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Emotionen und Antisemitismus. Geschichte – Literatur – Theorie PDF

250 Pages·2021·1.215 MB·German
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Emotionen und Antisemitismus Geschichte – Literatur – Theorie STUDIEN ZU RESSENTIMENTS IN GESCHICHTE UND GEGENWART Herausgegeben vom Zentrum für Antisemitismusforschung Band 5 Emotionen und Antisemitismus Geschichte – Literatur – Theorie Herausgegeben von Stefanie Schüler-Springorum und Jan Süselbeck Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Wallstein Verlag, Göttingen  www.wallstein-verlag.de Lektorat: Adina Stern Vom Verlag gesetzt aus der Adobe Garamond Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf Umschlagbild: Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald ISBN (Print) ---- ISBN (E-Book, pdf) ---- Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Emotionswissenschaftliche Perspektiven auf den Antisemitismus im 19. Jahrhundert Birgit Aschmann Emotionen und Antisemitismus – von der Relevanz komplexer Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Jan Süselbeck Schöne Augen. Emotionalisierende Figurationen des »Ewigen Juden« in E. T. A. Hoffmanns Erzählung Der Sandmann . . . . . . . . . . . 42 Theorien zur Emotionalität des Antisemitismus Hans-Joachim Hahn Die geteilten Gefühle des Antisemitismus. Prolegomena zu einer Reflexionsgeschichte antijüdischer Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Irmela von der Lühe Affekttheoretische Elemente und emotionsgeschichtliche Ursprünge in Hannah Arendts Theorie des Antisemitismus . . . . . 107 Samuel Salzborn Emotionen und Antisemitismus. Ein Streifzug durch die Geschichte der Antisemitismustheorien. . . 120 Julijana Ranc Zum Sucht- und Lustcharakter interpersonaler Ressentiment-Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 Fallstudien zu den Affekten des Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert Uffa Jensen Häme als Ressentimentverbindung. Wie und warum man im frühen . Jahrhundert Juden verlachte . . 167 Kristoff Kerl »The detestable Sodomite«. Sexualität und antisemitische Gefühlswelten im »Leo Frank Case« 190 Stefanie Schüler-Springorum Geschlecht und Gewalt. Zur Emotionsgeschichte des Antisemitismus . . . . . . . . . . . . 212 Zoltán Kékesi Eine »entsetzliche Einsicht«. Zur Emotionsgeschichte des »besiegten Selbst« im ungarischen Antisemitismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 Einleitung Was hat es zu bedeuten, wenn die Hälfte der Texte eines Sammelbandes denselben Autor als Kronzeugen der Argumentation aufrufen? Jean-Paul Sartre, so lesen wir in diesem Buch mehr als einmal, hatte schon in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts die affektive, emotionale Qualität des Antisemitismus betont und ihn als das charakterisiert, als das wir ihn heute, wiederentdeckend und neu theoretisierend, beschreiben – als »Leidenschaft und Weltanschauung« zugleich. Es ist vermutlich kein Zufall, dass dieser heute so einflussreiche Essay im Herbst  verfasst wurde, also gleich nach der Befreiung von Paris von den nationalsozialistischen Besatzern – und vor dem absehbaren Ende eines Regimes, das den Antisemitismus wie keines davor und keines danach in die Praxis des Massenmords überführt hatte. Das, was wir heute »Holocaust« nennen, markiert damit aus aktueller Perspektive einen Wendepunkt in der Geschichte der Antisemitismusforschung, einen Einschnitt, dessen Folgen bis heute nicht völlig überwunden sind. Denn wie wir in dem von Hans-Joachim Hahn und Olaf Kistenmacher im Jahre  herausgegebenen Band über die frühen »Beschreibungs- versuche der Judenfeindschaft« nachlesen (aber schon viel früher hätten wissen) können, zeichnete sich die zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Antisemitismus vor dem Holocaust durch genau das aus, was auch Sartres Essay so plastisch vor Augen führt: durch das Wissen um dessen emotionale Qualität. Die zentrale Frage, die sich die Antisemitismusforschung daher zunächst einmal stellen muss, ist die nach den Gründen für den Verlust dieses Wissens, nach den Ursachen für die »Verschiebung des Erkenntnisinteresses weg von einer Analyse der starken Affekte der modernen Judenfeindschaft hin zu ihrer Semantik«. Aus Sicht der Geschichtswissenschaft scheint die Antwort einiger- maßen eindeutig: Die historische Forschung befasste sich nach dem Zweiten Weltkrieg, wenn anfangs auch nur zögerlich, mit den Gründen für den Aufstieg der NSDAP und dem Funktionieren des NS-Staates  Jean-Paul Sartre: Überlegungen zur Judenfrage, Reinbek bei Hamburg  (Paris ), S.  ff.  Vgl. Hans-Joachim Hahn/Olaf Kistenmacher (Hrsg.): Beschreibungsversuche der Judenfeindschaft. Zur Geschichte der Antisemitismusforschung vor  (= Euro- päisch-jüdische Studien Beiträge, Bd. ), Berlin u. a. ; Franziska Krah: »Ewig Feuerspritze sein, wo ein Weltfeuer doch nicht gelöscht werden kann …«. Abwehr und Deutung des Antisemitismus während der Weimarer Republik, in: ebd., S. - .  Vgl. den Beitrag von Hans-Joachim Hahn in diesem Band, S. .   samt seiner mörderischen Politik. Dabei fragte man zunächst nach den historischen Vorläufern, also nach der Entwicklung des politischen An- tisemitismus und seiner Ideologie vor allem im Kaiserreich und in der Weimarer Republik sowie nach der Gegnerschaft zur Judenemanzipation in den Jahrzehnten zuvor. Anders ausgedrückt: Man konzentrierte sich auf die Erklärung der Angebotsgenese, weniger auf eine Erhellung der Nachfrage. In der Literaturwissenschaft wiederum ist die philologische und kul- turwissenschaftliche Untersuchung des literarischen Antisemitismus überhaupt noch kaum in Gang gekommen. Dieses Versäumnis hing nicht zuletzt mit einer methodischen Ausblendung der Tatsache zusam- men, dass auch Philologen Literatur emotional lesen und bewerten. Das führte insbesondere dort zu hagiografisch bedingten blinden Flecken in der wissenschaftlichen Untersuchung des literarischen Antisemitismus, wo es um die Notwendigkeit einer kritischen Interpretation judenfeind- licher Konstruktionen des Fremden in oftmals kanonischen Texten ging. Eine uneingestandene emotionale Befangenheit gegenüber solchen lieb- gewonnenen bzw. im Fach als geradezu unantastbar geltenden Werken führte zu einer Verweigerung dringend notwendiger Perspektivwechsel. So war es kaum Zufall, dass erste Überlegungen zum Charakter und der Funktion des literarischen Antisemitismus nicht in der deutschspra- chigen Germanistik angestellt wurden, sondern von einem amerikanisch- israelischen Spezialisten für Jüdische Studien kamen. Mark H. Gelber versuchte  eine erste Definition des literarischen Antisemitismus. Er betonte das Potenzial oder die Kapazität eines Textes, antisemitische Einstellungen oder Verhaltensweisen positiv zu bewerten oder den Leser selbst zu diesen zu ermutigen. Literaturwissenschaftler*innen müssten zu verstehen versuchen, wie genau sich antisemitische Haltungen in der  Werner Jochmann: Gesellschaftskrise und Judenfeindschaft in Deutschland -  (= Hamburger Beiträge zur Sozial- und Zeitgeschichte, Band ), Hamburg ; Reinhard Rürup: Emanzipation und Antisemitismus: Studien zur »Juden- frage« der bürgerlichen Gesellschaft, Göttingen ; Reinhard Rürup/Thomas Nipperdey: Antisemitismus, in: Otto Brunner/Werner Conze/Reinhart Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe , A–D, Stuttgart -.  Mark H. Gelber: What is Literary Antisemitism?, in: Jewish Social Studies / (), S. -, hier S. .  Wir haben den Autor*innen dieses Bandes die Entscheidung überlassen, wie sie in ihren Beiträgen mit der Frage des Genderns umgehen möchten. Aus diesem Grund wurden die betreffenden Schreibweisen in den hier versammelten Aufsätzen nicht vereinheitlicht.   Literatur manifestieren bzw. wie ›antisemitisch aufgeladene Elemente‹ in einem Text funktionieren und interagieren. Es dauerte jedoch noch einmal mehr als ein Jahrzehnt, bis Gelbers Überlegungen in Deutschland weitergeführt wurden. Nach meist bio- grafisch orientierten Studien der er Jahre, in denen die Frage der nachträglichen Bestimmbarkeit des möglichen persönlichen Antisemi- tismus von Autoren wie Gustav Freytag und Wilhelm Raabe beispielhaft erörtert wurde, um diese Schriftsteller vor diesem vielfach erhobenen Vorwurf teils mittels abenteuerlicher interpretatorischer Verrenkungen in Schutz zu nehmen, setzte die dezidierte Untersuchung des litera- rischen Antisemitismus in der deutschsprachigen Forschung erst mit Martin Gubsers Pionierstudie von  ein, die maßgeblich dabei half, die vorrangig sprachliche und also textuell funktionierende Seite des Phänomens in den Blick zu rücken. Gubsers Versuch einer Schematisie- rung der Analyse bestimmter narrativer Darstellungsmodi wurde seither allerdings mehrfach diskutiert und problematisiert. Symptomatisch ist dabei, dass die Mehrzahl dieser Studien aus einem einzigen Sammelband stammen, der bis dato immer noch wichtigsten Veröffentlichung zum  Gelber (Anm. ), S. .  Vgl. Hartmut Steinecke: Soll und Haben (). Weltbild und Wirkung eines deutschen Bestsellers, in: Horst Denkler (Hrsg.): Romane und Erzählungen des bürgerlichen Realismus. Neue Interpretationen, Stuttgart 1980, S. 138-152; Hans Otto Horch: Judenbilder in der realistischen Erzählliteratur. Jüdische Figuren bei Gustav Freytag, Fritz Reuter, Berthold Auerbach und Wilhelm Raabe, in: Herbert A. Strauss/Christhard Hoffmann (Hrsg.): Juden und Judentum in der Literatur, München 19, S. -; Horst Denkler: Verantwortungsethik. Zu Wilhelm Raabes Umgang mit Juden und Judentum, in: Ders./Hans-Otto Horch (Hrsg.): Conditio Judaica. Judentum, Antisemitismus und deutschsprachige Literatur vom . Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg, . Teil, Tübingen 1989, S. 148-168; Klaus Christian Köhnke: Ein antisemitischer Autor wider Willen. Zu Gustav Frey- tags Roman Soll und Haben, in: ebd., S. -.  Martin Gubser: Literarischer Antisemitismus. Untersuchungen zu Gustav Freytag und anderen bürgerlichen Schriftstellern des . Jahrhunderts, Göttingen 1998.  Vgl. dazu u. a. Jan Süselbeck: Tertium non datur. Gustav Freytags »Soll und Haben«, Wilhelm Raabes »Hungerpastor« und das Problem des Literarischen Antisemitis- mus – eine Diskussion im Wandel, in: Jahrbuch der Raabe-Gesellschaft  (Juli ), S. -; Torben Fischer: Judenbilder und ›Literarischer Antisemitismus‹. Bemerkungen zur Forschungsgeschichte, in: Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Juden. Bilder. Text + Kritik, Heft , September , S. -; Klaus-Michael Bogdal: Literarischer Antisemitismus nach Auschwitz. Perspektiven der Forschung, in: Ders./Klaus Holz/Matthias N. Lorenz (Hrsg.): Literarischer Antisemitismus nach Auschwitz, Stuttgart , S. -; Mona Körte: »Juden und deutsche Literatur«. Die Erzeugungsregeln von Grenzziehungen in der Germanistik, in: Dies./Werner Bergmann (Hrsg.): Antisemitismusforschung in den Wissenschaften, Berlin , S. -.   Thema Literarischer Antisemitismus nach Gubsers Monografie. Von einer breiten Erforschung des literarischen Antisemitismus kann also nach wie vor keine Rede sein, und auch ein Konsens der Forschung hinsichtlich des Wirkungspotenzials antisemitischer Darstellungen in literarischen Texten ist noch lange nicht in Sicht. Zuletzt wurde sogar ar- gumentiert, der literarische Antisemitismus sei aufgrund seiner genuinen Latenz überhaupt nicht definierbar. Nähme man diese Einschätzung ernst, so wäre man mit der Analyse eines kaum greifbaren textuellen Phantoms konfrontiert. Anstatt die konkrete historische Wandelbarkeit des literarischen Antisemitismus anhand der behandelten Texte und auf Grundlage einer klaren Definition des Problems genauer nachzuzeich- nen und zu bestimmen, setzen sich Interpretationen wie die Martha B. Helfers dem Vorwurf der Willkür aus: Jede noch so vage literarische Spur kann hier theoretisch zum Beleg eines ›latenten‹ Antisemitismus angeführt werden. Stattdessen waren es die Sozialwissenschaften, die sich in der Nach- kriegszeit zur Leitwissenschaft der Antisemitismusforschung entwickel- ten. Dies hatte in Westdeutschland zunächst einmal recht banal mit der US-amerikanischen Besatzung zu tun, der aus nachvollziehbaren Gründen daran gelegen war, die Haltung der deutschen Bevölkerung zu Nationalsozialismus, Antisemitismus und Demokratie möglichst exakt zu erfassen, um etwaige faschistische »Ausbrüche« im Keim ersticken zu können. So begann man gleich nach Kriegsende mit regelmäßigen Sur- veys, die den Antisemitismus mittels wiederkehrender abgefragter Items zu messen versuchten und die später von deutschen Forschungsinstitu- ten weitergeführt wurden. Es ist diese Form der Umfrageforschung, die ausgefeilt, verfeinert und differenziert bis heute den öffentlichen Blick auf Antisemitismus maßgeblich prägt. Der theoretische, marxistisch wie psychoanalytisch inspirierte Zugriff der aus den USA zurückkehrenden Kritischen Theorie dagegen erfreute sich vor allem in den er und er Jahren großer Beliebtheit, wobei es dabei jedoch eher um das Ver- ständnis »des Faschismus« ging als um die dort durchaus thematisierten emotionalen Dynamiken von Hass und Ausgrenzung. Allerdings wur- den die frühen Ansätze der Kritischen Theorie kaum fortgesetzt und zu-  Bogdal/Holz/Lorenz (Anm. ).  Martha B. Helfer: Das unerhörte Wort: Antisemitismus in Literatur und Kultur, Göttingen 2013, S. 13 f.  Dies ist nicht zuletzt an einigen Stellen im Kapitel »Elemente des Antisemitis- mus« in der Dialektik der Aufklärung sichtbar. Vgl. Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente, Amsterdam , S. -. 

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