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(ein)geprägt. eingeprägt PDF

209 Pages·2008·4.65 MB·German
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Christoph Feurstein (ein)geprägt Täter Opfer Menschen 10 Porträts UEBERREUTER Redaktionelle Mitarbeit: Mag. Anni Bürkl, Redaktion Texte und Tee, www.rexteundtee.at ISBN 978-3-8000-7385-6 Alle Urheberrechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe in jeder Form, einschließlich einer Verwertung in elektronischen Medien, der reprograftschen Vervielfältigung, einer digitalen Verbreitung und der Aufnahme in Datenbanken, ausdrücklich vorbehalten. Covergestaltung: Walter Reiterer Coverfoto: Thomas Maria Laimgruber; Foto Klappe: ORF Copyright © 2008 by Verlag Carl Ueberreuter, Wien Druck: Druckerei Theiss Gmbl I, A-9431 St. Stefan i. L. Gedruckt auf Salzer Papier 7 6 5 4 3 2 Ueberreuter im Internet: www.ueberreuter.at Inhalt Vorwort von Christoph Feurstein 7 Vorwort von Andreas Zembaty 9 Zeuge einer Hinrichtung 13 Gerti Jones kämpft vergeblich um das Leben ihres Mannes Begegnung mit einem Kinderschänder 35 Peter und was der Trieb aus ihm gcmacht hat Kaffee mit Schlag 53 Umtrunk mit Domina Alice und Madame Sue Ein Rebell vor dem Herrn 69 Pater Udo Fischer und die Affäre Groer Wahrheit statt Karriere 95 Karin Weinländer deckt einen sexuellen Missbrauch im Haus der Barmherzigkeit auf Ein Schrei zu viel 109 Wie Stefans aufgestaute Aggressionen dem Leben seiner Tochter ein Ende setzten Ersehnte Heimat 125 Die Hoffnung von Arigona Zogaj und Denis Zeqaj auf Asyl in Österreich Wenn Liebe weh tut 151 Neubeginn im Frauenhaus - Andrea Brem Ein Toter auf Urlaub 173 Der echte Fälscher Adolf Burger Im Keller abgründiger Fantasien 189 Opfer und was man von ihnen erwartet - Natascha Kampusch Wichtige Kontaktadressen und Anlaufstellen 219 Bildnachweis 222 5] Vorwort von Christoph Feurstein Der unmittelbare Kontakt mit meinen Interviewpartnern war mir im- mer schon besonders wichtig. Oft war und ist der Kontakt zwar inten- siv, aber aufgrund der Dynamik des Mediums Fernsehen viel zu flüchtig in der Präsentation. So traf es sich optimal, dass der Ueberreuter-Verlag mir die Gelegenheit bot, mit dem Medium Buch diese Geschichten aus- führlicher zu erzählen, als man das in einem Fernsehbeitrag tun kann. Was liegt bei der Wahl des Themas näher, als über die vielen interes- santen Menschen, die ich in den vierzehn Jahren als Journalist getroffen habe, zu schreiben. So habe ich zehn der Geschichten, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt haben und mich auch immer wieder begleitet haben, ausgewählt. Alle handelnden Personen sind in besonderer Weise vom Leben geprägt und haben sich mir, aber auch vielen Zuseherinnen und Zusehern meiner Fernschbeiträge eingeprägt. Sie sind entweder Opfer oder Täter, aber auf jeden Fall sind sie alle Menschen. Menschen mit Gefühlen und einer eigenen Geschichte. Das Schreiben des Buches war für mich eine spannende, manch- mal auch aufreibende Zeitreise, von meinen Anfangen als Journalist bis heute. Alle Menschen, die in diesem Buch vorkommen, habe ich noch einmal getroffen, um zu sehen, wie sie heute leben. Ich möchte mich bei allen Interviewpartnerinnen und -partnern bedanken, dass sie mir so bereitwillig Auskunft und vor allem Einblick in ihr Leben gegeben haben. Ich bin stolz auf das Vertrauen, das sie mir geschenkt haben und schenken. Es geht in diesem Buch um intime Dinge, Dinge, über die zu sprechen oft sehr schwer fallt. Es kommen Personen vor, mit denen viele nicht einmal etwas zu tun haben möchten. Dennoch haben gerade auch diese Menschen Beachtung verdient. Ich bin der Meinung, dass es für eine Gesellschaft wesentlich ist, darüber nachzudenken, warum Menschen aus der Bahn geraten sind und für uns unverständliche Taten setzen. Als Journalist will und soll ich die 1 Untergründe von Schicksalen und Ereignissen ergründen. Nicht selten finden sich die Ursachen in den Lebensgeschichten der 7] Menschen. Diese Lebensgeschichten können niemals als Entschuldi- gung dienen, sie sollen zum Nachdenken anregen. Zum Nachdenken, was wir selbst im Umgang mit anderen anders machen könnten. Sie sol- len anregen, um bei uns selbst nachzuschauen, wo wir ähnliche Fehler machen, oder uns zu fragen, warum wir uns dagegen wehren, uns auf unsere Mitmenschen genauer einzulassen. Jeder Mensch wird einmal er- wachsen und muss dann die Verantwortung für sich selbst übernehmen, auch wenn sich in der Kindheit oder Jugend Vorfalle ereignet haben, die eine »normale« Entwicklung erschweren. Es ist aber auch klar, dass manche Menschen aufgrund ihrer Lebensgeschichten nicht die Chance haben, aus einem breiten Spektrum von Möglichkeiten auszuwählen. Ich hatte dieses Glück. Wer aus sozialen und psychologischen Gründen diese Möglichkeit nicht hat, ist wesentlich gefährdeter, den Boden unter den Füßen zu verlieren, als andere. Es liegt also nahe, diesen Menschen die Wahlmöglichkeiten zu erweitern und nicht zu reduzieren. Zu un- serem eigenen Nutzen, zu unserer eigenen Sicherheit. Sie brauchen uns und unsere Zuwendung, gerade wenn sie es am wenigsten verdienen. Immer wieder stellt man mir die Frage, ob es nicht deprimierend ist, sich ständig mit derart dramarischen Schicksalen zu beschäftigen. Ich sage ganz klar: Nein. Für mich wäre es wesentlich deprimierender, hätte ich nicht die Möglichkeit, zu verstehen. Versucht man zu verstehen, be- kommt man die Macht des Handelns zurück, weigert man sich, hinter die Schlagzeilen zu sehen, bleibt nur die Ohnmacht. Ich bin nach meinen Interviews mit Natascha Kampusch immer wieder gefragt worden, warum gerade ich dieses Interview gemacht habe. Für mich ist die Antwort in den Geschichten zu finden, die ich in diesem Buch beschreibe. Hätte ich mich nicht mit all diesen Men- schen und ihren Schicksalen beschäftigt, wäre es mir wahrscheinlich nicht möglich gewesen, das Interview mit Natascha Kampusch auf diese Art und Weise zu führen. Die Menschen und ihre Geschichten, die ich im Laufe meines Journalistenlebens kennenlernen durfte, haben sich bei mir eingeprägt, und sie haben mich geprägt. Und ich hoffe, dass sie auch bei Leserinnen und Lersern einen prägenden Eindruck hinter- lassen. 8] Vorwort von Andreas Zembaty aufdecken, um zu verstehen »Ich möchte mit Jugendlichen sprechen, die einen Menschen getötet haben...« Mit diesem Satz sprach mich, als Mitarbeiter des Vereins NEUSTART (Leben ohne Kriminalität. Wir helfen.), vor vielen Jah- ren Christoph Feurstein an. Was mich damals daran verwunderte, war der Akzent, den Christoph Feurstein setzte: Nicht die journalistische »Geschichte« stand im Vordergrund, sondern der Wunsch nach einem Gespräch mit Menschen, mit denen niemand mehr etwas zu tun haben wollte. Nicht die Suche nach 'Iätortdetails, die beim Publikum wohliges Gruseln verursachen, nicht die moralisierende Aburteilung von Verbre- chen, die einem die Gewissheit gibr, auf der Seite der »Guten« zu sein in. ] n: das Gespräch. In seiner Recherche bestätigte er, allein schon im Umgang mit diesen Jugendlichen jenseits von Kamera und Mikrofon, diese Grundhaltung: das Bedürfnis, durch Zuhören selbst einer weiteren Wahrheit näher zu kommen und nicht die Wahrheit vor sich herzutragen. Als Sozialarbei- ter war ich beeindruckt, wie wertschätzend, aber auch pointiert er die Gespräche führte. Der Respekt vor dem Objekt der Berichterstattung, dem Menschen, war spürbar. Teilweise konfrontativ, ersparte er sich und dem Gesprächspartner nichts. Aus diesem intensiven Einlassen des Journalisten entstand für die Jugendlichen der Eindruck, ernst genom- men zu werden. Sie sprachen über sich, über ihr Leben und die Katas- trophe, die sie verursacht hatten. Einer der Klienten war das erste Mal bereit, überhaupt die Hintergründe seiner Int zu beschreiben, lange nach den Verhören und der Befragung bei Gericht und Psychiatrie — eine Art Katharsis, die die Betreuung durch uns intensivierte. Dabei blieb es nicht. Diese Gespräche wurden in einer Dokumenta- tion verarbeitet. Wiederum wurden nicht gängige Formen der Krimina- litätsinszenierung gewählt. Kein simples »Gut-Böse«-Schema, obwohl das bei Mördern doch so nahelag. Nein, Christoph Feurstein macht 9] es seinem Publikum nicht leicht: Er eröffnet uns durch seine Bilder Welten anderer, die wir nicht als exotisch abtun können, er konfrontiert uns über andere mit Impulsen in uns selbst, denen wir uns oft nicht stellen wollen. Ähnliches erlebte ich in seiner Rccherche zur Sexualkriminalität. Auch hier kein Bedienen voycurisrischer Bedürfnisse, sondern ein Auf- decken, wie nahe wir selbst gerade in diesen voyeuristischen Bedürfnis- sen der Gedankenwelt des Täters sind. Unbequem, keine unterhaltsame Talkshow-Atmosphäre. Auch die Welt der Kriminalitätsopfer ist nicht eindimensional. Ei- nerseits wird Mitleid mobilisiert, andererseits auch Abwehr: Niemand möchte Opfer sein. In meiner Arbeit erlebe ich immer wieder das Mit- leid des Publikums. Ausgrenzung und »Selber-mit-schuld«-Erklärungen folgen jedoch prompt. Auch das Opfer konfrontiert uns. Es erschüt- tert unsere (lebenswichtige) Illusion des »Mir kann so etwas nicht pas- sieren«. Das Verdrängte kommt jedoch in einer Form zurück, die wir nicht kontrollieren können. Am Beispiel der Recherchen zum sexuellen Missbrauch durch Geistliche wurde oft deutlich, dass gerade dort, wo teilweise rigide (Sexual-)Moral gepredigt wird, einzelne Prediger daran zerbrechen und in der Folge, meist im Verborgenen, Menschen in ihrem Umfeld zu Opfern werden. Am Schicksal von Natascha Kampusch zeigt sich die Notwendigkeit, nicht die »schnelle Geschichte« als Maßstab journalistischer Arbeit gel- ten zu lassen. Mit den Angehörigen, insbesondere der Mutler des Op- fers, jahrelang kontinuierlich im Kontakt zu bleiben, sie nicht medial ins Abseits zu stellen und sie damit der Hoffnung zu berauben, mirhilfe der Öffentlichkeit die Tochter wiederzubekommen, zeigt einen Journa- lismus, der an Menschen »dran bleibt« und nicht »drübergeht«. Trotz aller notwendigen beruflichen, journalistischen Distanz. Diese Form des Journalismus sucht die Welt der Menschen auf der Straße, also den Boulevard. Jedoch eine andere Art des Boulevards: ohne zu belehren, ohne liebgewordene Vorurteile zu bedienen, ohne simple Unterhaltung. Warum sind Christoph Feursteins »Geschichten« trotz- 110] dem erfolgreich und quotenträchtig? Meine Antwort: Die Art, wie er mit Menschen, die Extremes erlebt haben, kommuniziert, konfrontiert uns zwar mit eigenen unerwünschten Anteilen, er verurteilt (uns) aber nicht, er nimmt es an und entlastet damit. Er macht Unverständliches nicht akzeptabel, aber nachvollziehbar. Im besten Fall erfahren wir da- bei etwas über uns selbst. Christoph Feurstein bei F. Flstner, Menschen der Woche, 3. 5. 2008: » Wir alle müssen lernen, dass eben das angepasste Brave nicht unbedingt das un- schuldige Glückliche ist... Die Gesellschaft muss offener werden, nur dann kann sie sich richtig mit Fällen wie z. B. dem Fall Fritzl auseinander- setzen« Andreas Zembaty Sozialarbeiter, Psychotherapeu i tätig in Wien im Bereich Bewährungshilfe, Hille für Opfer und Prä- vention 11] Zeuge einer Hinrichtung Gerti Jones kämpft vergeblich um das Leben ihres Mannes In wenigen Minuten soll ein Mann sterben. Sein Tod wird nach Plan eintreten. Wir befinden uns im Hochsicherheitsgefängnis von Potosi, am Ende der Welt - die Landkarte sagt, ein Dorf im Süden der USA. Heute Abend, Punkt Mitternacht, steht die Hinrichtungeines Mörders auf dem Programm. Ist diese morbide Inszenierung die Gerechtigkeit, von der manche so gern sprechen? Gibt es eine solche Gerechtigkeit? Die Entscheidung fällt nicht leicht: Werde ich den Tod dieses Ver- urteilten in einem benachbarten Raum abwarten, dabei die Uhr nicht aus den Augen lassen, wissend, wann es so weit ist, wann der Tod ein- getreten sein muss, in den ersten Minuten des neuen Tages? Während meine Augen nicht dabei sind, meinen Ohren das Erlebnis fehlt? Die Neugier brennt mir Fragen in den Kopf. Kann ich aber die Bilder ertra- gen, die unweigerlich auf mich zukommen, wenn ich als Zuseher dabei bin, diese Bilder, wenn das Gift zuerst die Muskeln des Mannes lähmt und dann sein Herz? Ist es nicht auch meine Pflicht, all dies zu beobachten, zu berichten, das Wissen über die Geschehnisse hinauszutragen, hinaus aus Potosi, hinaus aus den Südstaaten, hinaus aus diesen Vereinigten Staaten Ame- rikas? Wie weit aber kann ich gehen, wie viel ertragen? Viele haben mir abgeraten, auch meine Redaktion in Wien. Ich habe eine Entscheidung getroffen: Ich werde dabei sein. Die Gefühle zerreißen mich beinahe, kämpfen gegeneinander an. Ein zwiespältiges Gefühl. Ich stehe gleichermaßen neben mir, beobachte mich, sehe mir zu, wie ich schließlich in den Zuseherraum gehe. Immerauch als Kamera, als filmendes Auge. Warte ab, beobachte mich und alles rundum. Es ist erst zwei Stunden her, seit wir wissen: Der Kampf um das Leben des Verurteilten ist endgültig verloren. Wir, das sind die österreichische 13 Ehefrau des Mörders und ich ... und es ist Teil meines Jobs, hierzu sein, zu berichten, zu sehen, zu spüren, festzuhalten. Ich muss die Kamera sein, die wir nicht mitnehmen dürfen. Dann ist keine Zeit mehr für Gedanken. »Two - One - Zero«, zählr eine metallische Stimme den Countdown bis zur ersten Injektion her- unter. Und ich sehe mich um, jedes Detail will ich aufnehmen, alles will ich in meinem Kopf wie auf Band speichern. Vor den Glasfronten im Zuseherraum werden gleichzeitig Rollos hochgekurbelt. Das Ganze ist aufgezogen wie eine Show: Mein Blick fällt auf den Hauptdarsteller. Was hier sein Ende findet, hat Jahre zuvor als ungewöhnliche Romanze begonnen. Den Auftakt macht eine Notiz in den Salzburger Nachrich- ten. Unter dem Titel »Rettungsanker Hochzeit« berichtet eine Salzbur- gerin von ihrem Plan: Sic will ihren Briefpartner, einen amerikanischen Todeskandidaten, mit dem Trauschein vor der Hinrichtung bewahren. Ich vereinbare ein Treffen mit ihr, einer Hälfte dieser romantischen Verbindung dieses Traumpaars im ganz anderen Sinn. Gertrude Sey- waldstetter lädt mich ein, sie mit einem Kamerateam in Salzburg zu treffen. Drei Stunden dauert die Fahrt nach Salzburg, drei Stunden Zeit, um zu überlegen: Was treibt diese Frau an? Und dann der erste Eindruck, der alle Vorstellungen sprengt, der sämtliche Bilder und Ge- danken im Kopf ad absurdum führt. Wie ein Wirbelwind begrüßt uns Gertrude, erzählt bei einem gemeinsamen Essen von sich und ihrem Liebsten. Billy heißt er, sein voller Name lautet William Robert Jones. Sic hat seine Anzeige im Internet gelesen, ein paar Monate zuvor. Open your heart and mind, ruft er darin auf und schreibt von seinen braunen Puppydog Eyes. Eine Zuflucht zu zweit will er finden, Zuflucht vor einer Welt der Selbstzerstörung. Er spricht offen von der Todesstrafe, zu der er verurteilt wurde, die er seit Jahren in einem zeitlosen Ort abzuwarten gezwungen ist. Der Mensch, der hier schreibt, spricht die Salzburgerin sofort an - und bald mehr als das. Die Briefe werden intensiver, länger, eindring- licher. »Ich hab immer gern geschrieben«, schildert sie mit leuchtenden Augen, »Das geschriebene Wort hat für mich viel mehr Wert.« Schon 14

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