Witte/Thimm (Hrsg.) . Entscheidungstheorie MODERNE LEHRTEXTE: WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFTEN Bd.l Giinter Menges Grundmodelle wirtschaftlicher Entscheidungen EinfUhrung in moderne Entscheidungstheorien unter besonderer Beriicksichtigung volks-und betriebswirtschaftlicher Anwendungen Bd.2 Adolf Adam I Elmar Helten I Friedrich Scholl Kybernetische Modelle und Methoden EinfUhrung fUr Wirtschaftswissenschaftler Bd.3 Henry Theil I John C. Boet/Teun K10ek Prognosen und Entscheidungen Einfiihrung in Unternehmensforschung und tikonometrie Bd.4 Dieter Schneider Investition und Finanzierung Lehrbuch der Investitions-, Finanzierungs-und UngewiBheitstheorie Bd.5 Wilhelm W. Wacker Betriebswirtschaftliche Informationstheorie Grundlagen des Informationssystems Bd.6 Helmut Laux Flexible Investitionsplanung Einftihrung in die Theorie der sequentiellen Entscheidungen bei Unsicherheit Bd.7 Jorg Baetge Betriebswirtschaftliche Systemtheorie Regelungstheoretische Planungs-Oberwachungsmodelle fUr Produktion, Lagerung und Absatz Bd.8 Dieter Schneider Grundzuge der Unternehmensbesteuerung Bd.9 Helmut Reichardt Statistische Methodenlehre fur Wirtschaftswissenschaftler Bd. 10 Franz Ferschl Nutzen-und Entscheidungstheorie Einftihrung in die Logik der Entscheidungen Bd. 11 Jorg Baetge (Hrsg.) Grundlagen der Wirtschafts-und Sozialkybernetik Betriebswirtschaftliche Kontrolltheorie Bd.12 Bernd Leiner Spektralanalyse Einftihrung in Theorie und Praxis moderner Zeitreihenanalyse Bd. 13 Siegmar Stoppler Mathematik fur Wirtschaftswissenschaftler Bd. 14 Heiner Abels Wirtschaftsstatistik Bd. 15 Manfred Borchert A ufl enwirts chaftslehre Theorie und Politik Bd.16 Eberhard Witte I Alfred Thimm (Hrsg.) Entscheidungstheorie Bd.17 Ulrich Leffson Wirtschaftspriifung Eberhard Witte! Alfred L. Thimm (Hrsg.) Entscheidungstheorie Texte und AnalJ'sen Gabler Verlag © 1977 Betriebswirtschaftlicher Verlag Or. Th. Gabler, Wiesbaden Umschlaggestaitung: Hanswerner Klein, Opladen Satz: Vieweg, Wiesbaden Alle Rechte vorbehalten. Auch die fotomechanische Vervielfältigung des Werkes (Fotokopie, Mikrokopie) oder von Teilen daraus bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. ISBN 978-3-409-33421-1 ISBN 978-3-322-85569-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-85569-5 Vorwort In dieser Schrift werden dem Leser literarische Quellen vorgelegt, die wesentliche Impulse zum Entstehen und zur Entwicklung der Entscheidungstheorie ausgelost haben. Die Auswahl der Texte fUr den interessierten Studenten und Wirtschafts praktiker verfolgt nicht das Ziel einer wissenschaftlichen Denkmalspflege. Vielmehr soli mit der Rlickbesinnung auf die wissenschaftlichen Urspriinge die gegenwartige Diskussion zur Entscheidungstheorie bereichert werden. Allzu oft werden die geisti gen Wurzeln der wissenschaftlichen Entwicklung durch Zitate verstiimmelt, von Freunden liberpointiert, von Gegnern verzerrt und von manchem auch so einver nehmlich libernommen, daB die Originalquelle verschlittet wird. Gerade diese aber erMfnet den Zugang zum ProzeB der Wissenschaft: Es wird die Argumentation des originaren Autors zuganglich; man erkennt das Vorfeld seiner wissenschaftlichen Bemlihungen, auch die historischen Einbindungen, den Stil der Auseinandersetzung und vor allem das angestrebte Ergebnis sowie die Grenzen der jeweiligen Erkennt nis. Dabei zeigt sich, daB viele der heute diskutierten Ansatze so neu nicht sind, wie sie sich verstehen. Die Schopfer der Entscheidungstheorie haben viele Probleme be reits deutlich erkannt, nur haben sie es anders gesagt. Die Auswahl der Beitrage erfolgte unter den Gesichtspunkten der Originalitat und Fruchtbarkeit flir die realwissenschaftliche Entscheidungstheorie. Neuartige, in der deutschen Referenzliteratur weniger bekannte, aber fUr die Entwicklung maB gebliche Gedanken entsprechen diesen Auswahlkriterien ebenso, wie unkonventio nelle Auseinandersetzungen mit klassischen Anschauungen. Konstruktivitat und Kritik waren gesuchte Qualitaten. Aus der Einsicht, daB die "Entscheidungstheorie" ein auBerordentlich heteroge nes Problemfeld umschlieBt, folgt der heilsame Zwang zur Begrenzung und Selek tion. Zum einen enthalt die vorliegende Literatur-Dokumentation nur Beitrage, die sich komplexen Entscheidungen widmen, zum anderen nur solche Darlegungen, die ein realwissenschaftliches Erklarungskonzept erkennen lassen. Damit verzichten wir also auf Untersuchungen formaltheoretischer Pragung. Die Zuordnung der Texte zu 4 Kapiteln soli nicht bedeuten, daB alternative, konkurrierende Entscheidungstheorien unterschieden werden konnen. Vielmehr wechselt lediglich der dominante Aspekt der Betrachtung. So bildet das erste Kapi tel die Diskussion zur Rationalitat von Entscheidungen ab, wahrend das zweite Ka pitel die Wechselbeziehungen von (individuellen und kollektiven) Entscheidungstra gern unter EinschluB des dynamischen Umfeldes der Entscheidung betont. Hier wird die Rationalitatsdiskussion durchaus fortgeflihrt, aber unter dem spezifischen Akzent der Interaktion. Das dritte Kapitel konzentriert sich auf die Innovation als 5 Wesenszug der komplexen Entscheidung und gleichzeitig als Chance fUr den Wandel von Organisationen. Mit dem vierten Kapitel werden Beitrage erflillt, die mit den Leitgedanken der vorangegangenen Kapitel thematisch eng verbunden sind, jedoch in besonderer Weise methodologische Konsequenzen ziehen. Der Systemgedanke bewirkt eine Generalisierung der verschiedenen fachspezifischen Ansatze und mUn det in eine Metatheorie. Das methodologische Problem liegt hier im Briickenschlag zwischen theoretischem Entwurf und Realitatsbezug. Die ausgewahlten Quellen wurden nicht gewaltsam gekUrzt. Denn im Gegensatz zum Zitat soli ein Reader dem Leser die Chance lassen, die Kernsatze des Autors zu begreifen, auch die Schwierigkeiten des Wissenschaftsprozesses zu erkennen und da bei neue BezUge und Querverbindungen zu entdecken. Urn dem Leser die Texte in ihrem literarischen Kontext zu erschliegen, wurden den Kapiteln einleitende Kommentare vorangestellt, die nicht den Charakter von Rezensionen besitzen. Sie wollen vielmehr interpretieren und verknUpfen, urn ein aufgeschlossenes Studium der Quellen zu erleichtern. Die vorgelegte Schrift ist das Ergebnis der wissenschaftlichen Kooperation zwi schen dem Institute of Administration and Management, Union College and Univer sity in Schenectady, N. Y. und dem Institut fUr Organisation der Universitat MUn chen. Aus gemeinsamen Seminaren ging der Gedanke hervor, die originaren Ent wicklungsimpulse der Entscheidungstheorie literarisch zu belegen und den engen geistigen Zusammenhang zwischen den europaischen und amerikanischen Entwick lungslinien deutlich werden zu lassen. Urn so ernster mugte die Aufgabe genommen werden, die englischsprachigen Quellen in die deutschsprachige Fachdiskussion ein zufUgen. Bei der Auswahl und Kommentierung der Texte stand Rolf Bronner den Heraus gebern zur VerfUgung. Die Dbertragung aus dem Amerikanischen Ubernahmen wis senschaftliche Mitarbeiter beider Institute, die bei den einzelnen Beitragen nament lich ausgewiesen sind. Die inhaltliche Abstimmung der Dbersetzungen mit den Ori ginalquellen lag in den Handen von Norbert Joost. Thomas Girgensohn hat die tech nischen Arbeiten zur Entstehung dieser Veroffentlichung betreut. Allen Beteiligten danken wir fUr ihr erfolgreiches Engagement. Unser besonderer Dank gilt den Autoren und Verlagen, die der Dbernahme der Orginalquellen in dem vorgelegten Reader ohne Zogern zugestimmt haben. August 1976 Alfred L. Thimm Schenectady, N. Y. Eberhard Witte MUnchen 6 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5 1. Kapitel: Entscheidunf{ und Rationalitiit 9 1.1 Kommentar der Herausgeber. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 10 1.2 Joseph Schumpeter: Der Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 14 1.3 Oskar Morgenstern: Vollkommene Voraussicht und wirtschaftliches Gleichgewicht ............................. 23 1.4 James G. March und Herbert A. Simon: Kognitive Grenzen der Rationalitat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 41 2. Kapitel: Entscheidung als interaktiver Prozep . 77 2.1 Kommentar der Herausgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 78 2.2 Herbert A. Simon: Theorien der Entscheidung in den Wirtschafts-und Verhaltenswissenschaften ..................... 82 2.3 Richard M. Cyert, William R. Dill und James G. March: Die Rolle der Erwartungen bei unternehmerischen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ... 109 2.4 Richard M. Cyert und James G. March: Verhaltenstheorie der Unternehmung ..................................... 127 3. Kapitel: Entscheidung und Innovation . 143 3.1 Kommentar der Herausgeber ............... . 144 3.2 Alfred D. Chandler: Innovation in der Organisation. 147 3.3 Selwyn W. Becker und Thomas L. Whisler: Die innovative Organisation ............................... 180 3.4 Theodore Levitt: Innovative Imitation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3.5 Thomas L. Whisler: Der Einflug der Informationstechnologie auf die Steuerung der Organisation ........................... 204 7 4. Kapitel: Entscbeidung und System . ........................... 231 4.1 Kommentar der Herausgeber ............................... 232 4.2 Ludwig von Bertalanffy: Allgemeine Systemtheorie ............... 235 4.3 Russel L. Ackoff: Systeme, Organisation und interdisziplinare Forschung ........................................... 274 4.4 Jay W. Forrester: Industrial Dynamics. Dynamisches Modell der Unternehmung ........................................ 290 4.5 Charles P. Bonini: Simulation der Unternehmung ................. 327 8 1. Kapitel Entscheidung und Rationalitat 9 1.1 Kommentar cler Herausgeber Rationalitat wird von der klassischen okonomischen Theorie als elementare Voraus setzung fiir jede Entscheidung angesehen. Der Wahlakt folgt einer zwingenden, nach priifbaren Vernunft. Dieser Denkansatz laat dem Phanomen des Entscheidungs spielraums aus grundsiitzlichen Erwiigungen heraus keinen Platz. Die Entscheidungs person wird als Vollzugsinstanz einer objektivierten Rationalitiit verstanden. Sie ist - mit ihren menschlichen Unzuliinglichkeiten - bemiiht, den von ihr verlangten objektiv "richtigen" Aktionen des Anbietens, des Nachfragens, des Investierens etc. moglichst nahezukommen. Soweit sich Diskrepanzen zwischen Theorie und Reali tat zeigten, wurde aus der Position der klassischen Theorie angemerkt, daB die Kor rekturbediirftigkeit auf der Seite der Realitiit liegt, die nur unvollkommen beflihigt ist, die unbestreitbare Rationalitiit perfekt zu vollziehen. Die unter konkretem Ent scheidungszwang stehende Wirtschaftspraxis gelangte ihrerseits zu der Auffassung, Wirtschaftstheorie sei nicht nur von Wirtschaftstheoretikern entwickelt, sondern auch ausschlieBlich fur diese geeignet. Man glaubte auf beiden Seiten an einen fun damentalen Gegensatz zwischen Theorie und Praxis. Vor diesem Hintergrund ist die These Schumpeters (1912) 1 zu sehen, daB die Inno vation als wichtigste Aufgabe des Unternehmers und als eigentliche Triebkraft wirt schaftlichen Wachstums aufzufassen ist. Gerade die Innovation im Sinne der Durch setzung neuer Kombinationen kann aber nicht als ein rationaler Akt verstanden werden, der gleichsam objektiv vorgegeben ist und den das Wirtschaftssubjekt ledig lich unter Anwendung der Vernunftgesetze zu finden und zu realisieren hat. Das von Schumpeter gezeichnete Bild zeigt die Innovation vielmehr als eine echte, schopferische Entscheidung, fiir die es keine von jedermann anwendbare Regel gibt. In Deutschland wurde die Figur des Dynamischen Unternehmers bevorzugt unter weltanschaulichem Aspekt zur Rechtfertigung der Unternehmerwirtschaft gewiirdigt. Hier war eine historisch begriindete Diskussion zu bewiiltigen, die nach der Legiti mation der Macht iiber Unternehmungen fragte und leistungsgerechte Konzepte fur die Einkommensverteilung, insbesondere fiir die Gewinnverteilung suchte. Nachdem - mit dem Riickgang der physiokratischen Denkweise - der Faktor "Boden" aus der Diskussion eliminiert war, schien der Konflikt urn die Macht zwischen den Faktoren "Kapital" und "Arbeit" entschieden zu werden. In diesem Stadium der wissenschaftlichen Diskussion muBte die These von der Existenz eines iiberge ordneten dritten Faktors Aufsehen erregen. Heute ist diese Denkweise nahezu 1 Schumpeter, Joseph: Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung, Leipzig 1912. 10