Annemarie Diihrssen Dynamische Psychotherapie Ein Leitfaden fUr den tiefenpsychologisch orientierten Umgang mit Patienten Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York London Paris Tokyo Prof. Dr. med. Annemarie Diihrssen BarstraBe 24 A, 0-1000 Berlin 31 ISBN-13:978-3-540-19240-4 e-ISBN-13:978-3-642-73669-8 DOl: 10.1 007/978-3-642-73669-8 CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek DUhrssen, Annemarie: Dynamische Psychotherapie : e. Leitf. fUr d. tiefenpsycholog. orlentierten Umgang mit Patienten I Annemarie DUhrssen. - Berlin; Heidelberg; New York; London; Paris; Tokyo: Springer, 1988 ISBN-13 :978-3-540-19240-4 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschUtzt. Die dadurch begrUndeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdrucks, des Vortraga, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfliltigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vervielfiltigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einze!fall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmung des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland yom 9. September 1965 in der Fassung yom 24. Juni 1985 zUliissig. Sie ist grundsiitzlich vergUtungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. @ Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1988 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in dies em Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, daB solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden dUrften. Gesamtherstellung: Druckhaus Beltz, HemsbachIBergstra& 2119/3140-543210 Inhaltsverzeichnis Zur Einfiihrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Dynamische Psychotberapie: Konzeption und Indikation . . . . . . . . . . . . . . 1 Epidemiologische Daten zur IDiufigkeit von Neurosen . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Die Schwere der neurotischen Erkrankungen und die gewahlten Behandlungsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Spezij"lSche Elemente der Dynamischen Psychotherapie ................ 10 Die Wirkkrafte in den verschiedenen Psychotherapieverfahren ' . . . . . . . . . 10 Allgemeine Grundregeln ffir den Ablauf der Dynamischen Psychotherapie .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Spezifische Elemente im therapeutischen Dialog .................... 23 Neurosenpsychologie und Fachjargon: Sprache in Denken und Handeln .................................................... 33 Der Therapeut und der Patient. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Die Pers~nlichkeit des Therapeuten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 Die Pers~nlichkeit des Patienten ................................. 43 Die neurotischen Reaktionsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Die IdentitiU .............................................. 45 Die Schwerpunkte des Lebens ................................ 50 Die inneren Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Die therapeutische Beziehung ................................... 55 VI Inhaltsverzeichnis Die Praxis 60 Fonnale Charakteristika des therapeutischen Gespriichs . . . . . . . . . . . . . . . 60 Kategorisierung der therapeutischen Interventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 Klltren, Verstehen, Gefiihle in Worte kleiden, Aufzeigen, Deuten, Zusarnmenhlinge herstellen ..................................... 65 Gefiihlsnuancen bei Rivalitlitserleben mit Geschwistem, Bruderiibertragung ......................................... 65 Affektverschiebung, Projektion, Verdriingung, Zwangssymptomatik (Mordimpulse gegen die eigenen Kinder) . . . . . . 70 Kampf mit dem eigenen Uber-Ich; aggressive Mutteriibertragung, selbstkonstellierte neurotische Beziehungsschwierigkeiten ......... 74 Selbstkonstelliertes Lebensungliick, Schwestemiibertragung auf Ehefrau, Verleugnen, Extemalisieren, neurotische Idealbildung . . . . . . 76 Aggressive MiBtrauenshaltung, selbstkonstellierte Schicksalslage, negative Mutteriibertragung auf die Therapeutin und weibliche Bezugspersonen ........................................... 79 Manifeste weibliche Homosexualitlit, Extemalisieren, Verdrangen, Verleugnen; Affektverschiebung (auf den Ehemann verschobene Selbstverachtung) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 Gravierende Lemschwierigkeiten, Vateriibertragung auf wichtige mannliche Bezugspersonen, verdrangter MutterhaB, latente Homosexualitlit beim Mann ........................... 87 Orale Problematik urn Besitz, Einkommen, Schulden, Verpflichtungen; orale Liicken und Gehemmtheiten, Ausweichen in "Fluchtkonsum" .. 92 Das Unterstiitzen von Lemprozessen beim Patienten ................. 98 Wahmehmungsleistungen ................................... 98 Wahmehmungsliicken und Wahmehmungsverformungen .......... 99 Soziale Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 Therapeutische Hilfestellung bei Lemleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Entscheidungshilfen bei normalen, antinomischen, tragischen und ne.urotischen Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 Normale Konflikte ......................................... 114 Inhaltsverzeichnis VII Antinomische Konflikte .................... . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 Tragische Konflikte ........................................ 116 Neurotische Konflikte ...................................... 116 Existentielle Krisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Schluflwort: Psychoanalyse unil Verhaltenstherapie ................... 120 Literaturverzeichnis ............................................. 127 Namenverzeichnis .. .. ...... .. ............ ...... .. ........... .. .. 142 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 Zur Einfiihrung Dynamische Psychotherapie: Konzeption und Indikation Am 1. Oktober 1987 sind die neuen Richtlinien des Bundesausschusses der Ante und Krankenkassen in Kraft getreten, die die psychotherapeutische Versorgung der BevOl kerung im kassenarztlichen Bereich regeln sollen. Z wanzig Jahre nach der Neueinfiihrung dieser Richtlinien und 10 Jahre nach ihrer ersten Uberarbeitung wurde nochmals eine Vedlnderung notwendig, urn wesentliche Entwicklungen im Bereich der Psychotherapie zu beriicksichtigen: Die Verhaltens therapie sollte als bewfihrte psychotherapeutische Methode in die kassenarztliche Versorgung eingefiihrt werden. Bestimmte tiefenpsychologisch orientierte Verfah ren, die sich nach Konzeption und praktischer arztlicher Tfitigkeit zu eigenstfuldigen Anwendungsformen entwickelt hatten, muBten benannt und herausgearbeitet werden. Zu ihnen geh6rten die "Dynamische Psychotherapie", die "Fokaltherapie", die "Kurz therapie" sowie die "lfingerfristige, haltgewfihrende Psychotherapie". Das vorliegende Buch ist der Dynamischen Psychotherapie gewidmet, deren spe zifische Eigenarten ich bereits 1972 in einem ersten Ansatz zu konzeptualisieren suchte, urn sowohl dem lernenden wie dem erfahrenen Therapeuten eine theoretische Grundlage ffir seine therapeutische Tfitigkeit, fUr Gedankenaustausch und ffir weiter fiihrende Diskussionen zu schaffe n. Inzwischen ist freilich eine umfassende Differen zierung notwendig geworden. Der seinerzeit von mir aufgenommene Begriff der ,,Dynamischen Psychotherapie" war auch im angelsfichsischen Raum schon lfingere Zeit gebrnuchlich und wurde dort meist recht global ffir alle jene Psychotherapieformen herangezogen, bei denen der Behandler die unbewuj3te Dynamik seiner Patienten mit den zugeh6rigen pathogenen Folgen zu verstehen und therapeutisch zu beeinflussen suchte. Dem BundesausschuB der Ante und Krankenkassen und seinen Sachverstfuldigen habe ich im Verlauf der 4j fibrigen Beratungen, die ffir die Erarbeitung der neuen Richt linien ben6tigt worden, auf Wunsch eine geraffte Darstellung formuliert, die die we sentlichen Elemente der Dynamischen Psychotherapie im Vergleich zu anderen Psy chotherapieformen beschreiben sollte. Diese erlliuternde Kurzfassung lautete: Die Dynamische Psychotherapie berticksichtigt die pathogen wirksamen, unbewuBten seeli schen Vorgange des erkrankten Patienten im Zusammenhang mit der zugehOrigen lebensge schichtlichen Entwicklung und den sekundaren neurotischen Reaktionsmustem, die in ihrem 2 Zur Einfilhrung Zusammenwirken zu k1inischen Krankheitszeichen, zur Schiidigung von zwischerunenschli chen Beziehungen und zu krankhaften Handlungsabliiufen geftihrt haben. Es handelt sich urn eine dialogische Therapie, bei der das pathogen bedeutungsvolle Erleb nismaterial des Patienten sowohl im freien Einfall wie durch stimulierende und klarende Fragen der therapeutischen Bearbeitung zuganglich gemacht wird. Bei sehr flexiblem Arrangement hinsichtlich der Dichte der angesetzten Behandlungsstunden werden den Patienten - trotz be grenzter Stundenzahl-die notwendigenZeiten filr Reifung und Umstellung bis zurn AbschluB der Therapie gelassen. Kurzfristige regressive Vorgange und aufkommende "Obertragungsreak tionen werden dabei gleichermaBen genutzt. Von dieser kl1rzgefaBten Beschreibung k<>nnte freilich der 1. Abschnitt auch filr die Psychoanalyse gelten. Der im 2. Absatz beschriebene Stil des therapeutischen Umgangs hingegen ist ffir die Dynamische Psychotherapie spezifisch (Diihrssen 1972). Die Dynamische Psychotherapie hebt sich in dieser Hinsicht ebenso deutlich von der Psychoanalyse ab wie von jenem Beratungsverfahren, das Rogers in den USA entwiekelt hat und das sich in Deutschland unter dem Namen "Gesprachspsychothe rapie" eingebfirgert hat (Rogers 1942; Tausch 1968). Natiirlich bestehen ebenso deut liche Unterschiede zu allen therapeutischen Strategien, die unter dem Sammelbegriff "Verhaltenstherapie" beschrieben werden. Nach Meinung vieler Autoren ist die Dynamische Psychotherapie zur Zeit jene Be handll1ngsform, die in den arztliehen Praxen der Bundesrepublik Deutschland am Mu figsten angewandt wird. Tatsachlich sind ihre Vorziige groB: Sie ist der Konzeption nach flexibel und der Situation der Patienten, ihren Lebens urn standen und ihren Innenbefindlichkeiten angepaBl Sie ist ffir Jugendliche und junge Erwachsene ebenso geeignet wie ffir die Patienten "jenseits der Lebensmitte". Si e braucht nieht am Schichtdienst der Patienten zu scheitern, kann Risikosituationen durch haufige Termine auffangen oder dem aufkommenden Bediirfnis der Patienten nach Verselbstandigung durch eingelegte Therapiepausen Rechnung tragen. Geschadigte zwischenmenschliehe Beziehungen rUcken bei dieser Behandlungs methode ebenso in das Blickfeld des therapeutischen Interesses wie jene seelischen Fesseln, die die Bewaltigung der Alltagsverpflichtungen des Menschen in Haushalt oder Beruf einschranken, die seine ,.Funktionslust" mindern oder der Schulung und Fortentwicklung jener Fahigkeiten entgegenstehen, aus denen das schOpferische Po tential eines Menschen erwachst. Die Dynamische Psychotherapie istauch nicht darauf angewiesen, daB dem Patien ten noeh ein bestimmtes - relativ hohes - MaS an ,,Jch-Starke" erhalten geblieben ist. Aueh oder gerade jene Pers<>nlichkeiten, die durch die psychoanalytische Standard methode in Gefahr geraten wfirden, zu dekompensieren, k<>nnen mit der Dynamischen Psychotherapie eine wesentliche Hilfe erfahren. Ein gleiehes gilt ffir Patienten mit sog. Verwahrlosungsziigen, bei denen die Unverbindlichkeit der Lebensfiihrung und der Kontaktnahme in Widersprueh gerat zu den verbindliehen Abmachungen des Be handlungsplans, die bei der analytischen Gruppenpsychotherapie ebenso notwendig werden wie bei der klassischen Psychoanalyse. Die Dynamische Psychotherapie kann bestimmte Vorziige anderer psychoanalyti scher Therapieformen gewiS nicht ersetzen. Zum Beispiel bietet sie nicht das Modell- Dynamische Psychotherapie: Konzeption und Indikation 3 lemen, das einem Patienten in der Gruppensituation erm6glicht wird. Auch bietet sie nieht die Chance einer tiefen und anhaltenden Regression, die fiir die Gesundung einer bestimmten Patientengruppe wichtig erscheint und die nur im Verlauf einer Uingerfri stigen Psychoanalyse durchlebt werden kann. Andererseits sind - wie gesagt - ihre Vorziige groB: Abgesehen von der M6glich keit, auch jene Patienten zu fijrdem, deren Krankheitsbild nieht in den Indikationsbe reich der klassischen Psychoanalyse oder der analytischen Gruppentherapie fallt, kann sie in den IDlnden eines niedergelassenen Arztes zur Methode der Wahl werden, wenn Patienten eine psychotherapeutische Behandlung ben6tigen und zugleich durch langjahriges Vertrauen ihrem behandelnden Arzt gegeniiber motiviert wfu"en, regel maBig zu weiteren Gespriichen zu kommen. DaB sie auch fiir den niedergelassenen Psychoanalytiker und Psychotherapeuten eine Behandlungsmethode darstellt, die nicht ersetzbar ist und die in ihrem Wert kaum iiberscMtzt werden kann, brauche ich nicht hinzuzufiigen. Ebenso k6nnte sie in den Ambulanzen universititrer Einrichtungen eine sehr bevorzugte Methode sein, da sich auch dort die Versorgung der Patienten meist aus dem ersten anamnestischen Ge spriich ergibt und in der Verantwortung des erstuntersuchenden Arztes bleiben soUte. Es ist ja bekannt, welche groBen Nachteile dem Patienten z.Z. daraus erwachsen, daB in der Bundesrepublik Deutschland zwar die verschiedensten Ante oder klini schen Einrichtungen im Bereich der Psychotherapie soweit tiitig werden, daB sie die Indikation zur Psychotherapie stellen und auch die entsprechenden therapeutischen Empfehlungen abgeben. DaB die Patienten dann aber mit betriichtlichen organisatori schen Hindemissen kiimpfen miissen, wenn sie den erhaltenen RatschIagen folgen wollen. Besteht doch gegenwi\rtig noch ein sehr unbefriedigendes MiBverMltnis zwischen der Zahl jener Ante, die bereits die Indikation zu einer psychotherapeutischen Be handlung steUen, und der Zahl der ausgebildeten Therapeuten, deren Berufsumstiin de die Versorgung einer geniigend groBen Zahl von Patienten erlauben. Sehr Mufig kann man vorhersehen, daB depressive Patienten nicht in der Lage sein werden, sich auf die beschwerliche S uche nach einem Behandlungsplatz bei einem (ihnen meist unbekannten) Behandler zu machen. Auch sehr junge und unbeholfene Patienten rmden sich in den gegenwi\rtig gegebenen organisatorischen Strukturen der psychotherapeutischen Versorgung nicht immer leicht zurecht Ganz zu schweigen von den zwiespiiltigen Patienten, die keine eindeutige Verkniipfung zwischen ihrer Kl>rperkrankheit und ihrer seelischen Verfassung erleben und die jede Vermutung in bezug auf die Psychogenese ihrer Krankheitszeichen mit dem Verdacht auf Simula tion verwechseln. In diesem Buch sollen die wesentlichen Elemente des therapeutischen Geschehens bei der Dynamischen Psychotherapie dargelegt werden. Dafiir ist eine einfiihrende Diskussion der theoretischen Voraussetzungen eben so notwendig wie die Beschrei bung der wichtigsten Elemente, die die Gesprachsfiihmng und den Gesprachsstil aus machen. Fiir den Leser wird es dabei hilfreich sein, wenn er die allgemeinen Grund regeln fiir das Verfahren in einem ersten Teil tindet, urn dann im zweiten praktischen Teil die konkreten Beispiele nachlesen zu k6nnen. 4 Zur EUrl'Uhrung Zuvor seien abernoch einige Angaben zur Epidemiologieder Neurosen aufgefiibrt und auch die Zusammenhllnge zwischen der Schwere der Erkrankung eines Patienten und der gewahlten therapeutischen Methode erOrtert. Epidemiologiscbe Daten zur Haufigkeit von Neurosen Die mdiche oder auch die kassenmtliche Versorgung von Patienten mit psychoge nen Erkrankungen blieb fiber Jahre hinweg ein AuGerst strittiges Thema Verffigen wir doch noch nicht a11zulange fiber einigermaBen verlli6liche Daten, die die IDlufigkeit und Verteilung von Neurosen in der BevOlkerung betreffen. 1m deutschen Sprach raum verdanken wir erste wichtige empirische Erhebungen jenen Forschem, die ihre Beobachtungen aufd ie Klientel des niedergelassenen Allgemeinarztes konzentrierten (S trotzka 1969; Zintl-Wiegand et a1. 1978; Dilling et a1. 1984). Diese Autoren fanden unter den Patienten des Allgemeinarztes 20 - 30 % Kranke, die mit psychogenen Syn dromen behaftet waren. Die entscheidende Bedeutung des Allgemeinarztes fOr den Krankheitsverlauf bei den psychoneurotisch erkrankten Patienten wurde durch diese Studien besonders deudich. Einen gAnzlich sicheren RfickschluB auf die allgemeine Hiiufigkeit von neurotischen Erkrankungen in der Bevolkerung (die sog. Priivalenz rate) erlaubten diese Studien allerdings noch nichL Lediglich die Untersuchung von Dilling ergab Hinweise, als er die neurotischen SWrungen in der GesamtbevOlkerung am Beispiel von 3 oberbayerischen Landgemeinden untersuchte. Wie Schepank 1987 ausfilhrte, sind die methodischen Schwierigkeiten, die der Er mittIung der Pdlva1enzraten psychogener Erkrankungen in der BevOlkerung entge genstehen, auGerordentIich gro8. Nor mit Hinblick auf diese Schwierigkeiten sei es zu verstehen, daB die Angaben in der Weltliteratur zum Vorkommen psychogener SW rungen in der BevOlkerung fast zwischen 0 und fiber 80 % schwankten. Methodisch anspruchsvolle und damit verlA8liche Untersuchungen der vergangenen Jahrzehnte stimmen a1lerdings inzwischen mitdem Befund fiberein, nach dem etwa 15 - 20 % der a1lgemeinen BevOlkerungan psychogenen Syndromen leiden. Schepankselbsthatzu sammen mit seinen Mitarbeitem eine umfangreiche epidemiologische Studie vorge legt, die mit Hilfe von methodisch AuBerst sorgfiUtig vorbereiteten Untersuchungen die IDlufigkeit von Neurosen in einer StadtbevOlkerung priifte (Schepank 1987). Vergleichen wir in diesem Zusammenhang einma1 die PrAvalenzraten (Punktpra va1enzraten) fUr psychoneurotische und psychosomatische Erkrankungen mit deQ PrAva1enzraten fOr Schizophrenien, endogene Psychosen und Alkohol-oder Sucht krankheiten, dann ergibt sich zurutchst folgendes Bild (nach Schepank 1987): Schizophrenien ca 0,3 - 0,4 % endogene Depressionen ca 1,3 - 3,5 % Alkohol-und Suchtkrankheiten (24 % der BevOlkerung trinken) ca. 2,0 - 3,0 % Psychoneurosen ca 7;1% psychosomatische Erkrankungen ca. 11,3 %