Stephan Ahrens (Hrsg.) Entwicklung und Perspektiven der Psychosomatik in der Bundesrepulik Deutschland Mit 25 Abbildungen und 22 Tabellen Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo Hong Kong Prof. Dr. Dr. Stephan Ahrens Universitatskrankenhaus Eppendorf n. Medizinische Klinik MartinistraBe 52, D-2000 Hamburg 20 Referate und Diskussionsbeitrage des Workshops "Entwickiung und Perspektiven der Psychosomatik" Gravenbruch/Frankfurt, 2. und 3. September 1988 ISBN-13:978-3-S40-S22S0-8 e-ISDBN-13:978-3-642-84124-8 DOl: 10.1007/978-3-642-84124-8 CIP-Kuntite1aufnahme der Deutschen Bibliothek Entwicklung und Perspektiven der Psychosomatik in der Bundesrepublik Deutschland: [Referate und Diskussionsbeitrage des Workshops "Entwicklung und Perspektiven der Psycho somatik", GravenbruchIFrankfurt, 2. und 3. September 1988]1 Stephan Ahrens (Hrsg.). - Berlin; Heidelberg; New York; London; Paris; Tokyo; Hong Kong: Springer, 1990 ISBN-13:978-3-540-52250-8 NE: Ahrens, Stephan [Hrsg.]; Workshop Entwick1ung und Perspektiven der Psychosomatik <1988, Gravenbruch> Dieses Werk ist urheberrechtlich geschlitzt. Die dadurch begrlindeten Rechte, insbesondere die der tlbersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funk sendung, der Mikroverfilmung oder der VervielIaltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Ver vielIaltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland yom 9. September 1965 in der jewells geltenden Fassung zulassig. Sie ist grundsatzlich verglitungspflich tig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1990 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dies em Werk be rechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daS solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jederrnann benutzt werden dlirften. Satz: Druckhaus Beltz, HemsbachIBergstraSe 2119/3140 (3011)-543210 - Gedruckt auf saurefreiem Papier Inhaltsverzeichnis Einleitung S. AHRENS 1 I. Entwicklung der Psychosomatik in der Bundesrepuhlik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Die psychosornatische Gegenreforrnation: Sind die Hoffnungen erftillt? A.-E. MEYER . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Entwicklung der Psychosornatik aus der Sieht der inneren Medizin F. ANSCHUTZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Entwicklung und Perspektiven der Psychosornatik aus der Sicht der Psychiatrie W. BLANKENBURG ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Welche Psychosornatik benbtigt die Allgerneinmedizin? M. KOHLE ...............•.......... 31 Psychosornatische Grundversorgung durch den Fachmann versus psychosoziale Kornpetenz des Hausarztes: "Der Streit urn einen Kuchen" T. GRAF-BAUMANN ........................ 57 Zusammenfassung der Diskussion U. LAMPARTER .......... . 67 II. Institutionalisierung der Psychosomatik 71 Das Fehlen der Seele irn Allgerneinkrankenhaus - erste Ergebnisse einer Bedarfsanalyse A. HAAG u. U. STUHR ............... . 73 VI Inhaltsverzeichnis Psychosomatische Abteilungen an Universitatskrankenhausern G.H. PAAR ......................•...... 81 Integration psychosomatischer Abteilungen in Allgemeinkrankenhausern. Kann sie gelingen? E. GAUS ...................... 91 Das Zauberberg-Projekt: zwischen Verzauberung und Ernuchterung E LAMPRECHT u. J. SCHMIDT . . . . . . . . . . . 97 Die realisierbare Utopie einer leistungsfahigen psychosomatischen Universitatsklinik (RUPK). Erforderliche Zahlen, Kapazitaten und Mentalitaten S.O. HOFFMANN •.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 117 Zusammenfassung der Diskussion U. LAMPARTER .......... . 125 III. Grundlagen der Psychosomatik 129 Psychosomatische Symptombildung - Reflexionen unter selbstpsychologischen Gesichtspunkten E-W. DENEKE ........................ 131 Lerntheorie und Verhaltensmedizin - ihre Bedeutung fur die Psychosomatik O.W. SCHONECKE .......•............... 137 Methodenkritik psychosomatischer Forschung. Haben wir alles falsch gemacht? S. AHRENS u. A.-E. MEYER . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 WissenschaftsfOrderung in der Psychosomatik am Beispiel nicht gefOrderter Forschungsprojekte U. STUHR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Forschung im Hochschulfach Psychosomatik/ Psychotherapie - eine Bestandsaufnahme 1978-1988 R. RICHTER, S. AHRENS u. S. PUNGEL ........ . 177 Zusammenfassung der Diskussion U. LAMPARTER .......•..... 193 Mitarbeiterverzeichnis AHRENS, S., Prof. Dr. Dr. Universitatskrankenhaus Eppendorf, Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, Martinistrafie 52, 0-2000 Hamburg 20 ANSCHOTZ, E, Prof. Dr. Seitersweg 23, 0-6100 Darmstadt BLANKENBURG, W., Prof.- Dr. Klinikum der Philipps-Universitat, Zentrum ffir Naturheilkunde, Klinik ffir Psychiatrie, Rudolf-Bultmann-StraBe 8, 0-3550 Marburg DENEKE, E-W., Prof. Dr. Universitatskrankenhaus Eppendorf, Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, MartinistaBe 52, 0-2000 Hamburg 20 GAUS, E., Dr. Stiidtische Krankenanstalten, Psychosomatische Abteilung, 0-7300 EBlingen GRAF-BAUMANN, T., Priv.-Doz. Dr. Springer-Verlag TiergartenstraBe 17, 0-6900 Heidelberg HAAG, A., Dr. Universitatskrankenhaus Eppendorf, Abt. Psychosomatik Ulid Psychotherapie, Martinistrafie 52,0-2000 Hamburg 20 HOFFMANN, S.O., Prof. Dr. Univ.-Klinik fUr psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Langenbeckstrafie 1, 0-6500 Mainz VIII Mitarbei terverzeichnis KOHLE, M., Dr. Arzt fUr Allgemeinmedizin, Ebersberger StraBe 37, D-8018 Grafing LAMPRECHT, E, Prof. Dr. Psychosomatische Klinik, Dr.-SchrOder-Weg, D-7542 SchOmberg MEYER, A.-E., Prof. Dr. Dr. Universitatskrankenhaus Eppendorf, Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, MartinistraBe 52, D-2000 Hamburg 20 PAAR, G.H., Dr. Gelderland-Klinik, Fachklinik fUr Psychotherapie und Psychosomatik, CiemensstraBe, D-4170 Geldern 1 RICHTER, R., Priv.-Doz. Dr. Universitatskrankenhaus Eppendorf, Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, MartinistraBe 52, D-2000 Hamburg 20 SCHMIDT, J., Dipl.-Psych. Psychosomatische Klinik, Dr.-SchrOder-Weg, D-7542 SchOmberg SCHONECKE, O.W., Priv.-Doz. Dr. Psychosomatische Abteilung der Universitatskliniken, Joseph-Stelzmann-StraBe 9, D-5000 Koln 41 STUHR, U., Dr. Universitatskrankenhaus Eppendorf, Abt. Psychosomatik und Psychotherapie, MartinistraBe 52, D-2000 Hamburg 20 Einleitung s. AHRENS Die Wiege der Nachkriegspsychosomatik stand in 3 psychotherapeutischen Fachkrankenhliusem, der 1948 gegriindeten Klinik fur psychogene St()rungen in Berlin-Grunewald, dem 1949 ins Leben gerufenen Niederslichsischen Lan deskrankenhaus Tiefenbrunn und der Psychosomatischen Klinik Umkirch bei Freiburg. 1950 entstand unter der Leitung von Alexander Mitscherlich an der Universitlit Heidelberg eine erste psychosomatische Klinik im universitliren Rahmen, diese umfaBte eine Ambulanz wie auch eine Bettenstation. Diese Institutionalisierung kam durch Unterstutzung der Rockefeller-Foundation zu stande, man muB wohl sagen zum groBen Teil gegen den Widerstand der etablierten deutschen Hochschulpsychiatrie. In den 60er und 70er Jahren folgten dann zunehmend mehr Universitlitskliniken mit der Griindung psycho somatischer Abteilungen oder Kliniken, z.T. mit dem Bereich Psychotherapie verbunden, z.T. aber auch daneben existierend. Diese Entwicklung war sicher lich angestoBen durch die 1969 in Kraft gesetzte Ausbildungsordnung des Medizinstudiums, die einen neuen Schwerpunkt in den psychosozialen Flichem setzte. Die Verknupfung von Psychosomatik und Psychotherapie, durch einen Verwaltungsakt vollzogen, mag mittlerweile als so selbstverstlindlich erschei nen, daB es vielleicht Erstaunen ausl()st, wenn ich hier mein erstes Fragezeichen setze. Dennoch m()chte ich fragen, ob diese Verknupfung wirklich so f()rderlich ist fur die Psychosomatik? Um es noch etwas provozierender zu formulieren: Wo ist denn die Somatik in der Psychosomatik geblieben? Die uberwiegende Zahl ambulanter und stationlirer Patienten sind Psychotherapiepatienten, in den meisten psychosomatischen Institutionen bestehen keinerlei M()glichkeiten zu k()rperlichen Untersuchungen, uber eine Medikamentengabe koinzidierend zu einer psychotherapeutischen Betreuung psychosomatischer Patienten wird im mer wieder kontrovers diskutiert. Der Begriff "Psychosomatik" enthlilt aber beide Bereiche, er suggeriert damit eine Integration der seelischen und k()rper lichen Ebene, die in praxi kaum stattfindet. Der Anspruch, die somatische Medizin zu durchdringen, ist bislang weder theoretisch noch praktisch einge l()st. Auch hierzu eine These, die provozieren mag: Zu der historischen Entwick lung der Psychosomatik geMrt auch deren enge Verknupfung mit der Psycho- 2 S.Ahrens analyse, die bis heute wahrt. Jeder aber, der sich im Zuge seiner Ausbildung der psychoanalytischen Sozialisation unterzogen hat, gewinnt auch eine Dist anz, urn nicht zu sagen einen Widerstand gegen die somatische Medizin. Zusatzlich ist diese psychoanalytische Weiterbildung so angelegt, daB sie wenig Raum fiir Erfahrungen in anderen medizinischen Bereichen laBt, zeitlich und auch das innere Engagement betreffend. DaB die Somatik zum Stiefkind wird, erscheint von daher nicht verwunderlich. Die Nachteile fUr die Psycho somatik werden sich in einigen der folgenden Referate deutlich erkennen lassen. lch mochte sie wie folgt subsummieren: Eine allzu starke Eingrenzung der Psychosomatik ausschlieBlich auf das psychoanalytische Paradigma ver bunden mit einer Abwendung von der Somatik birgt die Gefahr, daB dieses Fach den AnschluB an die Entwicklung der anderen medizinischen Fachgebiete verpaBt, und zwar auf wissenschaftlicher wie auf klinischer Ebene. Sie birgt auch die Gefahr, daB der urspriinglich intendierte Briickenschlag zu den an grenzenden Fachem Psychiatrie, innere Medizin und Allgemeinmedizin miB lingt. Eine Konsequenz dieser Entwicklung ist bereits deutlich; die einzelnen medizinischen Fachrichtungen beginnen, eigene psychosomatische Dependan cen zu entwickeln. So hat sich in der Frauenheilkunde die "Deutsche Gesell schaft fUr psychosomatische Geburtshilfe und Gynakologie" etabliert, die in diesem Jahr ihre 18. Jahrestagung abhalt, von der wie auch an den vorherge henden Tagungen etwa 600 Teilnehmer angelockt werden diirften. Solche Teilnehrnerzahl erreichte der Psychosomatische WeltkongreB 1983 in Hamburg nur knapp, von den halbjahrlichen Veranstaltungen des Deutschen Kollegiums fUr psychosomatische Medizin ganz zu schweigen. Doch kehren wir zuruck zu der Entwicklung der lnstitutionalisierung psy chosomatischer Einrichtungen. Diese relativ expansive Entwicklung stagniert seit Mitte der 70er Jahre. Die im Auft rag der Hochschullehrer des Fachgebietes Psychosomatik/Psychotherapie seinerzeit durch Moeller durchgefUhrte Auf stellung verzeichnete 1979 25 Hochschulabteilungen, die explizit den Namen Psychosomatik tragen, in unserer Ubersicht iiber psychosomatische Einrich tungen von 1987 (S. 188-190 in diesem Buch) sind keine neuen psychosoma tischen Kliniken bzw. Abteilungen verzeichnet, 2 bereits bestehende sind institutionell erweitert und ausgebaut worden. Die Besetzungsstrategien an manchen Hochschulen lassen befiirchten, daB die Zahl psychosomatischer Lehrstiihle eher wieder rucklaufig sein wird. Ein AnlaB mehr, nicht nur auf die konkurrierende Somatik zu schimpfen, sondem kritisch nach eigenen Fehlem zu suchen, die eine solche Entwicklung gefOrdert haben konnten. Ein zweiter Entwicklungsstrang bezieht sich auf die Einrichtung psychoso mati scher Abteilungen mit Bettenstationen in graBen Allgemeinkrankenhau sem, Vorlaufer war hier die Einrichtung in Hamburg-Ochsenzoll, die 1949 bis 1953 bestand. Als Modell hierfUr kann die seit 1961 bestehende psychosoma tische Abteilung am Stlidtischen Krankenhaus Esslingen angesehen werden. Einleitung 3 Auch hier gibt es eine gewisse Expansion, jedoch ist keineswegs davon auszu gehen, daB diese Entwicklung auch nur annahernd den Umfang erreicht hat, wie deren Initiatoren sich das vorgestellt haben dtirften. Eine weitere Entwicklung ist die Einrichtung psychotherapeutisch-psycho somatisch orientierter Fachkliniken, die - zumeist auf der grtinen Wiese errich tet, von gemeinntitzigen oder privaten Tragern finanziert - relativ groBe Bet tenzahlen aufweisen. Hier ist in den letzten 10 Jahren so etwas wie ein "Boom" zu verzeichnen, offenbar sind die wirtschaftlichen Bedingungen fUr stationare psychotherapeutisch-psychosomatische Tatigkeit relativ gtinstig. Psychosoma tik scheint ein eintragliches Geschaft geworden zu sein. Bei diesem kurzen historischen AbriB wird schon deutlich, daB die Entwick lung und Etablierung des Fachgebietes Psychosomatik sehr unterschiedlich abgelaufen ist, mit dem Ergebnis, das ich als zentrale These formulieren mochte: Das Fach Psychosomatik hat keine befriedigende eigene Identitat entwickeln konnen. Die Nachteile dieser Situation machen sich nicht zuletzt auch standespolitisch bemerkbar. Ich erinnere nur an die von vielen mittlerwei Ie als leidig empfundene Diskussion um eine Zusatzbezeichnung "psychoso matische Medizin" oder eine entsprechende facharztliche Qualifikationsmog lichkeit. Die Suche nach dieser Identitat ist so auch das wesentliche Motiv fUr die Organisation dieses Workshops. Die Situation der Psychosomatik scheint mir am ehesten mit der eines Kramladens vergleichbar: Es gibt allerlei exotische oder verstaubte Utensilien, etwas bizarr sortiert, in jedem Fall aber gemtitlich bis vertraumt prasentiert. Die ziemlich hoffnungslose Konkurrenzsituation zu dem somatischen Super markt nebenan wird zwar registriert, aber fatalistisch verarbeitet mit Hinweisen wie: es gabe schon noch Kunden, die eine so personliche Betreuung zu schatzen wtiBten - auBerdem sei das Angebot von Gummiringen fUr diejenigen, denen das Weckglas aufgegangen sei, eine Marktlticke. Die Entwicklung einer Viel zahl anderer VerschluBmechanismen wird einfach negiert und in vermeintliche Exklusivitat umgemtinzt. Der jetzige Stand in der Entwicklung der Psychosomatik ist eine Schwel lensituation. Die "Grtindergeneration" der Hochschullehrer tritt in einem rela tiv kurzen Zeitraum weitgehend ab, der Generationswechsel ist eine gtinstige Voraussetzung daftir, eine Bestandsaufnahme des Fachgebietes Psychosomatik zu versuchen, tiber die bisherigen Entwicklungen, Moglichkeiten, vertane Chancen, unerfUllten Hoffnungen und den Versuch damit zu verbinden, daraus Lehren zu ziehen. Der Titel unseres Workshops "Entwicklung und Perspektiven der Psychosomatik" solI diese Intention zum Ausdruck bringen, diese kritische Bestandsaufnahme des bisherigen Ablaufes mit Perspektiven fUr die weiteren Entwicklungsmoglichkeiten zu verbinden. Gern habe ich die Gelegenheit benutzt, die uns die Firma Janssen geboten hat, diesen Workshop in einer Form zu organisieren, die den Teilnehmern nicht die lastige Pflicht auferlegt, sich seIber als bedeutende Forscher oder wegwei-