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Eine Geschichte des Fotojournalismus: Was zählt, sind die Bilder PDF

203 Pages·2015·3.287 MB·German
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Eine Geschichte des Fotojournalismus Wolfgang Pensold Eine Geschichte des Fotojournalismus Was zählt, sind die Bilder Wolfgang Pensold Wien, Österreich ISBN 978-3-658-08296-3 ISBN 978-3-658-08297-0 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-08297-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliogra(cid:191) e; detaillierte bibliogra(cid:191) sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2015 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover(cid:191) lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Umschlagbild: Unknown location. Wagons and camera of Sam A. Cooley, U.S. photographer, Department of the South, between 1860 and 1865 Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Inhalt 1 Vorwort: die Wurzeln des Fotojournalismus . . . . . . . . . . . . . 7 2 A Harvest of Death. Der Krieg, die Kamera und der Tod . . . . . . . 11 3 How the Other Half lives. Die Hinterhöfe der Metropolen . . . . . . 19 4 Vom Pressezeichner zum Pressefotografen . . . . . . . . . . . . . 27 5 Keine Grauen erregenden Schlachtfeldaufnahmen . . . . . . . . . 31 6 Antlitz der Zeit. Das Bild der deutschen Gesellschaft . . . . . . . . . 41 7 Entscheidende Augenblicke und Leica-Bilder . . . . . . . . . . . . 49 8 Migrant Mother. Amerikanisches Farmerelend und Dokumentarfotografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 9 Robert Capa: This is War ! . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 10 War by Propaganda. Der zweite Weltkrieg . . . . . . . . . . . . . . 73 11 Believe it ! Beweise für den Holocaust . . . . . . . . . . . . . . . . 83 12 Magnum Photos. Bilder der Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . 91 13 A Choice of Weapons. Die schwarze Bürgerrechtsbewegung . . . . . 101 6 Inhalt 14 A Disservice to America. Bilder aus Vietnam . . . . . . . . . . . . . 111 15 Don McCullin: Zu nah am Leiden ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 16 Golfkrieg 1991: What Bodies ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 17 No pictures ! Gräuelbilder am Balkan . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 18 Der Anti-Kriegsfotograf und der Bang Bang Club . . . . . . . . . . 147 19 Powerful Portraits. Ästhetik des Elends . . . . . . . . . . . . . . . 153 20 A form of Genocide. Die Armutsseuche AIDS . . . . . . . . . . . . 163 21 Ground Zero. Krieg vor der Haustür . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 22 Embedded Journalists im Irakkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 23 Digitalisierung und Citizen Journalism . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Online-Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 Quellen der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1 Vorwort: die Wurzeln des Fotojournalismus Will man die Entstehung und die Entwicklung des Fotojournalismus rekonstruie- ren, gilt es verschiedenen Wurzeln nachzuspüren: da ist zum einen die namens- gebende Fotografie, ohne die es das fotojournalistische Genre naturgemäß nicht gäbe. Sie verbreitet sich ab den 1840er Jahren in Gestalt der Daguerreotypie, ist aber in ihren Anfängen noch durch lange Belichtungszeiten geprägt, die jegliches bewegte Motiv aufzunehmen von vornherein ausschließen. Ihre auf Metallplatten aufgenommenen Bilder stellen zudem Unikate dar, können also nicht vervielfäl- tigt werden. Für Verleger ist sie deshalb noch weitgehend uninteressant. Erst mit der Durchsetzung fotografischer Negativ-Verfahren, die das Herstellen einer gro- ßen Zahl von Abzügen möglich machen, erregt die fotografische Technik verlege- risches Interesse. Beim so genannten Nasskollodiumverfahren entsteht auf der mit einer lichtempfindlichen Lösung vorbehandelten Glasplatte nach der Belichtung ein Negativ, von dem beliebig viele Positivabzüge gemacht werden können. Die damit möglich gewordene Massenherstellung von Fotos verspricht Absatz und bildet die Voraussetzung für entsprechenden kommerziellen Erfolg. Zwar können Fotografien zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf Druckerpressen gedruckt wer- den, doch lassen sie sich zumindest in Form von Originalabzügen in Bildbänden in mehr oder weniger großer Auflage publizieren. Das fotografische Verfahren dieser Tage ist noch überaus beschwerlich. Der Reisefotograf der Anfangszeit muss immer ein komplettes fotografisches Labor sowie ein Dunkelkammerzelt mit sich führen, um die Platten vorbereiten und nach der Aufnahme sogleich entwickeln zu können. Jede einzelne Aufnahme ist diesem aufwändigen Prozedere unterworfen. Die langen Belichtungszeiten ma- chen die Verwendung eines Stativs unumgänglich und beschränken den Fotogra- fen auf die Aufnahme starrer beziehungsweise still haltender Motive. Davon ist auch die Kriegsfotografie betroffen, die bald nach Erfindung der Daguerreotypie ihren Anfang nimmt. Sie bleibt motivisch weit hinter den dynamisch gemalten 8 Vorwort: die Wurzeln des Fotojournalismus Schlachtengemälden früherer Epochen zurück: keine galoppierenden Reiter im Sturmangriff oder tödlich getroffen zu Boden stürzende Soldaten, lediglich posie- rende Uniformierte, bestenfalls devastierte Schauplätze nach dem Gefecht. Den- noch umgibt die neue Technik der Mythos des Authentischen, schafft sie doch nur mit Hilfe von Licht getreue Abbilder der Welt. Das fotografische Bild entsteht von selbst, ohne Zutun eines Operateurs, unbeeinflusst und unverfälscht. Als ob- jektive Zeugin des Geschehens banne die Kamera lediglich das ins Bild, was sich vor ihrem Objektiv zuträgt, heißt es. Fotografien gelten manchem Verfechter als Abbilder der Wirklichkeit, als Synonyme für Wahrheit. Dieser dokumentarische Anspruch ist jedoch zu hinterfragen, denn Fotografieren bedeutet immer auch einen Ausschnitt wählen, also große Teile der Realität ausschließen. Die Kamera kann nicht nur in vortrefflicher Weise Dinge zeigen, sondern in viel umfassende- rer Weise auch Dinge verbergen. Sie zeigt nicht die Wirklichkeit, sondern besten- falls das, was der Fotograf als solche begreift, also das, was er zeigen will, und das, was die Kamera in ihren beschränkten technischen Möglichkeiten zeigen kann. Damit erscheint jeglicher absolut gedachte Objektivitätsanspruch von vornher- ein illusorisch. Neben der Fotografie erwächst in der illustrierten Massenpresse, die eben- falls Mitte des 19. Jahrhunderts Gestalt annimmt, die zweite wichtige Wurzel des Fotojournalismus. In London erscheint The Illustrated London News, in Paris L’Illustration und in Leipzig die Illustrirte Zeitung.1 Die Berichterstattung dieser Wochenzeitungen zeichnet sich durch immer bessere Bildillustrationen aus. Wie ihr Londoner Vorbild bietet die Leipziger Illustrirte Zeitung Abbildungen, die von Holzstichen gedruckt werden, welche ihrerseits nach Originalzeichnungen entste- hen. Der Leipziger Verleger und Chefredakteur der Illustrirten Zeitung, Johann Jacob Weber, beschwört am 1. Juli 1843 am Titelblatt seiner Zeitung die attraktive Neuerung: » Diese Bewährung einer guten Sache nun gibt uns den Muth, die innige Verbindung mit der Druckpresse zu benutzen, um die Tagesgeschichte selbst mit bildlichen Erläuterun- gen zu begleiten und durch eine Verschmelzung von Bild und Wort eine Anschaulichkeit der Gegenwart hervorzurufen, von der wir hoffen, dass sie das Interesse an derselben er- höhen, das Verständnis erleichtern und die Rückerinnerung um vieles reicher und ange- nehmer machen wird. «2 Grundlage für den qualitativ hochwertigen Bilddruck ist das neue Holzstichver- fahren. In die Stirnseite eines Hartholzes gestochen, kann das Bild in feineren 1 Paul (2004), S. 73. 2 Zit. n.: Hoffmann (2005), S. 26. Vorwort: die Wurzeln des Fotojournalismus 9 Tonabstufungen dargestellt werden als beim seit Jahrhunderten gebräuchlichen Holzschnitt. Letzterer lässt, in die Längsseite eines Bretts geschnitten, aufgrund der Holzmaserung nur sehr grobe Bilddarstellungen zu.3 Das neue Verfahren sorgt buchstäblich für gestochen scharfe Abbildungen ! Die fertige Druckvorlage kann mit den aus Bleilettern gesetzten Textblöcken zusammengespannt und auf einer der modernen Schnellpressen in Auflagen von vielen tausend Exemplaren gedruckt werden.4 Die hohen Auflagen, die die dampfgetriebenen Pressen in kur- zen Zeitspannen produzieren, lassen die moderne Massenpresse entstehen, einen populären Pressetyp, der immer breitere Leserkreise erreicht, die nach bildlichen Illustrationen verlangen. Um 1900 geht die illustrierte Presse dazu über, anstelle der bisherigen Holzstiche fotografische Vorlagen abzudrucken. Voraussetzung da- für bildet die Entwicklung eines Verfahrens, das es ermöglicht, eine Fotografie in eine erhabene Druckform umzuwandeln, von der sich Abdrucke herstellen lassen. Eine weitere notwendige Voraussetzung für das Entstehen des Fotojournalis- mus bilden handliche und einfach zu bedienende Fotokameras. Solche Handka- meras, die bald in großer Zahl gefertigt und anstelle der bisher gebräuchlichen, umständlichen Stativkameras benutzt werden, ermöglichen es, die soziale Wirk- lichkeit spontan und sogar in ihren bewegten Szenen auf die Platte zu bannen. Da- mit erschließt sich die Fotografie Zugang zu weiten Bereichen der sozialen Wirk- lichkeit. Hinsichtlich seiner ideellen Tradition liegen die Wurzeln des Fotojournalis- mus im Journalismus, der sich in der gedruckten Presse entfaltet und sich in ihr und mit ihr in langen und harten Auseinandersetzungen mit den Obrigkeiten Grundfreiheiten wie die Pressefreiheit erkämpft. Angesichts seiner bürgerlich-de- mokratischen Traditionen folgt der Journalismus in seinem Wirken humanisti- schen Werten, er unterstützt die Emanzipation der Unterdrückten und betreibt die Kontrolle der Mächtigen als Programm. Ein zentrales Genre bildet die So- zialreportage, die es sich zur Aufgabe macht, soziale Ungerechtigkeit zu doku- mentieren, um sie öffentlich anzuprangern. Sie ergreift offen Partei, letztlich auch unter Überwindung zeitgenössischer Objektivitätsdoktrinen, die den Journalis- mus darauf festzulegen trachten, möglichst neutral zu berichten, was sich ereig- net. Eine Voraussetzung für diese programmatische Parteinahme bildet die fun- dierte Kenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge, basierend oft auf linken Gesellschaftsanalysen. Auf diesem ideellen Fundament, das im Wesentlichen im 19. Jahrhundert gelegt wird, baut im 20. Jahrhundert der Fotojournalismus auf. Er übernimmt das soziale Engagement, das aktive Eintreten für Unterdrückte und Unterprivilegierte, insbesondere für diejenigen, die unter Katastrophen und Krie- 3 Imiela/Gerhardt (1993), S. 94. 4 Newhall (1998), S. 257. 10 Vorwort: die Wurzeln des Fotojournalismus gen leiden, sowie den Anspruch, einen gesellschaftlichen Wandel zum Besseren herbeizuführen. Er zeigt die gesellschaftlichen Missstände in seinen dokumenta- rischen Bildern auf, mit dem Ziel, in der Leserschaft emotionale Betroffenheit zu erzeugen und über den Hebel der Öffentlichkeit Druck auf die politisch Verant- wortlichen auszuüben und so die bestehenden Verhältnisse zu verändern. Foto- journalismus bedeutet insofern in anrührenden Aufnahmen Partei zu ergreifen für Menschen und für die Menschlichkeit. Von Anfang an entwickelt sich der Fotojournalismus jedoch auch entlang di- verser Abgründe. Einer dieser Abgründe ist die Propaganda für politische Zwecke, besonders gefährlich in totalitären Regimes, die neben anderen Feldern der Be- richterstattung die Fotografie gezielt nutzen, um ihre an ideologischen Doktrinen konstruierten Wahrheiten in die Öffentlichkeit zu projizieren; doch sind auch De- mokratien vor solchen Tendenzen nicht gefeit – besonders dann nicht, wenn sie Krieg führen. Die für die Kriegsberichterstattung typische patriotische Perspek- tive ist da wie dort anzutreffen – wenn die Nation in den Blick gerät, beginnt auch in Musterdemokratien die Versündigung am Individuum ! Zum anderen bewegt sich der Fotojournalismus auch dann am Abgrund, wenn er Menschliches aus den falschen Gründen ins Bild setzt, nämlich des blo- ßen Spektakels willen. Der Voyeurismus ist die immerzu präsente Versuchung für die Fotoillustrierten, mit dem Leid und dem Elend von Menschen Auflage zu ma- chen, und dies oft genug unter einem humanitären Mäntelchen. Auch hierbei han- delt es sich um eine Instrumentalisierung, die den eigentlichen Gegenstand – den Menschen und sein Wohlergehen – aus dem Blick verliert. Die sozial inspirierte Fotografie büßt ihre Legitimität ein, wenn sie beginnt, die Anliegen der Menschen, die sie zeigt, Geschäftsinteressen unterzuordnen, wenn sie menschliche Schick- sale kommerziell ausbeutet. Dabei bleibt freilich zu bedenken, dass die Medien- landschaft der westlichen Welt nach marktwirtschaftlichen Gesetzen funktioniert, dass Medieninstitutionen mit ihren Inhalten am freien Markt Geld verdienen müssen, dass also eine Forderung nach absoluter Kommerzlosigkeit innerhalb des bestehenden Mediensystems wenig sinnvoll ist. Der renommierte amerikanische Fotojournalist James Nachtwey meint, die Presse sei zweifelsohne ein Geschäft, und um zu überleben, müsse sie ein erfolgreiches Geschäft sein. Doch müsse die richtige Balance gefunden werden zwischen Vermarktungsrücksichten und jour- nalistischer Verantwortung: » Every story does not have to sell something. There’s also a time to give. That was a tradition I wanted to follow. «5 5 Nachtwey (2007a).

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