ENTWICKLUNGSGESCHICHTE UND MORPHOLOGIE DER WIRBELLOSEN VON KARL HElDER SONDERDRUCK AUS DER KULTUR DER GEGENWART III. IV. BAND 2. II 1928 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH ISBN 978-3-663-15441-9 ISBN 978-3-663-16012-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-16012-0 VORWORT. Der vorliegende Aufsatz "Über Entwicklungsgeschichte und Morpho logie der Vlirbellosen" erschien 1913 in Teil III, Abt. IV, Bd. 2 des be kannten Sammelwerkes "Kultur der Gegenwart". Er wurde vielfach zu Unter richtszwecken herangezogen. Da die Anschaffung des genannten Bandes für Studierende nicht immer leicht durchführbar ist, so entstand der Gedanke, den Aufsatz in einem Sonderdruck weiteren Kreisen der Studentenschaft zugänglich zu machen. Meine Zeit erlaubt mir nicht, den ganzen Text dem heutigen Stande der Wissenschaft entsprechend durchzuarbeiten. Es mag vorläufig genügen, auf einige Punkte hinzuweisen: Zu Seite 2 3 1 : Die Trochosphaera aequatorialis Semper, welche lange Zeit als der Urtypus einer geschlechtsreifen Trochophora betrachtet wurde, wird in neuerer Zeit auch in anderer Weise zu deuten versucht. Zu Seite 257: Die Ansicht, daß die Tardigraden zu den Onychophoren Beziehungen haben, wird durch die neueren vielversprechenden Unter suchungen von E. Marcus gestützt. Zu Seite 299: Die im Jahre 1909 von Schepotieff genauer beschrie benen Larven von Cephalodiscus zeigen eine so auffallende Übereinstimmung ihres Baues mit den Larven der ectoprocten Bryozoen, daß an einer bis in alle Einzelheiten bestehenden Homologie der Teile in beiden Gruppen nicht zu zweifeln ist. F. Braem hat das Verdienst, diese Beziehungen zuerst klar erkannt zu haben. Vgl. den Aufsatz: Pterobranchier und Bryozoen. Von F. Braem, Zool. Anz., Bd. XXXVIII, Nr. 24, 1911. Zu Seite 317 D.: Zur Phylogenie der Echinodermen hat K. Grobben in einem neueren Aufsatze Vorstellungen entwickelt, welche sehr beachtens wert sind. Indem er von einer Cephalodiscus-ähnlichen Stammform mit jeder seits fünfLophophorarmen ausgeht, gelingt es ihm, für manche Erscheinungen der normalen sowie der abnormen Entwicklung der Echinodermen ein besseres Verständnis zu eröffnen, als dies bisher möglich war. Das häufige Auftreten eines gelegentlich erscheinenden rechten Hydrocoels mit fünf Ausstülpungen die denen des linken Hydrocoels gleichen, das Vorkommen von zwei See igelscheiben, einer linken und rechten, und ähnliches erfährt auf dieseWeise lV Vorwort eine ungezwungene Erklärung. V gl. K. Grob b en, Theoretische Erörterungen betreffend die phylogenetische Ableitung der Echinodermen. Sitzb. Ak. Wiss. Wien, Abt. I, 132.Bd., 9· u. 10. Heft, 1924. Zu Seite 330: Literatur wäre bei dem Abschnitt Vielbändige Hand bücher der Zoologie hinzuzufügen: Handbuch der Zoologie, begründet von W.Kükenthal, herausgegeben von Th. Krumbach. Berlin und Leipzig. W. De Gruyter & Co. ferner zu dem folgenden Abschnitte: Lehrbücher der Zoologie wären zwei vortreffliche Werke hinzuzufügen: STECHE, 0., Grundriß der Zoologie. Leipzig I 919. Eine sehr empfehlenswerte "Einführung in die Lehre vom Bau und von den Lebenserscheinungen der Tiere'' und KüHN, A., Grundriß der allgemeinen Zoologie. Leipzig 1922 (3. Au:fl. 1928). Eine ganz vorzügliche Zusammenfassung der Tatsachen der Morphologie und Physiologie der Tiere. Berlin, im Januar 1928. Karl Heider. INHALTSVERZEICHNIS. Seite Vorwort zum Sonderdruck ..... . III-IV I. Einleitung ........ . 176 A. Achsen- und Symmetrieverhältnisse 178 B. Antimeren und Metameren . . . . 182 C. Protozoen und Metazoen . . . . . . 184 D. Übersicht des zoologischen Systems . 185 li. Coelenterata. Pflanzentiere .... 186 A. Spongien oder Poriferen, Schwämme 186 B. Cnidarien, Nesseltiere . . . . . . . 193 C. Ctenophoren, Kammquallen oder Rippenquallen z04 Rückblick ......... . 207 III. Bilaterien im Allgemeinen 208 IV. Vermes, Würmer ..... 219 A. Scoleciden. Niedere Würmer 226 a) Platodes, Plattwürmer . . 227 b) Rotatoria, Rädertierchen . 231 c) Nematodes, Rundwürmer 233 B. Anneliden, Ringelwürmer . . 234 V. Arthropoden, Gliederfüßer 242 A. Reihe der Crustaceen oder Krebstiere 248 B. Reihe der Arachnomorpha oder spinnenähnlichen Tiere . 252 C. Reihe der Antennaten . . . . . . . . . 256 D. Die Entwicklung der Arthropoden im Ei 263 VI. Mollusca, Weichtiere ... 272 A. Gastropoda, Schnecken . . . . . . . . . 278 B. Lamellibranchiata, Klappmuscheln 281 C. Cephalopoda, Kopffüßler oder Tintenfische . 283 D. Zur Entwicklungsgeschichte der Mollusken . 285 VII. Tentaculata, Kranzfühler ...... . 289 VIII. Über Deuterostomia im Allgemeinen 293 IX. Enteropneusta, Schlundatmer 294 X. Echinoderma, Stachelhäuter . 299 A. Crinoidea, Haarsterne oder Seelilien . 307 B. Eleutherozoa . . . . . . . . . . 308 C. Entwicklung der Echinodermen . . 310 D. Zur Phylogenie der Echinodermen 317 XI. Tunicata, Manteltiere. 320 Literatur 330 Berichtig·ung: Seite 28o, Zeile 20 von oben: statt (pa) lies: (pa,). I. EINLEITUNG. Vor die Aufgabe gestellt, eine tierische Form wissenschaftlich zu beschrei ben, werden wir folgende Punkte zu beachten haben: Tektonik I. Die Achsen- oder Symmetrieverhältnisse oder das rein Pro der Tiere. morphologische, um mit Haeckel zu sprechen. Wir werden zu erörtern haben, ob das betreffende Wesen radiär oder bilateralsymmetrisch gebaut ist und welche Hauptrichtungen durch besondere Organbildungen im Körper gekenn zeichnet sind. Es wird sich hieran die Behandlung der Frage schließen, ob die Wiederholung gleichartiger Organe nur im Umkreise der Hauptachse, also nach Antimeren, oder auch in regelmäßiger Aufeinanderfolge nach der Länge der Hauptachse, das heißt nach Metameren, stattfindet. 2. Den Schichtenbau des Körpers. Im allgemeinen kann man aus sprechen, daß die Haut die äußere Körperschicht, die Darmwand die innerste Körperschicht der Tiere darstellt, zwischen welchen sich je nach Organisations höhe der betreffenden Form noch mannigfaltige Zwischenschichten einschieben. 3· Den Bau und die Anordnung der einzelnen Organe. Erst nach Feststellung der Achsenverhältnisse und des Schichtenbaues werden wir auf die mit ihrer Funktion so innig verknüpfte Gestalt der einzelnen Organe resp. Organsysteme einzugehen haben. Wir werden hierbei vor allem das rela tive Lageverhältnis der Organe zueinander im Auge behalten müssen. 4· Den histologischen Aufbau der Organe. Wir werden den einzel nen Geweben, der Zusammensetzung der Organe aus Zellen und dem spezifi schen Charakter der Zellen und der Zellprodukte unsere Aufmerksamkeit zu zuwenden haben. Auch in dieser Beziehung scheiden sich die großen Stämme des Tierreichs vielfach in ungemein charakteristischer Weise. Es sei daran er innert, daß Knorpel- und Knochengewebe fast ausschließlich im Kreise der Vertebraten zur Entwicklung kommt, daß nur bei diesen geschichtete Epithe lien zu finden sind, daß in jenen Gruppen, in denen stärkere Cuticularisierung der Körperoberflächen eintritt, die Fähigkeit Wimperepithelien zu entwickeln völlig abhanden kommt, wie bei den Nematoden und Arthropoden, daß Nessel zellen zu den charakteristischen Eigentümlichkeiten einer Gruppe der Coelente raten gehören, während den Spongien Kragenzellen zukommen und Ähnliches. Gleichsam als hätte die Natur uns selbst auf die im vorstehenden gekenn zeichnete Reihenfolge in der Erkenntnis des morphologischen Aufbaues der Tektonik der Tiere. Entwicklungsperioden 177 tierischen Form verweisen wollen, so ergibt sich in der Entwicklung der einzel· nen Lebensformen aus dem befruchteten Ei eine mit der vorstehenden Auf· ste11ung übereinstimmende Folge fortschreitender Differenzierung. Schon Karl Ernst von Baer unterschied in der embryonalen Entwicklung der Tiere vier Abschnitte: I. Die Periode der Furchung. Sie kann als jene Zeitperiode in der Entwicklungs perioden. Entwicklung betrachtet werden, in welcher uns von Differenzierungen eigentlich nichts als die primären Achsen· und Symmetrieverhältnisse der betreffenden Lebensform entgegentreten. Schon das befruchtete Ei {Fig. I) ist stets ein axial gebauter Organismus und die primäre Eiachse (a-v) erhält sich in allen folgenden Entwicklungsstufen, wenngleich vielfach später in ihren Beziehungen zu den einzelnen Organen sich verändernd. Wenn durch aufeinanderfolgende Zellteilungen (Furchung des Eies) ein anfangs mehr homogenes Material an ein zelnen Bausteinen oder Lebenselementen geschaffen wird (Fig. 2), so zeigt letzte· res die vom Ei überkommene axiale Anordnung, während frühzeitig die Aus bildung von Nebenachsen, das Auftreten bilateral-symmetrischer Blastomeren· anordnung usw. einsetzt. 2. Die Periode der Keimblätterbildung. Sie ist der Anlage des primären Schichtenbaues der betreffenden Lebensform gewidmet. Ist in der Periode der Furchung -wie erwähnt-nur ein mehr gleichartiges, bloß nach Achsen- und Symmetrieverhältnissen geordnetes Ze11material gegeben, so kom· men jetzt differente Körperschichten: die Keimblätter des Embryos in Er· scheinung. Da von der unendlichen Mannigfaltigkeit einzelner Organbildungen noch nichts vorhanden ist, so tritt uns in dieser Periode der Schichtenbau des betreffenden Wesens in vereinfachter übersichtlicher Form entgegen- Grund genug für die Tatsache, daß die Aufklärung der Vorgänge der Keimblätter· bildung ein Lieblingsthema für die Untersuchungen der Embryologen gebil det hat. 3· Die Periode der Organen twickl ung. In dieserwerden aus den nun angelegten Körperschichten die einzelnen Organe hervorgebildet. Ein fort schreitender Umwandlungs- und Differenzierungsprozeß, von einfachsten An lagen bis zu immer komplizierteren Bildungen führend, bringt schließlich die definitive Form der einzelnen Organe hervor. 4· Die Periode der histologischen Differenzierung. Verhältnis mäßig spät, erst dann, wenn die Organe des Embryos sich anschicken, zur selb· ständigen Ausübung ihrer Funktion überzugehen, treten jene mannigfaltigen Umwandlungen an ihren Zellen ein, welche zu diesen Funktionen in Beziehung stehen. Nun erst werden Interzellularsubstanzen gebildet, Wimpern entwickelt, Muskel-und Nervenfibrillen treten in Erscheinung, die Drüsenzellen zeigen Spu· renihres charakteristischen Inhaltes usw. Demgegenüber weisen die Zellen der Entwicklungsstufen der früheren Perioden, wie man sich auszudrücken pflegt, embryonalen Charakter auf. Es sind mehr gleichartige, der Differenzierung entbehrende Elemente. K. d. G. IIJ. IV, Bd 2 Zellenlehre etc. II 12 I 7 8 K. HElDER: Entwicklungsgeschichte und Morphologie der Wirbellosen A. Achsen- und Symmetrieverhältnisse. Nicht im Sinne geometrisch streng festgelegter Linien oder kristallogra phischerA chsen, sondern mehr zur Kennzeichnungbestimmter den Körper durch setzender Richtungen sprechen wir bei der Beschreibung der uns hier interes sierenden Lebensformen von Körperachsen. So z. B. wenn wir im Körper des Menschen eine vom Scheitel zum Fußpunkt ziehende Hauptachse von einer die rechte und linke Körperhälfte verbindenden Dextrosinistralachse und einervom Rücken zur Bauchseite ziehenden Dorsoventralachse scheiden. Wir würden a. besser von dextrosinistraler resp. von dorso- 1 ' ---'T ventraler Richtung sprechen. Immerhin hat ,. .., ,.,:)~?8'> . .f < die Annahme bestimmter Achsen, die ja in iA11if(~l~~i ~~~~~;:~~:f~~;~~~(fE~ (i}?fb~ ··•. ·· .pöb,b<:l)8,qi>.?~9q!.o0?. Körperachsen. Von isopolen Achsen sprechen ':})1'pt;:~ß;J$'.. :~~~i-?:'9.·kß:1~;'9~;<:> wir dann, wenn die betreffende Körperrich . . .!-)?·:'~' ?-Ä~~o(9.' o·.g·_( J'P~"-{~tj':J:$i:o;p;•/P8":.{:!J},~ Q6'. !. . · tung zwei Organbildungen gleichartiger Natur ··-~q~q~q~h6%4>Js· ·-%P:·St•.___ miteinander verbindet, wie z. B. im Körper ";<·9.,;i)~·@ö-B;·ö.~9:·.··~· -----' d des Menschen die beiden Schultergelenke und · --·H·.;'Q.,:, .. ,J-:•:··-.• die beiden Hüftgelenke durch eine in dextro- sinistraler Richtung verlaufende Linie verbun~ V den gedacht werden können. Als heteropole Fig. r. Befruchtete Eizelle im Durchschnitt (Schema). a-v primäre Eiachse, a animaler Achsen werden solche bezeichnet, deren Enden Pol, v vegetativer Pol, r Richtungskörperchen, k erster F.urchungskern, d N ahrungsdotter~ durch differente Organbildungen eingenom kügelchen. men erscheinen. So ist die dorsoventrale Rich tung im Körper des Menschen und der Bilaterien eine heteropole, da sie Organe der Rücken- mit den davon verschiedenen Organen der Bauchseite verbindet. Die Haupt- oder Körperlängsachse der Tiere ist stets eine heteropole, da sie Regionen differenter Art, z. B. die Schnauzenspitze mit der Schwanzspitze ver bindet. Es tritt im Tierreiche im allgemeinen die Tendenz zutage, mit fort schreitender Differenzierung an Stelle von isopolen heteropole Körperachsen zur Ausbildung zu bringen. Wir unterscheiden bei den Tieren folgende durch ihre Achsen- und Sym metrieverhältnisse gekennzeichnete Haupttypen der Gestaltung: 1. Der monaxone Typus, welcher durch das Vorhandensein einer ein zigen, heteropol differenzierten Achse, der primären Längsachse, gekennzeich net ist. Schon das befruchtete Ei (Fig. I) ist in den meisten Fällen ein monaxo nes Gebilde. Die Hauptachse (a-v), hier als primäre Eiachse bezeichnet, reicht vom animalen zum vegetativen Pole. Der animale Pol (a) ist durch die Lage der Richtungskörperehen (r), durch die genäherte Lage des Zellkerns (ersten Furchungskernes k) und durch dichtere Ansammlung plastischer proto· Achsen- und Symmetrieverhältnisse. Monaxoner Typus 179 plasmatischer Substanzen (Bildungsdotter) gekennzeichnet, während die dem vegetativen Pole (v) genäherte Eihälfte durch reichlicheres Vorhandensein von Nahrungsdotter (d) auffällt. Wenn dann in der Periode der Furchung (Fig. zA) q. durch fortgesetzte Zellteilungen der Eiin halt in eine größere Zahl von Furchungs kugeln (Blastomeren) zerfällt, erhält sich j der. gekennzeichnete axiale Bau. Sowohl an den Furchungsstadien, als auch an dem darauf folgenden Stadium der einschich tigen Keimblase (Blastulastadium Fig. zB) kennzeichnet sich der animale Pol als jene Stelle des Keimes, an welcher die Zellen die geringste Größe aufweisen, während die Zel len des vegetativen Poles durch beträcht lichere Größenentwicklung und körnchen reicheren Inhalt auffallen. a I I t/ a a B F i g. 3· Einstülpungs-Gastrula im Durchschnitt (Schema). Man F i g. 2. A Späteres Furchungsstadium, B Bla vergleiche das vorhergehende Stadium Fig. 2 B. Durch Ein stulastadium im Durchschnitt (Schema). stülpung der Zellen der vegetativen Hälfte ist der Urdarm (ud) a-v primäre Eiachse, a animaler Pol, durch die entwickelt worden. a-a primäre Eiachse, ~c Ectoderm oder Richtungskörperehen gekennzeichnet, v vege äußeres Keimblatt, en Entoderm oder inneres Keimblatt, tativer Pol, f Furchungshöhle (Blastocoel), f primäre Leibeshöhle, aus der Furchungshöhle hervorgegangen, auch als primäre Leibeshöhle bezeichnet. ud Urdarmhöhle, bp Urmund .oder Blastoporus. Wenn sodann die Periode der Keimblätterbildung einsetzt, indem die Zel len des vegetativen Poles durch einen Einstülpungsvorgang in das Innere ver lagert werden (Fig. 3), wodurch das erste primäre Organ des Keimes, der Ur darm (ud), zur Entwicklung gelangt (Gastrulastadium), so bleibt auch hier noch vielfach der ursprüngliche monaxone Bau des Keimes erhalten. Die primäre Körperachse (a-a) zieht in diesem Falle vom Scheitel der Gastrula zu dem gegenüberliegenden Urmund (Blastoporus bp). 12*