Empirische Organisations- und Entscheidungsforschung Prof. Dr. Rolf Bronner Wenzel Matiaske Thomas Mellewigt Friedrich A. Stein (Hrsg.) Empirische Organisations- und Entscheidungsforschung Ansätze, Befunde, Methoden Festschrift zum 60. Geburtstag von Herrn Professor Dr. Rolf Bronner Mit 67 Abbildungen und 26 Tabellen Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH PD Dr. Wenzel Matiaske Universitiit Paderbom Lehrstuhl fUr ABWL, insbes. Personalwirtschaft D-33095 Paderbom und Werkstatt fUr Organisations- und Personalforschung, Berlin E-mail: Geleitwort Eberhard Witte Obgleich Rolf Bronn er noch mitten in seiner fruchtbaren Schaffensperiode steht, kann er bereits auf eine mehr als 25jährige Erfahrung in der betriebswirtschaftli- ehen Forschung zurückblicken. Es begann in unserer gemeinsamen wissenschaft- lichen Kinderstube, der Universität Mannheim: unter dem Einfluß von Karl Pop- per und Herbert Sirnon begannen wir, Entscheidungsprozesse in Unternehmen und Behörden zu analysieren. Rolf Bronner hat an der damaligen Pionierleistung be- sonders engagiert und erfolgreich teilgenommen. Neben der Dokumentenanalyse zur Rekonstruktion innovativer Vorgänge der Willensbildung hat er zusätzlich Ent- scheidungsexperimente mit Gruppen von Studenten und Führungskräften der Pra- xis durchgeführt. Der ihn kennzeichnende Ordnungssinn führte zu der Einsicht, daß empirische Felduntersuchungen stets unter der verwirrenden Vielzahl von Einfluß- variablen leiden. Demgegenüber hat es der Experimentalforscher besser: er ist in der Lage, die von ihm untersuchten Variablen unter strengen Laborbedingungen zu kontrollieren. Zwar hatBronnerauch immer wieder das empirische Feld aufgesucht. Aber das ihm gemäße Forschungsverfahren war und blieb das Laborexperiment Da die Experimentalforschung in der Betriebswirtschaftslehre nicht über eine gefestigte Tradition verfügte, mußten die betriebswirtschaftliehen Fragestellungen erst auf dieses wissenschaftliche Verfahren zugeschnitten, d. h. definiert und opera- tionalisiert werden. Auch die Laboranordnung selbst gab es vor den frühen Experi- menten Bronners nicht. Am Anfang stand ein handwerklich erstelltes Synergome- ter. Die Versuchspersonen erlebten einen Neuanfang und waren von dem wissen- schaftlichen Erfolg dieser ungewohnten Vorgehensweise begeistert. Die Spielregeln wurden zunächst aus einem Planspiel abgeleitet. Später entstanden komfortablere Arbeitskabinen, die eine schriftliche und fernmündliche Kommunikation zwischen den Versuchspersonen ermöglichten, und Ende der 80er Jahre fanden die Teilneh- mer schließlich vernetzte Computerarbeitsplätze vor. Der Aufbau eines Videokon- ferenzstudios zeigt den weit gespannten Bogen der technischen Ausreifung eines Experimentalkonzeptes. Inhaltlich hat sich Rolf Bronner konkreten Fragestellungen der Organisations- und Entscheidungsforschung gewidmet. Dabei spielten die Informationsströme ei- ne wesentliche Rolle. Sie wurden gemessen und systematisch ausgewertet. Eine typische Bronner-Variable war von vornherein der Streß. Er wurde als Zeitdruck in die Experimentalanordnung eingeführt, um zu prüfen, inwieweit sich das Entschei- dungsverhalten ändert. Nach zusätzlicher Berücksichtigung von Wertorientierungen gelangte Bronner zu Anforderungsprofilen an Führungskräfte. Daran schloß sich konsequent das The- menspektrum der Ausbildung und Weiterbildung an. · Die Teilnahme von Studenten und Praktikern an den Laborexperimenten doku- mentiert in hervorragender Weise die Einheit von Forschung und Lehre. Dies wird auch in den Lehr- und Arbeitsbüchern zur Planung und Entscheidung sowie zur em- VI Eberhard Witte pirischen Organisations- und Personalforschung deutlich. Bronner war und ist kein weltferner Forscher, sondern ein leidenschaftlicher akademischer Lehrer, der sei- ne Studenten an den kreativen Forschungsprojekten teilnehmen läßt. Die Schüler reagierten mit einem besonderen Engagement und mit einer ganz natürlichen Zu- neigung zu ihrem akademischen Lehrer. Den Brückenschlag zur Praxis fand Bronner in vielbeachteten Projekten zur Organisationsentwicklung. Die jüngste Publikation zum Veränderungsmanagement basiert auf einer umfassenden empirischen Studie, die sich dem geplanten organisa- torischen Wandel widmet. Bronner hat es als Forschender und als Lehrender verstanden, seine Freunde, Mitarbeiter und Kollegen mitzureißen und sie zu ermutigen, die schwierige Arbeit der realwissenschaftlichen Forschung auf sich zu nehmen. Als Frucht dieser An- regung liegt ein Gemeinschaftswerk und Geburtstagsgeschenk vor, das sich sehen lassen kann. Hier ist eine Gruppe von Wissenschaftlern am Werk, die zukunftswei- sende Arbeit leistet. Dies ist die schönste Gratulation, die man einem 60jährigen Hochschullehrer entgegenbringen kann. Inhaltsverzeichnis Geleitwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Eberhard Witte Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Wenzel Matiaske, Thomas Mellewigt und Friedrich A. Stein I Empirische Organisationsforschung Empirische Konzernorganisationsforschung: State of the Art und künftiger Forschungsbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Wenzel Matiaske und Thomas Mellewigt Anspruch und Wirklichkeit virtueller Unternehmen: Eine betriebswirtschaft- liehe Analyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 Klaus Macharzina und Holger J. Dürrfeld Steuerungsprobleme in strategischen Netzwerken: Eine machttheoretische Pro- blematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Wenzel Matiaske und Susanne Gretzinger Interne Dienstleistungsqualität am Beispiel der Kostenrechnung: Konzeptio- nelle Überlegungen und empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 Christian Hornburg und Martin Faßnacht Betriebliche Weiterbildung und Arbeitsmarktsituation: Qualifizierungsmaß- nahmen im Lichte organisationstheoretischer Ansätze und ernpriseher Daten- analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Albert Martin und Herbert Düll Corporate Governance und Hochschulmanagement. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 Wolfgang Weber und Jörg Habich Bewertung der Management-Leistung von Rundfunkanstalten: Eine empiri- sche Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 Friedrich A. Stein VIII Inhaltsverzeichnis II Empirische Entscheidungsforschung Der Einfluß von Zielen und Werten auf Führungs- und Problemlöseverhalten: Ein Erfahrungsbericht zur Gestaltung von Entscheidungsprozessen . . . . . . . . . 163 Wolfgang Sehröder Analyse von Entscheidungsprozessen in Konferenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 · Karl-Klaus Pullig Aufgaben- und an wenderbezogene Aspekte der Videokommunikation . . . . . . . 212 Wolfgang Ph. Appel Der Einsatz Grafischer Kettenmodelle in der empirischen Entscheidungsfor- schung: Am Beispiel des ,,Escalation of Commitment" . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2 30 Volker Wiemann Verzeichnis der Schriften Rolf Bronners 243 Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .2 51 Einleitung Wenzel Matiaske, Thomas Mellewigt und Friedrich A. Stein Das Programm einer "empirischen Theorie der Unternehmung" gehört zu den einflußreichsten Konzepten in der jüngeren Geschichte der Betriebswirtschaftslehre. Sicher, eine kohärente empirische Theorie der Unternehmung wurde bislang nicht erreicht. Angesichts der Vielfalt konkurrierender theoretischer Entwürfe ist viel- mehr festzuhalten, daß eine solche Theorie nicht mehr auf der Agenda der Disziplin steht. Der Erfolg des Programms manifestiert sich vielmehr darin, daß ein realwis- senschaftlicher Zugang zum Handeln in und von Unternehmungen Normalität ge- worden ist. Kein Fachgebiet der Betriebswirtschaftslehre, das der empirischen For- schung verschlossen geblieben ist. Gleichwohl ist die Intensität mit der realwissen- schaftliche Forschung betrieben wird, nicht in allen Fachgebieten in gleicher Weise ausgeprägt. Im Rückblick auf die "Gründerjahre" ist es nicht verwunderlich, wenn in der Organisations- und Entscheidungsforschung empirische Forschungsmetho- den zum Handwerkszeug zählen. In diesen Gebieten ist, wie insbesondere in der Marketing- und der Personalforschung, die Arbeitsweise ein gutes Stück auf dem Weg zur ,,Normalwissenschaft" vorangekommen. Das Anliegen des hier vorgelegten Bandes ist es nicht nur, einen Forscher zu ehren und zu seinem 60sten Gehurstag zu gratulieren, der auf diesem Weg voran- geschritten ist und andere zur empirischen Arbeit ermuntert hat. Rolf Bronner ver- steht realwissenschaftliche Forschung als Abenteuer und fortwährendes Bemühen um Forschungsgegen:;tände, Theorien und Methoden. Weil wir ihn so verstanden haben, ziehen die Autoren dieses Bandes nicht Bilanz, sondern zeigen an aktuellen Problemen betriebswirtschaftlicher Organisations- und Entscheidungsforschung in actu Mög!ichkeiten und Schwierigkeiten eines empirischen Zugangs. Der Titel ,,Empirische Organisations- und Entscheidungsforschung'' charakteri- siert das wissenschaftliche Programm Rolf Bronners. Entsprechend ist der Band in zwei Teile gegliedert. Unter dem Stichwort der Organisation sind Beiträge grup- piert, die vor allem neuere Organisationsformen empirisch untersuchen, das Poten- zial der Organisationsforschung ausloten und Steuerungsmöglichkeiten von Orga- nisationen erurieren. Der Entscheidungsforschung überschriebene Teil versammelt Beiträge zu Determinanten betrieblicher Entscheidungen, zum Entscheidungstrai- ning und zur Methodik der Entscheidungsforschung. Ziel des Beitrags von Mellewigt und Matiaske ist es, den Stand der empirischen Konzernorganisationsforschung aufzuzeigen. Speziell werden Untersuchungen zu den Aspekten Konzernorganisationsformen, Konzernzentrale sowie situativen Ein- ftußfaktoren der Konzernorganisation betrachtet. Ergebnis ihres Übersichtsreferates ist, daß die empirische Konzernorganisationsforschung theoretisch bislang unzurei- chend fundiert und inhaltlich durch den Vergleich verschiedener Konzernorganisa- tionsformen, die Organisation der Konzernzentrale sowie die Analyse der strategi- schen Holding geprägt ist. Der künftige Forschungsbedarf richtet sich aus Sicht der Autoren daher auf den Vergleich von Einheitsunternehmen und Konzern, auf die 2 Wenzel Matiaske, Thomas Mellewigt und Friedrich A. Stein effiziente Gestaltung des Stammhauskonzerns sowie auf den Übergang von einer Konzernform zur anderen. Macharzina und Dürrfeld widmen sich dem hochaktuellen Thema virtueller Un- ternehmen. Sie identifizieren zunächst konstitutive Elemente und Grundtypen vir- tueller Unternehmen. Im Anschluß daran entmystifizieren die Autoren das Konzept virtueller Unternehmen, indem sie seine Grenzen und Widersprüche aufzeigen. Dar- auf aufbauend überprüfen sie die Ausprägungen virtueller Unternehmen anband ei- ner Stichprobe von Unternehmen der deutschen KFZ-Zulieferindustrie. Das Ergeb- nis ist ernüchternd: virtuelle Strukturen sind wenig praxisrelevant Die unternehme- rische Zusammenarbeit wird vielmehr in Form der klassischen Projektorganisation innerhalb bestehender Unternehmensgrenzen abgewickelt, wobei allerdings ein ho- her Grad an unternehmensübergreifender Prozeßzerlegung zu konstatieren ist. Kooperationen sind auch das Thema des Beitrages von Matiaske und Gretzin- ger. Sie arbeiten heraus, daß Unternehmenskooperationen oder, genauer, strategi- sche Netzwerke mit einem komplexen Steuerungsproblem konfrontiert sind. Einer- seits verlangt stabile Kooperation die Integration eines Unternehmensverbundes. Die beteiligten Einzelunternehmen sollen multipel in das Netzwerk eingebunden sein. Aus Sicht des Allianzführers erscheint unter dem Gesichtspunkt der Willens- durchsetzung andererseits ein wenig integriertes, hierarchisch aufgebautes Netz- werk zweckmäßiger. die Autoren entwickeln dieses Steuerungsparadox vor dem Hintergrund der relationalen Machttheorie und illustrieren es anband des Fallbei- spiels eines Entwicklungsverbundes kleiner und mittelständischer Unternehmen. Hornburg und Faßnacht konzentrieren ihre Untersuchung auf ein Fachge- biet, welches bislang von der empirischen betriebswirtschaftliehen Forschung ver- nachlässigt wurde: das interne Rechnungswesen. Sie konzeptionaliseren die Bezie- hung zwischen internem Rechnungswesen und General Management sowie Marke- tingNertrieb als unternehmensinterne Kunden-Lieferanten Beziehung. Dabei ent- wickeln sie zunächst ein Meßmodell für die interne Dienstleistungsqualität der Ko- stenrechnung mittels der Dimensionen Potential-, Prozeß- und Ergebnisqualität Ih- re branchenübergreifenden empirischen Studie von Industrieunternehmen zeigt, daß alle drei Qualitätsdimensionen das Ausmaß der Nutzung von Kostenrechnungsinfor- mationen signifikant positiv beeinflussen. Martin und Düll diskutieren in ihrem Aufsatz Determinanten der betriebli- chen Weiterbildung. Empirisch bestimmen die Autoren den Einfluß verschiedener unternehmensexterner und -interner Variablen wie Arbeitsmarktsituation, Wettbe- werbsdruck, Humankapitalausstattung oder die Innvovativität des Leistungsprozes- ses auf die Unternehmerische Investitionsentscheidung in die Weiterbildung. Daten- basis ihrer Untersuchung ist das lAB-BetriebspaneL Die Autoren demonstrieren, wie in der Organsationsforschung bislang aus verschiedenen Gründen wenig ge- nutzte Datensätze der volkswirtschaftlichen und soziologischen "Großforschung'' sekundäranalytisch fruchtbar gemacht werden können. Dazu bedarf es einer theore- tischen Grundlegung und ihrer Operationalisierung. Die zentrale Problematik empi- rischer Forschung - abstrakte Ideen hinreichend genau zu operationalisieren und dabei notwendige Hilfsannahmen zu explizieren - ist das Metathema der Autoren.