Wolfgang Stelly · Jürgen Thomas Einmal Verbrecher- immer Verbrecher? Wolfgang Stelly · Jürgen Thomas Einn1al Verbrecher - in1n1er Verbrecher? Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Deutsche Bibliothek-CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 978-3-531-13665-3 ISBN 978-3-322-89598-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-89598-1 1. Auflage Juli 2001 Alle Rechte vorbehalten © Springer Fachmedien Wiesbaden 2001 Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden 2001. Lektorat: Monika Mülhausen www. westdeutschervlg.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustim mung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigun gen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzg~bung als frei zu betrachten wären und daher von jeder mann benutzt werden dürften. Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Umschlaggestalrung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung .......................................................................................................... ll 2 Verlaufsmuster von Kriminalität- Eine Bestandsaufnahme ........................ 17 2.1 Die Philadelphia-Kohortenstudie ................................................................... 22 2.2 Die schwedische Langzeitstudie von Stattin/Magnusson ............................... 26 2.3 Verlaufsstrukturen in deutschen Kohortenstudien ......................................... 33 2.4 Rückfall nach Jugendstrafvollzug .................................................................. 38 2.5 Verlaufsstrukturen selbstberichteter Delinquenz ........................................... 40 2.6 Zusammenfassung ......................................................................................... 45 3 Theorien zur Kontinuität und Diskontinuität von Kriminalität .................. 49 3.1 Klassische Theorieansätze ............................................................................. 51 3 .1.1 Die Theorie der differentiellen Assoziation .............................................. 51 3 .1.2 Die Drucktheorie ....................................................................................... 53 3.1.3 Der Labeling-Ansatz ................................................................................. 55 3.1.4 Die Theorie der Abschreckung ................................................................. 57 3 .1.5 Die soziale Kontrolltheorie ............. :. ........................................................ 6 I 3.1.6 Zusammenfassung ..................................................................................... 63 3.2 Neuere entwicklungsdynamische Theorieansätze .......................................... 66 3.2.1 Braithwaites Beschämungstheorie ............................................................ 71 3.2.2 Das Konzept der "differential expectations" ............................................. 73 3.2.3 Greenbergs "Alterstheorie" ....................................................................... 74 3.2.4 Agnews allgemeine Drucktheorie ............................................................. 75 3.2.5 Moffitts Tätertaxonomie ........................................................................... 78 3.2.6 Thornberrys Interaktionsmodell ................................................................ 83 3.2.7 Zusammenfassung ..................................................................................... 89 3.3 Die altersabhängige soziale Kontrolltheorie von Sampson/Laub .................. 93 3.3.1 Theoretische Grundannahmen .................................................................. 93 3.3.2 Die Kontinuität delinquenten Verhaltens .................................................. 97 3.3.3 Veränderungen und Brüche im delinquenten Verhalten ..... :. .................... 99 3.3.4 Die Mediatisierungsthese von Sampson/Laub ........................................ I 00 3.3.5 Die empirische Ergebnisse von Sampson/Laub ...................................... 101 3.3.6 Kritische Anmerkungen zur "altersabhängigen sozialen Kontrolltheorie" ...................................................................................... I 03 3.4 Die allgemeine Kriminalitätstheorie von Gottfredson/Hirschi ..................... 105 3.5 Folgerungen für die eigene Untersuchung ................................................... I I 0 6 Inhaltsverzeichnis 4 Die Tübinger Jungtäter-Vergleichsuntersuchung ....................................... 115 4.1 Zur Anlage der Studie .................................................................................. 115 4.2 Zur Repräsentativität der TJVU .................................................................. 119 4.3 Die TJVU im Vergleich mit der Glueck-Studie "Unraveling Delinquency" ............................................................................................... 126 5 Kriminalität und soziale Einbindung im Kindes- und Jugendalter ........... 129 5.1 Familie und Jugendkriminalität ................................................................... 130 5.1.1 Das Familienmodell von Sampson und Laub .......................................... 130 5 .1.2 Operationalisierung der Modellfaktoren ................................................. 13 2 5.1.3 Familie und schwere Jugendkriminalität... .............................................. 136 5.1.4 Familie und leichte Jugendkriminalität.. ................................................. 149 5.2 Frühe Verhaltensauffälligkeiten ................................................................... 154 5.3 Schule und Jugendkriminalität... .................................................................. 167 5.4 Delinquente Peers und Jugendkriminalität .................................................. 177 5.5 Zusammenfassung: Soziale Einbindung und Jugendkriminalität.. ............... 186 6 Kriminalität und soziale Einbindung im Erwachsenenalter ...................... 193 6.1 Kontinuität und Diskontinuität sozialer Auffälligkeit im V-Sample ............ 200 6.2 Verlaufsmuster im V-Sample ...................................................................... 206 6.3 Kontinuität und Diskontinuität sozialer Auffälligkeit im H-Sample ............ 215 6.3.1 Der Zusammenhang der Kriminalitätsentwicklung zwischen den einzelnen Lebensphasen .......................................................................... 215 6.3.2 Die Wirkung der Kindheits- und Jugendgeschichte auf Kriminalität und soziale AuffäHigkeiten in späteren Lebensphasen ............................ 223 6.3.3 Die Selbstverstärkung der "kriminellen Karriere" .................................. 229 6.3.4 Veränderungen und Brüche in der Kriminalitätsentwicklung ................. 240 6.4 Verlaufsmuster im H-Sample ...................................................................... 246 6.4.1 Verlaufsmuster im H-Sample bis zum 32. Lebensjahr ............................ 247 6.4.2 Verlaufsmuster im H-Sample bis zum 39. Lebensjahr. ........................... 261 6.5 Soziale Einbindung und das Ende der AuffäHigkeiten ................................ 275 6.6 Zusammenfassung ....................................................................................... 292 7 Schlussbetrachtung: Die zentralen Ergebnisse ............................................ 297 8 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis .......................................................... 307 8.1 Tabellenverzeichnis ..................................................................................... 307 8.2 Abbildungsverzeichnis ................................................................................ 314 9 Literaturverzeichnis ....................................................................................... 315 10 Anhang ............................................................................................................ 329 Geleitwort Hinter dem weiten Begriff "Kriminalität" verbergen sich zahlreiche unterschiedliche Problemlagen, die zwar in der Wirklichkeit des Lebens alle auf die eine oder andere Weise miteinander verknüpft sind, aber dennoch in wissenschaftlicher, praktischer und (kriminal-) politischer Hinsicht einer separaten Analyse bedürfen, wenn man im Grundlagenwissen weiterkommen und Anwendungswissen verbessern will. Krimina lität als soziales Phänomen, insbesondere Massenphänomen in modernen Gesell schaften, hat andere Gesetzmäßigkeiten denn Kriminalität als Einzelereignis im Alltag oder Kriminalität als Teil einer lebensgeschichtlichen Verstrickung von Men schen in eine Art Kreislauf von "Verbrechen und Strafe", die in bestimmten Fällen als ausgeprägte so genannte "kriminelle Karriere" imponiert. Dunkelfelduntersu chungen in der Kriminologie haben überall in der Welt in den letzten Jahrzehnten den Befund verfestigt, dass das Begehen von Handlungen, die einem Straftatbestand subsumiert werden können, vor allem bei den männlichen Angehörigen der Normal population statistisch normal und sozusagen ubiquitär ist. Das heißt, im Schnitt rund 90 %junger Männer geben bei so genannten Täterbefragungen an, Straftaten began gen zu haben. Die meisten dieser Taten werden allerdings nicht entdeckt. Und die meisten jungen Menschen bleiben offiziell unauffällig oder kommen, selbst wenn sie einmal polizeilich angezeigt werden, allenfalls vorübergehend "in Schwierigkeiten". Eine genauere Analyse der Ergebnisse von Täterbefragungen im Dunkelfeld zeigt nun regelmäßig, soweit die Daten überhaupt entsprechende Differenzierung erlau ben, dass das Begehen von Straftaten, wenn es auch normal ist, jedenfalls nicht gleich verteilt ist. Vereinfacht: viele Befragte geben nur eine oder maximal 3 Strafta ten an, wenige Befragte geben viele Straftaten an. Oder anders betrachtet: die meis ten Befragten bewegen sich nach ihren Angaben üblicherweise im Bereich der klei nen oder allenfalls mittleren Kriminalität, nur wenige Befragte berichten von wie derholten schwereren Taten. Dem Grunde nach bestätigen Täterbefragungen damit einen auch international ziemlich gesicherten Befund aus der Auswertung von Hell felddaten, insbesondere von Sondererhebungen zu polizeilichen Ermittlungsverfah ren bzw. Kriminalstatistiken: 3-5 % einer Geburtskohorte werden im Jahresquer schnitt verdächtig, für mehr als 30 % aller erfassten Straftaten verantwortlich zu sein. Bei Einzeldelikten fallen die Prozentwerte je nachdem niedriger oder höher aus. Im Längsschnitt können sich im Detail ebenfalls andere Werte ergeben. Für die wieder holt Auffälligen haben sich Begriffe wie "Mehrfachtäter", "Intensivtäter" oder "chronische Täter" (entsprechend den "chronics" in den USA) eingebürgert. Solche Befunde sind natürlich geeignet, klassische Fragestellungen der täterorientierten Kriminologie und Kriminalpolitik wieder zu aktivieren. Dazu gehört die Frage, ob die mehrfach Auffälligen etwa bestimmte "Eigenschaften" haben oder zeigen könn ten, die sie in der Substanz von anderen Menschen bzw. nur einmal oder gelegentlich Straffälligen abheben oder, noch brisanter, anhand derer man sie sozusagen von 8 Geleitwort Amts wegen (oder mit Hilfe von Gutachtern) unterscheiden und einer wie auch immer gestalteten besonderen Behandlung zuführen kann. Der vor allem in den 70er Jahren blühende Labeling Approach (Etikettierungsansatz) war angetreten, die Frage nach "Unterschieden", gar statischen und in der Persönlichkeit eingebundenen Merkmalen, schon im Ansatz für sinnlos zu erklären. Wo es um "Zuschreibung" durch gesellschaftliche und dann institutionelle Definitionsprozesse geht, verfehlt danach jeder Versuch einer "Beschreibung" von vorgeblich real vorhandenen Phä nomenen und der Analyse von ggf. vorhandenen kausalen Zusammenhängen den wissenschaftlichen Punkt, auf den es ankommt. In den USA hatten Michael Gottfred son und Travis Hirschi mit ihrem Werk über eine "General Theory of Crime" ( 1990) den in jüngeren Jahren am meisten Aufmerksamkeit erregenden Versuch gestartet, eine an der Persönlichkeit ausgerichtete umfassende Kriminalitätstheorie zu entwi ckeln und damit sozusagen dem Labeling Ansatz den kriminologischen und krimi nalpolitischen Wind aus den Segeln zu nehmen. Mit ihrem Konzept der "criminali ty", einer früh in der Persönlichkeit angelegten und im Kern nicht veränderbaren Neigung zu abweichendem Verhalten, die sich in einzelnen "crimes", aber auch in anderen Abweichungen manifestieren kann und faktisch manifestiert, und die sie letztlich auf den Faktor mangelnder Selbstkontrolle zurückführen, starteten sie indes nicht nur einen Angriff auf etikettierungstheoretische Positionen, sondern auch auf alle diejenigen kausal orientierten Positionen in der Kriminologie, die Wandel oder "Veränderung" für möglich halten. Dazu gehören insbesondere Längsschnitt- oder Verlaufsuntersuchungen, die davon ausgehen, dass durchaus vorfindbare "Unter schiede" zwischen Menschenträtern besser als Folge von dynamischen divergieren den lebensgeschichtlichen Entwicklungsverläufen denn als Ausfluss von statischen Eigenschaften verstanden werden können und sollten. Dementsprechend gehen sie weiter davon aus, dass auch bei scheinbar hartnäckig verfestigten kriminellen Karrie ren, die sich schon in früher Jugend entwickeln, prinzipiell jederzeit Veränderungen und sogar Abbrüche möglich sind. Umgekehrt ist es danach prinzipiell auch jederzeit möglich, dass ein bis dato ganz unauffälliger Mensch erst im Erwachsenenalter mit erheblicher Straffälligkeit imponiert. Am einflussreichsten waren in dieser Hinsicht, zugleich am pointiertesten in der Gegenposition zu Gottfredson/Hirschi, in den USA Robert Sampson und John Laub mit ihrem Werk über "Crime in the Making" (1993). Anhand einer imponierenden neuen Aufbereitung der Daten, die Sheldon und Elea nor Glueck für ihre (selbst eher statisch orientierte) Verlaufs- und Vergleichsstudie über die Ursachen erheblicher Jugendkriminalität und deren weiteren Verlauf (Un raveling Juvenile Delinquency, 1950) erhoben hatten, entwickelten sie mit ihrer "age graded theory of social control" eine besonders anregende Variante interaktio nistischer Kriminalitätstheorien. Danach gibt es nicht nur sehr differenzierte Wege des Einstiegs und des Verweilens in Kriminalität ("pathways"), sondern im einzelnen ebenfalls sehr differenzierte, aber grundsätzlich doch typische Wendemarken ("tur ning points") heraus aus der Kriminalität, die mit wichtigen lebensgeschichtlichen Ereignissen oder Entscheidungen verknüpft sind. Die Autoren des vorliegenden Werkes steigen aus deutscher Sicht in die durch Gottfredson/Hirschi und Sampson/Laub exemplarisch markierte neuere Diskussion Geleitwort 9 über Bedingungen und Zusammenhänge von "Kontinuität und Diskontinuität von Kriminalität im Lebenslauf' anhand einer Reanalyse der Ergebnisse der "Tübinger Jungtäter- Vergleichsuntersuchung" (begründet durch und geleitet von Hans Göp pinger) einschließlich der späteren Nachuntersuchung (geleitet von Hans-Jürgen Kerner) ein. Sie vertiefen damit zugleich Einsichten, die am Institut für Kriminologie durch ein entsprechendes von der DFG gefördertes Projekt über "Verlaufsmuster und Wendepunkte in der Lebensgeschichte" gewonnen werden konnten. Da die Tü binger Untersuchung international zu den wenigen gehört, die ihre Probanden über das 30. Lebensjahr hinaus begleitet und untersucht haben, beansprucht die empiri sche Studie von Wolfgang Stelly und Jürgen Thomas besondere Aufmerksamkeit. Anhand von zwei aufeinander bezogenen Perspektiven, nämlich "Kriminalität und soziale Einbindung im Kindes- und Jugendalter" einerseits und "Kriminalität und soziale Einbindung im Erwachsenenalter" andererseits, arbeiten sie eindrücklich heraus, dass diejenigen Kriminologen, die es theoretisch sozusagen mit Sampson und Laub halten, empirisch die besseren Argumente für sich haben. Bei der repräsentati ven Vergleichsgruppe der Tübinger Probanden beschränkt sich der weitaus größte Teil der registrierten Kriminalität auf einmalige oder im Wiederholungsfall doch eher leichte Delikte in der Jugend- und Heranwachsendenphase. Dieses Erschei nungsbild ist weder mit einer problematischen Sozialisation erklärbar, noch findet sie ihre Entsprechung in einer in sonstigen Bereichen auffälligen Lebensführung, und hat schließlich keine größeren Auswirkungen auf den weiteren Lebensweg der Indi viduen. Bei der Gruppe der Häftlingsprobanden ist es naturgemäß zunächst nicht verwunderlich zu sehen, dass sich bei der Mehrzahl von ihnen die eher schwereren strafrechtlichen Auffälligkeiten auch in anderen Verhaltensauffälligkeiten und einer insgesamt sozial depravierten Lebenssituation widerspiegeln. Der für die weitere kriminologische Diskussion herausfordernde Befund ist freilich, dass die um das 25. Lebensjahr der Probanden herum ziemlich ähnliche Situation einerseits auf höchst unterschiedlichen Vorgeschichten beruht, und dass auch ab dann die weitere Le bensgeschichte weniger von gleichförmiger Kontinuität (in) der Straffälligkeit denn von Brüchen und Veränderungen gekennzeichnet ist. Für das Auslaufen oder sogar den raschen Abbruch scheinbar verfestigter krimineller Karrieren sind weniger Fak toren aus der frühen Kindheits- und Jugendgeschichte verantwortlich als vielmehr die jeweils aktuellen Einbindungen der Probanden in die informellen Bereiche der sozialen Kontrolle wie Freundschaftsbeziehungen, Partnerschaft, Familie und Ar beitswelt. Einem Großteil der Häftlingsprobanden gelingt es auf diese Weise, sich wider alle Belastungsfolgen aus dem bisherigen Leben in eine sozial unauffällige Lebensweise erfolgreich zu integrieren. Durch die vorliegende quantitativ angelegte Studie ist ein solider Grund für weitergehende und vertiefende, vor allem qualitative Analysen zum Thema "Kriminalität und Verlauf' und zum Thema "Sanktion und Lebensgeschichte" gelegt. Ich wünsche ihr weite Verbreitung. Tübingen, im April 2001 Prof. Dr. Hans-Jürgen Kerner Direktor des Instituts für Kriminologie der Universität Tübingen 1 Einleitung Diese Arbeit handelt von individuellen Entwicklungsmustern von Kriminalität im Lebenslauf. Wir fragen danach, welche unterschiedlichen Kriminalitätsverläufe sich in einer Langzeitperspektive identifizieren lassen und wie die unterschiedlichen Verlaufsmuster erklärt werden können. Dies schließt auch die Frage mit ein, welche Faktoren hinter dem Beginn, dem Fortgang und dem Ende krimineller Karrieren stehen. Der Begriff "kriminelle Karriere" meint dabei lediglich, dass die Verstrickung in kriminelle Aktivitäten zu einem bestimmten Zeitpunkt im Leben beginnt, sich über eine bestimmte Zeitdauer erstreckt, und dann aufhört. Dabei kann es sich sowohl um eine einmalige oder episodenhafte strafrechtliche Auffälligkeit handeln, die ohne lebensgeschichtliche und strafrechtliche Konsequenzen bleibt, als auch um wieder holte strafrechtliche Auffälligkeiten, die sich über verschiedene Lebensphasen er strecken und mit längeren Haftaufenthalten einhergehen. Für beide Verlaufsformen gibt es zahlreiche empirische Evidenzen: so wurde einerseits in verschiedenen Lang zeitstudien festgestellt, dass Individuen, die als Kinder und Jugendliche kriminelles Verhalten zeigten, sehr viel häufiger auch als Heranwachsende und junge Erwachsene strafrechtlich auffällig wurden (z.B. Parrington 1992, McCord 1991, Elliott et al. 1985). Loeber (1996, S.1) spricht in seinem Literaturüberblick über Entwicklungsver läufe von Kriminalität zusammenfassend von einem "impressive body of longitudinal data on the continuity of problern behaviors over time." Andererseits belegen viele der bekannten Langzeitstudien aber auch, dass die große Mehrheit der jugendlichen Straf täter ihre "Karriere" vor oder während der frühen Erwachsenenphase abbricht (z. B. Stattin/Magnusson 1991, Shannon 1988). Nicht zuletzt aufgrund dieser scheinbar widersprüchlichen Ergebnisse besteht in der kriminologischen Forschung Uneinigkeit darüber, ob es sich bei kriminellem Verhalten eher um ein über den Zeitverlauf stabiles Verhaltensmuster oder um ein passageres, auf einen relativ engen Zeitraum begrenztes Phänomen handelt. Dies ist umso bedenklicher, als mit der Klärung dieser Frage weitreichende Konsequenzen für die Kriminalpraxis verbunden sind. Zum einen sind Richter, psychiatrische und psychologische Sachverständige durch gesetzliche Vorgaben gehalten teilweise langfristige Prognosen über die weitere Entwicklung von Straftätern abzugeben. Zum anderen können damit verschiedene kriminalpolitische Strategien begründet werden. Die Diskussion um die Verschärfung des Strafrechts und die tatsächlich eingetretene Verschärfung (Kreß 1998) sind nicht zuletzt aufgrund eines diffusen allgemeinen Eindrucks in der Öffentlichkeit entstanden, den man trotzJahrzehntender Resoziali sierungsidee immer noch auf die Formel ,Einmal Verbrecher immer Verbrecher' bringen kann. Besonders jugendliche Mehrfachtäter, die in der kriminologischen Fachdiskussion mit Begrifflichkeiten wie "chronische Lebenslauf-Täter" (Schneider 2000) oder "life-course persistent antisocials" (Moffitt 1993) bedacht werden, stehen immer wieder im Mittelpunkt der kriminalpolitischen Diskussionen. Sollten sich