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Ein Liebesversuch und andere Novellen PDF

100 Pages·2016·0.27 MB·German
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Vom Autor genehmigte deutsche Umdichtung von FELIX PAULGREVE. EIN LIEBESVERSUCH UND ANDRE NOVELLEN VONANDRÉ GIDE BERLIN 1907 OESTERHELD & CO. • VERLAG. (cid:246) SCAN BY PÁRDUC 2002 ELHAJD ODER DER TRAKTAT VOM FALSCHEN PROPHETEN. Für Friedrich Rosenberg. O! Prophet, tue kund alles, was auf dich herabgekommen ist um deines Fürsten willen, denn, so du es nicht tust, hast du seine Botschaft nicht erfüllt. Der Koran, V, 71. Da die hingingen, fing Jesus an, zu reden zu dem Volke von Johannes : Was seid ihr hinausgegangen in die Wüste zu sehen! Wolltet ihr ein Rohr sehen, das der Wind hin und her weht? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen: Wolltet ihr einen Menschen in weichen Kleidern sehen? Siehe, die da weiche Kleider tragen, sind in der Könige Häusern. Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen! Wolltet ihr einen Propheten sehen! Ja, ich sage euch, der auch mehr ist denn ein Prophet.MatthäusXI,7—9. Jetzt, da nah bei der sinkenden Sonne die geliebten Minarehs wieder auftauchen, in der endlich wiedererreichten Stadt; da das er- schöpfte Volk vor Begierden lacht und auf sie zustürzt . . . Allah! ist meine Aufgabe jetzt zu Ende? Nicht meine Stimme führt sie mehr. Ah! mögen sie heute Abend auf der Schwelle ihres Hauses vor Liebe schreien können, da sie dort ihre Ruhe wiederfinden!— ich will in der Wüste verweilen. — Mein Geheimnis, ich habe es verschwiegen, die Tage durch und die Nächte durch; ohne Stütze habe ich die Last meiner furchtbaren Lüge getragen, und bis zum Schluss habe ich den Schein gewahrt, aus Furcht, wenn sie unsrer langen Irrfahrt vergebens ein Ziel suchten und keines fanden, gäben sie sich den Leiden hin und könnten nicht mehr von der Stelle. Jetzt will ich reden!ich bin allein. Aber was soll ich vor Verzweiflung schreien? Denn ich weiss jetzt, dass es Propheten gibt, die am Tage den Völkern, die sie führen, die 7 Unruhe ach! verbergen und die Verirrung ihrer Seele; die ihre einstige Inbrunst spielen, um zu verhehlen, dass sie tot ist — die da schluchzen, wenn die Nacht kommt, wenn sie sich ganz allein sehn — und nur noch kaum erleuchtet sind von den ungezählten Sternen und von der zu fernen Idee vielleicht noch — an die sie doch längst nicht mehr glauben. Aber ihr, Fürst, ihr seid ja tot; ich selber, ich habe euch niedergelegt in den ziehenden Sand; der Wind hat geweht; der Sand ist ge- rollt wie die Wogen der grossen Flüsse, und wer kennt noch den Ort eures irrenden Grabes? — Führtet ihr euer Volk in die Wüste? — Oder wurdet ihr selber von einem andernge- führt? Was habt ihr in der Ebene getroffen? — Es war nichts da. Nicht wahr? Ihr habt nichts in der Ebene gesehen? Aber, kam nicht der Tod, so wäret ihr weiter gegangen. — Fürst, ich habe das Volk aus der Ebene heim- geführt. Sicherlich glaubte ich anfangs nicht, ich sei ein Prophet; ich fühlte mich nicht dazu ge- boren. Ich war nur ein Märchenerzähler auf den Plätzen. El Hadj, und man nahm mich, weil ich Lieder kannte. Man hat mir gesagt, ich trüge das Zeichen auf dem Rücken, mit dem Gott seine Apostel zeichnet; aber es war mir nicht kund getan; sonst hätte ich die 8 Stadt nicht verlassen; aus Furcht vor Gott wäre ich ihnen nicht gefolgt. Aber konnte ich meine Geschichte ahnen? Prophet: den andern allein habe ich vorausverkündet. — Man zog aus in eiliger Truppe und wusste nicht, wozu noch wohin. Sie zahlten mich, dass ich sie unterhielte; so schloss ich mich ihnen an; ich sang ihnen Liebeslieder während der Langenweile des weiten Weges, und ich beweinte mit ihnen die Frauen, die wir nicht mitgenommen hatten; so schlich ich mich in ihre Liebe. Wir rückten auf die Ebene zu. Vor uns her zog der Fürst, getragen in einer geschlossenen Sänfte; keiner von uns durfte ihn sehen. Nachts schlief er allein in seinem Zelt, und keiner von uns nahte ihm; stumme Sklaven schützten seine Einsamkeit. Wie zog er uns nach sich? Es war eine geheimnisvolle Abhängigkeit; man hätte meinen können, seine Entscheidung erlege sich unmittelbar uns allen auf. Denn keiner überbrachte irgend Befehle von ihm; wir hatten keine anderen Führer als ihn, und er bewahrte ewiges Schweigen; oder vielleicht sprach er zu seinen Trägern, aber seine Stimme hatte uns nie er- reicht. So dass wir alle ihm zu folgen schienen, der nicht sichtlich führte. Aber seltsam war es, und ich staunte hinfort darüber, dass unser Marsch vorbedacht schien und der Weg schon 9 bestimmt, als hätten ihn, vor uns hinziehend, andere schon bezeichnet. Wir setzten nichts auf dem Weg in Erstaunen, und in den Städten, denen wir nahe kamen, fand man uns so leicht Proviant und verwunderte sich unserer so wenig, dass es schien, die Erwartung unser sei uns schon vorausgeeilt. Und doch sah man recht wohl, dass wir nicht zu jenen Handels- karawanen gehörten, die von Stadt zu Stadt ziehn und die man zu empfangen gewohnt ist. Eher hätte man uns für eine Kriegstruppe halten können, hätten wir mehr Waffen ge- tragen — aber noch ehe man unsere friedliche Absicht begriffen hatte, aus der Ferne schon erschrak nicht einer. Sowie wir die Staaten des Fürsten verlassen hatten, kampierten wir der Form wegen nicht mehr in den Städten, sondern am Fuss ihrer Mauern und auf der Seite nach Osten. Wenn die Stadt von Oasen umgeben war, traten wir nicht mehr unter die Bäume, sobald der Tag sich senkte. Dort herrschte eine verderbliche Frische; wir lagerten am Saum der Gärten, und unsere Seele ward es gewohnt, vor sich nur eine endlose Fläche zu haben. Bisweilen ging ich vor Schluss des Tages in diese Gärten und begleitete unsere Ab- gesandten, die auf den Märkten Vorräte suchen sollten, und die Verkäufer dort befragten uns 10

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