Entwicklungsgeschichte des Betriebslebens Von DR. B. PENNDORF i' o. Professor an der Handels-Hochschule Leipzig, bearbeifef von Prof. Dr. R. Henzler, Frankfurt 1 Main SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH ISBN 978-3-663-00495-0 ISBN 978-3-663-02408-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-02408-8 Copyright 1951 by Springer Fachmedien Wiesbaden Originally pub1ished by Dr. Th. Gabler, Wiesbaden in 1951 Softcoverreprint ofthe hardcover Istedition 1951 Vorwort Es gibt wenige gründliche Kenner der Entwicklungsgeschichte des Betriebslebens. Wer eine solche Kenntnis besitzt, bringt die besten Voraussetzungen für ein Verständnis der wichtigsten Fr!rgen des Betriebslebens der Gegenwart mit. Der verstorbene Ordinarius an der früheren Handels-Hochschule Leipzig Professor Dr. Balduin Penndorf galt als eine Autorität auf dem Gebiete der Geschichte des betrieblichen Lebens. Das vor liegende Werk trägt auch nach der überarbeitung seinen Stempel. Die Tatsache, d1rß sich viele Teile des deutschen Betriebslebens heute in einem starken Umformungsprozeß befinden, war Anlaß dafür, von dem Versuch, jede Einzelfrage möglichst bis zu ihrem neuesten Stand zu behandeln, abzusehen. Wer sich darüber orien tieren will, sei auf die entsprechenden Sonderdarstellungen in diesem Sammelwerk verwiesen. Dem Titel und der Aufgabe dieser Schrift entsprechend wurde der Ntrchdruck auf die Darstellung dessen gelegt, was ,.,Geschichte" geworden ist. Erster Abschnitt Die Entwicklungsstufen der Wirtschaftsbeiliebe L Entwicklungsstufen nach der Länge des Güterweges vom Produzenten zum Konsumenten Immer wieder hat der ordnende Menschengeist versucht, in die unendliche Fülle des Tatsachenmaterials der Wirtschaftsgeschichte dadurch Klarheit zu bringen, daß er typische Entwicklungsreihen herauszuschälen suchte, die sich in annähernd gleicher Weise bei verschiedenen Völkern und zu verschiede nen Zeiten wiederholen. .So kam man dazu, Theorien von den "Wirt s c h a f t s s t u f e n" aufzustellen, das heißt von den typischen Entwicklungs stufen, die jede Wirtschaft einer menschlichen Gesamtheit durchläuft, sobald sie die einfachen Urformen zu überwinden beginnt. Besonders bekannt geworden ist die Stufentheorie, die Karl Bücher in seinem klassischen Werk "Die Entstehung der Volkswirtschaft", 1893, aufgestellt hat. Er gliedert nach der Länge des Wege s , den ein Wirtschaftsgut vom Produzenten zum Konsumenten zurücklegt, und nach der Art der zu einer Wirtschaftseinheit zusammengeschlossenen menschlichen Gesamtheit die wirtschaftliche Ent wicklung in die drei Stufen der geschlossenen Hauswirtschaft, der Stadt wirtschaft und der Volkswirtschaft. ll. Entwicklungsstufen nach den wirfschaftliehen Ideen Von wesentlicher Bedeutung ist sodann diejenige Theorie der Wirtschafts stufen, die als Einteilungsgrund die Wirtschaftsauffassung, die beherrschende I d e e nimmt. Man begnügt sich dabei nicht mehr mit der Betrachtung und Feststellung der äußeren Form, sondern strebt bewußt dahin, den Geist zu erfassen, der die Formen bildet. 1. Religiöse Ideen a) I d e e d er b ü r g er 1 i c h e n N a h r u n g Im Mittelalter regelte die Re 1 i g i o n als Ordnerin des gesamten Lebens auch das Verhalten zur Wirtschaft, und so leiten sich aus den Lehrsätzen des scholastischen Philosophen Thomas von Aquino1) (1225 bis 1274) von selbst wirtschaftspolitische Anschauungen ab. Als ein auf Erden zu verwirklichen des Ideal schwebte den Scholastikern eine auf sich gestellte Stadtwirtschaft vor, deren Bürger dem wirtschaftlichen Erwerb nicht um des Profits, sondern um der Deckung des lebenswichtigen Bedarfs willen, und zwar in herkömm licher, vom Vater auf den Sohn überkommener Weise, nachgingen. Die Stadt bildete eine in sich geschlossene Einheit, eine lebendige Gemeinschaft, gleich- 1) Schreyvogel, Ausgewählte Schriften zur Staats- und Wirtschaftslehre des Thomas von Aquino, 1923. 6 Penndorf sam eine große Hauswirtschaft, die alle Stände: Fürsten, Priester, Patrizier, Handwerker und Bauern umfaßte. Sie hatte ihr eigenes Recht und verwaltete sich selbst. Auch wirtschaftlich wollte sie auf sich gestellt sein. Die obersten wirtschaftlichen Ziele sind nach Thomas von Aquino, Fürsorge für die standesgemäße (bürge r I ich e) Nahrung der Mitbürger zu treffen und die verhältnismäßige gesellschaftlich-wirtschaftliche Aus geglichenheit zu wahren. Diesen Zielen waren alle, oft bis ins einzelne gehende Maßnahmen untergeordnet. Die Idee, daß der einzelne gerade sein standesgemäßes Auskommen haben seile, aber nicht viel mehr, finden wir auch 1494 in der ersten gedruckten Darstellung der doppelten Buchhaltung, deren Verfasser der gelehrte Mathematiker und Mönch Luca Pacioli2) war. Dort heißt· es im zweiten Kapitel: "Das Ziel eines jeden Kaufmanns ist die Erwerbung eines erlaubten und angemessenen Gewinnes für seinen Unterhalt." Einen "Preis an sich" gab es nach Thomas von Aquino nicht, sondern nur gerechte und ungerechte Preise, sowohl für Waren als auch für die mensch liche Arbeitskraft. b) Idee des gerechten Preises Das Wesen des Tausches besteht in der Gleichheit von Leistung und Gegenleistung, die Thomas von Aquino in die Bestandteile Arbeit, Kosten und Qualifikation zerlegt, wobei er unter Qualifikation die gesellschaftliche Stellung des Produzenten versteht, also Bemessung der Arbeit des einzelnen auf Grund des ständischen Prinzips fordert. Ein Preis ist danach dann gerecht oder angemessen, wenn er seinen drei Bestandteilen - Arbeit, Kosten, Qualifikation - angepaßt ist. Dieser a n g e m es s e n e Pr e i s ist weiter zu unterscheiden von dem laufenden Preis oder Marktwert, der das wachsende Bedürfnis, Angebot und Nachfrage berücksichtigt. In Deutschland finden wir die Lehre vom gerechten Preis ebenfalls. Daher lehrte Geiler von Kaisersberg (1445 bis 1510): "Der kaufen will als wolfail er immer mag und einer verkaufet als thüer er ver kaufen immer mag, denen beiden sol man daz heilig Sacrament nicht geben ••. das ist wider brüderliche Liebe ..• Du solt deinen zirnliehen gewin daruff setzen, dein müe und arbeit magst du wol darin schlahen, aber als thüer kaufen und verkaufen als du immer magst, das ist falsch," Der Kampf galt in Deutschland besonders dem "Für k a u f", also dem Bestreben, durch teilweisen Aufkauf der Waren sich einen gewissen Monopol preis zu verschaffen. Noch zu Anfang des 16. Jahrhunderts war jede Ver abredung, die einen Ausschluß der Konkurrenz und damit eine Steigerung der Preise bezweckte, streng in den Reichstagsabschieden verboten. Aber im Toledaner Mandat Karls V. vom Jahre 1525 wurde den Monopolinhabern für Bergbauprodukte das Recht zugestanden, ihre Erze und Metalle zu dem höchsten Preise zu verkaufen, den sie erhalten können3). "Zum höchsten und nach den besten wird en, wie sie des statfinden kundennach irem gefallen". Begründet wurde diese auffällige kaiserliche Entscheidung mit dem all gemeinen Wohl. "Obgleich das alles in etlich weg etwa sondern personen für nachteilig geacht oder verstanden werden solt, dieweil doch solchs sunst '> Penndorf: Luca Pacioli, Abhandlung über die Buchhaltung 1494, 1933 s. 90. ') Strieder, Studium zur Geschichte kapitalistischer Organisationsformen, 1914 s. 81 ff. Entwicklungsgeschichte des Betriebslebens 7 in vil mehr weg und dem gemeinen nutz 4) dienstlich, fruchtbar und gut ist." Sucht man für die Tatsache, daß Staat und Kirche auf einmal die Grund sätze der alten christlichen Kirche verließen, eine Begründung, so findet man sie nach Strieder in der großen Finanznot, in der sich beide befanden. Beide konnten den stark verdienenden kapitalistischen Kaufmann nicht mehr ent behren. Sodann aber mußten beide erkennen, daß an Stelle der bisherigen Stadtwirtschaft eine Volkswirtschaft trat, die ohne den Kapitalismus nicht denkbar war. c) Zinsverbot Einen anderen Teil der wirtschaftsethischen Auffassung der christlichen Kirche bildete das Z in s v e r b o t , das durch die Lehre des Aristoteles von der Unfruchtbarkeit des Geldes und die berühmte Bibelstelle Lukas 6, 35 (Gebt Darlehn, nichts davon erhoffend) begründet wird. Die Begründung des Verbots beruhte also auf moralisch-religiösen Erwägungen, nicht auf wirtschaftlich-rechtlichen. Dominikaner und Franziskaner eiferten das ganze Mittelalter hindurch gegen das Zinsnehmen. Aber alles brauchte Geld: Private, Städte, geistliche und weltliche Fürsten und mußten dafür Zinsen zahlen. Da die Kirche ihre Forderung nicht fallen ließ, griff man zu den verschiedensten Mitteln der Umgehung des Zinsverbots. So ergab sich ein dauernder Widerspruch zwischen der kirchlichen Forde rung und der Praxis des geschäftlichen Verkehrs, ja die Kirche selbst hatte Zinsen zahlen müssen. In Deutschland wurde zwar auf das Zinsverbot von den Obrigkeiten, z. B. Nürnberg 1479, immer und immer hingewiesen, aber es blieb tatsächlich unbeachtet. Durch die Einführung der Reformation ver lor es in Norddeutschland überhaupt jede Bedeutung. Da die Juden nach einer verbreiteten Ansicht nicht unter das kirchliche Zinsverbot fielen, wurden sie frühzeitg die privilegierten Geldverleiher für Könige, Fürsten und Bischöfe bis herab zu den Handwerkern, die im 15. Jahrhundert kleine verzinsliche Darlehn gegen Verpfändung von Rohmaterialien auf kurze Zeit aufnahmen. Im 14. und 15. Jahrhundert traten die Lombarden, die man in Italien auch kaum zu den Christen rechnete, an Stelle der Juden, vor allem in England und Frankreich, erlitten aber besonders in England große Verluste. 2. Idee des Merkantilismus a) E n t s t eh u n g Durch das Toledaner Mandat vom Jahre 1525 waren - wie wir gesehen haben - die Grundsätze der alten Kirche aufgegeben worden; in der Zins frage unterwarf sich die Praxis des kaufmännischen Verkehrs ebenfalls nicht der Forderung der Kirche, so daß ein großer Verweltlichungsprozeß einsetzt. An die Stelle der Kirche tritt jetzt der Staat, der die kapitalistische Wirt schaft mit allen Mitteln zu fördern sucht. Durch die Erweiterung des Ge sichtskreises (Kreuzzüge, Entdeckungen, Goldfunde, Kolonisationen, Kriege) 'l Bereits 1533 erschien ein Werk von J. Ferranius (Montanus) von Amerlberg in Hessen: Von dem gemeinen nutze in messen sich ein jeder, er sey Regent oder Unter dan, darin schicken sol, den eygen nutz hinden setzen und der gemeyn walfahrt suchen. 8 Penndorf waren die Grundfesten des überkommenen Wirtschaftslebens erschüttert, wozu noch die Binnenwanderung und der Fernhandel, der zunehmende Geld verkehr und das Anwachsen der Bevölkeru.ng traten. Entscheidend war nicht mehr die ethische Ausrichtung, sondern die praktische Verwendbarkeit der wirtschaftlichen Lehren. So gibt es nach Wagenführ5) auch "keine· in sich geschlossene abgerundete Theorie, die man als merkantilistisches System bezeichnen könnte, sondern es gibt nur eine wirtschaftspolitische Zusammen hangsbetrachtung, Merkantilistik genannt, die mehrere Richtungen umfaßt und sich von Karl V. bis Friedrich dem Großen bzw. von etwa 1500 bis in den Anfang des 19. Jahrhunderts erstreckt" und deren Grundgedanken nach ihm folgende sind: b) Grundgedanken Alle wirtschaftliche Tätigkeit wurde vom S t a a t e bzw. vom Fürsten abgeleitet und dem obersten Staatszweck angepaßt. Ohne Volk keine Wirt schaft, "daher ist auch die Bevölkerung eines Landes, so viel Menschen nur immer sich ernähren können, als eines wohlgeordneten Staates höchste, aber ieider bei vielen wenig geachtete Angelegenheit zu betrachten"6). Der Staat ließ sich zwar die Förderung des heimischen Gewerbes nach Kräften an gelegen sein, aber seine Hauptaufgabe lag auf dem Gebiet der auswärtigen Handelspolitik. Um den Reichtum zu fördern, müßten möglichst wenig Güter eingeführt und möglichst viel Güter ausgeführt werden, auf daß ein günstiger Saldo in der Handelsbilanz entstehe. Auf keinen Fall ist zu ge statten, "daß die Güter deren Art inner Landes zur Genüge vorhanden sind, von außen hereingebracht werden". Die Untertanen sind "aus allen Kräften anzuhalten, daß sie sich an ihren einheimischen Gütern begnügen". (System von Einfuhrzöllen und Einfuhrverboten für Fertigwaren und der im Lande vorkommenden Rohstoffe.) Alle in ein Land eingeführten Güter, die "in ihrer rohen Gestalt als Rohstoffe nicht benützt werden können, sind inner halb dLsselben zu verbrauchen" (Verarbeitung im Inland), damit der "Manu faktur-Lohn allda selbst verdient werde". Gold und Silber dürfe auf keinen Fall in das Ausland gebracht werden, "es darf aber auch nicht in Kisten oder Kasten vergraben werden", sondern muß "immerzu in der Zirkulation bleiben". Wenn Waren eingeführt werden müssen, so sind sie nach Möglich keit nicht mit Gold oder Silber, sondern durch inländische Waren abzugelten. Hingegen sei Tag und Nacht dafür zu sorgen, wie die im Lande angefallenen überschüssigen Güter in das Ausland, "bis an das äußerste Ende der Welt" gebracht werden können. Gold (Geld) brauc..l}e der Staat, die Nation. Geld sei der Nerv des Staates, meinte der französische Politiker Bodin. Daher steht im Mittelpunkt der Merkantilistik die Lehre von der günstigen Handels bilanz. "Geld erzeugt den Handel und der Handel erzeugt das Geld", hat der englische Merkantilist Thomas Mun bemerkt. Wenn aber Geld unter den Leuten ist, so kommt auch der Fürst auf seine Rechnung. Wenn der Handel im Schwung sein soll, müssen die Verkehrswege geebnet, Zölle und Mauten beseitigt werden. Der Verkehr mit dem Ausland müsse der Privilegierung und Reglementierung durch den Staat unterliegen. 5S) ysGteemsceh,i csh.t e1 6.d er Wirtschaftlichen Lehnneinungen und der Wirtschaftspolitischen 1) Hornigk, Österreich über alles, wann es nur Will, 1684. Auch die nächsten Zitate stammen aus dieser Quelle. Entwicklungsgeschichte des Betriebslebens 9 Die nach Sombart dem Kapitalismus eigenen Merkmale, wie Erwerbsstreben, Erwerbstechnik und Großunternehmung, treten im Merkantilismus schärfer hervor. Bestand nach Pacioli 1494 noch das Ziel eines jeden Kaufmanns in der Erwerbung eines angemessenen Gewinns für den Unterhalt, so sagt der Franzose Savary7) 1675: "Der vornehmste Zweck eines Kaufmanns besteht darin, wie er großen Reichtum erlangen möge." Ein deutscher Kameralist, von Justi, sagte 1758 in seiner "Staatswirtschaft": "Der einzige Endzweck des Kaufmanns ist der Gewinnst, den man ihm in Ansehung des Nutzens, den er dem Staate leistet, der Gefahr, der Mühewaltung ... wohl gönnen kann." Hieraus spricht deutlich die Beurteilung des Betriebsgewinns vom Standpunkt des Staatsinteresses aus gesehen. Durch den Einfluß der Physio kraten und namentlich von Adam Smith fällt auch noch dieser Standpunkt weg; es wird eine Scheidung zwischen Betriebs- und Staatswirtschaft durch geführt, und der Gewinn wird nur als Privatzweck des Kaufmanns be zeichnet. So sagt Leuchs in seinem "System des Handels" (1804): "Der Handelsstand treibt den Handel als Gewerbe, er muß daher durch den Um satz mit Waren gewinnen und also mehr dafür empfangen, als er gibt." 3. Idee des Liberalismus a) E n t s t eh u n g Die Idee des Merkantilismus wurde abgelöst durch ein neues, geschlossenes System von dem Begründer der physiokratischen Schule, dem Leibarzt Ludwig XIV., Francais Quesney (1694 bis 1774). Dem Zwange des Mer kantilismus steht hier die der natürlichen Ordnung entsprechende un beschränkte Freiheit der Wirtschaft gegenüber. Quesnay stellt für den Gang der Wirtschaft die Forderung auf: Laisser faire laisser passer, le monde va de lui meme. (Laßt sie machen, laßt sie gehen, die Welt regiert sich selbst.) Nicht der Staat soll herrschen, sondern die Natur soll walten, daher die Bezeichnung Physiokraten. Vorbereitet war diese Richtung durch das Natur recht Englands, sie entwickelte sich in Frankreich und fand auch Anhänger in Deutschland. Nach W. von Humboldt sollte sich der Staat darauf be schränken, wie ein Nachtwächter für Ruhe und Schutz seiner Bürger zu sorgen, sie ~ber im übrigen nicht behelligen. b) Adam Sm i t h Ihre klassische Prägung hat die liberale Idee bei Adam Smith (1723 bis 1790) gefunden, und zwar in dessen Buch: "über Natur und Ursachen des Volkswohlstandes" (1776). Die Grundgedanken des wirtschaftlichen Liberalismus, wie sie sich bei Adam Smith finden, sind die folgenden: Der Eigennutz ist das Leitmotiv allen wirtschaftlichen Handelns. Er ist dem Menschen von der Natur als Triebfeder des wirtschaftlichen Handeins ein gepflanzt, deshalb soll er sich auch frei auswirken dürfen. Durch den vom Eigennutz getriebenen freien Wettbewerb der einzelnen Wirtschaften wird auch das Gesamtwohl am besten gefördert. Diese Auffassung entsprach auch der Meinung der ersten Vertreter einer systematischen Handelswirtschaft: 7) Jaques Savary (1622 bis 1690) schrieb 1675 sein Buch: Le Parfait Negoc!ant, das in seinem Aufbau dem Entwicklungsgang des Kaufmanns (Lehrling, Gehilfe, Handels herr) folgt und im 17. und 18. Jahrhundert das Hauptwerk der Betriebswirtschafts lehre war. In Deutschland standen um diese Zeit di<> Bücher Marpergers (1656 bis 1730) an der Spitze, die sich auf alle Gebiete der Betriebswirtschaftslehre erstreckten. 10 Penndorf Savary (Paris; siehe oben S. 9), Ludovici8) (Leipzig) und LeucbsD) (Nürn berg), nämlich daß die Wahrung des Eigennutzes nur für das soziale Ge schehen von größtem Segen sei. Der einzelne dürfe deshalb nicht nur seinen eigenen Interessen nachgehen, sondern solle sie sogar schroff verfolgen. c) Ein f 1 u ß auf die Wirtschaft Die liberale Idee hat das Wirtschaftsleben tief beeinflußt und umgeformt und vor allem die Bindungen des Merkantilismus beseitigt. Der preußische Minister Hardenberg bekennt in einer Denkschrift (1807): "Mein System be ruht darauf, daß jeder Einwohner des Staates gänzlich frei sei . . . Es ist dem Staate und seinen Gliedern immer am zuträglichsten, die Gewerbe jedes mal ihrem natürlichen Gang zu überlassen. ... Es ist falsch, das Gewerbe an einem Ort auf eine bestimmte Anzahl von Subjekten einschränken zu wollen." Deshalb wurde in Preußen 1810 alle Gutsuntertänigkeit aufgehoben, 1811 der Zunftzwang gesetzlich beseitigt, später Freihandel und Freizügigkeit eingeführt. 4. Die Idee des Nationalismus Mit Fichtes "Grundlagen des Naturrechts" (1796) erfolgte ideenmäßig eine Abkehr vom Liberalismus. Mit der Hingabe an die deutsche idealistische Philosophie eines Fichte, SeheHing und Hege! wurde in Deutschland immer mehr mit der Auffassung gebrochen, daß das Wohl des Ganzen dadurch am besten gewahrt sei, wenn jeder seinen einzelnen Interessen nachgehe. In seinen "Reden an die deutsche Nation" hat Fichte das Nationalgefühl zu wecken versucht. In seinem "Geschlossenen Handelsstaat" (1800) beschränkt er die Wirtschaftsfreiheit des einzelnen und stärkt die Macht des Staates bedeutend. Adam Müller (1779 bis 1829) spricht in seinem Buche "Elemente der Staatskunst" vom Nationalrecht und NationalkapitaL "Der Staat ist die Totalität der menschlichen Angelegenheiten" sagt Adam Müller, und der Philosoph Hege! meint: "Der Staat ist die absolute Macht auf Erden." Friedrich List (1789 bis 1846) bekämpft in seinem Hauptwerk10) die liberale Wirtschaftsauffassung als "kosmopolitisch, materialistisch und individua listisch" und zeigt, wie eine gegebene Nation unter den gegebenen Verhält nissen durch Ackerbau, Industrie und Handel zu Wohlstand, Zivilisation und Macht gelange. List hat insbesondere auf die wirtschaftliche Bedeutung der richtig verstandenen Schutzzollpolitik mit allem Nachdruck hingewiesen. Nach ihm sind Schutzzölle so lange gerechtfertigt, bis die fruchtbaren Kräfte im Inland aufgezogen sind (Erziehungszölle). Auf das Betriebsleben ist dieser Nationalismus ohne unmittelbare Einwirkung gewesen. 5. Die Idee des Sozialismus Der schrankenlos ausbeutende Kapitalismus hatte die Entstehung des Sozi a 1 i s m u s zur Folge. Karl Marx schuf mit Friedrich Engels im Jahre 1848 das Kommunistische Manifest, in dem zum "gewaltsamen Umsturz aller 8) Carl Günther Ludovici (1707 bis 1778) war Professor der Vernunftslehre an der Universität Leipzig. Er schrieb den .,Grundriß eines vollständigen Kaufmanns Systems". 1756, neu herausgegeben von Rudolf Seyffert 1932, und die ,.Eröffnete Akademie der Kaufleute oder vollständiges Kaufmanns-Lexicon", 1752 bis 1756. 9) Johann Michael Leuchs (1763 bis 1836) war Kaufmann in Nürnberg. Von ihm sei genannt: ,.System des Handels", 1804. 1933 neu herausgegeben von R. Seyffert. 10) Das nationale System der politischen Ökonomie, 1841.