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Entnazifizierungsgeschichten. Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit PDF

526 Pages·2020·2.781 MB·German
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Hanne Leßau Entnazifizierungsgeschichten https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Hanne Leßau Entnazifizierungsgeschichten Die Auseinandersetzung mit der eigenen NS-Vergangenheit in der frühen Nachkriegszeit https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften, der Axel Springer Stiftung und der Stiftung Zeitlehren Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Wallstein Verlag, Göttingen  www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Adobe Garamond Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf, unter Verwendung eines Fotos aus den National Archives, Washington, D.C. Umschlagfoto: Ein Berliner reicht im Geschäftszimmer der Entnazifizierungsstelle Steglitz seinen Fragebogen zur Prüfung ein.  (Print) ----  (E-Book, pdf) ---- https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Historische Forschungen zur Entnazifizierung . . . . . . . . . . . . . 13 Eine neue Perspektive. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Vorgehensweise, Quellen und Aufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 I. Die Entnazifizierung in der alliierten Nachkriegspolitik . . . . 37 II. Antworten geben. Konzeption, Anwendung und Aneignung des Entnazifizierungsfragebogens . . . . . . . . . . . . . . . . 55 . Entstehung und Bedeutung des alliierten Fragebogens . . . . . . . 58 . Fragelogiken der Entnazifizierungsfragebögen. . . . . . . . . . . . 70 . Das Ausfüllen des Fragebogens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 . Wahre und falsche Antworten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 III. Auf der Suche nach Leumundszeugnissen. Das Sprechen über personelle NS-Vergangenheiten im Privaten . . . . . . . . . . . 121 . Bedingungen privater Kommunikation in der frühen Nachkriegszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 . Das millionenfache Sprechen über personelle NS-Vergangenheiten in der Leumundspraxis . . . . . . . . . . . . 133 . Dynamiken der Zeugnisausstellung zwischen persönlich Bekannten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 . Die argumentative Struktur der Leumundszeugnisse und ihre kommunikativen Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . 179 IV. Deutungen der eigenen NS-Vergangenheit. Argumentationsweisen, Themen und Leerstellen der Entnazifizierungseingaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 . Die Entnazifizierungsgeschichten und ihre Verfasser . . . . . . . . 201 . Biografisches Erzählen und die Distanzierung vom Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. . Das Themenspektrum der Entnazifizierungsgeschichten und sein erfahrungsgeschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . 234 V. In der Entnazifizierungsbürokratie. Formelle und informelle Interaktionen zwischen Verfahrensbetroffenen und Prüfinstanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 . Rechtliche Regelungen, institutionelle Logiken und der Umgang mit Wissen in der Entnazifizierung . . . . . . . . . . . . 272 . Personal und Arbeitsbedingungen der Entnazifizierungsausschüsse in der britischen Besatzungszone. . . . 295 . Das unaufgeforderte Aufsuchen von Ausschüssen und Prüfern . . . 314 . Die formelle Entscheidungsfindung in den Haupt- und Unterausschüssen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 . Juristische Verfahrensweisen und ihre Auswirkungen auf die Entnazifizierungsgeschichten . . . . . . . . . . . . . . . . 374 VI. Die Entnazifizierungsgeschichten in der jungen Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 . Das Bewahren der Entnazifizierungsakten . . . . . . . . . . . . . 405 . Die Erfahrung der Entnazifizierung und der Rückblick auf die eigene NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik . . . . . . 437 Schluss: Was war die Entnazifizierung? . . . . . . . . . . . . . . . 475 Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492 Tabellen und Abbildungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig. Einleitung Hunderte Menschen drängten am frühen Abend des . Oktober  in den Wartesaal . Klasse im Kölner Hauptbahnhof. Sie alle verband das Interesse an einem mit Spannung erwarteten Ereignis, zu dem der Bahnhofsbuchhändler Gerhard Ludwig eingeladen hatte: Seit Dezember  veranstaltete er jeden Mittwoch unter dem Motto »Freier Eintritt. Freie Fragen. Freie Antworten« Diskussionsrunden zu zeitgenössischen Themen aus Kultur, Gesellschaft und Politik. Rasch hatten sich die kostenlosen Gesprächsabende als feste Größe im Kölner Kulturleben etabliert, rund dreihundert Gäste besuchten sie im Schnitt. An diesem Mittwoch, dem . Termin der Reihe, kamen noch weit mehr Zuschauer. Ludwig hatte mit diesem außerordentlichen Andrang ge- rechnet und war vorsorglich in den größeren Wartesaal . Klasse ausgewichen, der mehr Publikum fasste als die Räumlichkeiten, die er üblicherweise nutzte. Außerdem sorgte er erstmals dafür, dass die Diskussion auf Tonband aufge- zeichnet wurde. Grund für die hohen Erwartungen war der geladene Gast: der Schrift- steller Ernst von Salomon, dem wenige Monate zuvor mit seinem Roman Der Fragebogen einer der spektakulärsten Bucherfolge der jungen Bundes- republik geglückt war. Bereits am Erscheinungstag war die Startauflage von   Exemplaren ausverkauft; wiederholt musste in den nächsten Monaten nachgedruckt werden. Rund   Exemplare konnte der Rowohlt Verlag in den ersten zwei Jahren nach der Veröffentlichung absetzen. Die in- und ausländische Tagespresse, aber auch die politisch-historischen Zeitschriften be- sprachen die Publikation zahlreich. Rasch interessierten sich auch ausländische Verleger für das Buch, und insbesondere in den Ländern der westdeutschen Besatzungsmächte – Frankreich, Großbritannien und die USA – waren bald Übersetzungen auf dem Markt. Das Thema des Romans bildet die Entnazifizierung genannte Überprüfung der Deutschen auf ihre nationalsozialistische Vergangenheit. Seine Erzählweise ist autobiografisch. Damit setzte sein Autor eine Strategie fort, die ihm be- reits bei seinen früheren Romanen hohe Auflagen und ein breites Publikum gesichert hatte. Denn Ernst von Salomons Leben war ebenso aufregend wie politisch brisant verlaufen: Während der er Jahre war er als Publizist und Rechtsterrorist engagiert gegen die ihm verhasste junge Demokratie vorge-  Für die Mittwochgespräche siehe Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), Freier Eintritt; Steinberg, »Rangierbahnhof des Geistes«.  Der Abend wurde für Veranstalter Gerhard Ludwig durch die Presseberichterstattung zu einem derartigen Erfolg, dass beim . Mittwochgespräch am .. die Ton- bandwiedergabe des . Mittwochgespräches auf dem Programm stand (Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), Freier Eintritt, S. ).  Salomon, Der Fragebogen. Zu den Vertriebszahlen: Oels, Rowohlts Rotationsroutine, S. -; Streim, Unter der ›Diktatur‹ des Fragebogens, S. . https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.  gangen, war Kämpfer in verschiedenen Freikorps gewesen, hatte sich an der Ermordung Walther Rathenaus beteiligt und hierfür mehrere Jahre im Zucht- haus gesessen. Dieses Leben bot reichlich und gut zu vermarktenden Stoff, den sein Verleger Ernst Rowohlt in den frühen er Jahren gekonnt auf dem Buchmarkt platzierte. Mit dem Fragebogen trieb von Salomon dieses erprobte Verfahren auf die Spitze. Seine nun auch die Jahre der nationalsozialistischen Herrschaft um- fassende Autobiografie kleidete er formal in die Struktur des alliierten Frage- bogens, mit dem seit Kriegsende Millionen Deutsche zu ihrer Beziehung zum Nationalsozialismus befragt worden waren. Das wenige Seiten umfassende Formular dehnte er allerdings auf einen  Seiten starken, sehr persönlichen Lebensbericht aus – womit er seiner scharfen Kritik an dem bürokratischen Überprüfungsverfahren der Entnazifizierung bereits in der Form des Buches Ausdruck verlieh: Ein Leben, sagen diese zahlreichen Buchseiten, lässt sich mit einem standardisierten Formular nicht beurteilen. Den  Fragen des Fragebogens begegnete von Salomon mit beißendem Spott, Zynismus und Ausschweifungen. Er nutzte sie als Aufhänger für längliche Erzählungen aus seinem Leben in der Weimarer Republik, der nationalsozialistischen Diktatur und der Nachkriegszeit. Besonders raumgreifend schildert er seine vierzehn- monatige Haft im Internierungslager Nürnberg-Langwasser, in dem er, so sein Bericht, von den alliierten Besatzern ausgesprochen schlecht behandelt worden sei. Er beklagt Gewalt und Misshandlungen durch die Besatzungsmächte, die Verbrechen des Nationalsozialismus erwähnt er hingegen kaum. Seine poli- tische Botschaft war leicht zu erfassen: Mit provokativen Gleichsetzungen von NS-Herrschaft und amerikanischer Besatzungsverwaltung gespickt, diskredi- tiert Der Fragebogen das Bemühen der Alliierten um eine Aufarbeitung der NS- Vergangenheit und relativiert die Gewaltherrschaft und Vernichtungspolitik des Nationalsozialismus. Viele Historiker und Historikerinnen sehen in der scharfen Ablehnung von Entnazifizierung und Besatzungsherrschaft sowie der Verharmlosung der NS- Vergangenheit den Grund für den Publikumserfolg des Buches. »Ernst von Salomon verlieh den Emotionen des Volkes in seinem Bestseller ›Der Frage- bogen‹ im Jahr  sinnfälligen Ausdruck«, betont etwa Manfred Kittel. Und auch Norbert Frei attestiert von Salomon, »mit dem ›Fragebogen‹ […]  den Nerv der Zeit« getroffen zu haben. In den wissenschaftlichen und poli- tischen Debatten zum Umgang der Deutschen mit dem Nationalsozialismus avancierte Der Fragebogen deshalb zum »Synonym für eine als gescheitert betrachtete Bewältigung der NS-Diktatur«: zum Symbol für das Bemühen  Zu Ernst von Salomon und zum Fragebogen: Parkinson, An Emotional State, S. -; Streim, Unter der ›Diktatur‹ des Fragebogens. Zu seiner Biografie ausführlich: Fröh- lich, Soldat ohne Befehl.  Kittel, Die Legende von der »Zweiten Schuld«, S. .  Frei, Karrieren im Zwielicht, S. .  https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.  der jungen Bundesrepublik, einen Schlussstrich unter die von den alliierten Besatzern aufgezwungene Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Ver- gangenheit zu ziehen. Die schnellen Schlüsse von den hohen Verkaufszahlen auf »die mentale Stimmung im Nachkriegsdeutschland« greifen allerdings zu kurz. Gewiss waren unter von Salomons Leserinnen und Lesern viele, die die Meinung des Autors teilten. Die zeitgenössische Rezeption des Buches war jedoch deutlich vielschichtiger und kritischer, was Ernst von Salomon bei seinem Auftritt im Kölner Hauptbahnhof am eigenen Leib erfuhr. Es war die erste Publikums- veranstaltung zum Fragebogen – und es blieb die einzige. Sie zeigte dem Autor, dass die heftigen Kritiken, mit denen die deutsche Presse sein neuestes Buch seit Erscheinen im Frühjahr  überschüttet hatte, keineswegs nur ein Phä- nomen der Literaturredaktionen waren. Die Publikumsreaktionen lassen sich deutlich in den Überschriften ablesen, mit denen Journalisten die Begegnung später zusammenfassten. »Von Salomon unter dem Messer«, hieß es dort, »Ihr Buch ist ein Unglück« oder – einen Ausruf des Schriftstellers aufgreifend – »Jetzt werde ich geschlachtet«. Der Spiegel schrieb, von Salomon habe auf recht verlorenem Posten gekämpft, die versammelten Gäste hätten sein Buch »zerfetzt« und sein einziger Fürs precher »war einer, der das Buch nicht gelesen hatte.« Woran sich der heftige Widerspruch des Publikums entzündete, überlie- fert die erwähnte Tonbandaufnahme. Bereits die erste Wortmeldung macht deutlich, dass insbesondere die Gleichsetzung von NS-Regime und alliierter  Borgstedt, Der Fragebogen, S. . Signifikantes Zeichen hierfür ist die Aufnahme des Fragebogens als Eintrag in Fischer/Lorenz (Hg.), Lexikon der ›Vergangenheits- bewältigung‹ (Fischer, Art. Ernst von Salomon: Der Fragebogen) sowie Agazzi/Schütz (Hg.), Handbuch Nachkriegskultur (Oels, Art. Ernst von Salomon: Der Fragebogen ().  Borgstedt, Der Fragebogen, S. .  Kritik am verbreiteten Vorgehen, von Publikumszahlen auf politischen Zuspruch zu schließen, auch bei Weckel, Beschämende Bilder, S.  f.  Zur Rezeption: Streim, Unter der ›Diktatur‹ des Fragebogens, S. -; Parkinson, An Emotional State, S. -; Oels, Rowohlts Rotationsroutine, S. .  Von Salomon unter dem Messer, in: Der neue Vertrieb. Magazin für Presse-Marke- ting und -Verkauf vom .. und »Ihr Buch ist ein Unglück«, in: Rheinische Post (= RP) vom .., beide zit. nach: Historisches Archiv der Stadt Köln (Hg.), Freier Eintritt, S. ; »Jetzt werde ich geschlachtet«, in: Der Spiegel vom ...  »Jetzt werde ich geschlachtet«, in: Der Spiegel vom ...  Eine Tonbandaufnahme des . Mittwochgesprächs liegt im Informationszentrum des Hauses für Geschichte in Bonn (V /.), ein Transkript in der Wiener Library/London, OSP-/, . »Mittwochgespräch« in Köln am . Okto- ber . Nach diesem wird im Folgenden zitiert. Die WDR-Produktion »Der Streit der frühen Jahre. Die Kölner Mittwochgespräche -«,  CDs, umfasst nur Ausschnitte aus dem Abend. Das Sendemanuskript der WDR-Produktion ist abge- druckt bei Hoven, Der Fragebogen. Das »Kölner Mittwochgespräch« mit Ernst von Salomon.  https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.  Besatzungsmacht die Zuhörer erregte und sie die verzerrte Darstellung der nationalsozialistischen Verbrechen als Gefahr für die Gegenwart erachteten. Er habe anderthalb Jahre im besetzten Polen arbeiten müssen, betonte der Redner, bevor er »zum Militär geholt« worden sei, und dort habe er sehen können, »wie wir ein besiegtes Volk behandelt haben, das ist ein großer Unterschied.« Der Mann warf von Salomon vor, »dass Sie mit ihrem Fragebogen dazu beigetragen haben, dass die deutsche Nation vergisst, dass die Leute, die sich den Namen Deutsche gegeben haben, mindestens  Millionen Juden in Polen und anderen Orten vergast haben. […] Ich kann Ihnen sagen, mein lieber Herr, ich habe die Kamine von Auschwitz rauchen gesehen als Deutscher. Ich habe meiner Mutter gesagt, wie ich zurückkam und sie fragte, wie ist es denn in Polen gewe- sen? Meine liebe Mutter, frage mich nicht. So war die Situation.« Mit seinen Geschichten über die schlechte Behandlung durch die Amerikaner biete von Salomon dem »in der Wolle gefärbten Nazi« nun die Chance zur Aufrechnung und Relativierung. Die folgenden Redner argumentierten ähnlich. Angesichts einer Textpassage, in der von Salomon berichtete, während des Nationalsozia- lismus »gut gelebt« und »dabei kein einziges Mal« an jene gedacht zu haben, »die zur gleichen Zeit in den KZ saßen«, empörten sie sich über den »nicht mehr grösser zu veranstaltende[n] Zynismus, sich, den Herrn von Salomon, in einem Satz zu bringen mit den Millionen [Toten].« Wiederholt prangerte das Publikum zudem beschönigende Darstellungen der NS-Funktionäre im Fragebogen an. Zwischenrufe und Beifall zeigten breite Unterstützung für die Einwände. Ernst von Salomon traf in Köln also keineswegs auf ein Publikum, dessen Gefühlen und Einstellungen er sinnfälligen Ausdruck gab. Die eindeutigen Wortmeldungen während des Mittwochgesprächs zeigen, dass man bei einem genaueren Blick auf die zeitgenössische Wahrnehmung des Fragebogens nicht umhinkommt, diese mindestens als kontrovers einzuschätzen. Von Salomons eigener Darstellung, der öffentlich negativen Rezeption habe im Privaten eine wohlwollende entgegengestanden, kann gewiss kaum Glauben geschenkt wer- den. Sie lässt sich jedenfalls nur schwer überprüfen, da er »critical responses to his book« nicht aufbewahrte und die überlieferte Zuschauerpost aus diesem Grund »only like-minded responses« enthält. Sicherlich sprach von Salomon, wie es in manchen Briefen steht, Zeitgenossen aus der Seele. Anderen Deut- schen, und nicht wenigen, war sein Reden jedoch massiv zuwider. Sie teilten seine Darstellung der NS-Vergangenheit nicht, sondern fühlten sich zum laut- starken Einspruch aufgerufen. Der keineswegs übergreifende Zuspruch zum Fragebogen erinnert einmal mehr daran, dass sich der Umgang der Deutschen mit dem Nationalsozia-  Diese und folgende Zitate: Wiener Library/London, OSP-/, . »Mitt- woch gespräch«, S.  f. Hervorhebung im Original.  Ebd., S. . Die zitierte Textstelle findet sich in Salomon, Der Fragebogen, S. .  Parkinson, An Emotional State, S. . Der Aufsatz enthält auch Beispiele für solche Leserzuschriften.  https://doi.org/10.5771/9783835344600 Generiert durch Universität Leipzig, am 01.05.2021, 19:52:17. Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.

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