© Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Ein Jahr im Leben der Biberdame (Castor fiber L.) „Rachel" VON T. HllLiK Abstract Abb. 1: Rachel beim Reinigen ihres Pelzes. (Die Aufnahmen stam- One year during the life of the fema- men vom Verfasser.) le beaver (Castor fiber L.) "Rachel" The story ahout a friendship hetween the young biologist Tomas Hulik and the beaver lady "Rachel" tells a lot about beaw biology and the life of a beaver family, the history of the Slowakian beaver population and problems of animals with human civili- zation. Zusammenfassung In dieser Geschichte über die Freund- schaft des jungen Biologen Tomas HULIK mit der Biberdame „Rachel" ist viel Interes- santes über allgemeine Biberbiologie und Sozialverhalten, die Geschichte der Slowa- kischen Biberpopulation und deren Proble- me mit der menschlichen Zivilisation ent- halten. Key words: Beaver, Castor fiber, beaver biology, Slovakian beaver population Einleitung Auf diese Weise erklärt der nordamerikani- „Am Anfang war die Erde mit Was- sche Indianerstamm Amokino, die „Biber- ser, in dem nur Biber, Fischotter und menschen" vom Huronsee, die Entstehung Bisamratten lebten, bedeckt. Sie der Welt. tauchten in die Tiefe und brachten Schlamm herauf, mit dem der Große Die Biberin Rachel bringt mit Schnüf- Geist das Festland schuf. Gebirge, Wasserfälle feln und Fauchen -um Ausdruck, dass sie und Höhlen waren die Arbeit der Biber. Ihre über unsere Anwesenheit Bescheid weiß. Aufgabe war es, dem Festland sein Gesicht zu Sie setzt sich ans Flussufer, schüttelt das geben. Diese Riesenbiber hatten auch ihre eige- Wasser von sich und macht sich daran, ih- ne Sprache. Später weckten sie den Zorn des ren Pelz zu putzen. Sorgfältig nimmt sie sich Großen Geistes und dieser hat viele von ihnen ihren dichten Pelz vor und kämmt ihn hingeschlachtet. Als Strafe hat er ihnen auch die (Abb. 1). Die ersten beiden Krallen an den Sprache genommen. Die Seele verließ den Bi- Hinterbeinen sind gegabelt und dienen so Denisia 9, zugleich Kataloge der OÖ. Landesmuseen berkörper und wurde zum MENSCHEN." dem Biber als Kamm. Wenn Rachel mit dem Neue Serie 2 (2003), 169-177 169 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at mit dem der Biber sein Revier markiert, dient dem Menschen als Medizin, Essenz zur Parfümherstellung und als starkes Potenz- mittel, bekannt unter dem poetischen Na- men „Bibergeil". Der Penisknochen diente für ähnliche Zwecke und verschiedene an- dere Körperteile wurden in der Volksheil- kunde genutzt. Die Biberjagd war aus- schließliches Recht der Adeligen, die soge- nannte „Biberaufseher" beschäftigten, die sich um die wild lebenden Populationen kümmerten und den Biber auch in Gefan- genschaft züchteten. Wilderei wurde streng bestraft. Trotzdem starb der Biber fast in ganz Europa aus - es blieben nur vier Refu- gien über. Der Biber überlebte an der Rhone in Frankreich, am Mittellauf der Elbe in Sachsen-Anhalt, im südlichen Norwegen, sowie in Weißrussland, Polen und Russland. Abb. 2: Ein Rückkehrer - Biber an einem Kämmen ihre» Pelzes halbwegs zufrieden ist, Mitte der 1970er Jahre beschlossen auch Altarm der March. widmet sie sich ihrer liebsten Tätigkeit - österreichische Wissenschafter, der Natur dem Fressen. Vergangene Nacht ist es ihr Mitteleuropas den Biber zurückzugeben. Sie gelungen, einen Baum - eine Weißpappel - begannen mit der Wiedereinbürgerung des zu fällen. Der Baum ist vollkommen abge- Bibers in den Donaualtarmen bei Eckartsau. nagt - er muss wohl für Rachel und die an- Die Rückkehr des ersten Bibers in die deren Biber ein echter Leckerbissen sein. Slowakei verlief nicht sehr erfreulich, als im Aber damit die Biber heute in Mitteleuropa Jahre 1977 bei den Jakubov-Fischteichen ein wieder Bäume fällen können, war der Ein- leidenschaftlicher Jäger etwas entdeckte, das griff des Menschen notwendig. Es war auch über die Straße lief, und er selbstverständlich der Mensch gewesen, der es zuließ, dass der nicht zögerte und schoss. Zu seiner großen Biber in fast ganz Europa ausgerottet wurde. Überraschung hatte er einen Biber erlegt. Das Tier wurde ausgestopft und diesmal auf Geschichte der Biber der Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität in Pressburg/Bratislava unterge- in der Slowakei bracht. Im Laufe der 1970er und 80er Jahre Der Biber, der in der Slowakei im Jahre wurden insgesamt 45 Biber im Auwald rund 1858 zum letzten Mal auf der so genannten um Eckartsau freigelassen. Aus dieser Grün- Schüttinsel gesichtet und in der Folge erlegt derpopulation begannen die Biber etappen- wurde, steht heute als ausgebleichtes Expo- weise die Donau aufwärts und abwärts zu nat in einer Vitrine des Naturhistorischen wandern, später entlang der March und ih- Museums in Bratislava/Pressburg. Der An- ren Zuflüssen in der Slowakei, und erreich- fang vom Ende des Bibers in Europa begann ten nachfolgend sogar Tschechien. damit, dass die Kirche im Jahre 1754 einen entsprechenden Erlass herausgab. Es war Wie alles begann aufgefallen, dass der Biber aufgrund seines schuppenartigen Schwanzes irgendwie Einer der Biber, der ein neues Heim fischartig war - und deshalb wurde er zum suchte, verirrte sich im Herbst des Jahres Fisch erklärt. Mit diesem Erlass durften die 1996 auch in den Auwald an der March, Christen den Biber auch in der Fastenzeit nicht weit von Bratislava (Abb. 2). Bereits verzehren. Biber wurden auch wegen des im Frühjahr des nachfolgenden Jahres war es außergewöhnlichen Pelzes gejagt und Fett offenkundig, dass er sich hier erfolgreich an- und ein Duftsekret wurden ebenfalls ver- gesiedelt hatte. Die abgenagten Bäume und wendet. Das Biberanalsekret Castoreum, Anzeichen seiner Bautätigkeit weckten auch 170 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at das Interesse von mir und meinem Freund Fedo. Und so machten wir uns in der Nacht des 2. Man 1997 auf, um unser Glück :u ver- suchen. Wird es uns gelingen, dieses sagen- umwobene Tier zu treffen? In jener „Schick- salsnacht" begann eine sehr ungewöhnliche Freundschaft - eine Freundschaft mit einem Wildtier, eine Freundschaft mit einer Biber- familie (Abb. 3). Während der ersten Wochen unserer Beobachtungen konnten wir zwar den Biber sporadisch sehen - als etwas Verschwomme- nes, das sich an der Wasseroberfläche be- wegte - und hören! Platsch, platsch, platsch ist der gängigste Laut, auf den man bei Bi- bern stößt. Weil der Biber einen natürlichen Respekt vor dem Menschen hat, ist er sehr wachsam, lebt verborgen, geht nur in der Nacht auf Spaziergang und beim ersten An- zeichen einer Gefahr springt er ins Wasser - rigen und zweijährigen Biberkinder müssen Abb. 3: Rachel und Tomas - eine unge- platsch. Er schlägt mit dem Schwanz auf die wöhnliche Freundschaft. sich nun um sich selbst kümmern. Aber aus Wasseroberfläche, um die anderen Famili- ihnen sind schon kräftige und geschickte Bi- enmitglieder zu warnen, oder auch um ande- ber geworden. Und so fällt im Wald auch in re - platsch, platsch, platsch - aufmerksam Abwesenheit der Mutter ein Baum nach zu machen. dem anderen. Es ist wahr, dass das ganze Treiben etwas chaotisch wirkt: die Biberkin- Einblicke in ein Biberleben der verkosten jeden Baum, um herauszufin- den wie er schmeckt; danach werden nur die Allgemeines saftigsten gefällt. Ordnung tritt wieder ein, Wir haben später den Biber bzw. die Bi- wenn Rachel im März zurückkehrt. Dann berin „Rachel" getauft, nicht weil es ein alt- verläuft das Bäumefällen weniger chaotisch. biblischer Frauenname ist, sondern weil sie Jetzt stürzen vor allem Weißpappeln - Ra- immer mit dem Schwanz auf die Wasserober- chels beliebteste, weil wahrscheinlich Abb. 4: Die imposanten Schneidezähne. fläche „laut aufschlägt", was slowakisch „rachla" heisst. Nach einigen Monaten er- laubte uns Rachel, ihr näher und immer nä- her zu kommen und so gewannen wir in die etwas intimeren Details des Biberlebens Ein- blick. Zu unserer großen Überraschung und im Gegensatz zu allen Büchern und wissen- schaftlicher Literatur, wo geschrieben steht, dass Biber ihr ganzes Leben lang in monoga- men Paaren zusammenleben, entdeckten wir, dass Rachel ein Matriarchat führte und nie- mals ein männlicher Biber im Revier sichtbar wurde. Später stellten wir fest, dass Rachel in der Paarungszeit von Januar bis Februar aus der Gegend verschwand. Sie hatte sich im Auwald entlang der March auf die Suche nach dem Vater ihrer Kinder, der auch die nächste Generation zeugen sollte, begeben. Zwei Generationen an Nachkommen, die sonst mit den Eltern leben, diese einjäh- 171 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at schmackhafteste, Baumart. Geschickt schält Leider Gottes gerade jener Zweig, den sich sie die Rinde vom Stamm. Die oberen Zäh- das Familienoberhaupt gerade schmecken ne stößt sie wie einen Meißel in die Rinde, ließ. Eine Weile zogen sie daran herum, und mit den unteren schabt und reisst sie dann kamen „Erziehungsmethoden" zum die Rinde weg. Die Schneidezähne sind für Einsatz. Der kleine Biber bekam ein paar den Biber der lebensnotwendigste und da- Ohrfeigen! Darauf schwamm er beleidigt mit wertvollste Besitz (Abb. 4). Sie sind und erzürnt davon. Dabei hat er sich sehr lang und die Zahnwurzeln reichen tief schrecklich „beschwert" und die ganze Fahrt in den Schädel, was ihre Festigkeit erhöht. über zomig mit dem Schwanz auf das Wasser Da der Biber ständig mit ihnen arbeitet, hat geschlagen - damit ihn auch die Mutter gut die Natur dafür gesorgt, dass sie sein ganzes hört. Soll sie doch das nächste Mal auch et- Leben lang wachsen. Damit man sie ordent- was für ihre Kinder übriglassen! lich sehen kann, sind sie tieforange gefärbt. Was für eine Werbung für Zahnpaste! Ich Was frisst ein Biber? muss erwähnen, dass sie gehörigen Respekt Im Laufe eines einzigen Jahres kann ein wecken. Biber bis zu vier Tonnen Holz „verarbeiten". Dabei frisst er nicht das Holz an sich, son- Es war recht unterhaltsam, einmal zu zu- dern Rinde, Blätter und dünne Zweige (die schauen, wie Rachel ein Stück Rinde ab- ich „Soletti" nenne), um ihren ständigen schälte - so groß wie eine Tafel Schokolade Appetit zu sättigen (Abb. 5, 6). Viele Leute - an dem aber ein Holzstückchen hängen glauben, dass der Biber auch Fleisch frisst. blieb. Mit Genuss verspeiste sie die Rinde, Aber das ist überhaupt nicht wahr, denn er wobei das erwähnte Holzstückchen unter ist ein strikter Vegetarier. Im Frühjahr und ihrer Zunge zu liegen kam. Sie schnitt eine Sommer, wenn Gras und andere Grünpflan- Grimasse des Widerwillens, das Holz hat sie zen emporschießen, gibt er dieser frischen sofort von sich gespuckt. Den Rindenrest und saftigen Nahrung den Vorzug und die hat sie danach wirklich wie ein Stück Scho- Bäume beißt er nicht einmal an. Das Gegen- kolade verspeist! teil geschieht im Herbst, vor allem dann, Aber auch Rachels Nachkommen ent- wenn die Biberin Rachel fühlt, dass Winter wickelten einen Appetit auf diesen Baum. und Frost näherkommen. Dann beginnt die Und so pirschte sich einer klammheimlich „Baumfällwut", und die Bäume fallen wie an den Baum heran und versuchte, sich beim Einschlag des Meteoriten in Tungu- irgendeinen von den Zweigen zu schnappen. Abb. 5: Rinde - eine Lieblingsspeise. Abb. 6: Immer hungrig. 172 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Arbeit im Revier Der Biber ist nach dem Menschen das einzige Lebewesen, das schöpferisch seine Die Biber „hacken" die Äste vom Stamm und schleppen sie in den Schlamm Umwelt formt. Das von Menschenhand ge- vor dem Bau. Während einer einzigen prägte Land, in das er nach 130 Jahren zu- Nacht verstauen sie so einen mittelgroßen rückgekehrt ist, versucht er „bibergemäß" zu Baum als Vorrat. Wenn der Biber sich nicht gestalten. Manche Leute schimpfen darüber, gerade für den Winter einen Vorrat anlegt, weil ihre Felder überschwemmt und Bäume nutzt er das Holz und die Zweige der Bäume gefällt werden, weil er in Dämme von Fisch- als Baumaterial. Vor allem im Sommer, teichen Löcher gräbt. Aber es ist eine un- wenn der Wasserspiegel rasch sinkt, beginnt widerlegbare Tatsache, dass er dem von Rachel fieberhaft einen Damm zu errichten. Menschen degenerierten Land hilft und ihm Das Fundament bilden grobe verzweigte Äs- seine ursprüngliche Einmaligkeit und te, durch welche kleinere Zweige geflochten Schönheit wiedergibt. An jenen Stellen, an werden; als „Zement" benützt sie Schlamm denen sich der Biber ansiedelt, entstehen mit Blättern und Pflanzen vermischt. Einige entlang der regulierten Bäche wieder Staudämme, vor allem in Amerika, wo der Feuchtgebiete und schrittweise kehren hier Kanadische Biber lebt, haben eine Lebens- auch andere Lebewesen zurück. Und somit dauer von mehreren Jahrzehnten und errei- wird der Biber zu einem Pionier der Land- chen in extremen Fällen eine Länge von schaftsarchitektur. Im Unterschied zu der 700 Metern. Rachels Staudamm ist nur zwei allüberall anzutreffenden menschlichen Tä- Meter lang. Aber auch so ist es interessant tigkeit, erfolgt der Eingriff des Bibers in das zu beobachten, wie sie ihn errichtet. In den Land um einiges gefühlvoller. Vorderpfoten trägt sie die Zweige, Schlamm Rachels Revier wird von einem Feldweg und Laubwerk heran. Danach stopft sie die- durchquert, unter dem ein Rohr verläuft, sen „Mörtel" in alle Zwischenräume, die sie das ein Teichsystem verbindet. Rachels findet. Darauf schichtet sie erneut größere Schaffen als Bauingenieur kennt keine Zweige und Äste. So entsteht ein festes Bau- Grenzen. Sie hat Folgendes entdeckt: wenn werk, das man nicht so leicht zerstören sie das Rohr verstopft, wird dieses mit dem kann. Bei den erwähnten Biberdämmen in frisch reparierten Damm auf der anderen Amerika wird dazu sogar Dynamit einge- Seite das vom Hochwasser verbliebene Was- setzt. ser halten. Mit dieser Maßnahme steht der gesamte Wald unter Wasser, auch während Um ihren Damm kümmern sich die Bi- der sommerlichen Hitzewellen, wenn es ber sehr sorgfältig. Wenn die Menschen ihn überall sonst nur ein Minimum an Wasser zu zerstören versuchen, weil ihre Felder oder gibt. sogar Straßen überflutet werden, so befindet er sich am nächsten Morgen wieder in sei- Familienleben nem ursprünglichen Zustand! In den meis- ten Fällen geben die Menschen bei dieser Im Mai, nach dem Rückgang des Früh- Konfrontation auf- der Kampf gegen Wind- jahrshochwassers, beginnt Rachel buchstäb- mühlen ist nicht mehr von großer Bedeu- lich ihre ältesten Nachkommen aus dem tung. Revier hinauszuwerfen. Es ist Zeit, dass sie sich ein eigenes Revier suchen. Vor allem Ist das Frühjahrshochwasser gerade ein- spürt die Biberin, dass nach 105 bis 107-tä- mal zurückgegangen, arbeitet Rachel nicht giger Tragzeit die winzigen Biberbabies auf nur fieberhaft an ihrem Staudamm, sondern die Welt kommen wollen. repariert auch den beschädigten Bau und macht am Dach einen Zubau. Es entsteht so Nach der Aufzucht von sechs Genera- etwas wie eine halbe Burg. Der erneuerte tionen von Biberkindern gehen uns einige Damm dient ihr zum Zurückhalten des Was- von ihnen sehr ab. Es war so unterhaltsam sers, das zurückgeblieben ist. Auf diese zu beobachten, wie sie herangewachsen sind Weise wird es für sie leichter, Baumstämme und aus jedem von ihnen ein einzigartiges und anderes Baumaterial zu transportieren; Individuum wurde! Einige sind für uns und so fühlt sie sich auch in ihrem Territo- wahrhaft zu Kameraden geworden, und wir rium auch um vieles sicherer. haben sie im Auwald sehr oft getroffen; an- 173 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at aus irgendeinem Grund nicht sinken und al- le Baue standen unter Wasser. Dadurch war sie gezwungen, sich ihr Wochenbett in einer alten, hohlen Weide einzurichten. Schließ- lich wurde auch diese Weide vom Wasser überflutet und Rachel grub ein provisori- sches Loch an einer höher gelegenen Stelle. Zuerst grub sie am Flussufer nur eine Mulde; schrittweise fügte sie aus Zweigen, in die sie Pflanzenteile einflocht, seitlich Wände hin- zu. Zu guter Letzt errichtete sie noch ein be- helfsmäßiges Dach. Diese Unterkunft ver- fügte dann über zwTei Ausgänge; vor einem befand sich auch ein kleines Becken für die Schwimmübungen der Biberchen. Da die Mutter während dieser Zeit viel fressen muss, um ausreichend Milch für die ständig hungrigen Mäuler zu haben, kommen die äl- teren Geschwister vom Vorjahr als Kinder- mädchen zum Einsatz. Die Mitglieder der Abb. 7: Rachel säugt die kleinen Biber. dere wiederum waren viel scheuer. Die meis- Biberfamilie verbinden enge Bande, welche ten konnten wir allein nach ihrem Ausse- mit gegenseitigem Spiel und der Erziehung hen, mehr noch nach ihrem Verhalten der Jungen gefestigt werden. Sind die klei- unterscheiden. Nichtsdestotrotz sind wir nen Biber ausgeschlafen, lehren sie die älte- auch diesmal voller Erwartung, ob uns die ren Geschwister im Becken die Kunst des Bibermutter erneut erlauben wird am Her- Schwimmens und Tauchens. So wie jedes anwachsen einer neuen Generation teilzu- kleine Kind denkt auch das Biberjunge, haben! wenn es den Kopf in das Wasser steckt, dass es nicht gesehen wird. Schwimmen können Biber haben für gewöhnlich zwei bis fünf sie zwar schon von Geburt an, denn die klei- Nachkommen. Wir hatten das Glück, in ei- nen Biber werden behaart und sehend gebo- nem Jahr die Erziehung eines Quartetts an ren, aber das dichte und weiche, mit Luft kleinen Schelmen zu beobachten (Abb. 7, vollgefüllte Pelzchen erlaubt es ihnen nicht, 8). Das war für die Bibermutter ein an- unterzutauchen. Noch schlimmer ist es auf Abb. 8: Die Jungbiber alleine im Bau. spruchsvolles Jahr. D.is Hochwasser wollte der trockenen Erde in der Mulde: Die noch schwachen Beinchen erlauben es ihnen nicht, sich zu bewegen wie sie möchten, und so haben sie große Probleme das Gleichge- wicht zu halten. Wenn sich die Mutter mit lautem Pfauchen nähert und so die Biber- chen zur Erquickung heranruft, versuchen sie sich schnell um sie zu scharen, um sich zu sättigen. Rachel setzt sich so auf ihren Schwanz, dass sie für die Kleinen gewisser- maßen einen Teppich auslegt. Danach hört man nur mehr wonniges Schmatzen und Stöhnen - die Kleinen saugen Milch. Gele- gentliche Balgereien um eine Zitze umrah- men dieses einzigartige Schauspiel. Danach folgt das Ausruhen, gestört nur durch Scha- ren blutgieriger Gelsen, die Blut aus den kleinen Bibern zu saugen versuchen. Die dichten Pelzchen können sie aber mit dem Rüssel nicht durchstechen. So warten sie, 174 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at bis die Biberchen das Schnäuzchen oder das Ohr hervorstrecken - und sofort stürzen sie sich darauf! Die Kleinen versuchen deshalb, sich einer unter dem anderen zu verstecken, wobei manchmal kleine Balgereien und Scharmützel ausbrechen. Ständig suchen sie eine Lage, damit Öhrchen und Schnäuz- chen verborgen bleiben. Dabei steigen und liegen sie aufeinander, wecken die anderen und drücken ihren Unmut lautstark darüber aus, dass irgendwer ihre Träume übers Bäu- mefällen stört. Wenn die Biberchen größer werden, unternehmen sie erste kleine Expeditionen in die Umgebung des Baues und lernen ihr Heim kennen. Tauchen haben sie bereits gelernt, aber die Navigation müssen sie noch verbessern: da und dort, vor allem im trüben Wasser, stoßen sie bei Hindernissen an (vor allem an unsere Füße, wenn wir im Die anfänglichen Probleme mit dem Unter- Abb. 9: Die jungen Biber ernähren sich Wasser stehen). tauchen sind Vergangenheit. Sehr schnell bereits selbst. werden sie selbständig, sie erkunden auf eige- Das Wasser geht langsam zurück und ne Faust das Territorium, in dem sie die näch- Rachel übersiedelt ihre Nachkommen an ei- sten zwei Jahre verbringen werden (Abb. 9). nen sichereren Platz. Der Eingang zur Höh- Ein Biber taucht für gewöhnlich 5 Minuten le liegt unter Wasser, damit potenzielle lang unter, aber falls Gefahr droht oder die Feinde nicht eindringen können. Die Höh- Notwendigkeit besteht, kann er es auch 15 le ist sehr geräumig und ausgepolstert mit Minuten lang unter Wasser aushalten. zarten Holzspänen. Ist sie schon länger be- wohnt, verfügt sie über mehrere Zimmer Aber die Mutter ist halt ihre „Mama" und Ausgänge und selbstverständlich auch und so verbringen sie viel Zeit bei Rachel; über einen Entlüftungsschacht. Berühmte sie lernen von ihr, wie man am wirkungs- Biberburgen erreichen eine Höhe von bis zu vollsten Rinde und Zweiglein abknabbert. drei Metern, das Fundament der Burg ist Das dabei erzeugte Geräusch erinnert an ei- durchschnittlich 20 Meter lang. Wenn Ra- ne Schreibmaschine. Der Biber hält mit den chel sich im Bauinneren aufhält und irgend- Pfoten geschickt die Zweige und schiebt sie ein Familienmitglied eintreten will, muss es hinauf bis es „zink" macht - das Astende ist sich mit einem feinen Winseln zu erkennen erreicht. Er schiebt das Stück an den An- geben. fang zurück; nun kommt die zweite Zeile an die Reihe ... Es ist sehr interessant, die Kommunika- tion der Biber zu verfolgen. Altere Biber Der ständige Kontakt mit den Geschwis- sind schon nicht mehr so „gesprächig" wie tern ist entscheidend für das Überleben der die ein- oder zweijährige Jungen, bei denen Jungen. Nichts ist so wichtig wie die gegen- die Skala an verschiedenen Tönen von seitige Fellpflege, der gefühlsmäßige Kontakt Winseln, Schnarchen, Fauchen und Knur- und das Herumtoben als solches. Mit riesi- ren breiter ist. Rachel beschränkt sich auf gem Gewimmer und großem Platschen pro- Fauchen und Knurren, womit sie ihre domi- bieren sie ihre Kräfte aus und suchen sich ih- nante Stellung innerhalb der Biberfamilie ren Platz in der Familienhierarchie. Sie stre- zum Ausdruck bringt. cken sich bis zur Hälfte des Körpers aus dem Wasser, mit den Vorderpfoten schlagen sie Den ganzen Sommer über schwelgt die aufeinander ein wie Boxer im Ring. Biberfamilie im Überfluss. Die Jungen sind acht Wochen alt und verzehren bereits erste Nach einer Weile herrscht wieder Ruhe Pflanzen oder Gras, knabbern erste Zweige. und man hört nur noch das Äste-Abknab- 175 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at bem. Denn die Haupttätigkeit des Bibers ist ckiert jeden fremden Biber, der sich nahe Fressen, Fressen, Fressen - und wenn er nicht der Reviergrenze zeigt. gerade frisst, dann sucht er danach, was er fressen könnte. Aber damit ich ihnen nicht Gefahr Hochwasser Unrecht tue: oft put:en sie ihr Haarkleid, so Im August 2002 brachte der über ganz dass durch dieses kein Tropfen Wasser ein- Europa anhaltende Regen eine komplette dringt. An die 15.000 Haare pro Quadratzen- Katastrophe - nicht nur für die Menschen, timeter sorgen für absolute Undurchdring- sondern auch für unsere kleine Biberfamilie. lichkeit und vollkommenen Wärmeschutz. Rachel hatte erfolgreich fünf kleine Biber Der gut gepflegte Pelz ist die Grundlage für großgezogen, was eine Seltenheit ist, und das Überleben dieses bis zu 30 kg schweren ich war gemeinsam mit meinen Freunden Tieres, das nach dem Wasserschwein der Andy und Fedo zum zweiten Mal direkt mit zweitschwerste Nager der Erde ist. dabei. Als im August das Wasser rapide zu steigen begann und ein gewaltiges Hoch- Der Biber kann in der freien Natur bis zu wasser kam, stand das Revier von Rachel 20 Jahre leben, aber meistens endet der Weg sechs Meter unter Wasser. Sie bemühte sich, durchs Leben um einiges früher; vor allem ein Biberchen nach dem anderen zu retten. bei den Zweijährigen, die sich ein neues Re- Leider Gottes war ihr das Schicksal dabei vier suchen müssen, wobei es häufig zu hef- nicht gut gesonnen und so verlief unsere Su- tigen Beißereien mit einem Revierbesitzer che nach den fünf Schelmen im Auwald kommt. Verletzungen sind dabei keine Sel- vergeblich. Nach langen Tagen sahen wir tenheit und diese Wunden zeitigen in ver- zwar ein älteres Geschwister, aber von Ra- unreinigtem Wasser fatale Folgen. Rachel chel und ihren jüngsten Nachkommen fehl- markiert mit ihrem Duftstoff, dem bereits te vorerst jede Spur. Später, als das Wasser erwähnten Analdrüsensekret Castoreum, zurückgegangen war, hatten wir die traurige ihre Reviergrenzen, die 500 bis 1000 m ent- Gewissheit, dass nur zwei davon überlebt lang der Uferlinie führen. Auch sie atta- haben. Die anderen hatte wahrscheinlich die starke Strömung weggerissen. Wenn der Frost einsetzt und das Wasser um den Bau zuzufrieren beginnt, sind die Bi- ber nicht faul (Abb. 10). Fleißig brechen sie das Eis auf, damit sie freien Zugang zum Nah- rungsvorrat haben. Unermüdlich zerschlagen sie den Rand der Eismasse und Eisschollen, die sie anschließend noch in kleinere Stücke zerkleinern. Wenn der Frost so stark ist, dass es ihnen während der Nacht nicht gelingt das Wasser offen zu halten, lösen sie diese Situa- tion bravourös: Im Schlamm vor der Höhle haben sie ausreichend Zweige von den gefäll- ten Bäumen gelagert und so bedienen sie sich dort wie aus dem Kühlschrank. Es ist sehr ko- misch anzuhören, wie sie unter dem Eis ar- beiten, schälen und kauen, wie die Biber es sich aus den so angelegten Vorräten schme- cken lassen. Glücklicherweise dauert die Zeit des zugefrorenen Wassers nicht lange bzw. ge- lingt es dem Biber immer wieder, irgendwo die Eismasse aufzubrechen. Deshalb ist es nichts Besonderes, einen Biber auf dem Eis balancierend zu treffen, und dass er auch Abb. 10: Rachel dann den Bäumen in der Umgebung des Bau- auf dem zugefrorenen es keine Ruhe lässt. Altarm. 176 © Biologiezentrum Linz/Austria; download unter www.biologiezentrum.at Das Jahr des Bibers neigt sich dem Ende zu und Rachel macht sich erneut auf die Su- che nach einem Partner, der die Kontinuität der Biberdynastie garantiert. Wir sind sehr froh, dass uns die Biberin Rachel erlaubt, bereits das siebte Jahr in ihrer Nähe :u ver- bringen. Und wir hoffen, dass die guten Ta- ge, die wir mit diesen schönen und intelli- genten Tieren verbracht haben, nicht so bald zu Ende sind. Natürliche Feinde hat der Biber in diesen Auwäldern nicht, mögli- cherweise hin und wieder ein höchst erzürn- tes Wildschwein, das in einen Biberbau ein- gebrochen, aber nicht weiter gefährlich ist. Gefahr Mensch Der größte Feind des Bibers ist die allge- genwärtige Expansion menschlicher Tätig- keit. Genau an dem Ort, wo Rachel sich ihr irdisches Paradies geschaffen hat, plant der auf Ausdehnung bedachte Mensch seine Bauvorhaben. Er wird dabei nicht nur ein paar Bäume vernichten, sondern versiegelt buchstäblich eines der malerischsten Gebie- Abb. 11: Ursprüngliche te an der March - damit er sich dann auf ei- Landschaft an der ner Autobahn schneller und immer schnel- March. ler vorwärts bewegen kann (Abb. 11). Und so können wir vorerst nur hoffen, dass Rachel auch in dieser Lage ausreichend Einsicht und Intuition zeigt und für sich und ihre Nachkommen die Kontinuität ihrer Existenz sichert. Übersetzung aus dem Slowakischen: Mag. Barbara GRABNER Anschrift des Verfassers Mag. Tomas HULIK Istrijska 80 SK 84107 Bratislava Slovakia e-mail:[email protected] [email protected] 177