbeschaffenheit und Klima. - Soziale Zustande. - Mittel zur Hebung der Produktivitat. . . . . . . .. 196 Direkte Zahlung hervorragender Erfinder verschiedener Zeiten und Nationen. - Wandern der Meisterschaft. - Rang ordnung der VOlker in der Gegenwart. - Deutschland und die Vereinigten Staaten . 215 V. Kapitel. Wirkungen der Erfindung 223 Mittel zur Aufnahme des Fortpflanzungsdrucks. - Krieg, Handel, Industrie, Erfindung. . . . . . . . . . . " 223 Wirkung der Verbesserung der Transportmittel. - Streit urn die Markte. - Sattigung der Markte . . . . . . . .• 230 Inhalts iib ersicht . VII Seite Hegemonie des Handels, der Industrie, der Erfindung . .. 236 Stabilitat der Hegemonie der Erfindung. - Entartung oder Verjiingung der Rasse. - Technischer Fortschritt und biologische Entwickelung ....... . . . . . . .. 241 'Wirkung der Erfindung auf die Bev61kerungsbilanz. - Labour saving devices. - EinfluB der PreisermaBigung auf den Verbrauch. - EinfluB der Erfindungen auf die Lebens haltung. - Verbrauchserh6hung durch Verdrangung un vollkommenerer Erfindungen durch vollkommenere. - Verbrauchserh6hung durch Einfiihrung von Konkurrenz erfindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 246 Wirkungen auf die wirtschaftlichen Zustande. - Speziali sierung der Maschinen. - Despezialisierung der Arbeiter. - Despezialisierung des Handels. . . . . . . . . . .. 256 Uniformierung der Produktion. - Internationale Patentgesetz gebung. - Ausrottung der Barbaren, der Tiere und der Walder . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Anhang. Randbemerkungen und Quellennachweis 268 Erstes Kapitel. Was ist Erfindung? Words, words, words! Hamlet. Als James Watt seine Erfinderlaufbahn begann, fand er in der Dampfmaschine ein Werkzeug vor, das noch ausschlieB lich dazu diente, die Bergwerke trocken zu pumpen, und das so unvollkommen arbeitete, daB der Mehrertrag an Kohlen, den man mit seiner Hilfe fardern konnte, zum groBen Teil von der Kesselfeuerung verschlungen wurde. Er begann mit der Verbesserung des Bestehenden und machte in verhaltnis maBig kurzer Zeit so gewaltige Fortschritte, daB sich sehr bald die Frage einstellte, ob man nicht die neue Arbeitsquelle auch in anderen Betrieben mit Nutzen verwenden kannte. Am dringendsten bedurften die Muller der Hilfe, denn man ar beitete damals in England nur mit Wassermuhlen, und wenn die Flusse gefroren waren, muBten die Muller feiern. Die Ver bindung des Dampfzylinders mit der Pumpe hatte sich sehr einfach und naturlich ergeben, denn der eine lieferte und die andere forderte eine hin und her gehende Bewegung. Die Muhle aber wollte gedreht sein, und es galt also, zwischen den Dampfzylinder und den Muhlstein einen Mechanismus ein zuschalten, der die hin- und hergehende Bewegung, die der Dampfzylinder erzeugte, in die Drehbewegung des Muhl steins zu ubersetzen vermachte. Fur uns Nachgeborene, die wir bestandig an Lokomotiven, an F ahrradern, an Nahmaschinen und vielen anderen Vorrichtungen, die zu unserem taglichen Leben gehOren, das Kurbelgetriebe diese Aufgabe 1asen sehen, ist es schwer, sich in eine Zeit zu versetzen, in der diese Lasung nicht als eine selbstverstandliche von vornherein mit gedacht wurde, wenn man uberhaupt Dampfzylinder und Maschinen- A. du Bois-Reymond, Erfindung. 1 2 Was ist Eriindung? welle dachte. Dnd in der Tat ebenso selbstverstandlich er schien die Anwendung dieses seit dem fruhesten Mittelalter, vielleicht schon seit dem Altertum bekannten Getriebes dem maschinentechnisch geschulten Geiste Watts. Ais er aber an die AusfUhrung der Losung gehen wollte, stieB er an ein un erwartetes Hindernis. Ein findiger Spekulant hatte sich die Kombination Dampfzylinder plus Kurbelgetriebe patentieren lassen in der Hoffnung, entweder selbst den Dampfmaschinen bau fur andere als Wasserhaltungszwecke zu monopolisieren oder aber zum mindesten von Watt eine Lizenzgebuhr zu er pressen. Watt soIl dazu geauBert haben, die Anwendung des Kurbelgetriebes sei ebensowenig eine Erfindung, wie wenn einer ein Brotmesser nahme, urn Kase zu schneiden, aber seine Geschaftspolitik entsprach nicht dieser Auffassung von der Sache. Hatte er seine Ansicht zur Geltung bringen wollen, so hatte er auf dem Wege eines Prozesses die Rechtsbestandig keit des Patents anfechten und dem Richter beweisen mussen, daB es fur einen Gegenstand erteilt sei, der moglicherweise neu sei, jedenfalls aber keine Erfindung, und daB es daher nichtig sei. Ais echtem Ingenieur erschien es ihm aber sehr vielleichter, sich in der Werkstatt mit Stahl und Eisen, Dampf und Feuer herumzuschlagen, als vor Gericht mit einem spitz findigen Gegner. Er erfand einen anderen Mechanismus, der yom theoretisch mechanischen Standpunkte im wesentlichen dasselbe ist wie das Kurbelgetriebe und daher auch ungefahr dasselbe leistet, der aber in der praktischen AusfUhrung so erheblich davon abweicht, daB eine Patentverletzung wohl noch schwerer zu beweisen gewesen ware, als die Nichtigkeit jenes Patents. Dnd so finden wir denn aIle seine Maschinen aus jener Zeit an Stelle der heute allgemein gebrauchlichen Kurbel mit dem merkwurdigen Planetenraderwerk ausgestattet, dessen Anwendung fUr die Losung dieser Aufgabe jedem, der die Geschichte seiner Entstehung nicht kennt, ein Lacheln des Erstaunens uber die wunderlichen Dmwege des Erfinder geistes abnotigt. Das Merkwurdigste aber an diesem Vorgange ist, daB seit- Mit dem Brotmesser Kiise schneiden, Anhang (r).