Moser, Einführung in die Medienpädagogik Heinz Moser Einführung in die Medienpädagogik Aufwachsen im Medienzeitalter 2. überarbeitete und aktualisierte Auflage Leske + Budrich, Opladen 1999 ISBN 978-3-322-92311-0 ISBN 978-3-322-92310-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-92310-3 © 1999 by Leske +Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aIIer seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verla ges unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfaltigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Syste men. Satz: Leske + Budrich Inhalt Einleitung.................................................................................................... 9 Die "Invasion" vom Mars ........................................................................... 13 Die wissenschaftliche Suche nach Medienwirkungen................................. 14 Die Medien durchdringen die Welt ............................................................. 15 Das Geiseldrama von Gladbeck .................................................................. 18 "Medienrealität" und "Alltag" verschwimmen ........................................... 19 Die rumänische" Tele-Revolution" ............................................................. 21 Diana - Königin der Herzen...................................................................... 22 Alle Erziehung muß auch Medienerziehung sein ........................................ 24 Neue Realitäten........... .............. .............. ............. ............ ........... ........ ... .... 31 "Teilnahme" als Topos von Mediendiskussion und -praxis ........................ 36 Die lokalen "Bürgermedien" ....................................................................... 38 Neue Partizipationsmöglichkeiten ... ......... ............ ............ ........ ........... ........ 40 Die Expansion der Medien .......................................................................... 43 Veränderte Wahrnehmungsmuster .............................................................. 44 Fernsehen: Das Medium der absoluten Gegenwart ..................................... 46 Virtuelle Realitäten...................................................................................... 49 Beschleunigung und" Telepräsenz " ............................................................ 52 Medienzeitalter: die Auflösung der Geschichte? ........................................ 55 Das Subjekt als Konstrukteur seiner Geschichte ..... ...... .......... ........ ...... ...... 57 Zur "Wahrheit" der Berichterstattung ........................................................... 59 Pädagogische Konsequenzen... ... ..... .... ....... ........... ...... ................ ....... .... .... 63 Aufwachsen in der Erlebnisgesellschaft.... .......... .......... ............. .............. 67 Die Medien und ihre gesellschaftliche Interpretation ................................. 67 Neil Postmans Interpretation der "Geschichte der Kindheit" ....... ....... ... ..... 68 Das Verschwinden der Kindheit... ................................................................. 72 Arbeit und Kommunikation.......................................................................... 76 Die "Enttraditionalisierung der Gesellschaft" .............................. ...... ... ...... 77 5 Das Projekt der Erlebnisgesellschaft ..................... ... ... ..... ..... .... ........ ....... 81 Außen- und innengeleitete Lebensperspektiven........................................ 81 Die gesellschaftlichen Milieus................................................................... 83 Fünf Milieubeschreibungen im Anschluß an Schulze ......... ....... ............... 87 Medien, Erlebnisgesellschaft und Populärkultur ... ..... ...... ....... ............ ...... 88 Kinder und Jugendliche in der Mediengesellschaft................................... 92 Die Bonstetten-Studie................................................................................ 93 Mobilität von Jugendlichen in Basel-Gundeldingen ................................. 97 Aspekte der Identitätsentwicklung ...... ..... .......... ............. ............ ... ....... ...... 100 Die Identitätsentwickung nach Erikson. ................ ...... ... ............ ......... ...... 100 Zur Kritik am klassischen Identitätskonzept . ........... ...... ............ ............... 102 Die Narzißmus-Debatte ............................................................................. 105 Die Patchwork-Identität............................................................................. 108 Zusammenfassung .... ................ .... .... .................. ..... ........... ..... .............. .... 111 Die Medien und das Heranwachsen der Kinder ...... ............. ... ............. 117 Methodologische Vorbemerkung zur - pädagogisch orientierten- Medienforschung ....................................................................................... 117 Ein Überblick über Resultate der Medienforschung ................................. 124 Zur Fernsehnutzung durch Kinder und Heranwachsende ......................... 124 Aspekte der Nutzung auditiver Medien..................................................... 129 Aussagen der Wirkungsforschung............................................................. 133 Die Wissenskluft-Hypothese ..................................................................... 139 Die Entwicklung von "Fernsehfähigkeiten" (televiewing skills) .............. 143 Die Verarbeitung von Medienerlebnissen ............................................. 155 Zur Rekonstruktion intersubjektiver Bedeutungszusammenhänge ............ 158 Audio-visuelle Medien als "soziale Regulatorien" ................................... 161 Helden und damit verbundene Weltbilder ................................................. 164 Actionserien: das Beispiel Knight Rider ................................................... 165 Der "neue" Zeichentrickfilm ..................................................................... 168 "Seifenopern" und ihre Fans ..................................................................... 170 Ein gebrochenes Tabu: Werbung für Kinder. ............................................ 171 Gewalt und Fernsehen .............................................................................. 175 Die klassischen Ansätze der Aggressionsforschung ................................... 176 Die "Katharsis-Theorie" ............................................................................. 176 Experimentelle Studien zum Lernen und zur Frustration ........................... 177 Nobles Kritik an Laborexperimenten ......................................................... 180 Bach/Goldbergs Plädoyer für einen konstruktiven Umgang mit Aggression ........................................................................................... 183 Kognitionstheoretische Überlegungen zur Aggression .............................. 184 6 Wie Kinder mit Mediengewalt umgehen ..................................................... 189 Die Horror-Videos ...................................................................................... 192 Zusammenfassung............................................................... ....................... 195 Die digitale Welt des Computers...... .................... .................................. 197 Der Computer als neues Bildungsmedium ................................................ 198 Von einer Kultur der Kalkulation zu einer Kultur der Simulation ............ 199 Computer als multimediale Arbeitsumgebungen ...................................... 200 Die Vermittlung des Virtuellen mit dem Realen ....................................... 202 Vom Umgang mit Videospielen ................................................................. 204 Pädagogischer Ausblick ............................................................................ 208 Ansätze des medienpädagogischen Handeins ........................................ 211 Medien und Erziehung ............................................................................... 211 Medienkompetenz als pädagogische Orientierungslinie ........................... 213 Mediendidaktische Ansätze: audio-visuelle Medien ................................... 218 Medienkritik und "produktive" Medienarbeit ........................................... 220 Medienpädagogik als Alphabetisierung .................................................... 224 Die Codes der "Filmbilder" ...................................................................... 226 Der Verlust der Anschaulichkeit ............................................................... 227 Die "Mythen" des Alltags (Barthes) .......................................................... 232 Die avantgardistische Ästhetik des Werbespots (KloepferlLandbeck) ...... 233 Zusammenfassende Überlegungen zur Komplexität medialer Kommunikation .......................................................................................... 237 Bildung in der Medien-und Informationsgesellschaft ........ ................. 245 Formen des Computereinsatzes in der Schule ........................................... 247 Methodische Rückwirkungen ..................................................................... 248 Lernen in den virtuellen Netzen ................................................................. 250 Perelmans Modell des "Microchoice" ...................................................... 252 Die Bürokratisierung des Schulwesens ..................................................... 253 Der "Quantensprung" zum Hyperlearning .............. .................................. 255 Bildung im System des "Microchoice" ..................................................... 256 Zur Realisierung von HL-Systemen .......................................................... 258 Zur Kritik an Lewis J. Perelman ................................................................ 259 Allgemeinbildung im Medienzeitalter........................................................ 263 Bildung im Informationszeitalter ............................................................... 268 Literatur..................................................................................................... 271 Stichwortverzeichnis .................................................................................. 283 7 Einleitung Seit der Erfindung des Buches, dann des Radios, des Fernsehens und der elektronischen Medien besteht eine breite Diskussion der Gelehrten und Wis senschaftler, wie die Medien das Verhalten der Menschen in der Gesellschaft beeinflussen. Nun mögen Medien auch produktive Kräfte darstellen, welche die Ökonomie verändern - etwa dadurch, daß sie mit einer Industrie verbun den sind, die im Verlauf der Geschichte immer wichtiger geworden ist: So war das Verlagswesen in vergangenen Jahrhunderten schon deshalb von ge ringerer Bedeutung, weil das gebildete Publikum der Lesenden nur eine klei ne gesellschaftliche Elite darstellte. Mit der allgemeinen Volksschul bildung und der Massenpresse verbreiterte sich die materielle Grundlage einen ge waltigen Schritt. In diesem Jahrhundert ist dann schrittweise eine Entwick lung in Gang gekommen, welche den Wirtschaftssektor der Medien immer einflußreicher werden ließ. Großkonzerne im Kommunikations- und Compu terbereich, die Filmindustrie, ein Netz von Verlagskomplexen, welche Zei tungen, Buchverlage, Fernsehstationen und digitale Medien umfassen, stellen einen nicht mehr zu vernachlässigenden ökonomischen Faktor dar. Autoren wie der Amerikaner Lew J. Perelman (1992) gehen sogar davon aus, daß der Faktor "Information" für die entwickelten Gesellschaften des ausgehenden 20. Jahrhunderts zur entscheidenden Produktivkraft geworden ist. Dennoch hat die pädagogische Begleitmusik zu dieser Entwicklung in einem immer erneuten Chor die Gefahren beschworen, welche ihrer Meinung nach mit den Medien verbunden seien. Schon das Buch hatte vor 200 Jahren den Geruch, die Menschen zu verführen. Kein geringerer als Jean Jacques Rousseau hatte in seinem Erziehungsroman "Ernil" 1762 geschrieben: "Wie ich alle Pflichten von den Kindern fernhalte, so nehme ich ihnen die Werk zeuge ihres größten Unglücks: die Bücher. Die Lektüre ist die Geißel der Kindheit und dabei fast die einzige Beschäftigung, die man ihnen zu geben versteht" (Rousseau 1963, S. 100). Bücher lehren nach Rousseaus Meinung, nur von dem zu reden, was man nicht weiß; und sie sind jener Absicht kon trär entgegengesetzt, wonach Emil auf dem Lande erzogen werden soll, fern von den Einflüssen und der Sittenlosigkeit der Städte, deren Firnis für Kinder so verführerisch und ansteckend sei. 9 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt dann die Kritik dem Kino. So hielt der Hamburger Lehrerverein 1907 "den Besuch der Theater lebender Photo graphien für Kinder gefährlich"; und er forderte, die Schule habe "dem Be such von Vorführungen dieser Art ... erziehlich entgegenzuwirken" (vgl. Bin der 1992, S, 18). Für die Pädagogik scheint demnach jedes neue Medium mit einer subversiven Energie verbunden, welche ihren Intentionen konträr ent gegengesetzt ist und bedrohlich erscheint. So haben auch später die Pädago gen fast regelmäßig über die schlechten Einflüsse debattiert, welche von den jeweils neuen Medien ausgingen. In unserem Jahrhundert gab es zum Bei spiel die Diskussion um den Schundroman, die Kritik am amerikanischen Comic, die Besorgnis über Gewalt und Brutalität in Video und Fernsehen. Vor allem scheinen die Medien immer wieder erneut die behütete Kleinfami lie und die mit ihr verbundene Auffassung vom "unschuldigen" Kind zu be drohen. Erhielten die Heranwachsenden doch durch sie einen direkten Zu gang zur Welt "draußen", der durch keine pädagogischen Einflüsse mehr "gefiltert" war. In diesem Zusammenhang scheint zudem eines bemerkenswert: Erstmals haben wir es heute mit einer erwachsenen Generation zu tun, die von allem Anfang mit elektronischen Medien groß geworden ist und sich ein Leben oh ne Fernsehen, Video und Computer nicht mehr vorstellen kann. Damit dürfte zusammenhängen, was mir zum Beispiel in Universitäts-Seminaren zum Thema "Massenmedien" in den letzten Jahren zunehmend aufgefallen ist: die Unbefangenheit und Akzeptanz im Umgang mit den elektronischen Medien, welche für diese Generationen zum selbstverständlichen Teil ihrer Lebens welt geworden sind. Gleichzeitig hat man in den letzten Jahrzehnten im Rahmen empirischer Sozialforschung und Publizistikwissenschaft - sehr oft unter kritischen Prä missen - untersucht, einen wie breiten Raum die Medien, und hier vor allem das Fernsehen, am Alltag einnähmen. Mehr als eine Stunde Fernsehkonsum pro Tag (vgl. z.B. Bonfadelli/Saxer 1986) schienen pädagogischer Skepsis Raum zu geben. Sollten Kinder nicht andere Aktivitäten bevorzugen? Deute te dies nicht darauf hin, daß in breiten Kreisen der Bevölkerung neue Süchte entstanden? Anstatt sich mit der realen Welt auseinanderzusetzen und mit anderen zu spielen, isolierten sich die Kinder mit Beschäftigungen wie ex zessivem und ungesundem Lesen (so die Kritik in früheren Zeiten) - oder (so die zeitgenössische Kritik) mit übermäßigem Fernseh- und Videokonsum. In diesem Sinn kritisiert Ommo Grupe den Verlust an sinnlicher Erfahrung: Es kommt "zu dem, was man sehr verkürzt und vielleicht auch gar nicht immer zutreffend als ,Verkopfung' bezeichnet. Was auf das Kind - sicher auch auf die Jugendlichen und auf uns Erwachsene - eindringt, wird vornehmlich kog nitiv aufgenommen und verarbeitet. Verloren gehen so sinnliche, leibliche Erfahrungen, die ja auch zu Einschätzungen, Einstellungen und Urteilsbil dungen führen" (Grupe 1985, S. 29). Insgesamt betrachtete man die Medien (und hier in den letzten Jahren und Jahrzehnten vorwiegend das Fernsehen) in wissenschaftlichen und pädagogi- 10 schen Arbeiten - oft im Gegensatz zu den unbefangenen Erfahrungen der jün geren Generationen - häufig unter der Perspektive abgeleiteter und künstlich akkumulierter Erfahrung. Gemäß dieser Auffassung drohen die Erfahrungen aus zweiter Hand die primären Erfahrungen immer mehr zu ersetzen und zu verdrängen. Und weil sich dieses Wahrnehmungsmuster von gesellschaftlicher Realität gleichzeitig mit spezifischen Wertungen verbindet, bedeutet dies: An die Stelle der für sich wertvollen Primärerfahrung treten immer häufiger zufäl lige und beliebige medial vermittelte Erfahrungen; anstatt sich mit der Erfah rungswelt auseinanderzusetzen, sie zu schmecken und zu fühlen, scheinen sich die Heranwachsenden des Medienzeitalters mit den schalen Abbildern zu be gnügen. Dies gipfelt im Tenor der Medienkritik von Neil Postrnan, der bereits im Titel eines seiner Bücher den entscheidenden Vorwurf festhält: "Wir amü sieren uns zu Tode" (1985). Dadurch, daß wir wesentliche unserer Erfahrungen nur noch aus den elektronischen Medien beziehen, überlassen wir uns - so die These dieses Buches - der kulturellen Enteignung. Diese kulturkritische Einschätzung der Medien mag in einzelnen Punk ten ihre Richtigkeit haben und reale Gefahren des Medienkonsums beschrei ben. Meines Erachtens geht sie aber in verschiedener Hinsicht von einer zu einseitigen, bzw. von einer zu einfachen abbildtheoretischen Sicht aus: Die Medien haben den Alltag und die alltäglichen Lebensformen der heutigen Menschen stark verändert, bzw. prägen diesen Alltag bis in die einzelnen Lebensvollzüge in starkem Ausmaß mit. Eine Medienpädago gik sollte sich in ihrer Wirkungsanalyse deshalb nicht darauf beschrän ken, allein jene Zeit zu untersuchen, welche die Rezipienten mit direkten medienspezifischen Aktivitäten (Fernsehen, Zeitung lesen etc.) verbrin gen. Vielmehr wären deren Integration in das alltägliche Denken und Handeln - mit positiven und negativen Einflüssen - mitzubedenken. Und es wäre zu überlegen, ob umgekehrt Bildungswesen und Erziehung nicht auch durch eine Medien- und Informationsgesellschaft so weit herausge fordert werden, daß sie nicht mehr sein können, was sie bis heute gewe sen sind. Mit anderen Worten: Medienkritik muß nicht ausschließlich Kritik an den Medien bedeuten, sondern Kritik an problematisch gewor denen Sozialisations- und Vergesellschaftungsformen aus der Perspekti ve des Medienzeitalters. Medien- und Wirklichkeitserfahrungen werden oft in zwei strikte sepa rierte Kategorien aufgeteilt ("reale" versus "künstliche" Welt). Die Frage stellt sich indessen, ob dies im Rahmen einer Gesellschaft, die immer mehr als "Informations- und Mediengesellschaft" zu charakterisieren ist, noch seine Richtigkeit hat. So waren Medien (z.B. eine Zeitung) in frü heren Jahrhunderten noch etwas Außergewöhnliches und dem Alltag Enthobenes. Ihre Wirkung beschränkte sich auf eine spezielle Schicht von Gebildeten, denen solche Erfahrungen aufgrund ihrer Bildung zu gänglich waren. Künstliche Erfahrung verbreiterte damit den Horizont einer speziellen Gesellschaftsklasse, nämlich jener der Gebildeten und 11 Intellektuellen, die lesen konnten und in den literarischen Zirkeln des aufstrebenden Bürgertums ihr Forum fanden. Von diesen Anfangen ei ner Medienkultur ist der Schritt sehr weit bis zur heutigen Situation, wo die Medien die Poren der Gesellschaft immer stärker durchdrungen ha ben. Heute besteht eine solche Vielfalt von unterschiedlichen Medien (Buch, Zeitung und Zeitschriften, Radio, Fernsehen, Video, Schallplat ten, Computer etc.), daß kein einziger Mensch nicht schon in seinen pri mären Alltagserfahrungen durch Medien bestimmt wird bzw. sich mit ih nen auseinandersetzen muß (von ihnen unterhalten wird, damit lernt, viel leicht von ihnen gestört wird etc.). Diese verschiedenen Sphären der Wirk lichkeit haben sich schon dermaßen durchdrungen, daß es immer schwieri ger wird festzuhalten, was das Ursprüngliche und was das Abgeleitete ist. Neuere Untersuchungen zu Fankulturen machen in diesem Zusammenhang deutlich, wie Medien immer stärker zu Elementen eines alltagsästhetischen Ereignis-Arrangements werden. So betont Bachmair, daß für das Medien arrangement Wrestling die Verquickung von Live-und Fernsehereignissen typisch sei: ,,Medien und soziale Ereignisse wie Kampf-Shows durchdrin gen sich und werden zu diffusen Medieninszenierungen, bei denen man nicht mehr weiß, was Vorrang hat, ob nun eine Show im Fernsehen doku mentiert wird, oder ob Live-Ereignis und Fernsehserie Teil eines Lifestyle Ereignisses sind" (Bachmair 1996, S. 19f.). Ähnliches gilt für vielerlei Be reiche des heutigen Lebens: den Bundesliga-Fußball, für die Street-Parade der Techno-Fans oder für die Fans des Grand Prix Eurovision (vgl. Moser 1999). Wer hat das "richtige" Fußballspiel gesehen - der Fan auf der Süd kurve oder der Zuschauer vor seinem Fernseher, wo die entscheidenden Spielzüge in Slow-Motion wiederholt werden, und die Verzweiflung des Torwarts nach dem 1:0 in Großaufnahme "herangezoomt" wird? Die strikte Entgegensetzung von sinnlicher Erfahrung des Alltags und davon entleerter künstlicher Realität der Medien muß noch in einer zweiten Hinsicht relativiert werden: Auch Medien sind von emotionalen und sinnlichen Qualitäten durchdrungen - noch wenn diese nicht alle Sinne anzusprechen vermögen (wie das Schmecken oder der Tastsinn bei audiovisuellen Medien). Insbesondere können sie bei Rezipienten starke Gefühle auslösen, etwa wenn Medienerlebnisse anschließend im sinnlichen Ausagieren verarbeitet werden. Jeder wird dieser These im übrigen beipflichten müssen, der bei einem anrührenden Film im Kino schon einmal bitterlich weinte und sich nachher ratlos fragte, weshalb er (wieder einmal) auf eine so simple und leicht durchschaubare Drama turgie hereingefallen ist. Die historische Entwicklung der Medien im 20. Jahrhundert, wie sie bereits in aller Kürze anklang, möchte ich im folgenden erst einmal beispielhaft ver gegenwärtigen. Ich möchte dabei auf drei Schlüsselereignisse genauer einge hen, die meines Erachtens wie im Brennglas typische Momente der entste henden Informationsgesellschaft fokussieren und damit Wegmarken festhal- 12