SHLOMO NA'AMAN Emanzipation und Messianismus QuELLEN UND STUDIEN zuR SoziALGESCHICHTE Leben und Werk des Moses Heß Herausgegeben vom Internationalen Institut für Sozialgeschichte, Amsterdam Band 3 Shlomo Na'aman Emanzipation und Messianismus Leben und Werk des Moses Heß CAMPUS VERLAG fRANKFURT/NEW YüRK Gedruckt mit Unterstützung der Förderungs- Inhalt und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT GmbH, Goethestr. 49, 8000 München 2, und des Internationalen Instituts für Sozialgeschichte, Amsterdam. Vorwort .......................................... . 5 Kapitell Ein Leben im Banne der Französischen Revolution: Emanzipation und Messianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Der geographische Bezugsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2 Heß' geschichtlicher Bezugsrahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3 Heß -Publizist und Philosoph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4 Zur HeB-Interpretation:' das Dossier . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 5 Heß' Stellung im Rahmen der Sozialgeschichte jüdischer Emanzipation . . . . . 34 Kapitel2 Selbstemanzipation und Messianismus: "Die Heilige Geschichte CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek der Menschheit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Na'aman, Shlomo: 1 "Man wird mich den Napoleon der Religion nennen" . . . . . . . . . . . . . . . . 39 Emanzipation und Messianismus : Leben u. Werk 2 Die Heilige Geschichte als Verjüngungsprozeß der Menschheit . . . . . . . . . . . . 57 d. Moses Hess I Shlömo Na'aman.-Frankfurt/Main ; 3 Die Heilige Geschichte als Vorstufe der Verwirklichung der Gleichheit New York: Campus-Verlag, 1982. im ,reinen' Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 (Quellen und Studien zur Sozialgeschichte ; Bd. 3) ISBN 3-593-32932-8 Kapitel3 NE: GT Die Verwirklichung von Freiheit und Gleichheit durch die europäische Triarchie ...................... . 85 1 Moses Heß entdeckt Deutschland und den preußischen Staat . . . . . . . . . . . 85 2 Die Idee der europäischen Zusammenarbeit als Philosophie der Tat flir die rheinpreußische Bewegung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form Kapitel4 (durch Photokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung Vom Ideal des ,reinen' Staates zum Ideal der kommunistischen des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Copyright© 1982 bei Campus Verlag GmbH, Frankfurt/Main 1 Die Selbstverwirklichung des emanzipierten Individuums: Moses Heß Schutzumschlag: Eckard Warminski, Frankfurt/Main und die Rheinische Zeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . . I 05 Satz: Heinz Breynk, Kirchweiler 2 Der gescheiterte Kampf der Rheinischen Zeitung um die Verwestlichung Druck: Poeschel & Schulz-Schomburgk, Eschwege Preußens . . . . • . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . • . . . . . . . . . • . I 09 Bindung: Georg Kränk!, Heppenheim 3 Praxis und Theorie im Kampf um gesellschaftlichen Fortschritt • . . . • . . . . . 119 Printed in Germany I 2 MosesHeß Inhalt 3 Kapz"te/5 2 Naturwissenschaft und Gesellschaftslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 Der philosophische Kommunismus als Aufhebung 3 Die Politik des Modernismus: der rote Bonapartismus . . . . . . . . . . . . . . . . 276 des Einzeldaseins in der Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I3I Kapz"tel11 1 Der proletarisierte Heß als Verkünder des absoluten Gattungsmenschen . . . . I3I 2 Über das Geldwesen als Theorie und als Protest ......... : . . . . . . . . . . I36 Rom und Jerusalem als nationaljüdische 3 Die rheinische Partei des philosophischen Kommunismus . . . . . . . . . . . . . . I4I Veijüngung und Heilige Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 1 Bausteine einer zionistischen Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Kapite/6 2 Rom und Jerusalem - zionistisches Bekenntnis und messianische Soziale Bewegung und soziale Praxis: Weltanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Der deutsche Vormärz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I45 3 Rom und Jerusalem - die Kritik der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 I Die ,Vergesellschaftung' Deutschlands im Zeichen der ,sozialen Frage' ..... I45 Kapz"te/12 2 Der Gesellschaftsspiegel, das Organ der rheinisch-westfalischen sozialreformerischen Kommunisten ........................... . I 52 Arbeiterbewegung als Vehikel messianischer Politik 334 3 Die internationale Orientierung des revolutionären Vormärz: 1 Von der zionistischen Propaganda zur rheinischen Arbeiterbewegung ..... . 334 Heß und die deutschen Auslandsvereine .............. . I6I 2 Heß und Lassalle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . · . . · . · · · · · · · · 339 3 Heß und der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein .................. . 355 Kapitel 7 4 Heß und der Social-Demokrat ............................... . 367 Von der sozialen Bewegung zur kommunistischen Partei: Kristallisierung und ,Sichtung' ....................... . I69 Kapitel13 Die Problematik eines emanzipatorischen Neubeginns 386 I Marx, Heß und Engels-das Trio der autoritären ,Siebter' ............ . I69 2 Heß' Sichtung des deutschen Kommunismus in der Schweiz ........... . I75 1 Die Internationale zwischen Emanzipation und Messianismus .......... . 386 3 Die ,Abfertigung' der antikommunistischen sozialen Demokratie: 2 Die Koordinierung emanzipatorischer Politik: Generalrat und SDAP ..... . 399 Arnold Ruge ........................................... . I8I 3 Der Zusammenbruch .................................... . 42I 4 Die ,Abfertigung' Kar! Grüns und die Kritik des ,wahren' Sozialismus ..... . I85 5 Die Kritik des Grünianismus-Proudhonismus als antikommunistische Ideologie der sozialen Demokratie ............................ . 190 Kapitel14 6 Heß in Opposition zur Parteilinie: die Affäre Weitling ............... . I95 Das neunzehnte Jahrhundert des Moses Heß 432 Kapz"te/8 Faksimile und Transkription des Briefes von Moses Heß an Parteilinie und Parteiopposition - Engels gegen Heß Joseph Natonek vom 7.8.1862 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 I Zwei Revolutionsprogramme; zwei Emanzipationsmodelle-Engels. . . . . . . 202 Anmerkungen ........... ; . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 449 und Heß .............................................. 202 Verzeichnis der abgekürzten Titel und Siglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 7 2 Engels gegen Heß im Kampf um Paris . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 3 Die Konstituierung der kommunistischen Partei im Zeichen latenter Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . . . . . . . . . 540 Opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2I9 4 Heß' Dilemma-Parteiopposition oder Privatranküne . . . . . . . . . . . . . . . . 223 Personen-, Zeitschriften-und Zeitungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Kapite/9 Das Elend der Tat - Die Revolution als Jahre des Leerlaufs . . . 230 1 Die Kapitulation der Fraktion Heß-Gottschalk-Anneke vor der Partei der Neuen Rheinischen Zeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 2 Vom rheinlandorientierten Emanzipationsdenken zum wurzellosen Messianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3 Weltrevolution und Weltkrieg in messianischer Verklärung . . . . . . . . . . . . . 242 4 Die Ambivalenz der HeBsehen Marxkritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 Kapite/10 Neue Wissenschaft und neue Politik 256 I Der Rückzug in die Selbstherrlichkeit der Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Vorwort Moses Heß war unbestritten der erste philosophische und publizistische Vertreter des gesellschaftskritischen- und gesellschaftsreformerischen Kommunismus ln Deutschland. Als solcher hat er Friedrich Engels gewon nen und sind von ihm Impulse ausgegangen, die Kar! Marx erreicht haben, aber qamit endet seine Bedeutung für die Frühgeschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des Sozialismus keineswegs, wie häufig unterstellt wird: Heß hat bei der Umbildung des reformerischen Kommunismus in den historisch orientierten revolutionären Fortschrittskommunismus, der bald Marxismus getauft wurde, in Zusammenarbeit mit dem Marx-Kreis aktiv teilgenommen; er hat ihn konzeptionell und agitatorisch gefördert. Dabei endete er als das intellektuelle Haupt eines Oppositionskommunis mus, der sich zwar der Marxschen Geschichtsauffassung, wie sie das Kom munistische Manifest vertrat, verhaftet fühlte, aber gegen die Revolutions auffassung von Marx und Engels Einspruch erhob. Heß generell als den Gründer des deutschen Kommunismus zu bezeich nen, wäre abwegig; als erster Oppositionskommunist darf er aber gelten. Während der Glanzzeit der Konstituierung der europäischen Arbeiter bewegung, als die Internationale Arbeiterassoziation IAA (= Erste Inter nationale) die Kongresse von Brüssel (1868) und Basel (1869) durchführte, vertrat Heß im Bunde mit Wilhelm Liebknecht eine zukunftsträchtige Auffassung von Parteiorganisation, der auch der Generalrat der IAA unter der Leitung von Marx anhing, wie sie dann später in der li. Internationale verwirklicht wurde. Heß endete sein Leben in Obereinstimmung mit der marxistischen sozialdemokratischen Parteiauffassung. Deshalb lebte Heß jedoch nicht "im Schatten von Kar! Marx", denn beide lebten im Schatten der Doppelrevolution des ausgehenden 18. Jahr hunderts, der englischen sozialökonomischen und der französisch-politi schen; beide erlebten sie als Genese einer neuen Welt; beidealsrheinische Juden in nächster Nähe zum Pariser Epizentrum der Weltumwälzung. Jüdische Intellektuelle als Kinder der Revolution - das ist Gemein Moses Heß samkeit, die manchen ideologischen und methodischen Gegensatz aufwiegt. Nach dem Ölbildnis Gustav Poppesvon 1853. Im Besitz desjüdischen National Inhalt der Doppelrevolution war für Marx wie für Heß die Emanzipa fonds zu J erusalem. tion, die Anbahnung des vollen Menschentums, deren Garantie ihre Wis- 6 Vorwort Vorwort 7 senschaft war. Heß suchte zeitlebens nach adäquaten Formeln, um seine dt·e Schichten von Heß' Leben und Wirken erfaßt, die dem Historiker zu "Wissenschaft" auszudrücken, die in der Geschichte verankert war (und gänglich sind, weil sie sich dokumentieren lassen. Die Tiefenschicht seiner deshalb streckenweise mit Marx' Historischem Materialismus parallel lau Weltschau, die erst die Einheit seines widersprüchlichen Schaffens her fen konnte), aber er suchte zugleich Wege für ihre Verwirklichung mit stellt, wird nur soweit thematisiert, wie sie sich aus den Quellen erschlie einer ihm eigenen Intensität. Hieraus entstanden wiederum Parallelitäten ßen läßt, aber ihre Berücksichtigung ist unbedingt notwendig, wenn wir und Spannungen zu Marx, Zusammenarbeit wie auch Rivalität. Dieses nicht in den Fehler verfallen wollen, äußere ideologische Anpassungen viel äußerliche Spannungsverhältnis ist aber keineswegs entscheidend; entschei zu schwer zu gewichten. Heß hat seit seinem Erstlingswerk Die Heilige dend ist das immanente zwischen dem erhofften Endzustand totaler Gescht.chte der Menschheit (1837) in einer einheitlich konzipierten Welt Emanzipation und dem emanzipatorischen Weg. Die Totalität des Zieles gelebt, deren Grundlage das Jerusalem der mosaischen Gemeinschaft war und die Ungeduld beim Vorantreiben der Ereignisse nehmen bei Heß oft und deren Ziel das Neue Jerusalem des sozialen Menschen ist, das unter genug apokalyptische Dimensionen an. Das Spannungsfeld von Emanzipa der Hand verschiedene Formen annahm. Die Entwicklung der Menschheit tion und Messianismus beherrscht das Leben von Moses Heß. vom historischen zum Neuen Jerusalem ist in der Sicht von Heß nach Ge Und von Marx? setzen verlaufen, für die er wissenschaftliche Belege suchte. Die Wahrheit Bei der für Marx charakteristischen intellekt~ellen Selbstbeherrschung der Verkündigung der neuen sozialen Welt durch Spinoza und ihre Ver ist es nicht zu erwarten, daß sich bei ihm ein entsprechendes Spannungs wirklichung durch die eine permanente französische Revolution aber sind feld ebenso offen manifestieren könnte, aber die ungelöste Problematik für Heß axiomatisch und denknotwendig. des Verhältnisses des Jungen' zum ,reifen' Marx verweist auf ein ähnlich Die einheitliche Welt des Forschrittskommunismus, an der Marx wie gelagertes Spannungsverhältnis. Die Untersuchung des HeBsehen Messianis Heß teilhatten, gehört ins 19. Jahrhundert, und die denkbar größten Um mus kann deshalb auch zum Verständnis von Marx beitragen. Alle, die die wälzungen trennen uns von ihr. Wir leben 'in einer Welt des Postmarxis Doppelrevolution des 18. Jahrhunderts als Ausgangsposition für die Ver mus, ein Begriff, der diese Trennung ausdrückt. Elemente dieser nahen wirklichung der emanzipierten klassenlosen Gesellschaft im 19. Jahrhi.m Vergangenheit sind für uns lebendig, sind bei uns ,aufgehoben'. Soweit sie dert angenommen haben, befinden sich im gleichen Lager und sind der Marx betreffen, bemühen sich um sie die zahlreichen Postmarxisten; so gleichen Problematik ausgesetzt. weit sie Heß angehen, möchte dieses Buch zur Beschäftigung mit ihnen Nur in einer Hinsicht befindet sich Heß in einer Sonderstellung: Von anregen - und dazu noch ein kurzer Hinweis. all den Jüngern der emanzipatorischen Doppelrevolution hat nur er die Wie gesagt, leitet Heß' Nationalitätstheorie in die Moderne hinüber. historische Rolle der Nationalität erkannt und sie in sein Emanzipations Heß gibt sich nicht mit den äußeren und äußerlichen Kennzeichen der konzept eingebaut. Auf diesen Weg hat ihn seine genetische Geschiehts Nationalität ab, wie Territorium und Sprache; für ihn ist der letztlich im auffassung verwiesen, die ihn dazu angeregt hat, die wesensbestimmende mer religiös motivierte Nationalmythos, die Einheit von Stamm und Reli Bedeutung der ethnischen Mythen der Urzeit zu untersuchen. Dazu paßt gion, entscheidend. Wenn wir von den Juden absehen, so scheint diese seine ununterbrochene Beschäftigung mit der historischen Bedeutung des Argumentation für die Welt des Westens absurd-überholt; sobald wir uns Judentums, von der sein Nationaljudentum eine letzte Konsequenz ist. aber der sogenannten Dritten Welt zuwenden, wird diese Verbindung von Heß' Feststellung, daß zum Plan der menschlichen Emanzipation das Volk/Nation und Religion/Mythos äußerst aktuell und vom Standpunkt Recht eines jeden Volkes gehöre, seinen Anspruch auf eigene Nationalität der islamischen Nahostwelt zu einem unmittelbaren Politikum. anzumelden und seinen Nationalmythos zu verwirklichen, ist seine eigen "Von den Juden absehen" - ist unmöglich, denn sie sind es, die Heß ste Leistung, die vom 19. Jahrhundert in die Moderne hinüberleitet. diesen Weg wiesen, der für das 19. Jahrhundert ein Irrweg war und Heß' Aus dieser Sicht bekommt die Oberführung der Gebeine von Moses Rom und ]erusalem zur Unwirksamkeit verdammte. Wer aber heute die Heß und seiner nächsten Angehörigen auf den Friedhof am Kinnereth Wirksamkeit der Verbindung von Nation und religiösem Mythos im Staat See in Israel geschichtliche Bedeutung, obwohl eine derartige ,Translation' Israel beobachtet, wird auch hier ein unmittelbares Politikum erkennen jÜdischem Brauchtum wenig entspricht, zumindest ungewöhnlich ist, je und ein Angebot, Heß' Schriften neu zu durchdenken. denfalls zu einer Gefühlsaufwallung in dem jungen jüdischen Staat geführt Dieses Buch bemüht sich um die historisch-kritische Untersuchung hat, die sehr zu Heß paßt. von Heß' Leben und Wirken aus post-marxistischer Perspektive. Sie hat Als Zeuge jener Oberführung im Jahre 1962 am hundertfünfzigsten erheblich von den Veröffentlichungen von Professor Edmund Silberner Geburtstag von Heß, haben mich_ kritische Gedanken über dieses Ereignis und Wolfgang Mönke profitiert, stützt sich aber vor allem auf das unmit zur HeB-Forschung angeregt, die jahrelang meinen Lassalle- und Marxfor telbare Studium des HeB-Nachlasses, den das Zionistische Archiv in Jeru schungen parallel lief. Aus ihr ist dieses Buch entstanden. In ihm werden salem und das Internationale Institut für Sozialgeschichte (IISG) in Am- 8 Vorwort I sterdam bewahren. Diese Institute haben die Auswertung dieser Schätze Kapitell ermöglicht, wofür ich ihnen an dieser Stelle meinen Dank aussprechen I Ein Leben im ·Banne der Französischen möchte. l Die Probleme der HeB-Forschung konnte ich mit einer Anzahl von Revolution j Kollegen besprechen und in mehreren Seminaren in Tel-Aviv, Hannover Emanzipation und Messianismus und Münster durchdiskutieren und klären. Ich spreche einigen Kollegen für Anregungen und Hilfe hier meinen besonderen Dank aus, ohne andere davon ausschließen zu wollen: 1 ·Bert Andreas (Genf), Siegfried Bahne (Bochum), Michael Buckmiller (Hannover), Dieter Dowe (Bonn), Karl-Georg Faber (Münster), Heinz Goll· witzer (Münster), Walter Grab (Tel-Aviv), Reimer Hansen (Berlin), Hans I Peter Rarstick (Braunschweig), Arno Herzig (Hamburg), Helmut Hirsch Im Juli 1830 bewies Frankreich, daß seine Revolution noch nicht be (Düsseldorf), Götz Langkau (Amsterdam), Gerhard A. Ritter (München), endet war und in seine Bewegung alle die Gebiete miteinbezogen wur 1 Michael Vester (Hannover). j den, die es vor 1815 politisch umgestaltet hatte. Damit war ein· erster I Schritt zur Märzrevolution getan. . Das Internationale Institut für Sozialgeschichte hat großzügigerweise Ar Im November 1831 starb Georg Wilhelm Friedrich Hegel, der seit 1818 beitsmöglichkeiten und Hilfe zur Verfügung gestellt, wofür ich Herrn Di- · ll die preußische Reaktionspolitik philosophisch untermauert hatte und rektor J .R. van der Leeuw besonders danken möchte. Tiefempfundenen mit der Okkupation der Rheinlande auch dort wirksam geworden war. Dank spreche ich auch dem stellvertretenden Direktor Herrn Charles B. ! Im Mai 1832 kam das Harnbacher Fest zustande, das Intellektuelle Timmer aus, der durch seinen unermüdlichen persönlichen Einsatz bei und Arbeiter der von Frankreich berührten Teile Deutschlands zu einer der Fertigstellung dieses Buches mitgeholfen hat. I gewaltigen Demonstration unter der Losung ,Deutsche Republik' und Hier ist auch der Ort, dem Förderungs-und Beihilfefonds Wzssenschaft ,Freiheit für Polen' vereinigte .. der VG Wort, München für den geleisteten Druckkostenzuschuß zu dan 1835 erschien das Buch des Regelschülers David Friedrich Strauß "Das ken, ohne den die Drucklegung des umfangreichen Manuskripts nicht Leben Jesu, kritisch beleuchtet", das den Zerfall der Regelschule ein zustandegekommen wäre. läutete. Desgleichen möchte ich an dieser Stelle dem Internationalen Institut Das wäre der chronologische Bezugsrahmen für den Übergang von der für Sozialgeschichte (Amsterdam) für die Aufnahme dieses Buches in die Reaktionszeit, die mit dem Wiener Kongreß 1815 eingesetzt hatte, in Schriftenreihe Quellen und Studüm zur Sozüllgeschichte meinen Dank den Vormärz, in die emanzipatorische und bewußte Vorbereitung auf aussprechen. die Märzrevolution. Das ist auch der Rahmen für das Entstehen einer proletarisierenden Intelligenz, die sich mit Handarbeitern verbündete, ihnen historisches Tel-Aviv, Frühjahr 1981 Bewußtsein vermittelte und von ihnen die Schlagkraft erhielt, durch die die Revolution von 18'18 möglich wurde. Innerhalb dieser deklassierten Intelligenz von Beamten-, Pfarrer-, Of fiziers- und Akademikersöhnen hebt sich eine spezifische Schicht ab, klein und numerisch unbedeutend, aber qualitativ und wirkungsmäßig entscheidend, die jüdischen Außenseiter, die alle den von Frankreich be einflußten Gebieten entstammten und von denen hier die Rede sein wird. Jüdischer Tradition entwachsen, an zwei Kulturkreisen, dem deutschen und französischen, teilhabend, aber deshalb auch weitgehend unabhängig, ·konnten sie die Waffe der Kritik ohne Skrupel und Hemmungen hand haben: für sie war die Aufl()sung der Hegeischen Schule die rechte Ge als legenheit, ihre Zeit die der revolutionären Kritik nachzuweisen und darzustellen. 10 Ein Leben im Banne der Französischen Revolution Der geographische Bezugsrahmen 11 Revolutionäre Kritik bedeutete für sie die Freisetzung jedes emanzipa Verantwortlichkeit will .sagen, das Bewußtsein der geziehen Tätigkeit, torischen Wollens, ungehemmt durch Fesseln der Tradition. Das Pro das es dem Historiker erlaubt, deren objektive und subjektive Grenzen dukt dieser Emanzipation stellte sich ihnen als ein Zustand der Voll abzustecken; Wirksamkeit will sagen, die historische Fernwirkung, die kommenheit dar, als irdisches Himmelreich, kurzum als messianischer Ausstrahlung der persönlichen Aktion, die Auswirkungen, die sich dem Zustand. Worauf es ankommt ist, daß der vorgestellte messianische End persönlichen Wollen entziehen, die wir aber als Nachfahren mit Methoden zustand in Wahrheit dem freien Spiel der emanzipatorischen Kräfte ein der Geschichtswissenschaft mit größerer oder geringerer Sicherheit ver-. Ende machte, indem er der Emanzipation Wege und Ziele mittels einer folgen können. Wirksamkez"t und Verantwortlichkeit sprengen den Rah als ,objektiv' behaupteten ,Wissenschaft' vorschrieb. Dadurch geriet die men der biographischen Methode, die es sich angelegen sein läßt, den · revolutionäre Kritik sogleich in das Spannungsfeld von Emanzipation chronologischen Rahmen des Lebensablaufes mit Daten psychologischer und Messianismus. Deutung und mit einfühlendem Verstehen (was immer auch darunter Die posthegelsche Periode mit ihrer gesellschaftlichen Bewegung, die zu verstehen sei) auszufüllen. Positiv läßt sich mit diesen Kriterien der die sogenannten Junghegelianer' anführten, schien die Hegeische Welt biographischen Methode nicht arbeiten, weil sie unkontrollierbar sind, ordnung in ein Trümmerfeld verwandelt zu haben, wo jeder tun und las wohl aber können sie negativ warnen, denn da, wo psychologisches Un sen kann, was ihm einfällt; wenn man aber genauer hinblickt, sieht man, verständnis und Mißachtung der Motive persönlichen Handeins vorlie wie sehr diese neue Generation im Guten wie im Schlechten den Denk gen, kann von Annäherung an geschichtliche Wahrheit nicht die Rede gewohnheiten, -methoden und -manieren des Meisters verhaftet war, sein. überall soll versucht werden, Fehler auszumerzen, auch wenn wir und wird unwillkürlich auf das analoge Marx-Paradoxon hingewiesen: damit noch längst nicht zu positiver Wahrheit kommen; wohl aber kann Eine andauernde zersetzende Marx- und Marx-Orthodoxie-Kritik haben sich damit das wissenschaftliche Gewissen beruhigen. uns in eine Aera des ,Postmarxismus' hinübergelCitet, in der eine sich als ,nicht-orthodoxer Marxismus' verstehende Philosophie das Schau spiel des Junghegelianismus wiederholt. Die Geschichtsforschung hat 1. Der geographische Bezugsrahmen aus dieser letzten Entwicklung jedenfalls den Vorteil gezogen, daß sie nicht nur die Marx-Akte zu erneuerter Einsicht vor sich hat, sondern Historische Wirksamkeit und Verantwortlichkeit verlangen mehr als ein die Dossiers aller radikalen Denker und Publizisten. Wenn der alte Engels dimensionale Chronologie; sie brauchen einen zweidimensionalen Bezugs es als seine besondere Aufgabe angesehen hatte, für uns den Stellenwert rahmen, der den Geschiehtsahlauf auch in seiner räumlich-geographischen aller Persönlichkeiten und Bewegungen des 19. Jahrhundert festzulegen Verbundenheit erfaßt: Daß menschliches Wirken eine Funktion von Zeit und uns den Weg ,von der Utopie zur Wissenschaft' vorzuzeichnen, ist und Raum ist, ist eine Binsenwahrheit, aber, daß es unumgänglich ist, er damit wohl gescheitert. den Lebensablauf immer im Zusammenhang mit dem variablen geo Unter den neu zu öffnenden Dossiers steht Heß mit obenan, und zwar graphischen Bezugsrahmen zu. sehen, ist weniger selbstverständlich und nicht, weil ihm als geschichtlicher ,Größe' eine Aufwertung zusteht, son noch weniger befolgt. dern weil er sozialgeschichtlich wegen seines umfangreichen Dossiers Moses Heß hat seinen Standort im Rheinland gehabt: von dort aus hat faßbar wird, einmal als proletarisierende Intelligenz vom Typ des jüdi er Paris und Berlin beobachtet; er hat versucht, die Einheit Europas zu schen Außenseiters, und zum anderen, weil er als proletarische Intelli erfassen und, im Hinblick auf die Juden, den Nahen Osten und das Mit genz in der Arbeiterbewegung geschichtsbewußt gehandelt ha~ und telmeer in seine Betrachtung einbezogen. Der alte Heß hat begriffen, daß damit mit den Kriterien der geschichtlichen Persönlichkeiten gemessen die politische Integration Deutschlands durch die Gründung des Deutschen werden muß, der Verantwortlichkeit und der Zuverlässigkeit. Sein Han Reiches einen völlig neuen Bezugsrahmen für Europa geschaffen hatte, deln im Spannungsfeld von Emanzipation und Messianismus bleibt nicht aber nicht mehr die Kraft gehabt, sich mit dieser Wirklichkeit auseinan seine Privatangelegenheit, sondern gehört zur Geschichte und ist des derzusetzen. halb zu beachten. Wenn dabei dann auch ein Abglanz auf seine Person Moses Heß wollte den europäischen Kommunismus vertreten, oder in fällt, ist das sicherlich kein Nachteil. der damaligen Terminologie, den Weltkommunismus, und das Juden Eine Biographie von Heßl ist also nicht beabsichtigt und geschicht tum als Weltvolk; für beides brauchte er den weitest denkbaren Bezugs liche ,Größe' steht nicht zur Untersuchung. Untersucht werden sollen rahmen. Daher die Sprache des Universalismus (,,Menschheit"), mit der geschichtliche Tätigkeit und damit zusammenhängend, historische Wirk Heß' Denken anfängt und aufhört, womit konkret die judäo-christliche samkez"t, und noch etwas, was nicht immer und jedem legitim scheint, Zivilisation zu verstehen ist. Es geht aber um mehr als Heß' Selbstver historische Verantwortlichkeit. ständnis: es geht um seine Wirkung, die nicht allein dadurch bestimmt 12 Der geographische Bezugsrahmen 13 Ein Leben im Banne der Französischen Revolution wird, wie er seinen Bezugsrahmen sah, sondern wie dieser sich tatsächlich im bewußten Gegensatz zum Westen konstituierte und deshalb mehr als gestaltete, oder besser: wie wir diesen mit bestem wissenschaftlichen Ge Störungsfaktor der europäischen Kontinuität wirkte denn als legitimes wissen heute definieren und abstecken. Produkt der europäischen Phasenverschiebung, ein Paris von 1789, das Wir müssen dabei Heß insofern folgen, als auch wir den Bezugsrahmen sich auf das Berlin von 1871 übertragen hatte. soweit wie möglich fassen, und es ist unumgänglich, daß wir deshalb Heß hat die Störungsfunktion des ,Berliner Meridians' für sein etwas weit ausholen. Weltbild spät erkannt, erst nach 18663, aber dann hat er die tragischen Moses Heß hat einen revolutionären Bruch mit seiner Erziehung und Auswirkungen der neuen historischen Konstellation sogleich in ihrem dem Judentum im Jünglingsalter vollzogen und zeitlebens an den Fol vollen Ausmaß begriffen. Damit war er in die letzte Phase seines Lebens gen dieses Bruches laboriert; er hat eine geschlossene Weltanschauung eingetreten: Er wußte, daß sein historisches Weltbild zerronnen war, und aufgegeben und zeitlebens an dem Bau einer ebenso geschlossenen neuen flüchtete ins Weltall, um ein kosmisches Weltbild zu schaffen. Weltanschauung gearbeitet. Er ist dabei weit über Probleme des mensch Heß hat das Ende seines 19.]a hrhunderts erlebt, ein] ahrhundert, das be lichen Zusammenlebens hinausgegangen und hat das eine Gesetz gesucht, stimmt war, die Französische Revolution im Kommunismus zu Ende zu das organisches und kosmisches Leben vereint, aber soweit er über führen und im west-östlichen Gefalle über Europa zu verbreiten. Er sah das menschliche Zusammenleben nachgedacht hat, schweiften seine Ge den Anbruch des 20. Jahrhunderts, das im Zeichen der deutschen Konter danken zwischen zwei Polen, Frankreich und Rußland, zwischen Re revolution stand. Das war mehr als ein Unglück, das war Widersinn, denn volution und Reaktion: Die Impulse, die von Frankreich ausgehen, bre 'nichts in seiner theoretischen Entwicklung hatte ihn darauf vorbereitet. chen sich für ihn am Wall der slawischen Völker; die Wellen der Revolu Heß hat sein Jahr 1933 erlebt. tion übertragen sich in west-östlicher .Richtung; sie erreichen noch eben Das west-östliche Kulturgefälle und die west-östliche Phasenverschiebung die Polen. Moses Heß hat über· Weltzusammenhänge philosophiert, die sind der konstante Beziehungsrahmen der europäischen Zivilisation, sich bei näherem Hinsehen als Zusammenhänge der europäischen Zivili seitdem sie sich als ·lateinisches Christentum konstituiert hatte: Beide sation entpuppen; er hat eine Philosophie der Tat verlangt und propa sind das grundlegende Ordnungselement der europäischen Geschichte, giert, in der die Propaganda schließlich die Tat darstellte; Heß ist aber die Juden mit inbegriffen. Ihr Entstehen verdanken sie dem zvilisatori zur Tat selbst vorgestoßen, indem er noch im reifen Alter an der Naht schen Staudamm, den die römische Grenzpolitik im Laufe der J ahrhun stelle von Agitation und Organisation wirkte2, und dabei stellte sich derte geschaffen hatte, und dessen Nachwirken am Rhein sich bis zur heraus, daß der Radius seiner Aktion sich mit dem Radius seiner vorge Reichsgründung mühelos verfolgen läßt: Heß' Leben illustriert seine stellten Welt deckte, eine Welt, deren Realität und Intensität mit dem letzte Phase. Quadrat der Entfernung von Paris abnahm. Das Bild von Dämmen ist nur bis zu einem gewissen Grade brauch Es ist das eine Welt des west-östlichen Kulturgefälles und der west bar, denn diese Grenzen, um die es sich oft auch in politischer Hinsicht östlichen Phasenverschiebung. Diese Welt existiert nicht mehr, nicht nur handelt, längs Rhein, Eibe, Oder und Weichsel, sind immer zugleich auch weil an Stelle einer vorgestellten und selbsternannten "Welt" eine ·reale, durchlässige Membranen, die zu beiden Seiten einen osmotischen Druck den Globus umspannende Welt entstanden ist, sondern vor allem des ausgleich ermöglichen, so daß wir nicht nur ein Kulturgefalle vor uns halb, weil das Kulturgefalle selbst verschwunden ist, seitdem in der Mit te des historischen Europa das eigenständige Gravitations-und Strahlungs haben, sondern räumlich mehr oder weniger breite Bänder, parallele Zonen, die eine Parallelität des Geschiehtsahlaufes aufweisen, immer mit zentrum Deutschland entstanden ist. Eine fast 2000jährige Dynamik, charakteristischen Zeitunterschieden; ganz gleich, ob es sich um Auf die die Pax romana eingeleitet hatte, war mit der Reichsgründung zu Ende. nahme des Christentums handelt oder um Ausbreitung des gotischen Baustils, um das karolingische Herrschaftssystem oder um städtische Dieselben Kräfte, die die Französische Revolution trugen und um Emanzipation, immer sehen wir uns Zonenbändern gegenüber, nicht un derentwillen Heß sich um Europa bemühte, die wir als kapitalistische ähnlich denen, die die Karte der durchschnittlichen Mittagsstunde auf Entwicklung begreifen, halfen auch das Deutsche Reich schaffen, aber weist. Ganz analog den astronomisch bedingten, aber durch politische er erkannte nicht, daß die gleichen Kräfte, die für ihn die "Weltherr Zweckmäßigkeit modifizierten Karten der Mittagsstunden sind auch schaft" der Französischen Revolution begründeten und denen er zum die historisch bedingten, durch politisches Zusammenleben modifizierten Endsieg verhelfen wollte, den geographischen Rahmen für eben diese parallelen Beziehungsräume zu sehen: Die Teilung der ersten europäi französische Hegemonie zu sprengen bestimmt waren. schen Kulturwelt durch den Vertrag von Verdun (843) in drei Längs Das Deutsche Reich als mitteleuropäisches Gravitations- und Strah streifen fixierte die drei politischen Räume, die entsprechend dem Kul- lungszentrum war historisch unvermeidlich; vermeidlich war, daß es sich 14 Ein Leben im Banne der Französischen Revolution Der geographische Bezugsrahmen 15 turgefälle und der Phasenverschiebung bis damals entstanden waren. halb, weil es ihm nie wirklich gelungen ist, ihr einen theoretisch fundier Es ist unnötig, die politischen Neubildungen und Umgruppierungen im ten Ausdruck zugeben. Vergeblich haben Philosophen und Gesellschafts Verlauf des europäischen Kulturgefälles im einzelnen zu verfolgen, Um theoretiker versucht, für ihn das zu leisten, was er selbst nicht vermocht gruppierungen, die immer wieder die zonalen Bänder in 'neuen Modifi hat, indem sie ihn mit spinozistischer, begelseher oder marxscher Systema kationen aufweisen; wichtig ist nur das: Die Fähigkeit, größere Flächen tik darzustellen versuchten.4 Diese Versuche können nur dazu führen, politisch zu integrieren, nimmt von Westen nach Osten ab. Der politischen ihn zu einem unheilbaren Wirrkopf zu stempeln, und wenn es darum Integrationskraft, die die Domäne der französischen Kapetinger, die soge ginge, Heß als Systematiker irgendeiner Disziplin zu erfassen, mit Recht. nannte "ile de France" um Paris, ausstrahlte, steht nichts Entsprechendes Wenn es aber Heß darauf ankam zu wirken, weil er seiner Zeit gegenüber östlich des Rheins gegenüber. Die Krongüter der sächsischen, salischen und Verantwortung spürte, bekommt seine Geschichtsverbundenheit eine ganz Staufischen Herrscher haben nie die Rolle der kapetingischen Domäne ge andere Bedeutung: die Geschichte ist die Atmosphäre, in der er atmet, spielt; was wir das Erste Deutsche Reich nennen, ist nie, auch nicht keim in der er existiert, ganz gleich, ob er sie theoretisch wahrhaft bewältigt. haft, ein integrierender Flächenstaat gewesen: Diese Rolle blieb dem Zwei So gesehen, ist er in die rheinische Franzosenzeit hineingeboren und ten Reich vorbehalten. stirbt er mit der isolierten Kommune und der geglückten Reichsgründung. Wir sind es gewöhnt, die Tragödie der Deutschen in der kleinstaat Wenn er noch einige Jahre weiter existiert, so bedeutet das auch für ihn liehen Zersplz"tterung zu sehen; vielleicht wäre es richtiger, die Tragödie nicht viel. Er ist politisch heimatlos, weil er weder im Frankreich der im Fehlen der territorialen Integration zu sehen, wodurch das Schicksal werdenden Dritten Republik noch im sich entwickelnden Deutschen der Deutschen sich mehr dem seiner östlichen Nachbarn angleichen würde; Reich Fuß fassen kann, aber in Wahrheit ist er geschichtlich heimatlos, dadurch würde die oft groteske politische Zersplitterung mehr ein Sonderfall denn in der neuen Welt integrierter Nationalstaaten, die sich selbst ober des Fehlens territorialer Integration sein als Folge deutscher Eigenart. stes Gesetz sind, kann Heß sich nicht mehr zurechtfinden. Dieser Tra Moses Heß hat als unmittelbare historische Vergangenheit die Inte gödie der Heimatlosigkeit in der Geschichte hätte er nur entgehen können, gration der deutschen Zwerggebilde zu Mittelstaaten durch den Zwing wenn er die Welt der Französischen Revolution, in die er hineingeboren herrn vom Westen, Napoleon I., erlebt, eine Entwicklung, die er durch war, nicht nur assimiliert, sondern auch aus der Perspektive der Theorie aus bejaht hat. Der Rheinbund war für ihn die Erfüllung einer folgerich bewältigt hätte. tigen geschichtlichen Entwicklung: Die Ideen von 1789 durchdringen Es ist schlimm, erleben zu müssen, wie Leitbilder, an denen man sich die Nachbarstaaten und befähigen sie, sich zu modernisieren, ermöglichen orientiert hat, Geschichte werden, ohne aus sich heraus neue Perspektiven den Gesellschaftskräften freies Spiel und ungehemmte Entwicklung. zu entwickeln: Das war, was viele Deutsche im Jahre 1933 an sich erfah Ein vollkommen überzeugendes Beispiel war für ihn die Gleichstellung ren mußten, als sie die NS-Machtergreifung wie eine Naturkatastrophe der Juden, die ungeahnte intellektuelle und wirtschaftliche Kräfte frei übermannte. Die Reichsgründung wurde für Heß, objektiv unberechtigt, gesetzt hatte. Wenn die Deutschen das legitime Ziel ihrer Einheit und ter eine solche Naturkatastrophe, und nur deshalb, weil er der Hülle der ritorialen Integration erreichen wollen, so kann der Rheinbund ein An französischen Revolutionsvorstellung nicht entwachsen war. Was aber fang sein; wollen sie Einheit mit Freiheit, so kann das nur im Zeichen der bei Heß einmalig war, was nur er vertreten hat, nämlich die national I~een von 1789 geschehen und im Gefolge des west-östlichen Revolu jüdischen Aspekte der französischen Revolutionsdynamik, waren 1870 tionsgefälles. Für Heß gibt es nur die Französische Revolution in Per · noch durchaus riicht überlebt und hätten Heß Halt geben können, hätte manenz, die eine Revolution, die sich in revolutionären Phasen verwirk er sie wirklich gemeistert: licht; .sie tut sich in revolutionären überschwemmungen kund, wirkt aber Das west-östliche Revolutions- und Kulturgefälle hatte östlich vom auch Im Wege des osmotischen Ausgleichs. 1830, 1848 und 1871-keiner Deutschen Reich noch keineswegs ausgespielt. Die Revolutionierung der dieser revolutionären Ergüsse hat Heß überrascht und keine der reak Lebensbedingungen des jüdischen Volkes hatte im Verlauf der west tionären Zwischenphasen ihn verzweifeln lassen. Nur die Isolierung der östlichen Phasenverschiebung in den 60er Jahren gerade Osteuropa er Kommune (1871) hat ihm vor Augen geführt, daß mit der Integrierung reicht und die Geister angeregt5: Hier hatte Heß Aussicht, den neuen D.eutschland~ durch Preußen der über die Jahrhunderte bewährte Mecha Perspektiven des jüdischen Lebens Bahn zu brechen und die Zeitver msmus der Übertragung der Kulturimpulse außer Wirkung gesetzt worden geudung, die mit der autochthonen Bewältigung revolutionärer Ent war. wicklungen verbunden ist, einzuschränken. Heß hätte den schmerzvol len Prozeß der politischen und sozialen Selbstverständigung der jüdischen Heß' Leben war geschichtsverbunden; in immer neuen Varianten hat er Massen im Osten abkürzen können, aber er hat diese Möglichkeiten nicht seiner Geschichtsverbundenheit Ausdruck gegeben, vielleicht gerade des- erfaßt und nicht genutzt. Wie die Dinge einmal lagen, ist es nicht verwunder- 16 Ein Leben im Banne der Französischen Revolution Heß 'geschichtlicher Bezugsrahmen 17 lieh, daß die jüdisch-nationale Emanzipationsbewegung auf Heß erst In der Welt der realen Politik bot sich gleich anschließend an die stieß, nachdem ihre Selbstverständigung schon weit fortgeschritten war Revolution von 1848 als geschichtliche Vorsehung, die den Menschen (s. Kapitel 14). Dieses, von Heß selbst verschuldete Versäumnis hat die die Emanzipation erwirkt, der ·Bonapartismus an und in anderer Auf- verspätete Heßbegeisterung, die verschiedentlich Mode war, nicht wett machung und später - der Staatssozialismus. . . . machen können: Heß hätte einer der ersten Theoretiker und Organi Die Ideen von 1789 waren die Ideen der selbsttätigen Emanzipation, satoren der jüdischen Nationalbewegung sein können, er hat sich aber der Verwirklichung der menschlichen Autonomie, des Humanismus, selbst in deren Vorgeschichte verbannt.6 aber deswegen war das 19. Jahrhundert noch längst ~i~ht das Jahr~un dert der verwirklichten Emanzipation: Kulturpessimisten bezweifel ten den Beruf des Menschen zu selbsttätiger Emanzipation und behaupte 2. Heß' geschichtlicher Bezugsrahmen ten die Notwendigkeit einer außermenschlichen Autorität, die auf Erden die Gestalt eines menschlichen Stellvertreters annimmt, eines weltlichen Die Französische Revolution hat als ihre größte Neuerung inmitten der oder kirchlichen Herrschers, einer ererbten Herrschaft oder einer charis politischen und sozialen Neuerungen den Emanzipationsgedanken for matischen Herrschaftsgewalt, eben das, was gewöhnlich als politischer Mes muliert und ihm praktischen Ausdruck gegeben; Emanzipation verstan sianismus bezeichnet wird; den als gezielte Selbsttätigkeit des Einzelnen und der menschlichen Ge Die Kulturpessimisten kritisierten nicht unberechtigterweise die opti sellschaft. Sie hat damit den Begriff des Fortschritts auf die Tagesord mistische Behauptung, daß die Menschen, auf sich selbst gestellt und nung gesetzt und Perspektiven für die Lösung der menschlichen Fragen auf sich selbst angewiesen, Wege finden würden, die verschiedensten aufgezeigt; sie hat die Lösbarkeit aller menschlichen Probleme behauptet Emanzipationsbestrebungen harmonisch zu koordinieren und die Eman und damit den Humanismus zum möglichen Ziel der Politik erhoben. zipation aller und eines jeden zu verwirklichen, kurzum, sie gla~bten Menschen haben auch vorher die Lösung aller menschlichen Probleme er nicht an die Demokratie: Emanzipationsdenken ist das demokratische hofft und erwartet, aber nie den Weg der gezielten Selbsttätigkeit gesehen. Denken, denn nur die Demokratie unternimmt es, eine Autorität unter Immer sollte die Erlösung von außen und oben kommen, von Gott, König Menschen zu errichten ohne außermenschliche Legitimation. Der Kul und Tribun. Die Vielfalt der revolutionären Hoffnungen, Pläne, Glau turpessimismus ist bereit, die Möglichkeit einer demok~atischen Her: benssätze und Systeme, die die Menschen bewegten, darf man als ,,Mes schaftstechnik anzuerkennen, er behauptet nur, daß die Demokratie sianismus" zusammenfassen: Die Französische Revolution hat erstmalig nie die Emanzipation verwirklichen könne, weil sie im besten Fall die dem Messianismus die Emanzipation zur Seite gestellt. Tyrannei der Mehrheit über die Minderheit bedeute, die in Wahrheit Einem gläubigen Hegelianer mochte es scheinen, als sei mit dem "Set und praktisch auf die Tyrannis einer Oligarchie oder eines Diktators zen" der Emanzipationsidee eine Weltenwende eingetreten und die Durch hinauslaufe. setzung des neuen ,,Prinzips" in dieser schlechten Welt sei eine Frage Berechtigt war die Kritik am demokratischen Fortschrittsglauben, der richtigen Technik, bei deren Auffinden den Menschen "die Geschich soweit er eben ein Glaube war: warum sollte wirklich die Abstimmung te" unter die Arme greift. Für derartige Kulturoptimisten mochte die einer Mehrheit dem Fortschritt und der Emanzipation in den Sattel fortschreitende Verwirklichung der menschlichen Emanzipation ein grad verhelfen? Was sich aber als Fortschrittsglaube gab, war in Wahrheit liniger Prozeß sein: Wir sind uns heute dessen bewußt, daß wir es noch oft ein Fortschrittswille, der bewußt oder unbewußt bereit war, Risi nicht einmal erreicht haben, den vollen Bereich der Emanzipationsproble ken auf sich zu nehmen, zu experimentieren, den Sprung ins Ungewisse matik abzustecken, weil Psychologie und Soziologie immer neue Fragen zu wagen, um der Demokratie und der Emanzipation eine Chance zu des menschlichen Wesens und Zusammenlebens aufwerfen. Wir haben geben. Der emanzipatorische Fortschrittswille, der sich gläubig stell da den Menschen des 19. Jahrhunderts nichts zu verübeln, dürfen uns te um sich Mut zu machen, hat die vielen emanzipatorischen Fort- aber doch darüber verwundern, wie viele damals angesichts der ersten ' . schritte zum Zuge gebracht, die es uns heute erlauben, trotz der VIe- Schwierigkeiten, die das Emanzipationsdenken aufwarf, sogleich kapi len neuen Hindernisse, die wir inzwischen entdeckt haben, doch die tulierten und bereit waren, die Emanzipation auf dem alten Wege des Umrisse einer emanzipierten Gesellschaft zu erkennen. über Kultur Messianismus zu erhoffen. Besehen wir uns doch selbst die radikalen optimismus und Kulturpessimismus erhebt sich der Emanzipations Hegelianer, wie bei ihnen die Geschichte als Göttin der Vorsehung funk wille. tioniert und menschlich-emanzipatorisches Irren erübrigt, und bei wie Wo Emanzipationsglaube stärker war als Emanzipationswille, da setzte vielen ihrer als ,Marxisten' bekannten Nachfahren die Wissenschaft die der autoritäre demokratische Messianismus an; seine idealtypische Ge gleiche ablenkende Funktion erfüllt. stalt ist bis heute der "Cäsarismus" Napoleons III.7