Stephan Vogel Emotionspsychologie Stephan Vogel Etnotionspsychologie Grundriß einer exakten Wissenschaft der Gefühle Westdeutscher Verlag Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufname Vogel, Stephan: Emotionspsychologie: Grundriß einer exakten Wissenschaft der Gefühle / Stephan Vogel. - Opladen: Westdt. Verl., 1996 ISBN 978-3-531-12889-4 ISBN 978-3-322-91681-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-91681-5 Alle Rechte vorbehalten © 1996 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags un zulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfäl tigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Ein speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem Papier ISBN 978-3-531-12889-4 if you tickle us, do we not laugh? Wil1iam Shakespeare Thou shalt not bore. Billy Wilder Es gibt allerdings Unaussprechliches. Ludwig Wittgenstein INHALTSVERZEICHNIS Einleitung 9 Teil I 1. Zum Status quo der Emotionspsychologie 16 2. Emotionen als Konstrukte alltagspsychologischer Theorien 24 2.1 Die Alltagssprache als Ausgangspunkt der Emotionspsychologie 28 2.2 Die Unmittelbarkeit von Gefühlen 33 2.3 Emotionen als Motive 37 2.4 Zusammenfassung 40 3. Problematische Annahmen und Methodologien psychologischer Emotionsforschung 43 3.1 Das "syndromatische" Emotionskonzept 44 3.2 Emotion und Kognition 53 3.3 Emotion, Evolution und Funktionalismus 64 3.4 Emotionen als soziale Konstrukte 73 3.5 Gefühlsgeschichten: eine methodologische Sackgasse 83 3.6 Die Suche nach emotionalen Grunddimensionen und Basisemotionen 91 3.7 Zusammenfassung 104 4. Metatheoretische Positionen zur Emotionspsychologie 107 4.1 Antinomologische Positionen in der Emotionsforschung 108 4.2 Physiologie und Reduktionismus 125 4.3 Zusammenfassung 135 8 Inhaltsverzeichnis rr Teil 1. Die Grundlagen einer nomologischen Emotionspsychologie 138 1.1 Zehn paradigmatische Thesen zur Emotionspsychologie 139 1.2 Die Bestimmung des Forschungsgegenstandes 142 2. Mentale Zustände: Positionen zum Geist-Körper-Problem 147 2.1 Der philosophische Funktionalismus 153 2.2 Der Emergentismus 160 3. Die Struktur einer nomologischen Emotionspsychologie 169 3.1 Emotionspsychologische Fragestellungen 170 3.1.1 Mentalistische Antworten auf mentale Fragen 171 3.1.2 Physiologische Antworten auf mentale Fragestellungen 173 3.1.3 Mentalistische Antworten auf physiologische Frage- stellungen 176 3.1.4 Soziologische Erklärungen mentaler Sachverhalte 184 3.1.5 Zusammenfassung 188 4. Theoriebildung und empirische Forschung 190 4.1 Emotionspsychologische Theoriebildung 190 4.2 Emotionspsychologische Empirie 196 5. Bilanz und Ausblick 199 6. Epilog 201 Literaturverzeichnis 203 Einleitung "Wider die Vernachlässigung der Emotion in der Psychologie" (Scherer, 1981). Mit dieser programmatischen Forderung trat Klaus R. Scherer 1980 im Rahmen des Züricher Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Psychologie vor die wissenschaftliche Öffentlichkeit und lenkte damit den Blick auf ein Phänomen, das in den Hochzeiten des Kogniti vismus nur allzugern übergangen wurde. Jetzt, anderthalb Jahrzehnte später zeigt sich, daß diese Mahnung nicht unerhört blieb, denn um das einstige Stiefkind der Psychologie bemüht sich nun international eine große Zahl von Forschern, Projektgruppen und Instituten, welche die Bedingungen, Ursachen, Begleiterscheinungen und Folgen menschlicher Gefühle eingehend untersuchen. Das Interesse an dem wissenschaftlichen Forschungsgegenstand Emo tionen ist innerhalb und außerhalb der Psychologie auf breiter Basis gewachsen. Und das mit Recht. Denn die emotionalen Vorgänge gehö ren mit Sicherheit zu den interessantesten und aufschlußreichsten Phä nomenen im psychischen Haushalt des Menschen. Durch ihre bisweilen enorme Intensität konturieren sie sich klar aus dem oft gleichförmigen Fluß mentaler Prozesse. Sie gehören damit zu den Schlüsselphänome nen, wenn es um ein umfassendes Verständnis menschlichen Verhaltens geht. Für den Betroffenen gewinnen sie mitunter unignorierbare Präsenz, der Wissenschaft eröffnen sie durch ihre vielfältigen Symptome eine Reihe völlig verschiedener Beschreibungs- und Erklärungs möglichkeiten: neurophysiologische, physiologische, biologische, evolu tionstheoretische, mimische, motivationale, kognitive, handlungstheore tische, soziologische, linguistische, normative, konstruktivistische und logographische. 10 Einleitung Doch in gleichem Maße, in dem man Emotionen wissenschaftlich zu Leibe rückt, gebärden sich diese widerspenstig, unzugänglich und pro blematisch. Mit der Folge, daß sich die Vertreter der verschiedenen emotionspsychologischen Forschungsansätze gegenseitig der ungeeig neten theoretischen Mittel, des falschen Zugangs und mangelhafter Me thoden bezichtigen. So ist bis dato neben einer großen Zahl von Einzel befunden vor allem der breite theoretische Dissens und die Zersplitte rung der emotionspsychologischen "Scientific Community" kennzeich nend für den gesamten Forschungszweig. Dies gibt Anlaß, die zentra len, immer wieder auftauchenden Streitpunkte der Diskussion einer sorgfältigen metatheoretischen Analyse zu unterziehen, um zu etwas mehr Transparenz und Konvergenz in diesem Bereich zu gelangen. Was macht diesen Untersuchungsgegenstand eigentlich so problema tisch und konfliktträchtig? Wieso ermöglicht er eine derart große Zahl gegensätzlicher Standpunkte? Mit Sicherheit ist die Salienz emotionaler Phänomene einer der wichtigsten Gründe hierfür. Während man viele andere psychische Phänomene, auch die bekannten - wie "Kognitive Dissonanz", "Reaktanz", "Kontrollverlust" usf. - nur mit theoretisch ge schultem und geschärftem Blick überhaupt erkennen kann, sind Emo tionen für jeden, ohne ein spezifisch wissenschaftliches Vorverständnis und Vokabular bei sich und anderen leicht beobachtbar und zu benen nen. Emotionen sind und waren zuerst alltagspsychologische Kon strukte, deren sich die Wissenschaft erst - historisch betrachtet - relativ spät angenommen hat. Aus der damit verbundenen Theoretisierung alltagssprachlicher Ge fühlsbegriffe ex post erwachsen eine Reihe von Problemen, die theorie spezifisch entwickelten Konstrukten in der Regel erspart bleiben. Denn das breite Bedeutungsspektrum landläufiger Begriffe wie "Liebe", "Angst", "Ekel" usf. erlaubt eine theoretische Explikation in die gegen sätzlichsten Richtungen. Und das unter Beibehaltung oder Ablehnung der verschiedenen Präsuppositionen, welche die Ontologie, die Erkennt- Einleitung 11 nisperspektive und nicht zuletzt das implizite Menschenbild der All tagspsychologie betreffen. Damit sind bereits eine Reihe von Konflikten im Forschungsgegenstand angelegt, die dann im weiteren Forschungs prozeß voll zur Entfaltung kommen. Der einzige Weg zur Klärung und damit zur möglichen Neutralisierung dieses Konfliktpotentials führt nach innen, zu den gegensätzlichen Kemannahmen der verschiedenen emotionspsychologischen Paradigmata. Es ist daher nicht mein Anliegen, das Forschungsfeld in seiner ganzen Breite aufzuarbeiten - umfassende Darstellungen in dieser Art gibt es genügend (z.B. Goller, 1992; Meyer, Schützwohl & Reisenzein, 1993; Oatley, 1994; Scherer, 1990; Ulich, 1989). Und obwohl viele der im fol genden behandelten Probleme auch im Bewußtsein ihrer historischen Dimension reflektiert werden, ist eine dezidiert historische Betrachtung ebenfalls nicht Ziel dieser Abhandlung. Die hier verfolgte Absicht ist vielmehr systematischer Natur und richtet sich auf die essentiellen Probleme der Emotionspsychologie. Im Fokus der Betrachtung und Analyse stehen die zentralen metatheoretischen Fragestellungen des Paradigmas, die letztendlich das gesamte Spektrum aktueller Forschungsansätze betreffen. Um genau zu sein: Es handelt sich dabei weniger um die differentiellen, sozial- oder entwicklungspsy chologischen Aspekte als vielmehr um die Grundlagen einer allgemei nen Emotionspsychologie. Die Entscheidung, die grundlegenden paradigmatischen Fragen einer allgemeinen Emotionspsychologie in das Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken, bedingt einen Aufbau der Analyse, der vom herkömmlichen Schema der ansatzzentrierten Darstellung etwas abweicht. Obwohl im Laufe der Abhandlung ein breites Spektrum der wichtigsten for schungsleitenden Ansätze in der aktuellen Emotionspsychologie disku tiert werden, ist die Darstellung und Analyse der einzelnen Ansätze meist in eine umfassendere Fragestellung eingebettet. Zur stringenten, 12 Einleitung problemorientierten Gedankenführung ist es sinnvoll, vordergründig verschiedene Ansätze, die aber strukturell ähnliche Probleme haben, gemeinsam zu behandeln. Oder antagonisierende Ansätze zur gleichen Problematik - etwa die von Zajonc (1980) und Lazarus (1982, 1984) in der Emotions-Kognitions-Debatte -direkt gegenüberzustellen. Zudem kann man beobachten, daß viele Forscher und Forschergruppen erst dann, wenn sie angegriffen werden und unter Druck geraten, ihre paradigmatischen Grundlagen - im Zuge einer umfassenden Verteidi gung oder eines Gegenangriffes - explizieren. Dies hat zur Folge, daß für die hier verfolgten Fragen eine Betrachtung der zwischenparadig matischen Diskussionen - gegebenenfalls auch die Auseinander setzungen innerhalb eines Paradigmas - häufig aufschlußreicher und ergiebiger sind als die ausschließende und getrennte Analyse der ein zelnen Ansätze. Eine künstliche Systematisierung der betrachteten An sätze wird dabei in jedem Falle vermieden; nicht zuletzt, um der tat sächlichen Dynamik im Forschungsfeld gerecht zu werden. Das Werkzeug der nachfolgenden Analyse ist vor allem wissenschafts theoretischer Natur. Doch sollen bei der Argumentation Formalismen, die häufig wissenschaftstheoretische Analysen schwer durchdringlich machen und ein Verständnis unnötig erschweren, weitgehend vermie den werden. Denn Ziel dieser Analyse ist es letztlich, eine konkrete Hil festellung für die Forschungspraxis zu erarbeiten, indem theoretische Fußangeln gezeigt und methodologische Holzwege deutlich ausgeschil dert werden. Gegenstand der Untersuchung sind dabei vor allem Theorien und For schungsansätze, die sich um die Erforschung und Erklärung emotiona ler Phänomene bemühen - und somit Emotionen als Explanandum be trachten. Andere Forschungszweige, die emotionale Prozesse als Explanans, z.B. als Randbedingung oder systematische Einfluß größe kognitiver Verarbeitungsprozesse, betrachten, wie das die Mood-For-