Hochschultext Klaus Jänich Einführung in die Funktionentheorie Zweite Auflage Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH 1980 Prof. Dr. Klaus Jänich Fachbereich Mathematik der Universität Regensburg Universitätsstraße 31 8400 Regensburg AMS SUbject Classification (1970): Nr. 3001 ISBN 978-3-540-10032-4 ISBN 978-3-662-11621-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-11621-0 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Jänich, Klaus: Einführung in die Funktionentheorie / Klaus Jänich. -2. Aufl. -Berlin, Heidelberg, New York: Springer, 1980. (Hochschultext) Das Werk Ist urheberrechtlich geschutzt. Die dadurch beg rundeten Rechte. Insbesondere die der Ubersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen. der Funksendung, der Wieder gabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungs anlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung. vorbehalten. Bel Vervielfältigungen fur gewerbliche Zwecke ist gemäß § 54 UrhG eine Vergutung an den Verlag zu zahlen. deren Höhe mit dem Verlag zu vereinbaren ist. © by Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1977, 1980 Ursprünglich erschienin bei Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 1980 .Die nicht durch einen Stern gekennzeichneten neun Para graphen enthalten nur Stoff, der wohl in den meisten Funktionentheorie I - Vorlesungen behandelt wird; und sollte einmal ein Dozent nicht bis zum Riemannschen Abbildungssatz vordringen, so hatte er sich's doch we nigstens zu Anfang vorgenommen. Allenfalls habe ich der Umlaufszahlversion des Cauchyschen Integralsatzes (§ 7) mehr Aufmerksamkeit gewidmet als üblich ist; ich tat das des Verständnisses des Satzes wegen (denn für die Anwendungen reicht meist die einfache Version des § 3), aber auch der lustigen Umlaufszahl zuliebe, das gebe ich gern zu. Mit dem § 2* hat es folgende Bewandtnis: Der schwierig ste Teil des Grundstudiums, die Integrationtheorie auf Mannigfaltigkeiten mit dem Satz von Stokes, kommt ge wöhnlich als Analysis III ~ der leichteren Funktionen theorie I, was wiederum auch gute Gründe hat, die jetzt nicht zu besprechen sind. Da der Cauchysche Integral satz leicht aus dem Satz von Stokes folgt, so bietet sich hier ein eleganter Übergang aus Analysis III in die Funktionentheorie. Nun bin ich gewiß nicht der Meinung, jede Vorlesung müsse bei Adam und Eva anfangen - allzu oft kommen sol che Vorlesungen dann über Rain und Abel nicht hinaus -, aber die Funktionentheorie I geradezu auf die Analysis III zu gründen halte ich doch nicht für zweckmäßig. Denn auch die Studenten, die ihre Analysis III inneha ben, sollen wissen, wie man leichter und direkter zu den Grundtatsachen der Funktionentheorie kommt. VI Das schließt aber nicht aus, hie und da doch ein Wort über Analysis 111 - Methoden in der Funktionentheorie einzuflechten, zumal diese Methoden für die eigentliche Komplexe Analysis ganz unentbehrlich sind. Am Ende des § 2* wird gezeigt, wie ein Cauchyscher Integralsatz aus dem Satze von Stokes folgt; und um es gleich vollständig zu sagen: Außer im § 2* ist noch (im Vorübergehen) auf S. 110 und dann wieder auf den Seiten 179-186 vom Car tanschen Kalkül und der Integration auf Mannigfaltigkei ten die Rede; das sind insgesamt 18 Seiten, die ein Leser, der diese Theorie nicht kennt, überschlagen kann ohne dadurch im Verständnis des übrigen gestört zu sein; gleich der § 3 enthält die Definition des Kurvenintegrals und den üblichen elementaren Beweis von Goursat für den Cauchyschen Integralsatz. Nun zu den §§ 11*-13*. Die Funktionentheorie ist ein reiches und vielseitiges Gebiet, und will man über die bloßen Grundtatsachen hinaus noch etwas in eine Funktionen- I theorie I - Vorlesung aufnehmen, so fällt die Wahl schwer. "Vz Ich habe mich entschlossen, zu erläutern", genauer: Zu zeigen, wie die "mehrdeutigen Funktionen", die wegen der Wegabhängigkeit der analytischen Fortsetzung oder bei = der Auflösung polynomialer Gleichungen P(w,z) 0 nach w auf ganz natürliche Weise vorkommen, zu ordentlichen, ein deutigen Funktionen gemacht werden können, auf die dann auch wieder die Sätze der Funktionentheorie anwendbar sind. Dazu braucht man freilich den Begriff (nicht die Theorie, aber den Begriff) der Riemannschen Fläche, der ja ursprüng lich zu eben diesem Zweck erfunden worden ist, und dazu wiederum ist es gut zu wissen was eine zweidimensionale l Mannigfaltigkeit ist (siehe S. 160). Im übrigen setzt das Buch nur die Kenntnisse aus den ersten zwei Semestern voraus: Den Körper C der kom plexen Zahlen kennt man aus der Linearen Algebra, die Differentialrechnung mehrerer (zweier) Variabler, und damit auch die Topologie der Ebene, aus der Analysis VII 11; integriert wird immer nur ,in einer reellen Variab len, die Integranden sind stetig oder stückweise stetig mit Werten in R oder ~ (~R2); wird einmal ein Limes mit dem Integral vertauscht, so handelt es sich um gleichmäßige Konvergenz; dies alles ist aus Analysis I geläufig. Das Buch fängtdeshalb gleich mit der Defini tion der holomorphen Funktionen an. Noch muß ich eine Eigentümlichkeit des Textes erwähnen, nämlich den Gebrauch der Worte "Bemerkung" und "Notiz". Oft will man kleinere Aussagen zitierfähig hervorheben, die zwar interessant, aber doch nicht gewichtig genug sind den Namen "Satz" zu verdienen. Solche Aussagen habe ich die Gewohnheit "Bemerkung" zu nennen, wenn ich sie für beweisbedürftig halte - wie denn auch zu jeder Be merkung ihr Beweis dasteht - während ich das schwächere Wort "Notiz" in den Fällen verwende, wo der Beweis ent weder trivial ist oder aus anderen Gründen vom Leser leicht selbst ausgeführt werden kann. Bei einem Buche, in dem gar nichts Neues steht, kommt natürlich alles auf die Darstellung an. Ich bemühe mich, geometrisch-anschaulich zu schreiben. Es liegt mir fern, einen universellen Vorzug dieser Methode zu postulieren; aber es gibt doch Leser, die wie ich gern figürlich den ken und eine wenn auch simple Skizze als Gedächtnisstütze oder als Kristallisationspunkt des Verständnisses gebrau chen mögen. Ihnen ist dieses Vorlesungsmanuskript freund lichst empfohlen. Die meisten Verbesserungen, die ich für die zweite Auflage vorgenommen habe, beruhen auf Hinweisen von Th. Bröcker, dem ich dafür herzlich danke. Regensburg, April 1977 und Januar 1980 K. Jänich Inhalt § 1. Holomorphe Funktionen 1 § 2*. Der Wirtinger-Kalkül 13 § 3. Der Cauchysche Integralsatz 21 § 4. Erste Folgerungen aus dem Cauchyschen Integralsatz 34 § 5. Isolierte Singularitäten 53 § 6. Analytische Fortsetzung und Monodromie satz 69 § 7. Die Umlaufszahlversion des Cauchyschen Integralsatzes 95 § 8. Der Residuen-Kalkül 109 § 9. Folgen holomorpher Funktionen 125 § 10. Satz von Mittag-Leffler, Weierstraßscher Produktsatz und Riemannscher Abbildungs satz 134 § 11*. Riemannsche Flächen 160 § 12*. Die Riemannsche Fläche eines holomorphen Keimes 187 § 13*. Algebraische Funktionen (kurz gefaßt) 207 Übungsaufgaben 217 Hinwe~se zu den Ubungsaufgaben 225 Appendix 232 Literatur 234 Register 235 § 1. Holomorphe Funktionen Definition: Sei U c C offen, Zo E U und f: U ~ C eine Funktion. f C ---~> f heißt komplex differenzierbar an der Stelle zo' wenn lim z~z o existiert. Ist f überall in U komplex differenzierbar und *) f': U ~ C stetig, so heißt f holomorph. * Die holomorphen Funktionen sind der Gegenstand dieser Vorlesung. * *) Es wird aber bald gezeigt werden (Satz 3 auf S. 38), daß die Stetigkeit von f' nicht eigens gefordert werden muß: sie fOlgt. 2 Holomorphie ist also das komplexe Analogon zu dem, was im Reellen C1 heißt: Stetige Differenzierbarkeit von Funktionen einer Veränderlichen. Ganz im Gegensatz zum reellen Fall lassen sich aus der Eigenschaft der Holo morphie jedoch sehr viele Schlüsse über das Verhalten der Funktion ziehen. Bevor wir aber zu diesen Wundern kommen, wollen wir die Analogie zu c1 etwas weiter verfolgen. * Notiz: Holomorphe Funktionen sind immer stetig. Definition: Analog dem reellen Fall nennt man f' die Ab leitung von fund feine Stammfunktion von f'. Für die Ableitung gelten die üblichen Regeln: Notiz: Sind f,g: U ~ ~ holomorph, so auch f+g und f.g und es gilt (f+g) , = f' + g' (f·g)' f'·g+f.g' ("Produktregel" ) Notiz: Sind f,g: U ~ ~ holomorph und g(z) # 0 für alle z E U, dann ist auch f holomorph und es gilt g ("Quotientenregel") Die Beweise wären wörtliche Wiederholungen der (auch schon trivialen) analogen reellen Beweise aus Analysis I und sollen deshalb wegbleiben. Wenn schon Wiederho lung, so soll lieber an den Beweis der Kettenregel er innert werden: 3 Bemerkung: Sind U ~ V ~ G:: holomorph, so auch gof und es gilt (gof) (z) = g' (f(z» ·f' (z). I ( "Kettenregel") Beweis: Sei Zo E U, setze Wo := f(zo)' Für w E V defi nieren wir f 9 ) ) g(w)-g(wo) + für w Wo w-w o g* (w) := für w = wo' Nach Voraussetzung ist g* stetig, und es gilt überall: Also ist auch g (f (z) ) -g (f ( z 0) ) f(z)-f(z ) _________0 _ g*(f(z», z-z z-z o o und daher, wegen der Stetigkeit von fund g* und der komplexen Differenzierbarkeit von f: g(f(z»-g(f(z » lim 0 z-z o also ist gof überall komplex differenzierbar, die Ab-