MUTZE DEß PE£ FRANZÖSISCHEN 1&&N 3-588~oo>|8g-3 CHARLES DICKENS EINE GESCHICHTE ZWEIER STÄDTE Charles Dickens (1812-1870) bewunderte sehr das Werk von Thomas Carlyle 'Die Französische Revolution'. Während er an der 'Geschichte zweier Städte' arbeitete, fragte er Carlyle, ob er ein Buch benutzen dürfe, das dieser in seinem Werk gebraucht hatte. Carlyle antwortete auf diese Bitte, indem er Dickens sämtliche Werke zur Verfügung stellte, die er für seine eigenen Forschungen benützt hatte. Die vorliegende Ausgabe ist von Joanna Jellinek, B. A., gekürzt worden. HERMANN SCHAFFSTEIN VERLAG DORTMUND © Hermann Schaff stein Verlag, Dortmund 1977 Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der photomechanischen und tontechnischen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten. Deutsche Fassung unter Verwendung alter Übersetzungen, insbesondere von Julius Seybt, von Hans-Georg Noack. Illustrationen: Harold King und Penelope Anstee; nach einem Konzept von Rene Simmen. Wissenschaftliche Beratung: Phillippa Vaughan, Dr. John Sutherland. © der Illustrationen: Studio Vista Books, London. Druck, Bindung und Einband durch Van Boekhoven Bosch BV, Utrecht ISBN 3-588-00188-3 INHALT ERSTES BUCH - DAS ZEITALTER Die Postkutsche 8 Die nächtlichen Schatten 10 Die Vorbereitung 11 Die Weinschenke 15 Der Schuhmacher 18 ZWEITES BUCH - DAS GOLDENE HAAR Fünf Jahre später 21 Ein Schauspiel 23 Eine Enttäuschung 24 Glückwunsch 28 Der Schakal 30 Hunderte von Menschen 31 Monseigneur in der Stadt 34 Der Marquis auf dem Lande 36 Das Medusenhaupt 38 Zwei Versprechen 40 Der Mann ohne Zartgefühl 42 Der ehrliche Mann 44 Stricken 46 Immer noch stricken 49 Eine Nacht 53 Neun Tage 54 Eine Meinung 56 Eine Bitte 58 Widerhallende Schritte 59 Die Flut steigt weiter 62 Feuer 63 Vom Magnetberg angezogen 65 DRITTES BUCH - EIN STURM WÜTET In geheimer Haft 69 Der Schleif stein 72 Der Schatten 74 Ruhe im Sturm 75 Der Holzmacher 76 Triumph 78 Ein Klopfen an der Tür 79 Gute Karten 80 Das Spiel ist gemacht 84 Der Schatten nimmt Gestalt an 87 Dämmerung 92 Dunkelheit 93 Zweiundfünfzig 96 Das Stricken ist vorbei 99 Die Schritte verhallen für immer 103 Gestalten dieses Buches 105 Erläuterungen 107 LISTE DER ILLUSTRATIONEN 8 Uhr eines englischen Postkutschers in Ledertasche 52, 104 'Die Strickerinnen', die berühmten strickenden Frauen 9 Englische Donnerbüchse, mit einem Federbajonett ausge- von Paris stattet, verwendet zum Schutz der Postreisenden gegen 53 Englisches Damenkostüm um 1880 Straßenräuber 55 Englische Kutschen — 18. Jahrhundert i o Postschiff, das die Verbindung über den Kanal zwischen 56 Französischer Anhänger mit Uhr — 18. Jahrhundert Dover und Calais sicherte 59 Französische Trommel 12 Englische Gläser aus dem 18. Jahrhundert. Das mildere ist 62 Tanzschuhe eines jungen Mädchens mit Spitzenbesatz in ein 'rummer', wie er in Gasthäusern gebraucht wurde den Farben der Trikolore 15 Eine Straße im Bereich von Notre Dame in Paris; man sieht 63 Französischer Säbel. Die Inschrift 'Der König' auf der die Kräne, mit denen Handelsgüter gehoben wurden Klinge wurde nach der Erstürmung der Bastille entfernt. 19 Französische Schuhmacher-Werkzeuge aus dem 18. Jahr- 64 Französische Kanone, wie sie bei der Erstürmung der hundert Bestille verwendet wurde a i Fassade eines Londoner Geschäftshauses im 18. Jahrhun- 65 Französisches Revolutionsbanner. Diese Fahnen trugen oft dert Inschriften. Die Figur, die das Banner hält, ist nach einem 23 Bauwerke in Londons East End im 18. Jahrhundert zeitgenössischen französischen Gemälde gezeichnet. 25 Doppelpranger, der sich drehte, um die Qual für den 66 Die korrekte Art, eine Schreibfeder zu schneiden. Aus Angeprangerten zu erhöhen einem zeitgenössischen französischen Handbuch über die 26 Gefängnis Newgate, abgerissen im Jahre 1902 Kunst des Schreibens. 27 Französisches Tintenfaß aus dem 18. Jahrhundert. Der 68, 69 Idealisierte Figuren, die die Erstürmer der Bastille Behälter in der Mitte enthielt Sand, der zum Trocknen über darstellen. Waffen und Kleider tragen revolutionäre Auf- die Tinte gestreut wurde. schriften wie 'Tod den Tyrannen' oder 'Freiheit oder Tod'. 28 Englische Tragekutsche mit langen Stangen. Diese konnten 71 Guillotine abgenommen und durch kurze Stangen ersetzt werden; die 72 Messer schleif er Kutsche verwandelte sich dann in eine Sänfte, in der 73 Mitgliedskarte der Temple-Sektion in Paris, einer der 48 Menschen Treppen hinauf- oder hinuntergetragen wur- Sektionen, in die Paris während der Revolution unterteilt den. Manche dieser Kutschen waren Privateigentum, ande- wurde. re waren zu mieten. 76 Holzsäger 30 Ein Blackjack — ein lederner Trinkkrug 77 Freiheitsmütze auf einer Pike 31 ein Trinkkrug mit Deckel 79 Französische Uhr, mit Revolutionszeichen geschmückt 32 Französische chirurgische Instrumente 81 Handlaterne 34 Französischer Gefängnisschlüssel 84 Französische Pistole, wie sie während der Revolution 35 Englische Schokoladenkanne. Ein am Deckel befestigter hergestellt wurde Stiel diente zum Umrühren der Schokolade. Französische 88 Lettre de cachet — ein vom König unterzeichneter Brief, der Schokoladentasse und -unterlasse. Die Tasse hat einen die Inhaftierung eines Menschen ohne Prozeß befahl. (Ein Deckel, um die Schokolade länger warmzuhalten. freier Raum dient dazu, den Namen des zu Verhaftenden 37 Französische Kutsche — 18. Jahrhundert einzusetzen). 39 Französisches Provinzschloß 90 Französischer Kerzenhalter 41 Französischer Stuhl — Stil Louis XVI 92 Mitgliedskarte des Klubs Cordelier 42 Englische Herrenkleidung — spätes 18. Jahrhundert 94 Mütze, die Zeichen für die Mitgliedschaft im Jakobinerklub 45 Englische Ausstattung für Pfeifenraucher mit Kerzenhal- war tern in der Mitte und zwei Vertiefungen für Tabak 96 Portrait Marie Antoinettes im Rahmen einer Hängelampe. 46, Das Aufhängen von Royalisten an Straßenlaternen war 47 Glasflaschen, wie sie um diese Zeit für gewöhnlich für Wein während der Revolution eine beliebte Art der Rache. verwendet wurden. 98 Karren, mit dem die Gefangenen zur Guillotine gefahren 49 Französisches Medaillon mit den Bildnissen Ludwigs XVI. wurden. Für gewöhnlich handelte es sich um Wagen aus und Marie Antoinettes. landwirtschaftlichen Betrieben. 50 Französische Polizeimütze 101 Klappmesser, 18. Jahrhundert 51 Französische Postkutsche 102 Englische Pistole, spätes 18. Jahrhundert TAFELN (Die Zahlen beziehen sich auf die Seiten neben den Tafeln) Karte von Paris 8-j Postkutsche der Dover-Post 8-n, 8-ni Plan von Paris 8-iv Karte von London, 1790 40-1 Leben am französischen Hof 40-11,40-111 Frankreich vor der Revolution 40-1 v Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 72-1 Die Bastille 72-11,72-111 Französische Herrenkleidung 72-iv Zeittafel der Revolution 96-11,96-111 ERSTES BUCH DIE POSTKUTSCHE 'Ja?' antwortete der Schaffner. 'Wie spät hast du's, Joe?' 'Gut zehn Minuten nach elf!' 'Du meine Güte!' murrte der verärger- Die Straße nach Dover lag an einem te Kutscher. 'Und noch nicht auf der Freitagabend im späten November vor Höhe von Shooter's Hill! Hüh! He, vor- der ersten der Personen, von denen diese wärts mit euch!' DAS ZEITALTER Geschichte handelt. Für diesen Mann lag Das störrischte der Pferde, von einem die Straße nach Dover vor der Postkut- Peitschenhieb aus einer sehr entschiede- sche nach Dover, die Shooter's Hill hin- nen Unlust aufgeschreckt, legte sich aufrumpelte. Wie die anderen Reisen- entschlossen ins Geschirr, und die drei den, so ging auch er bergauf im Stra- anderen Pferde taten es ihm nach. Die ßenschlamm neben der Postkutsche ein- Kutsche nach Dover rumpelte weiter, her, nicht etwa, weil er gerade Lust zu und die Stiefel der Passagiere platschten einem Spaziergang verspürte, sondern nebenher. Sie waren stehengeblieben, als weil Steigung, Geschirr, Schmutz und die Kutsche angehalten hatte, und sie Kutsche den Pferden so große Mühe hielten sich jetzt immer dicht neben ihr. bereiteten, daß sie schon dreimal stehen- Wäre einer der drei vermessen genug geblieben waren und die Kutsche einmal gewesen, einem der anderen vorzuschla- quer zur Straße gestellt hatten, als wollten gen, doch ein Stück in Nebel und Finster- sie meutern und den Wagen nach Black- nis vorauszugehen, so hätte er gute Aus- heath zurückziehen. sichten gehabt, sogleich als Straßenräu- Wogender Nebel lag in allen Tälern ber niedergeschossen zu werden. und war die einsamen Hügel hinaufge- Die letzte Kraftanstrengung brachte krochen wie ein böser Geist, der keine die Postkutsche auf die Anhöhe. Die Ruhe finden kann. Als feuchter, durch Pferde blieben stehen, um wieder zu und durch kalter Nebel zog er durch die Atem zu kommen, und der Schaffner Luft in Fetzen, die einander verfolgten stieg ab, um das Rad für die Abfahrt zu und überholten wie die Wogen eines bremsen und den Kutschenschlag zu öff- aufgewühlten Meeres. nen, damit die Passagiere wieder einstei- Noch zwei weitere Passagiere erklom- gen konnten. men neben jenem ersten neben der Post- 'He, Joe!' rief der Kutscher warnend kutsche den Hügel. Alle drei waren bis und schaute von seinem Bock herunter. über Wangenknochen und Ohren hin- 'Was sagst du, Tom?' weg eingehüllt und trugen hohe Reitstie- Beide lauschten. fel. Nach dem, was er sah, hätte keiner 'Ich glaube, ich höre ein galoppieren- der drei sagen können, wie einer der des Pferd kommen, Joe!' beiden anderen aussah; und jeder war für das geistige Auge unter ebenso vielen Hüllen verborgen wie für das körperli- che. In jener Zeit hütete man sich vor zu großer Vertraulichkeit nach kurzer Be- kanntschaft; denn jeder, dem man auf Es war die beste und die schlechteste aller der Straße begegnete, konnte ein Räuber Zeiten. Es war das Zeitalter der Weisheit und oder mit Räubern verbündet sein. Vor das der Torheit; es war die Epoche des allem das letztere war recht wahrschein- Glaubens und die des Unglaubens; es war die lich in einer Zeit, in der jede Poststation Zeit des Lichts und die der Finsternis; es war und jedes Wirtshaus einen Mann aufzu- der Frühling der Hoffnung und der Winter weisen hatte, der im Solde 'des Kapitäns' der Verzweiflung; wir hatten alles und nichts stand, mochte es sich nun um den Wirt vor uns; wir waren alle auf dem Wege zum selber oder um den letzten seiner Stall- Himmel und alle auf dem Wege in sein jungen handeln. So dachte an jenem Gegenteil — kurz: jene Zeit glich der unseren Freitagabend im November 1755 der darin, daß manche ihrer lautstärksten Wort- Schaffner der Postkutsche nach Dover, führer behaupteten, man könne im guten wie während er hinten auf der Kutsche stand, im bösen nur in Superlativen von ihr spre- mit den Füßen stampfte und weder Auge chen. noch Hand von dem Waffenkasten vor Ein König mit energischem Kinn und eine ihm ließ, in dem eine geladene Donner- Königin mit glattem Gesicht saßen auf dem büchse und darunter sechs oder acht Thron Englands; ein König mit energischem geladene Reiterpistolen und eine Anzahl Kinn und eine Königin mit glattem Gesicht schwerer Säbel lagen. saßen auf dem Thron Frankreichs. In beiden 'Hüh!' rief der Kutscher. 'Hüh! Nur Ländern war es den großen Herren, die über noch einen Ruck, dann seid ihr oben, und Brot und Fisch im Staate verfügten, klarer als das ist bloß gut so! Es hat genug Mühe POJTCCHAFFNERUHR Kristall, daß alles auf ewig geordnet sei. gekostet, euch so weit zu bringen! —Joe!' 8