Jiirgen Fleig· Robert Schneider Erfahrung und Technik in der Produktion Mit 60 Abbildungen Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo Hong Kong Barcelona Budapest Jlirgen Fleig Robert Schneider Fraunhofer-Institut fUr Systemtechnik und Innovationsforschung Breslauer StraBe 48 76139 Karlsruhe ISBN -13: 978-3-642-79611-1 e-ISBN -13: 978-3-642-79610-4 DOl: 10.1007/ 978-3-642-79610-4 Cip-Eintrag beantragt Dieses Werk ist urheberrechtlich geschUtzt. Die dadurch begrUndeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder Vervielfllltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervie1fl1ltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland yom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zullissig. Sie ist grundslUzlich vergutungspflichtig. Zuwiderhand lungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1995 Softcover reprint of the hardcover 1st edition t 995 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die sem Buch berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nichtzu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wllren und daher vonjedermann benutzt werden dUrften. Sollte in diesem Werk direkt oder indirekt aufGesetze, Vorschriften oder Richtlinien (z.B. DIN, VOl, VDE) Bezug genommen oder aus ihnen zitiert worden sein, so kann der Verlag keine Gewllhr fur die Richtigkeit, Vollstandigkeit oder Aktualitat Ubemehmen. Es empfiehlt sich, fur die eigenen Arbeiten die vollstandigen Vorschriften oder Richtlinien in der jeweils gUltigen Fassung hinzuzuziehen. Satz: Reproduktionsfertige Vorlage der Herausgeber SPIN: 10493289 62/3020 -5 4 3 2 1 0 - Gedruckt auf saurefreiem Papier Vorwort Die Produktionstechnik ist nur eine der wichtigen Komponenten eines Produkti onssystems. Deshalb erfordert ihre Gestaltung immer den Blick auf die Zusam menhlinge des Technikeinsatzes mit anderen Komponenten wie Produkt, Beleg schaft, Organisation. Das Konzept der rechnerintegrierten Produktion wird viel fach immer noch als rein technisches Konzept zur Produktionsintegration ausge staltet, wobei tibersehen wird, daB nach wie vor der arbeitende Mensch die wich tigen und wesentlichen Leistungen der Informationsgewinnung und -verarbeitung erbringt und mit seinen Fabigkeiten zur Kommunikation und zur Herstellung von Sinnzusammenhlingen die letztlich nicht zu ersetzende integrierende "Komponen te" des Produktionssystems ist. Seine Fabigkeit zur heuristischen Zielbestimmung dient der Strukturierung komplexer Situationen und ist durch die derzeit verftigba re Technik nicht annabemd nachbildbar. Das "intuitiv optimale Handeln" von "er fahrenen" Fachkraften in zeitkritischen Situationen ist ebenfalls ein bekanntes Phlinomen, das auf spezifische und durch Technik nicht ersetzbare informatori sche Fabigkeiten des arbeitenden Menschen hinweist. Das Thema der Nutzung solcher menschlicher Fabigkeiten in einer zunehmend durch neue Techniken ge pragten Produktion wurde im Ausbau der rechnerintegrierten Produktion bisher zu wenig beachtet. Deshalb wird ein Konzept beniitigt, das zusammen mit neuer Produktionsteehnik aueh die Mogliehkeiten des Mensehen nutzt und ihm damit zugleieh aueh Chaneen einriiumt. Ein solehes Konzept zur eomputergestiitzten eifahrungsgeleiteten Arbeit wird hier vorgestellt. Es wird gezeigt, daB die Nutzung von Erfahrung durch gezielte Produktionsgestal tung von den unmittelbar wertschOpfend Beschaftigten ausgehend zu optimieren ist. Da die vorhandenen betrieblichen Strukturen eher eine Optimierung von "oben nach unten" nahelegen, sind rationale und empirisch fundierte Argumente rur diese Forderung zu erbringen, die letztlich ein Pladoyer rur die Erhaltung qualifi zierter Facharbeit in ktinftigen Produktionssystemen darstellt. Das Buch solI hier Wege aufzeigen und nachvollziehbare Argumentationen aufbauen. Indem es die Notwendigkeit der Erfahrungsnutzung belegt und aus der Art und Weise, wie Er fahrung in der Praxis entsteht und genutzt wird, konkrete Gestaltungshinweise lie- Vi vorwort fert, kann es wichtige Anregungen zur Technikgestaltung und zur Vedinderung der Organisation von Produktionsprozessen beitragen. Dabei handelt es sich nicht urn ein weiteres - haufig kurzlebiges - Konzept iiber das Funktionieren von be trieblichen AbHiufen, sondern urn die Einbeziehung des lange vemachHissigten Phlinomens der Arbeitserfahrung. Das Konzept der erfahrungsgeleiteten Arbeit in der rechnerintegrierten Produktion stellt deshalb keine Alternative zu Konzepten wie elM oder Gruppenarbeit dar. Es ist vielmehr eine wichtige Erglinzung der Gestaltungsziele und -parameter in einer modernen Produktion, die zu einem ho hen Grad sowohl Technik als auch menschliche Qualifikationen und Fiihigkeiten nutzt. Die Nutzung von Erfahrung als Produktionsfaktor stellt dabei gleichzeitig ein Element humaner Arbeit dar. Das Buch richtet sich mit dieser Zielsetzung an alle, die sich fUr Produktionsinnovation interessieren und verantwortlich fiihlen: • Management und betriebliche Interessenvertretungen, • DV- und Organisationsverantwortliche in den Betrieben, • Beschaftigte in Konstruktion, Arbeitsplanung und direkter Produktion, • Mitarbeiter bemtender Verblinde und wirtschaftsnaher Institutionen, • Verantwortliche in der Berufsbildung, • in Innovationsvorhaben eingebundene "Betroffene" und nicht zuletzt • Entwickler neuer Produktionstechniken. In diesem Buch finden sich konkrete und empirisch fundierte Gestaltungsanregun gen fUr eine zugleich effiziente und humane Produktion, die sowohl qualifizierte Arbeit wie auch die Nutzung modemster Technik als fUr die Zukunft wichtige Ressourcen favorisiert. Einige Gestaltungsanforderungen, die in diesem Buch formuliert werden, deuteten sich in der Vergangenheit bereits an; sie erhalten je doch neue Begriindungszusammenhlinge und damit gegebenenfalls mehr Gewicht als bisher. Mit anderen Forderungen wird Neuland betreten. Teilweise werden bisher glingige Gestaltungsziele auch kritisch beleuchtet; sie sind eventuell kiinftig differenzierter zu stellen. Die Ergebnisse zu den einzelnen Kapiteln entstanden aus der engen Zusammenar beit folgender Institute (Universitat Stuttgart (IAT): Abschnitt 1 Universitat Hamburg und FhG-ISI, Abschnitt 2 GhK-IfA, GITTA, FhG-IPK und FhG-ISI, Abschnitt 3 FhG-IPK, Universitat Stuttgart (lAT) und FhG-ISI sowie Abschnitt 4 GhK-IfA, GITTA und FhG-ISI. Die Veroffentlichung des bier vorgelegten Buchs erfolgt im Rahmen des yom Projekttrager "Arbeit und Technik" aus Mitteln des Bundesministeriums fUr Forschung und Technologie (BMFT) gefOrderten For schungsvorhabens "Eifahrungswissen im CIM-Umfeld: Grundlegende Untersu chungen zur Sicherung und Forderung von Eifahrungswissen in der betrieblichen Praxis". Forderkennzeichen: 01 HH 060 Karlsruhe, im Friihjahr 1995 Die Projektmitarbeiter Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................................ v Projektmitarbeiter .............................................................................................. IX 1 Erfahrungsgeleitete Arbeit in der rechnerintegrierten Produktion - Widerspruch oder Moglichkeiten? ................................... 1 1.1 Entwicklungslinien rechnerintegrierter Produktion .................................... 1 1.2 Das Konzept der erfahrungsgeleiteten Arbeit ............................................. 6 1.3 UiBt sich erfahrungsgeleitete Arbeit erfolgreich in der rechnerintegrierten Produktion veIWirklichen? ......................................... 19 1.4 Praxisbezug und Aufbau des Buches ........................................................ 21 2 Anforderungen aus der Praxis zur Gestaltung erfahrungsgeleiteter Arbeit in der rechnerintegrierten Produktion ............................................................................................... 27 2.1 Organisatorische Gestaltungsdimensionen ............................................... 28 2.1.1 Aufgaben- und Arbeitsteilung ................................................................... 28 2.1.2 Kommunikation und Kooperation ............................................................ 36 2.1.3 Zustandigkeit und Verantwortung ............................................................ 44 2.1.4 RauIUliche Aspekte ................................................................................... 50 2.1.5 Personelle Zuordnung von Arbeitsmitteln ................................................ 57 2.2 Technische Gestaltungsdimensionen ........................................................ 63 2.2.1 Arbeitsteilung Mensch - Maschine (Automatisierung) ............................ 63 2.2.2 DV-Funktionalitliten ................................................................................. 69 2.2.3 Benutzungsoberflache ............................................................................... 76 2.2.4 Datenhaltung und Datenzugriff.. ............................................................... 81 2.3 ProzeB zur Realisierung erfahrungsgeleiteter Arbeit als Gestaltungsdimensi on ................................................................... :. .......... 87 2.4 Zusammenfassung der Moglichkeiten erfahrungsgeleiteter Arbeit an Werkzeugmaschinen unter verschiedenen betrieblichen Rahmenbedingungen ................................................................................. 90 VIII Inhaltsverzeichnis 3 Erfahrungsunterstiitzende Produktionskonzepte .............................. 10 1 3.1 CeAFIS-Konzept als Basis-Konzept erfahrungsgeleiteter Arbeit an Werkzeugmaschinen .......................................................................... 10 2 3.1.1 Auftragsdisposition im CeAFIS-Konzept.. ............................................. 106 3.1.2 Arbeitsplanung (Bearbeitungsplanung, NC-Programmierung, Einrichten, Qualitatssicherung, Wartung) im CeAFIS-Konzept... .......... 115 3.2 CeAFIS-Konzept und die gesamtbetriebliche Auftragsdisposition ........ 128 3.2.1 Organisatorische und technische Vernetzung unterschiedlicher Ebenen der Auftragsplanung (vertikale Integration) ............................... 128 3.2.2 Organisatorische und technische Vernetzung zwischen verschiedenen Fertigungsbereichen (horizontale Integration) ................ 136 3.3 CeAFIS-Konzept und die ProzeBkette Produktdefinition- Teilebearbeitung (Anbindung an CAD/CAP/CAQ) ............................... 140 3.3.1 Wiederholteilfertigung, BauteiHinderungen: flexible Produktion ........... 140 3.3.2 Prototypenfertigung, Nullserien: Produktentwicklung ........................... 148 4 Praxisbeispiele zur Realisierung erfahrungsgeleiteter Arbeit in der rechnerintegrierten Produktion ................................................ 151 4.1 Spanende Fertigung (DrehenIFriisen) eines R6ntgengerliteherstellers ......................................................................... 152 4.1.1 Ausgangssituation und Problemanalyse .................................................. 152 4.1.2 Realisierung erfahrungsgeleiteter Arbeit ................................................ 159 4.1.3 Ergebnisse (Bewertung) .......................................................................... 167 4.2 Mechanische Fertigung (DrehenIFrlisen) eines Werkzeugmaschinenherstellers ............................................................... 172 4.2.1 Ausgangssituation und Problemanalyse .................................................. 172 4.2.2 Realisierung erfahrungsgeleiteter Arbeit ................................................ 178 4.2.3 Ergebnisse (Bewertung) .......................................................................... 183 4.3 Fertigungszentrum (Blechbearbeitung: TrennenIBiegen) eines Herstellers von Btiromaschinen und Medizintechnischen Gerliten ......... 188 4.3.1 Ausgangssituation und Problemanalyse .................................................. 188 4.3.2 Realisierung erfahrungsgeleiteter Arbeit ................................................ 193 4.3.3 Ergebnisse (Bewertung) .......................................................................... 197 5 Zusammenfassung und Ausblick ......................................................... 203 5.1 Wesentliche Erkenntnisse zum Konzept erfahrungs geleiteter Arbeit ...................................................................................................... 204 5.2 Erfahrungsgeleitete Arbeit und andere Konzepte neuer Produktions- und Organisationsformen .................................................. 208 5.3 Eine "Vision" der Fabrik der Zukunft ..................................................... 212 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 217 Sachverzeichnis ................................................................................................. 223 Projektmitarbeiter Projektkoordination Dipl.-Psych., Ing. (grad.) Robert Schneider, FhG-ISI Beteiligte Institute und Gesellschaften Fraunhofer-Institut fUr Systemtechnik und Innovationsforschung, FhG-lSI Karlsruhe Projektleitung Dipl.-Psych., Ing. (grad.) Robert Schneider Projektmitarbeiter Dipl.-Wirt.-Ing. Jtirgen Fleig Dr. Matthias Klimmer Dr. Gunter Lay Dipl.-Verw.-Wiss. Jutta Maier* Prof. Dr. Franz Pleschak Dipl.-Sow. Jtirgen Wen gel Fraunhofer-Institut fur Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik - Bereich Planungstechnik, FhG-IPKlPLT Berlin Projektleitung Dr.-Ing. Kai Mertins Projektmitarbeiter Dipl.-Ing. Martin Carbon Dipl.-Sow. Peter Reisig Fraunhofer-Institut fur Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik - Bereich Konstruktionstechnik, FhG-IPKIK Berlin Projektleitung Prof. Dr.-Ing. Frank-Lothar Krause Projektmitarbeiter Prof. Dr.-Ing. Rans-Jtirgen Germer* X Projektmitarbeiter Universitiit Gesamthochschule Kassel: Institut fUr Arbeitswissenschaft, GhK-IfA Kassel Projektleitung Prof. Dr.-Ing. Hans Martin Projektmitarbeiter Dr. Rainer Lehmann* Dipl.-Ing. Friedrich-Wilhelm Mengedoht Dr. Gerd Schrick* GeselIschaft fUr interdisziplinare Technikforschung, Technologieberatung und Arbeitsgestaitung mbH, GITTA Berlin Projektleitung Dipl.-Psych., Dipl.-Ing. Wolfgang Kotter Projektmitarbeiter Dipl.-Ing. JOrg Bahlow Dipl.-Ing. Hans Gohde Dr. Beate Kleinow Dipl.-Ing. Gerhard Kullmann Dipl.-Ing. Herbert Schmidt* Universitiit Stuttgart: Institut fUr Arbeitswissenschaft und Technologiemana gement, IA T Stuttgart Projektleitung Prof. Dr.-Ing. Peter Kern Projektmitarbeiter Dipl.-Ing. Michael Erzberger* Dipl.-Ing. Peter Rundel* Dipl.-Ing. Michael Thines* Universitiit Hamburg: Institut fUr Arbeits-, Betriebs- und Umweitpsycholo gie, Hamburg Projektleitung Prof. Dr. Harald Witt Projektmitarbeiter Dipl.-Psych. Ursula Carns Dipl.-Psych. Detlef Nogala* Dipl.-Psych. Hartmut Schulze * Mitarbeiter sind 1994 nicht mehr an der angegebenen Institution 1 Erfahrungsgeleitete Arbeit in der rechnerintegrierten Produktion - Widerspruch oder Moglichkeiten? Das vorliegende Buch beschiiftigt sich mit der Veranderung industrieller Produk tion am Beispiel der metallverarbeitenden Investitionsgtiterindustrie. In diesem Industriezweig wurde in den letzten Jahren die Anwendung der Computertechnik in allen Bereichen der Produktion vorangetrieben. Seit einiger Zeit stehen zudem organisatorische Innovationen hin zu "fraktalen" und "schlanken" Strukturen im Zentrum des Interesses. Zu beiden Entwicklungen kann die Nutzung des Erfah rungspotentials Anregungen zur Verkntipfung geben. Dieses Potential stellt eine wesentliche Ressource zur effizienten Beherrschung der Produktion und zur stan digen Anpassung an die Moglichkeiten und Erfordernisse des Marktes dar. Zu nachst werden die technikorientierten Entwicklungen hin zur rechnerintegrierten Produktion beschrieben und daran anschlieBend die Besonderheiten der Nutzung von Erfahrungen. Die Frage, ob und wie sich beide Sichtweisen verbinden lassen, leitet zu der Vorstellung der Praxis ergebnisse tiber. 1.1 Entwicklungslinien rechnerintegrierter Produktion Die Entwicklung und Anwendung rechnerintegrierter Produktion in der Bundesre publik Deutschland orientiert sich an den verschiedenen Konzepten des "Compu ter Integrated Manufacturing" (CIM). Eine verbreitete Definition starnmt yom AusschuB fur Wirtschaftliche Fertigung e.V. und stellt die Integration der wichti gen Teilaufgaben einer Produktion tiber die Vemetzung der in diesen Bereichen eingesetzten und genutzten computertechnischen Komponenten in den Vorder grund [AWF 1985:10]. Als Komponenten werden genannt • CAD (Computer Aided Design): Einsatz des Computers zur grafisch-interakti yen Untersttitzung der Entwicklungs-und Konstruktionsaufgaben. • CAP (Computer Aided Planning): Einsatz des Computers zur Untersttitzung der Arbeitsplanung; teilweise Bezeichnung auch ftir NC-Programmiersysteme.