Stefan Vöth Dynamik schwingungsfähiger Systeme Aus dem Programm Technische Mechanik Klausurentrainer Technische Mechanik I-III von J. Berger Lehrsystem Technische Mechanik mit Lehrbuch, Aufgabensammlung, Lösungsbuch sowie Formeln und Tabellen von A. Böge und W. Schlemmer Vieweg Handbuch Maschinenbau herausgegeben von A. Böge Technische Mechanik mit Mathcad, Matlab und Maple von G. Henning, A.Jahr und U.Mrowka Technische Mechanik.Statik von H. A.Richardund M. Sander Technische Mechanik. Festigkeitslehre von H. A.Richard und M. Sander vieweg Stefan Vöth Dynamik schwingungsfähiger Systeme Von der Modellbildung bis zur Betriebsfestigkeitsrechnung mit MATLAB/SIMULINK® Mit 142 Abbildungen Studium Technik Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage September 2006 Alle Rechte vorbehalten ©Friedr.Vieweg & Sohn Verlag |GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat:Thomas Zipsner DerVieweg Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vieweg.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbe- sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung:Ulrike Weigel, www.CorporateDesignGroup.de Druck und buchbinderische Verarbeitung: Wilhelm &Adam, Heusenstamm Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Germany ISBN-10 3--8348-0111-9 ISBN-13 978-3--8348-0111-1 V Vorwort Entwicklungszeiten werden heute zunehmend kürzer. Grundlegend ist dies durch den Willen bedingt, Produkte möglichst schnell auf den Markt zu bringen und damit auch maximal das Umsatzpotential auf dem Markt abzuschöpfen. Zudem versprechen kurze Entwicklungszeiten auch einen geringeren Entwicklungsaufwand. Um diese kurzen Entwicklungszeiten umzusetzen, muss der gesamte Entwicklungsprozess möglichst optimal ablaufen. Dies bedeutet insbesondere, Fehlentwicklungen möglichst frühzei- tig zu erkennen und zu korrigieren. Dabei ist das Risiko ungewünschter dynamischer System- eigenschaften im Steigen begriffen. Trends wie Gewichtseinsparung, steigende Arbeitsge- schwindigkeiten, zunehemende Prozessdynamik und wachsender Qualitätsanspruch lassen bisher akzeptierte Lösungen nicht mehr zu. Ein Schlüssel zur Reduktion der Entwicklungszeiten im Zeichen dieser Trends liegt in der virtuellen Produktentwicklung. Durch rechentechnische Untersuchung der Produkteigenschaf- ten anhand von Modellen können diese frühzeitig erkannt und gesteuert werden. Damit können dem endgültigen Produkt mit hoher Wahrscheinlichkeit die gewünschten Eigenschaften verlie- hen werden. Mit den nachfolgend dargestellten Inhalten werden Methoden vorgestellt, die die Analyse des dynamischen Verhaltens mechanischer Systeme ermöglichen. Im Wesentlichen wird auf diskrete Modelle eingegangen. Diese haben eine weit reichende Aussagekraft, sind in der Regel relativ einfach aufzubauen und auch mathematisch zu behan- deln. Die sich ergebenden Gleichungssysteme werden meist durch numerische Integration gelöst. Hierdurch ist auch die Berücksichtigung von nichtlinearen Systemeigenschaften und von komplexen, zeitlich veränderlichen Lasten kein Problem. Umfangreiche Modelle aufzubauen ist oft einfach. Weitgehend problematischer ist die Inter- pretation der aus diesen Modellen resultierenden Ergebnisse. Deshalb wird der Frage eines möglichst einfachen Modells Aufmerksamkeit geschenkt. So werden die Fragen behandelt, wie viele diskrete Massen tatsächlich für eine Abbildung sinnvoll sind, welche Konsequenzen die Annahme von Dämpfungsfreiheit hat und worin der Übergang zu einem starren System mün- det. Die Lösung der hier behandelten Themen hat zum Teil einen erheblichen rechentechnischen Aufwand zur Folge. Zweckmäßig ist es, diesen einer geeigneten Software zu übertragen. Hier kommt dafür die Software MATLAB/SIMULINK® zum Einsatz, ein Werkzeug, das sich für viele mathematisch-naturwissenschaftlich-technischen Anwendungen in der Praxis zu einem Standard entwickelt hat. Zu allen Beispielen des Buches können die zugehörigen Dateien unter www.applieddesign.de im Verzeichnis Veröffentlichungen herunter geladen werden. Die Berechnung von Schwingungen setzt die Anwendung bestimmter mathematischer Metho- den voraus, die nicht immer ausreichend präsent sind. Deshalb werden Aspekte wie Matrizen- rechnung, Komplexe Zahlen und Numerische Integration in dem hier erforderlichen Umfang kurz vorgestellt. Um die Lesbarkeit des Buches zu gewährleisten, sind diese Punkte im „An- hang: Mathematische Methoden“ zusammengefasst. Ziel dieses Buches ist es zunächst, wesentliche Grundlagen der Dynamik diskreter Systeme darzustellen. Darauf aufbauend wird anhand von Beispielen die praktische Anwendung dieser Kenntnisse aufgezeigt. Besondere Beachtung findet dabei die Bearbeitung der Aufgaben und die Interpretation der Ergebnisse. Durch diese durchgängige Darstellung wird der Leser mög- lichst schnell in die Lage versetzt, eigene Fragestellungen anzugehen und zu lösen. Mit seinem Inhalt richtet sich das Buch an Studierende des Maschinenbaus und des Bauingeni- eurwesens. Angesprochen sind dabei u.a. Hörer von Veranstaltungen wie Antriebstechnik, Fördertechnik, Konstruktion, Maschinendynamik oder Baudynamik. Die durchgängige Darstel- VI lung der Thematik ermöglicht es den Studierenden, alle Schritte der Bearbeitung von Aufgaben nachzuvollziehen und zu erarbeiten. Der an der Praxis orientierte Zugang macht das Buch allerdings auch für Ingenieure in Unternehmen interessant, die sich mit der Entwicklung und Konstruktion von Produkten befassen und dabei Schwingungen zu behandeln haben. Hier bietet das Buch einen schnellen Zugang, der eine zielgerichtete Behandlung von Praxissituatio- nen im industriellen Umfeld ermöglicht. Ich freue mich, wenn Ihnen dieses Werk bei Ihren Aufgaben weiterhilft. Die Inhalte sind nach bestem Wissen ausgearbeitet. Trotzdem ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass die Darstellun- gen im Einzelfall nicht eindeutig oder gar unkorrekt sind. Insofern bin ich für entsprechende Hinweise an den Verlag dankbar. Eine Haftung für die Inhalte und deren Anwendung kann nicht übernommen werden. Abschließend bedanke ich mich bei allen, die zur Erstellung des Buches beigetragen haben. Besonders erwähnen möchte ich dabei die erfreuliche, konstruktive Zusammenarbeit mit dem Lektor, Herrn Zipsner. Velbert im Juli 2006 Stefan Vöth VII Inhalt 1 Einführung..........................................................................................................................1 1.1 Schwingungserscheinungen in der Technik..............................................................1 1.2 Klassifikation der Systeme........................................................................................3 1.3 Mathematische Beschreibung...................................................................................5 1.3.1 Beispiel: Allgemeiner Schwingungsvorgang................................................8 1.4 Harmonische Analyse...............................................................................................9 1.5 Lissajous Figuren....................................................................................................11 2 Systemparameter..............................................................................................................14 2.1 Allgemeines............................................................................................................14 2.2 Massen....................................................................................................................14 2.3 Steifigkeiten .........................................................................................................16 2.3.1 Beispiel: Ermittlung der Ersatzsteifigkeit...................................................18 2.4 Dämpfungen............................................................................................................20 2.5 Parameterbestimmung.............................................................................................23 2.6 Systemvereinfachung..............................................................................................23 2.7 Maxwell-Element....................................................................................................24 2.8 Kelvin-Voigt-Element.............................................................................................25 3 Einmassenschwinger.........................................................................................................28 3.1 EMS ohne Dämpfung, ohne Anregung...................................................................28 3.1.1 Beispiel: Zeitverläufe Einmassenschwinger...............................................30 3.1.2 Beispiel: Einmassenschwinger unter Schwerkrafteinfluss..........................33 3.1.3 Energieerhaltung schwingender Systeme....................................................34 3.1.4 Beispiel: Energieinhalt Einmassenschwinger..............................................36 3.1.5 Beispiel: Pendel...........................................................................................37 3.2 EMS mit Dämpfung, ohne Anregung.....................................................................40 3.2.1 Coulomb´sche Reibung...............................................................................40 3.2.2 Beispiel: Coulomb´sche Reibung................................................................45 3.2.3 Viskose Reibung.........................................................................................49 3.2.4 Beispiel: Variation des Lehr’schen Dämpfungsmaßes................................52 3.2.5 Beispiel: Gedämpfter Pendelstab................................................................56 3.3 EMS ohne Dämpfung, mit Kraftanregung..............................................................59 3.3.1 Beispiel: Auswuchten starrer Rotoren.........................................................63 3.4 EMS mit Dämpfung, mit Kraftanregung.................................................................66 3.5 EMS mit Weganregung...........................................................................................70 3.5.1 Beispiel: Fahrwerk eines Automobils.........................................................74 4 Mehrmassenschwinger.....................................................................................................79 4.1 Differentialgleichungssystem..................................................................................79 4.2 Reduktion auf erste Ordnung..................................................................................81 4.3 Numerische Lösung des DGL-Systems..................................................................82 4.3.1 Beispiel: Zeitbereichsanalyse eines Fahrwerks...........................................86 4.4 Tilgung....................................................................................................................93 4.5 Fundamentlasten.....................................................................................................96 4.6 Eigenverhalten........................................................................................................97 VIII 4.7 Frequenzgang........................................................................................................101 4.7.1 Beispiel: Verhalten eines Antriebsstrangs.................................................103 4.7.2 Beispiel: Frequenzbereichsanalyse eines Fahrwerks.................................107 5 Starrkörperkinetik.........................................................................................................119 5.1 Spezielle Systemvereinfachungen.........................................................................119 5.1.1 Beispiel: Antriebsstrang eines Ventilators................................................119 6 Modale Analyse...............................................................................................................133 6.1 Skalare Schreibweise............................................................................................133 6.2 Matrizenschreibweise............................................................................................138 7 Betriebsfestigkeitsrechnung...........................................................................................144 7.1 Konzept.................................................................................................................144 7.2 Beanspruchung......................................................................................................144 7.2.1 Klassierverfahren......................................................................................145 7.3 Beanspruchbarkeit.................................................................................................145 7.4 Nachweis...............................................................................................................147 7.4.1 Beispiel: Dynamische Festigkeitsrechnung...............................................148 7.5 Regelwerke...........................................................................................................155 8 Anhang: Mathematische Methoden..............................................................................156 8.1 Lösung linearer Gleichungssysteme......................................................................156 8.2 Matrizenrechnung.................................................................................................156 8.3 Reduktion der Ordnung von Differentialgleichungen...........................................157 8.4 Numerische Integration.........................................................................................158 8.5 Komplexe Zahlen..................................................................................................160 9 Anhang: Quelldateien.....................................................................................................162 9.1 Wurfbahn einer Punktmasse.................................................................................162 9.2 Auslenkung eines Pendels.....................................................................................162 9.3 Allgemeine periodische Funktion.........................................................................162 9.4 Allgemeiner Schwingungsvorgang.......................................................................163 9.5 EMS ohne Dämpfung, ohne Last..........................................................................163 9.6 Nichtlineares Pendel.............................................................................................165 9.7 EMS mit Coulomb´scher Reibung, ohne Last.......................................................165 9.8 EMS mit viskoser Dämpfung, ohne Last..............................................................167 9.9 EMS ohne Dämpfung, mit harmonischer Last......................................................168 9.10 EMS mit viskoser Dämpfung, mit harmonischer Last..........................................169 9.11 EMS mit viskoser Dämpfung, mit Wegerregung..................................................170 9.12 Fahrwerk eines Automobils..................................................................................170 9.13 Mehrmassenschwinger..........................................................................................171 9.14 Tilger.....................................................................................................................173 9.15 Frequenzgangmatrix..............................................................................................173 9.16 Modale Analyse....................................................................................................174 9.17 Fahrzyklus.............................................................................................................175 9.18 Antriebsstrang bei elastischer Modellierung.........................................................175 9.19 Antriebsstrang bei starrer Modellierung...............................................................179 9.20 Verhalten eines Antriebsstrangs............................................................................182 IX 9.21 Frequenzbereichsanalyse eines Fahrwerks............................................................182 9.22 Künstlich konstruierter Spannungsverlauf............................................................196 Quellen....................................................................................................................................198 Formelzeichen, Indizes und Abkürzungen..........................................................................199 Literatur.................................................................................................................................201 Regelwerke.............................................................................................................................203 Stichwortverzeichnis.............................................................................................................205 1.1 Schwingungserscheinungen in der Technik 1 1 Einführung In diesem Kapitel werden die grundlegenden Begriffe zur qualitativen und quantitativen Be- schreibung von Schwingungserscheinungen eingeführt. Sie sind anschließend mit folgenden Punkten vertraut: (cid:131) Schwingungen als Sonderfall der Dynamik (cid:131) Klassifikationsmerkmale (cid:131) Amplitude (cid:131) Frequenz bzw. Kreisfrequenz (cid:131) Phasenverschiebung (cid:131) Harmonische Analyse (cid:131) Lissajous-Figuren Das Verständnis für diese Punkte ermöglicht, die verschiedensten praktischen Schwingungser- scheinungen einzuordnen. Mit Hilfe der dargestellten Grundlagen können Schwingungen durch wesentlichen Parameter beschrieben werden. Darüber hinaus ist die anschauliche grafische Darstellung von Schwingungserscheinungen möglich. 1.1 Schwingungserscheinungen in der Technik Schwingungen sind eine besondere Form der Zustandsveränderung dynamischer Systeme. Im Allgemeinen müssen dynamische Systeme zu keinem Zeitpunkt wieder den Zustand einneh- men, den sie bereits zu einem vorherigen Zeitpunkt bereits einmal eingenommen haben. In der Regel ist es sogar eher schwierig, einen einmal dagewesenen Zustand zu reproduzieren. Ein Beispiel hierfür ist der reibungsfreie Flug einer Punktmasse in einer vertikalen Ebene (Bild 1-1). Nach dem Abschuss mit einer Geschwindigkeit von v = 10 m/s in einer Höhe von h = 10 m nimmt das Wurfobjekt nie wieder die gleiche Position in der Ebene ein. Dies ist allein schon durch die Tatsache bedingt, dass infolge einer konstanten Horizontalgeschwindigkeit die horizontale Lage stetig zunimmt.