Sabine Manzel Carla Schelle Hrsg. Empirische Forschung zur schulischen Politischen Bildung Empirische Forschung zur schulischen Politischen Bildung Sabine Manzel · Carla Schelle (Hrsg.) Empirische Forschung zur schulischen Politischen Bildung Herausgeber Sabine Manzel Carla Schelle Universität Duisburg-Essen Johannes Gutenberg-Universität Mainz Essen, Deutschland Mainz, Deutschland ISBN 978-3-658-16292-4 ISBN 978-3-658-16293-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-16293-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. 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Lektorat: Dr. Jan Treibel Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Vorwort Die Idee zu diesem Band ist während der Tagung des Arbeitskreises Fachun- terrichtsforschung Politik (AFP) entstanden, die 2015 an der Universität Duis- burg-Essen stattgefunden hat. Dabei konnte der Austausch auch zwischen unterschiedlichen Forscher*innengenerationen wieder angeregt werden. Inso- fern knüpft die nun vorliegende Publikation an den Vorgängerband „Empiri- sche Forschung in gesellschaftswissenschaftlichen Fachdidaktiken“ an. Die hier versammelten Beiträge zeigen erneut die Bandbreite aktueller empirischer For- schungsprojekte rund um Themen schulischer Politischer Bildung in Deutsch- land. Diesmal ist jedoch insbesondere der wissenschaftliche Nachwuchs vertreten und präsentiert Forschungsideen und neue Studien, die das Fach weiterentwi- ckeln. Die Debatten über Qualitätskriterien in den vergangenen Jahren haben dazu geführt, dass die Vertreter*innen sowohl qualitativer als auch quantitativer Verfah- ren, die teils hier mit eigenen Beiträgen zu Wort kommen, sich darin einig sind, dass es Standards als Maßstab für gute Forschung geben muss. In diesem Sinne ist der fachdidaktische Austausch in der Community zur Normalität zurückge- kehrt, die Aufgeregtheiten über unterschiedliche methodische Zugänge sind abge- ebbt und lassen vielmehr inhaltliche Diskussionen zum Vorschein kommen. Dies freut uns als Herausgeberinnen, da wir eine polarisierende Debatte über die „bes- sere Forschungsmethode“ in einer überschaubar großen Fachdisziplin für wenig zielführend halten. Vielmehr haben unterschiedliche erkenntnistheoretische Sicht- weisen mit ihren präferierten Forschungsmethoden ihre eigenen Stärken. Sie brin- gen in ihrer Dualität die Schul- und Unterrichtsforschung auch in der Politischen Bildung konstruktiv weiter1. Und können, wie auf der AFP-Tagung sichtbar 1Keynote von A. Scheunpflug am 13.6.2016 anlässlich des Tags der Lehrerbildung und Bildungsforschung an der Universität Duisburg-Essen. V VI Vorwort wurde, auch zu neuen Fragestellungen führen, z. B. was die Möglichkeiten der Kombination unterschiedlicher methodischer Verfahren anbelangt. Im Überblick lassen sich die Beiträge unterschiedlichen Schwerpunkten zuordnen, die nicht immer ganz trennscharf abgegrenzt werden können. Sie changieren zwischen einer Orientierung an Lehrpersonen, Schüler*innen und Gegenständen. Die the- menbezogenen Beiträge in diesem Band sind daher in drei Kapitel untergliedert: Im ersten Themenblock werden Orientierungen, Hintergrundvariablen und Sichtweisen zum Unterricht untersucht. Georg Weißeno und Barbara Landwehr gehen der Frage nach, ob es einen Zusammenhang von Systemvertrauen und Wissen gibt. Die Daten von 1071 Schüler*innen wurden in 51 neunten und zehnten Klassen erhoben und probabi- listisch ausgewertet. Es zeigt sich nur ein geringer Effekt der Partizipationserfah- rung auf das Wissen. Jedoch zeigt sich eine positive Auswirkung des politischen Wissens auf die Partizipationsbereitschaft. Im Rahmen des BMBF-Projektes SchriFT untersuchen Sabine Manzel und Farina Nagel quantitativ anhand einer Teilstichprobe (N 372) von insgesamt = 18 Klassen an 8 verschiedenen Schulen, wie sprachliches und fachliches Lernen zusammenhängen. Die Studie beleuchtet sowohl das Fachwissen Politik als auch das Bearbeiten eines Schaubildes zur Gewaltenteilung in einer Demokratie. Es gibt entgegen der POWIS-Studie Anzeichen dafür, dass Mehrsprachigkeit auf das Fachwissen keinen Einfluss hat, jedoch beim fachsprachlichen Schreiben diffe- renziert werden muss. Anke Wegner rekonstruiert die Sicht von Schüler*innen im bilingualen Sach- fachunterricht Politik und Wirtschaft in Hessen anhand von Interviewdaten und kann zeigen, dass diese über didaktische und hermeneutische Kompetenzen ver- fügen. Sie plädiert dafür, das schulische Lernen stärker als bisher aus der Subjekt- perspektive von Schüler*innen zu betrachten, weil sie Expert*innen ihres Lernens sind und über eigene Sinnkonstruktionen wertvolle Hinweise für die Gestaltung des Unterrichts einbringen können. Der zweite Themenblock nimmt die Wissens- und Handlungsebene der Akteure im Unterricht in den Blick. Dabei stehen in den ersten drei Beiträgen die Lehrkräfte im Zentrum der Auseinandersetzungen. In den darauffolgenden drei Beiträgen werden die Schüler*innen genauer betrachtet. Barbara Reichhart untersucht mittels einer quasi-experimentellen Studie das politische Selbstkonzept von Grundschullehramtsstudierenden (N 145) in Bay- = ern und kann zeigen, dass dies tendenziell schwach ausgeprägt ist, sich nicht ohne weiteres verändern lässt und daher über neue Maßnahmen nachzudenken wäre. Insbesondere ist die Lehrerausbildung und -professionalisierung zu überdenken, wenn ein Großteil der Grundschullehrkräfte weder auf ein entsprechendes Stu- dium der Fachwissenschaft noch der Politikdidaktik zurückblicken kann. Vorwort VII Einblick in die Möglichkeiten und Grenzen der Methode der videobasierten Diagnostik als Alternative zu Paper-Pencil-Testverfahren gibt Dennis Neumann. Mögliche Vorzüge von computerbasierten Videovignetten sind, dass sich einige der Charakteristika realer Unterrichtssituationen – wie Anforderungsreichtum, Situativität und Komplexität – angemessener in die Aufgaben einbetten lassen, als es in schriftlichen Items möglich ist. Stefanie Kessler richtet einen explorativen Blick auf die Handlungsorientie- rungen fachfremd unterrichtender Lehrer*innen im Fach Politik. Sie liefert erste Anhaltspunkte dafür, dass bei den Betroffenen außerschulische biografische Ein- flüsse prägend sind und eine Diskrepanz zwischen Orientierungen gemäß der eigenen normativen Vorstellung gelungenen Politikunterrichts und Orientierungen entsprechend externer Anforderungen und Erwartungen (z. B. Lehrpläne, Schul- leitung, Prüfungen, Zielgruppe) besteht. Robert Baar untersucht in 25 Gruppendiskussionen mit je drei bis fünf Zweitklässler*innen aus sechs verschiedenen Schulen in Baden-Württemberg kindliche Präkonzepte zum Thema Familie. Die Analyse der Gruppengespräche zeigt, dass Präkonzepte abhängig vom Gesprächsimpuls sowohl an Grenzen sto- ßen als auch Potenziale entfalten können. Der Autor plädiert auf der Basis seiner Befunde dafür, Präkonzepte als Gegenstand von Unterricht zu nutzen. Matthias Sowinski nimmt die Methode der Concept Maps zur Erfassung von Wissensstrukturen im Politikunterricht bei Schüler*innen der 8. Jahrgangsstufe unter die Lupe. In der quasi-experimentellen Studie mit Pre-Post-Design kann ein Anstieg fachlich korrekter Propositionen festgestellt werden, allerdings sind die Unterschiede beider Gruppen im Posttest nicht signifikant, was u. a. auf Legestra- tegien der Schüler*innen zurückgeführt werden kann. Mit der dokumentarischen Methode rekonstruiert Farina Nagel explizite und implizite Werthaltungen von Schüler*innen in Prozessen der politischen Urteils- bildung zum Thema Flüchtlinge. Unterschiedliche Orientierungsgehalte und der Rückgriff auf außerschulische Erfahrungen (z. B. eigene Fluchterlebnisse) lassen sich rekonstruieren. Dabei zeigt sich das Potenzial von diskursiven Gruppenge- sprächen in Ergänzung bzw. trianguliert zu schriftlichen Dokumenten Einzelner. Der dritte Themenblock setzt sich mit Materialien, Inhalten und Thematisie- rungen im Unterricht auseinander. Dabei werden zuerst Forschungsbeiträge zu Schulbüchern vorgestellt. Nach der Auseinandersetzung mit schriftlichem Mate- rial werden Studien zu mündlichen Thematisierungen und Inhalten präsentiert. Der Themenblock schließt mit einer Agenda zu Computerspielen für die schuli- sche Politische Bildung ab. Monika Oberle und Christian Tatje untersuchen anhand eines 6-faktoriellen Modells die Schulbuchnutzung im Politikunterricht quantitativ mittels teilstan- dardisierter Fragebögen bei 1076 Schüler*innen der Sekundarschulen und 123 VIII Vorwort Lehrkräften in Niedersachsen. Die Ergebnisse weisen neben einem Gendereffekt bei der Leistungsvorbereitung unter anderem darauf hin, dass Schulbücher insbe- sondere für Schüler*innen mit Migrationshintergrund bedeutungsvoll sind. Einen qualitativ-hermeneutischen Weg gehen Annika Rauch und Carla Schelle. Sie rekonstruieren exemplarisch Seiten eines französischen Sprachlern- buchs zur Darstellung deutscher Identität und problematisieren die kulturell- politischen Zuschreibungen, die anders als erwartet Fragen politischer Bildung aufwerfen und binationale Forschungsdesiderate offenbaren. Ebenfalls in der Tradition der hermeneutischen Rekonstruktion wirft Thomas Beier die Frage nach der Legitimierung von Sachzwängen anstatt der Ausbildung von Mündigkeit auf. Er analysiert die Einstiegsseite eines kompetenzorientierten Schulbuches in Hinblick auf bereits darin angelegte Widersprüche. Mit mündlichen Argumentationsmustern von Schüler*innen beschäftigt sich Dorothee Gronostay. Dabei beleuchtet sie methodische Herausforderungen des Toulmin-Modells anhand des Transkriptes einer Fishbowl-Diskussion zum Thema NPD-Parteienverbot. Sie empfiehlt eine Weiterentwicklung des Analyse- instruments für die Politikdidaktik in Anlehnung an Erduran, Simon und Osborne. Christopher Hempel, David Jahr und Dieter Koop thematisieren das Ein- bringen von Fachwissen und subjektivem Wissen bei der Konstitution des Gegenstandes im Politikunterricht. Mithilfe der dokumentarischen Analyse von Unterrichtsgesprächen zu Terroranschlägen 2015 in Paris zeigen sie an einem Fallbeispiel, wie stark darin etablierte Interaktionsmuster die Gegenstandskonsti- tution bestimmen. Sie fordern eine methodische Weiterentwicklung, um das Mit-, Neben- und Gegeneinander beider Wissensebenen sichtbar zu machen. Ein Plädoyer für die Nutzung digitaler Spiele im Politikunterricht halten zuletzt Marc Motyka und Frank Lipowsky. Sie kritisieren die Desiderata zum Nutzen von Computerspielen und entwickeln eine Forschungsagenda für die Poli- tische Bildung mit den drei Forschungsansätzen kognitive Konsequenzen, Medi- envergleich und Mehrwert-Studien, wobei die beiden letzten für die Politische Bildung fruchtbarer scheinen. Die Herausgeberinnen danken den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der AFP-Tagung für anregende Diskussionen und vor allem den Autorinnen und Autoren für ihre Mitarbeit und das Zustandekommen dieser Publikation, mit der der fachliche und methodische Diskurs in der schulischen Politischen Bildung weiter vorangebracht und vertieft werden soll. Duisburg-Essen, Deutschland Sabine Manzel Mainz, Deutschland Carla Schelle Inhaltsverzeichnis Teil I Orientierungen, Hintergrundvariablen und Sichtweisen zum Unterricht Zum Zusammenhang von politischem Vertrauen, Partizipation und Leistung ...................................... 3 Georg Weißeno und Barbara Landwehr 1 Anlass und Ziel der Studie .................................... 3 2 Theoretischer Hintergrund und Forschungsstand ................... 5 3 Fragestellungen ............................................. 8 4 Design der Studie ........................................... 9 5 Ergebnisse ................................................. 10 6 Diskussion und Ausblick ...................................... 13 Literatur ...................................................... 15 „Links unten steht der Bundespräsident“ – erste Ergebnisse zu sprachlichen und fachlichen Herausforderungen im Umgang mit politischen Schaubildern ............................. 19 Sabine Manzel und Farina Nagel 1 Einleitung ................................................. 19 2 Theoretischer Hintergrund: Zusammenhang von Sprache und Fach .... 20 3 Hypothesen, Datenlage und Auswertungsverfahren ................. 23 4 Ergebnisse ................................................. 25 5 Diskussion und Ausblick ...................................... 26 Literatur ...................................................... 27 IX X Inhaltsverzeichnis Politik und Wirtschaft bilingual – Praxis und Perspektiven des bilingualen Sachfachunterrichts aus der Sicht von Schüler*innen ............................................. 31 Anke Wegner 1 Empirische Befunde zur hermeneutischen und didaktischen Kompetenz von Schüler*innen ................................. 31 2 Politik und Wirtschaft bilingual aus der Sicht von Schüler*innen ...... 34 3 Fazit: Subjektperspektiven und die Ermöglichung von Lernen und Bildung .......................................... 39 Literatur ...................................................... 41 Teil II Wissens- und Handlungsebene der Akteure im Unterricht Das politische Selbstkonzept von Grundschullehramts-Studierenden – Ausprägung und Veränderung im Rahmen einer Interventionsmaßnahme ........................................ 45 Barbara Reichhart 1 Politische Bildung im Sachunterricht ............................ 45 2 Theoretischer Hintergrund .................................... 46 3 Schlussfolgerungen und Forschungsfragen ........................ 47 4 Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 5 Ergebnisse ................................................. 49 6 Diskussion und Ausblick ...................................... 50 Literatur ...................................................... 51 Möglichkeiten und Grenzen videobasierter Diagnostik professioneller Kompetenzen von Lehrer*innen in der Politikdidaktik .............. 55 Dennis Neumann 1 Einleitung ................................................. 55 2 Modellierung von Kompetenzen ................................ 56 3 Messung von Kompetenzen ................................... 56 4 Fazit und Ausblick ........................................... 62 Literatur ...................................................... 62 Fachfremder Politikunterricht – Ein explorativer Blick in die Handlungsorientierungen fachfremd unterrichtender Lehrer*innen im Fach Politik ..................... 65 Stefanie Kessler 1 Einleitung ................................................. 65 2 Methodologie und empirischer Zugang .......................... 66