Rudolf Miller Einführung in die Ökologische Psychologie Bevor man die Welt vollendet, wäre es vielleicht doch wichtiger, sie nicht zugrunde zu richten. (Paul Claudel, Gedanken und Gespräche: IV, 1935) Für Karin, Sven und Patricia RudolfMiller Einführung in die Ökologische Psychologie + Leske Verlag Budrich GmbH, Opladen 1986 AutorenvorsteUung: RudolfMiller, geb. 1945, verheiratet, zwei Kinder, ist seit 1979 Akademischer Rat im Ar beitsbereich Psychologie sozialer Prozesse an der Fernuniversität - Gesamthochschule - in Hagen. Veröffentlichungen zu den Bereichen Symbolischer Interaktionismus, Sozia lisation, Ökologische Psychologie. CIP-Kurztitelaufnabme der Deutschen Bibliothek Miller, Rudolf: Einfiihrung in die ökologische Psychologie / Rudolf Miller. - Opladen: Leske und Budrich, 1986. - ISBN 978-3-322-92599-2 ISBN 978-3-322-92598-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-92598-5 © 1986 by Leske Verlag + Budrich GmbH, Leverkusen Vorwort Die Rolle des Menschen bei der Veränderung seiner (Um-)Welt wird in den letzten Jahren zunehmend intensiver thematisiert. Die Diskussionen über Wech sei wirkungen menschlichen Handeins - hier in der Regel verstanden als gesell schaftliches Handeln - und sich vollziehender Umweltveränderungen, werden überwiegend von Politikern und/oder Naturwissenschaftlern geführt. In dieser Einführung sollen solche Theorien und Konzepte vorgestellt werden, die den Menschen in seiner Bestimmung durch die Umwelt und seine Wirkung auf die Umwelt gleichermaßen berücksichtigen. Wir gehen davon aus, daß der Mensch Bestandteil seiner Umwelt ist. Die Dis kussion wissenschaftstheoretischer Positionen und methodischer Probleme bei der Erfassung und Beschreibung von Umwelt führt in vielen Fällen sehr schnell zu einer Auflösung dieser Einheit von Mensch und Umwelt. Es kann nicht das Ziel sein, in einem unreflektierten, ,Zurück-zur-Natur" die Lösung aller Probleme zu suchen. Die sachlich-kritische Darstellung solcher psychologischen Ansätze, die die Mensch-Umwelt-Interaktion stärker akzentui eren, kann vielmehr dazu beitragen, neben dem Erkennen allgemeiner Gesetz mäßigkeiten menschlichen Handeins, unsere Selbst-und Umweltwahrnehmung zu verbessern und unser eigenes Handeln in unserer sozialen und geographisch physikalischen Umwelt bewußter zu gestalten. Diese Einführung richtet sich an Studierende und Berufstätige, die daran inter essiert sind, sich intensiver mit den ökologisch-psychologischen Bedingungen und Konsequenzen ihres Handeins auseinanderzusetzen. Dabei wird über die breit angelegte Diskussion der wechselseitigen Bedingtheit von Individuum und Umwelt eine mögliche Vertiefung durch die selbständige Lektüre zusätzlicher Li teratur vorbereitet. Frau Kruse, Herrn Lück sowie allen Kolleginnen und Kollegen danke ich für Hinweise und konstruktive Kritiken bei der Erstellung des Manuskriptes zu die sem Buch. Hagen, Januar 1986 R. Miller 5 Inhalt 1. Einleitung ......................................................... .. 11 1.1 Problemaufriß ....................................................... . 11 1.2 Diskrepanz zwischen Umweltbewußtsein und Handeln ........ . 12 1.3 Lösungsstrategien? ................................................. .. 14 1.4 Umweltveränderungen und ihre Folgen ......................... .. 16 1.5 Normung und Verplanung der Umwelt ........................... . 17 1.6 Kurzer Abriß der Entwicklung der Ökologischen Psychologie. 18 1.6.1 Die Entwicklung in den letzten 10 Jahren ......................... . 19 1.6.2 Thematische Akzente .............................................. .. 19 2. Wurzeln des Umweltbegriffes ................................ . 23 2.1 Biologie ............................................................... . 23 2.1.1 Die Entwicklung des Ökologiebegriffes .......................... . 23 2.1.2 Der Umweltbegriff .................................................. . 24 Originaltext: Umwelt und Innenwelt der Tiere ................... . 25 2.1.3 Weitere wichtige Begriffe .......................................... . 32 2.1.3.1 Biozönose und Biotop .............................................. .. 32 2.1.3.2 Habitat ................................................................ . 32 2.1.3.3 Ökologische Nische ................................................. . 32 2.1.4 Zum Begriff der Ganzheit in der Biologie ....................... .. 33 2.1.5 Vererbung und Umwelt aus biologischer Sicht .................. . 35 2.1.6 Sind die Konzepte übertragbar? .................................. .. 36 2.2 Systemtheoretische Konzeptionen ................................ . 'J7 2.2.1 Der Systembegriff ................................................... . 'J7 2.2.2 Systemdenken in der Psychologie ................................. . 38 2.3 Ökologie .............................................................. . 39 2.3.1 Begriffsbestimmungen .............................................. . 39 2.3.2 Anmerkungen ....................................................... .. 43 2.4 Humanökologie .................................................... .. 44 2.4.1 Begriffsbestimmung ................................................ . 44 2.4.2 Angeborenes oder kulturell geprägtes Verhalten ................ . 46 2.4.3 Exkurs: Anpassung an die Umwelt ............................... .. 49 2.4.4 Anmerkungen ....................................................... .. 52 2.5 Ethologie, Humanethologie, Ethnologie ......................... . 52 Originaltext: Auf Menschenforschung unterwegs ............... . 53 3. Die Entwicklung psychologischer Ansätze ............... . 59 3.1 Einige Gedanken zum kulturhistorischen Hintergrund ......... . 59 3.1.1 Die Körpersafttheorie ............................................... . 59 3.1.2 Gendrift .............................................................. . 60 7 3.1.3 Das Christentum .................................................... .. 60 3.1.3.1 Der Zeitbegriff ...................................................... . 61 3.1.3.2 Der Mensch als Ausbeuter der Natur? ............................ . 62 3.2 Vorläufer einer Ökologischen Psychologie ....................... . 63 3.2.1 Hellpachs Psychologie der Umwelt ............................... . 64 3.2.1.1 Angaben zur Biographie ............................................ . 64 3.2.1.2 Auszüge aus Hellpachs Arbeiten .................................. . 65 Originaltext: Geopsyche ............................................ . 66 Originaltext: Psychologie der Umwelt ............................ . 70 Originaltext: Mensch und Volk der Großstadt ................... . 74 3.2.2 Gestaltpsychologie .................................................. . 80 3.2.2.1 Begriffsbestimmungen .............................................. . 81 3.2.3 Kurt Lewin und sein Lebensraumkonzept ........................ . 84 3.2.3.1 Biographische Rückblende ......................................... . 84 3.2.3.2 Allgemeine Einordnung ............................................ . 86 3.2.3.3 Das Lebensraum-Konzept im Überblick ......................... . 87 3.2.3.4 Lewins Psychologische Ökologie .................................. . 98 Originaltext: Psychologische Ökologie ........................... . 99 3.3 Ein aktuelles Konzept ............................................... . 104 3.3.1 Barkers Behavior-Setting Konzept ................................ . 104 Originaltext: Midwest and its children ............................ . 105 3.3.2 Bestimmungskriterien des Settings ............................... . 120 3.3.3 Einige kritische Anmerkungen ................................... .. 123 3.4 Vergleich der Ansätze .............................................. .. 124 3.4.1 Lebensraum und Setting Konzept ................................. . 124 3.4.1.1 Die Bedeutung der Zeit ............................................. . 125 3.4.2 Zusammenfassende Bewertung .................................... . 126 3.5 Ein spezifischer Ansatz: Kulturpsychologie ..................... . 128 3.5.1 Ansatz zu einer Handlungspsychologie ........................... . 129 3.5.2 Subjektive und objektive Umwelt ................................... 130 3.5.3 Instrumentale und subjektiv-funktionale Handlungsaspekte ... . 132 4. Einige Aspekte der Umweltwahrnehmung ............... . 133 4.1 Allgemeine Bestimmungsgrößen .................................. . 133 4.2 Wahrnehmung als Informationsaufnahme ....................... . 136 4.2.1 Exkurs: Überangebot an Informationen .......................... . 137 4.3 Sozial mitbedingte Faktoren der Wahrnehmung ................. . 139 4.3.1 Exkurs: Symbolgehalt der Verhaltensumwelt .................... . 142 5. Erleben von Räumen und Verhalten in Räumen .. . 147 5.1 Der Raumbegriff .................................................... . 147 5.1.1 Der persönliche Raum .............................................. . 147 5.1.2 Alltagsräume ......................................................... . 148 5.1.2.1 Natürlicher Raum ................................................... . 149 5.1.2.2 Künstlicher Raum ................................................... . 149 5.1.2.3 Privater Raum ........................................................ . 149 5.1.2.4 Öffentlicher Raum .................................................. . 149 5.1.2.5 Enge und Weite ...................................................... . 150 5.2 Das Erleben des Raumes ........................................... . 150 5.2.1 Angenehme und unangenehme Gefühle .......................... . 150 5.2.2 Massierung ........................................................... . 150 8 : 5.2.3 Dichte ................................................................. . 151 5.2.4 Crowding ............................................................. . 152 5.2.5 Privatheit ............................................................. . 153 5.2.6 Raumbezogenes Verhalten als Territorialverhalten ............. . 153 5.3 Verhalten und Umwelt .............................................. . 155 5.3.l Der Aufbau des Verhaltensprozesses ............................. . 155 5.3.2 Die Dynamik des Verhaltens ....................................... . 158 5.3.3 Adaptation und Coping ............................................. . 160 5.3.3.l Kritische Anmerkungen ............................................ . 164 6. Anwendungsbereich: Wohnumwelt und Bewohnerver- halten ................................................................ . 165 6.l Soziologisch-sozialpsychologische Konzepte der Stadt ........ . 166 6.1.1 Georg Simmel ....................................................... . 166 6.1.2 Hans Paul Bahrdt .................................................... . 168 6.1.3 Chicagoer Schule .................................................... . 168 Originaltext: Die Stadt als räumliche Struktur ................... . 169 6.l.4 Louis Wirth .......................................................... . 178 6.1.5 Anmerkungen ........................................................ . 179 /6.2 Psychologische Ansätze zur Wohnumwelt ........................ . 180 : 6.2.l Zur Problematik des Begriffes Wohnumwelt ..................... . 180 6.2.2 Die Wohnung ........................................................ . 181 6.2.2.1 Wohnung als Identifikationsobjekt ................................ . 182 6.2.2.2 Wohnung als Krankheitsverursacher .............................. . 182 6.2.2.3 Interdependenz von Wohnung und Umgebung ................... . 183 6.2.3 Wohnbedürfnisse .................................................... . 185 6.2.4 Wohnumweh, Nachbarschaft und Kommunikation ............. . 191 6.2.5 Komplexität der Wohnumwelt ..................................... . 195 6.2.6 Orientierung in der Wohnumwelt .................................. . 199 6.2.7 Wohnumwelt und Identität ......................................... . 199 6.2.7.l Ortsidentität oder Ortsbezogenheit ................................ . 201 6.3 Empirische Analysen der Interdependenzen von Wohnumwelt und Bewohner ........................................................ . 202 6.3.1 Privatheit und Öffentlichkeit (K. Heil) ........................... . 203 6.3.1.1 Fragestellung ........................................................ . 203 6.3.1.2 Der Begriff der Stadt ................................................ . 204 6.3.1.3 Charakterisierung der Wohnviertel ............................... . 205 6.3.1.4 Privatheit und Öffentlichkeit (Ergebnisse) ....................... . 206 6.3.2 Erlebniswirkungen von Wohnumwelten .......................... . 208 6.3.2.l Anmerkungen ........................................................ . 212 6.3.3 Verhaltenskartographie ............................................. . 212 6.3.4 Kognitive Karte ...................................................... . 214 §.3.4.l Anmerkungen ........................................................ . 221 7. Anwendungsbereich: Entwicklung und Sozialisation.. 223 7.1 Regionspezifische Sozialisationsbedingungen ................ ... 223 7.2 Bronfenbrenners Konzeption ....................................... 224 7.3 Sozialisationswirkungen ............................................ 228 7.3.1 Der subkulturelle Ansatz....... ..... .. ..... ............ ........... .. 229 7.3.1.1 Anmerkungen ......................................................... 229 9 7.3.2 Kollektive Wahrnehmung ........................................... 229 7.3.2.1 Anmerkungen................. ....... ........... ............. ......... 231 7.3.3 Der "stimulus approach" ........................................... 232 7.3.3.1 Anmerkungen.... .............. ...... ..... ..... ............ ........ ... 233 7.3.4 Der "transactional approach" ...................................... 233 7.3.4.1 Anmerkungen.... ........................................... ..... ..... 235 7.3.5 Mehrebenenanalyse .................................................. 235 8. Einige theoretische und methodische Anmerkungen.. 239 8.1 Alltag und Ökologische Psychologie........ ................... .... 240 8.2 Subjektivistische und objektivistische Ansätze................... 241 8.3 Problematik der Messung von Umwelt und Verhalten........... 243 8.4 Ebenen der Kritik .................................................... 244 8.5 Einige Problembegriffe ...... ....... .... ........ ..... ........... ..... 244 8.6 Schlußbemerkung .................................................... 248 Gesamtglossar .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 Literaturverzeichnis ............................................................. 255 Lösungshinweise zu den Übungsaufgaben ....... ................. .. ..... ..... 262 Verzeichnis der Abbildungen und abgedruckten Originaltexte. ....... ..... 267 Personenverzeichnis ............................................................. 268 Stichwortverzeichnis ............................................................ 271 10 1. Einleitung 1.1 Problemaufriß Nicht nur in Science-Fiction-Romanen, sondern in Presse, Rundfunk und Fernsehen finden wir eine stetig zunehmende Zahl von Meldungen, die im weite sten Sinne Umweltkrisen aller Art beschreiben. Aufgrund der schnellen Weiter entwicklung der Nachrichtentechnologie und der Verbreitung von Informations stellen über den gesamten Erdball wird das Informationsnetz, in das jeder von uns eingeschlossen ist, immer enger. Es ist fraglich, ob diese zunehmende Flut von Informationen aus allen Teilen der Welt über ein leichtes Erschrecken hinaus tie fergehende Reaktionen bei den Medienbenutzern hervorruft. Registrieren wir nur einmal unsere eigenen Reaktionen auf Meldungen über Umweltkrisen in den Fernsehnachrichten oder in der Presse, die wir möglicher weise beim Frühstück lesen. Fragen wir uns einmal, welche Meldung uns dar über hat nachdenken lassen, ob wir vielleicht mit unserem eigenen Verhalten zu solchen Entwicklungen beitragen. Und fragen wir uns dann, ob wir vielleicht schon einmal vorhatten, in dem einen oder anderen Bereich bewußter zu handeln. Die Frage nach der konsequenten Realisierung soll hier nicht gestellt werden. Übungsaufgabe 1: Übungsaufgabe 1 Nehmen Sie ein Arbeitsheft und versuchen Sie aufzulisten, in welchen Bereichen Sie an der Belastung der Umwelt mitwirken. Lassen Sie sich bei dieser Übung Zeit und durch- denken Sie möglichst alle Bereiche wie z.B. Beruf, Familie, Freizeit etc. Legen Sie die Auflistung dann zur Seite. Wir werden dazu später zurückkehren. Wenn wir uns noch einmal als in einem dichten Netz von Informationen einge spannte Individuen betrachten, stoßen wir auf ein Paradoxon. Die zunehmende Überflutung mit Informationen, die eigentlich den Zerstörungsprozeß stoppen sollte, bedingt einen Teilbereich des Zerstörungsprozesses mit, nämlich den der sozialen Isolation. Das ist vielleicht auf den ersten Blick nicht verständlich. Zur Erläuterung zie hen Sie bitte jetzt die Auflistung aus der Übungsaufgabe 1 heran. Nehmen wir einmal an, Sie haben Tätigkeiten aufgelistet wie: - Autofahren mit Lärm und Auspuffgasen; - Wohnungsheizen mit entsprechendem Qualm durch den Schornstein; - Düngung des Gartens und Grundwasserbelastung. Wenn Sie überwiegend Tätigkeiten dieser Art aufgelistet haben, können Sie daran ablesen, daß Sie den Begriff, ,Umwelt" physikalisch-biologisch erklären. 11