Michael Tolksdorf, Ein Geld fur Europa Analysen: Politik - Gesellschaft - Wirtschaft Eine Buchreihe, herausgegeben von Gottrik Wewer Band 47 Michael Tolksdorf Ein Geld fur Europa ? Entwicklung und Funktionsweise der Europaischen Wahrungsunion Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 1995 DerAutor: Dr. Michael Tolksdorf, Professor an der Fachhochschule fUr Wirtschaft Berlin ISBN 978-3-663-09853-9 ISBN 978-3-663-09852-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-09852-2 © 1995 by Springer Fachmedien Wiesbaden Urspriinglich erschienen bei Leske + Budrich, Opladen 1995. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge schutzt. Jede Verwertung au.Berhalb der engen Grenzen des Urhe berrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzuliissig und stratbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfliltigungen, Uber setzungen, Mikroverfolmungen und die Einspeicherung und Ver arbeitung in elektronischen Systemen. Inhalt 1. Die Wiihrungsunion a1s politisches und wirtschaftliches Problem ...................................................... 7 1.1 Ein Blick auf das Jahr 2.000 ................................................... 7 a. Europiier gehen einkaufen ................................................. 7 b. Der Zeitplan des Vertrages von Maastricht ..................... 10 c. Was ist iiberhaupt Geld? Und was eine Wiihrung? ....................................................................... 13 d. Die Geldfunktionen ......................................................... 16 1.2 Ein Blick zUrUck - im Zorn! ................................................. 19 a. Goldstandard als intemationales Regelwerk ................... 19 b. Krise der Zwischenkriegszeit.. ........................................ 20 c. Bankenkonkurse .............................................................. 21 d. Lemen aus der Geschichte? ............................................ 22 2. Lemen aus der Geschichte. Die wiihrungspolitische Zusammenarbeit der Europiier .............................................................................. 24 2.1 Kooperation im Intemationalen Wiihrungsfonds (IWF) .................................................................................... 24 a. Globale Abhiingigkeiten ................................................. 24 b. Vertragliche Festsetzungen der Wechselkurse ................ 25 c. Die wechselseitigen Hilfen ............................................. 33 2.2 Die Wechselkurspolitik des IWF scheitert. Die Europiier gehen eigene Wege ......................................... 38 a. Das Festkurssystem des IWF zerbricht. Flexible Wechselkurse .................................................... 38 b. Wiihrungspolitische Kooperation in der EG; die "Wiihrungsschlange" ................................................. 49 c. In Richtung auf Binnenmarkt und Wiihrungsunion: Der "Wemer"-Plan ............................. 53 2.3 Das Europiiische Wiihrungssystem (EWS) ........................... 56 a. Das EWS als System fester Wechselkurse. "Bandbreiten" und "Paritiitengitter" ................................ 56 b. Die Europiiische Wiihrungseinheit ,,ECU" als Korbwiihrung .................................................................. 63 c. Die Regelung der gegenseitigen Hilfe. Interventionsverpflichtungen innerhalb des "EFWZ" .......................................................................... 72 5 d. Die politische Bedeutung der Kurs ,,Realignments": Wer zu split kommt, den bestrafen die Devisenmiirkte .................................... 78 3. Auf der Schwelle zur Wiibrungsunion .............................. 89 3.1 Warum eine Wiihrungsunion? .............................................. 89 a. Probleme des Status Quo .............. '" ............................... 89 b. "Kosten" einer Wlihrungsunion ...................................... 91 c. Vorteile aus einer Wiihrungsunion .................................. 99 d. Der Versuch einer Gesamteinschlitzung ........................ 105 3.2 Der wiihrungspolitische Gehalt des Abkommens von Maastricht '" ................................................................. III a. Ziele und Grundslitze .................................................... III b. Grundlagen der Wirtschaftspolitik ................................ 112 c. Grundlagen der Wlihrungspolitik .................................. 11S 3.3 Entwicklungsstufen zur Wlihrungsunion ............................ 117 a. Die erste Stufe der EWU: Freiheit des Kapitalverkehrs ......................................... 118 b. Die zweite Stufe der EWU: Kooperationen und Institutionen ................................... 120 4. Die Wiihrungsunion wird vollzogen ................................ 128 4.1 Der Pahrplan des Maastrichter Vertrages ............................ 128 a. Der friihzeitige Ubergang zur Endstufe ........................ 128 b. Problematik der Konvergenzkriterien ........................... 130 c. Der endgiiltige Ubergang zur Endstufe ......................... 131 d. Beginn der Endstufe - die EWU wird errichtet ............ 133 4.2 Auseinandersetzungen im Vorfeld - hat die EWU eine Chance? ....................................................................... 136 a. Akzeptanzprobleme ...................................................... 136 b. Machtprobleme ............................................................. 138 c. Probleme bei der Erfiillung der Konvergenzkri- terien ............................................................................. 139 d. Problem des Zeitrahmens .............................................. 143 e. Integrationsprobleme .................................................... 145 S. Eine abscblie8ende Wiirdigung ....................................... 146 Literatur. ................................................................................... 148 6 1. Die Wahrungsunion als politisches und wirtschaftliches Problem 1.1 Ein Blick auf das Jahr 2.000 a. Europiier gehen einkaufen Die sehr realistische Vermutung, daB die Menschen in Europa - genauer gesagt, die Burgerinnen und Burger der Europliischen Union ("EU") - auch nach der lahrtausendwende Einkliufe tliti gen, Spareinlagen abbuchen und Rechnungen im Einzugverfahren bezahlen, ist an sich weder eine Sensation noch ein Grund, diese wirtschaftlichen Transaktionen nliher zu betrachten. Was jedoch ungewohnlich sein konnte, ist das Zahlungsmittel, das dabei ein gesetzt werden wird. Auf der Grundlage des seit dem 1. November 1993 geltenden Rechts soIl bis zu diesem Zeitraum eine in dieser Dimension noch nie vorher getlitigte wlihrungspolitische GroBaktion durchgefiihrt worden sein: Die unter der Voraussetzung erfolgreicher Referen den bei den neuen Mitgliedsstaaten 16 VOlker der EU mit ihren mehr als 350 Millionen Menschen wollen ein einheitliches ge meinsames Geld einfiihren. Es ist wahrscheinlich, daB einige der Mitgliedsstaaten noch nicht "reif' sein werden mitzumachen. Die se haben sich entweder von Anfang an das Recht bescheinigen lassen, sich "herauszuoptieren", oder aber sie werden wegen feh lender Eignung (noch nicht) in der Klub der Lander mit der Ein heitswlihrung zugelassen. Wie dem auch sei, fUr die Europlier der Wlihrungsunion wird sich viel gelindert haben: Lohne und Gehlilter werden in europlii schem Geld ausgezahlt, das als Arbeitstitel die Bezeichnung "ECU" trligt. ECU heiBt zudem seit dem Mlirz 1979 die gemein same "Korbwiihrung" der Mitgliedsstaaten des Europliischen Wlihrungssystems ("EWS"), dem Vorlliufer der Wlihrungsunion. ECU ist einmal die Abkurzung der englischen Bezeichnung fur Europliische Wlihrungseinheit ("European Currency Unit"). Zum anderen hieB eine erstmals 1266 unter Konig Ludwig IX von Frankreich gepriigte Goldmiinze "eeu", die ihren Namen von dem Wappenschild (lat. "scutum") erhalten hatte, das ihre Vorderseite zierte. Diese Bezeichnung klingt noch heute im portugiesischen 7 "Escudo" an. (,,Europa 2000", S. 59) Das war ein den Geldcha rakter unterstreichendes und daher durchaus geplantes Wortspiel bei der Einfuhrung der ECU. Wie auch immer der endgiiltige Name sein wird (vielleicht bleibt man bei ECU - kurz, handlich, ohne Sprachprobleme), die Menschen werden ihre Rechnungen, Mieten und Steuern in ECU zu bezahlen haben. Das konnte beim bargeldlosen Zahlungsver kehr zum Stichtag der Wiihrungsumstellung geschehen; aile Kon ten muBten zu diesem Termin in ECU umbenannt worden, wobei der Wechselkurs der nationalen Wiihrung zum neuen Euro-Geld der maBgebliche Faktor fur den genauen Betmg in ECU war. Die EinfUhrung der ECD's wird niimlich keine "Wiihrungsre form" sein, wie sie (West-)Deutschland am 20.6.1948 und die DDR am 1.7.1990 eriebt hatten, als neues Geld eingefUhrt worden war, urn das alte schlechte zu beseitigen und einen wirtschaftli chen Neuanfang zu ermoglichen. Die EinfUhrung der ECD's wird eher an den vertrauten Umtausch von Reisedevisen erinnern: Man zahlt DM, urn dafUr nach Abzug von Umtauschkosten die franzo sischen Fmncs des Uriaubsgebiets zu bekommen, und zwar zum fur den Verbmucher ungunstigeren Verkaufskurs des Umtauschta ges. Bis auf Gebuhren und Kursgestaltung erhiilt man jedoch den selben Gegenwert fUr sein Geld - und nicht die fUr Wiihrungsre formen typischen AbschHige (1990 erhielt ein DDR-Burger fur 100 DDR-Mark 50 DM, auBerhalb der geringen Quote eines Um tauschs von einer Ost- zu einer Westmark). Das europaische Geld wird somit ohne Wertabschlag eingefUhrt: "Mit der Umtauschak tion selbst sind ... Anderungen im Realwert von Geldforderungen und -verbindlichkeiten, whnen, Renten usw. nicht verbunden. Sie werden lediglich zu den jeweiligen Umtauschkursen in die neue Einheitswiihrung umgerechnet." (Deutsche Bundesbank, 1992, S.56) Mit den ECD's kann man dann direkt im Uriaubsgebiet bezah len; man kann auf der Dienstreise nach Brussel ohne vorherigen Umtausch das Arbeitsessen fur sich und den Gespriichspartner begleichen; die Kreditkartengesellschaft wird den ausmachenden Betrag ohne wechselkursbedingte Veriinderung abbuchen. Auch die Rechnung fUr die in Paris eingekaufte Herrenkollektion wird mit dem gemeinsamen Geld per Uberweisung bezahlt; wegen des gemeinsamen Kapitalmarkts erfolgt die Bezahlung ohne Wechsel kursrisiken und ohne die hohen Sondergebuhren der Banken und langen Laufzeiten fUr Uberweisungen in fremde Wiihrungsgebiete. 8 EG-Wahrung im Urteil deutscher Unternehmen 1989 1992 ~ftJ Gesaml· '~'8% wlr1schalt "'- 34% 12% '5~ 65%., Induslrie ..% 26U 5% 30% 11% Handel (Einze~ und 62% GroBhandel) 15% 38% '31W~ ) Bauhaupl· 45% gewerbe ,~ • sinn"'" !1l vioU.lch, ... .,\I0Il 0 .he, nleN ."'nvo/I ~="-""'" Min 1'le9 undAllgu$l'992 Die Europaer des 1ahres 2.000 konnen Preise und Lohne direkt vergleichen, weil alles in demselben Geld berechnet wird. EU Staaten, die besonders preiswert sind, erhalten damit Wettbe werbsvorsprtinge gegeniiber Landern mit hohen Kosten, was letz tere veranlassen mag, die Rentabilitat des eigenen Wirtschafts standorts wieder herzustellen. Markttransparenz und Wettbewerb werden damit gesteigert. Vielleicht bewegt das die Europaer noch starker als vorher, die Freiziigigkeit innerhalb der EU zu nutzen, wie sie es bisher weitestgehend nur im national en Rahmen getan haben, z.B. in Deutschland als Umzug von einem Bundesland in ein anderes. Dennoch werden viele Erinnerungen an die alten Zeiten nationa len Geldes wachbleiben: 1m 1ahre 2.000 wird die (noch einzu richtende) Europiiische Zentralbank ("EZB") ECU-Banknoten noch nicht in ausreichender Menge bereitstellen konnen, so daB die alten nationalen Geldscheine weiter im Umlauf bleiben und von den Geschaften in ECU's umgerechnet werden. Ganz hoff nungslos wird es bei den Miinzen sein: Hier wird es wohl ein 1ahrzehnt dauern, bis ausreichend ECU-Miinzen vorhanden sind 9