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Dynamik der globalen Krise PDF

187 Pages·1986·6.33 MB·German
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Samir Amin· Giovanni Arrighi Andre Gunder Frank· Immanuel Wallerstein Dynamik der globalen Krise Samir Amin· Giovanni Arrighi Andre Gunder Frank· Immanuel Wallerstein Dynatnik der globalen Krise Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Übersetzt von Follur Fröbe! (Beitrag von Samir Amin) und Johannes D. Hengstenberg (Beiträge von Giovanni Arrighi, Andre Gunder Frank, Immanuel Wallerstein). Titel der amerikanischen Originalausgabe: "Dynamics of Global Crisis" Monthly Review Press Alle Rechte vorbehalten © 1986 Springer Fachmedien Wiesbaden Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen 1986 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Ur heberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt Satz: Künzel, München ISBN 978-3-531-11678-5 ISBN 978-3-663-16284-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-16284-1 Vorwort zur deutschen Ausgabe Zustand und Entwicklung des Weltsystems geben derzeit genügend Anlaß, von Krisen oder auch von der Krise zu sprechen. Es liegt auf der Hand, wie wichtig eine Analyse dieser Krise, ihrer Ursachen und ihrer Folgen ist. Die vier Autoren dieses Buchs bringen uns diesem Ziel ein gutes Stück näher, im Dialog miteinander, aber auch mit unterschiedlichen Einschätzungen und politischen Schlußfolgerungen. Um es auch hierzulande Lesern zu ermöglichen, diese Diskussion kennenzulernen, hat sich das Starnberger Institut zur Eiforschung globaler Strukturen, Entwicklungen und Krisen e. V. um eine deutschsprachige Ausgabe bemüht und ist dem west deutschen Verlag rür die Veröffentlichung dankbar. Der Beitrag von Samir Amin wurde aus dem französischen Originaltext von Folker Fröbe!, die übrigen Beiträge wurden aus dem Englischen vonJohannes D. Hengstenberg übersetzt. Der gesamte Text wurde vom Unterzeichneten durchgesehen. Starnberg, 1. Mai 1984 Jürgen Heinrichs Inhalt Einleitung: Gemeinsame Prämissen 1 Immanuel Wallerstein Krise als Übergang 4 1. Die Prozesse des Systems 4 2. Die strukturellen Schranken der Erneuerung 12 3. Staaten, Völker und Klassen 14 4. Widerstand gegen das kapitalistische Weltsystem 17 5. Die Entfaltung der Krise 20 6. Aussichten für die achtziger Jahre 27 7. Das Resultat des Übergangs 32 Giovanni Arrighi Eine Krise der Hegemonie 36 1. Die Definition der Krise 36 1.1. Die Pax Americana: Formelle und inhaltliche Aspekte 37 1.2. Der Niedergang der USA als imperialer Ordnungsmacht 39 1.3. Die Krise der inhaltlichen Aspekte US-amerikanischer Hegemonie 44 2. Die Wurzeln der Krise 47 2.1. Ungleiche Entwicklung 48 2.2. Transnationale Expansion des Kapitals und perverses Preisverhalten 51 2.3. Die Entwicklung der Verhandlungsmacht der Arbeiter am Arbeitsplatz 56 3. Szenarien für die achtziger Jahre 62 3.1. Eine Renaissance interimperialistischer Rivalität? 63 3.2. Eine politische Lösung der Krise? 67 3.3. Die achtziger Jahre und die Zeit danach 74 Andre Gunder Frank Krise der Ideologie und Ideologie der Krise 76 1. Einführung in die Krise 76 2. Krise im Weltsystem 79 3. Krise im Westen 83 4. Krise in der Dritten Welt 93 5. Krise im Osten und der Sozialismus 101 6. Nationalismus versus Sozialismus 117 SamirAmin Krise, Sozialismus und Nationalismus 118 1. Der Weg in die Krise 121 2. Der hegemoniale Abstieg Amerikas 128 3. Die Krise des peripheren Kapitalismus 135 4. Die Krise des Sowjetsystems 143 5. Versuch einer Synthese: Worum geht es in der Krise? 150 Schluss: Eine freundschaftliche Debatte 167 Einleitung: Gemeinsame Prämissen Im Verlauf der siebziger Jahre wurde "die Krise" zunehmend zum Thema: zuerst in unauffälligen Diskussionen unter Intellektuellen, dann in den Medien und schließlich in politischen Debatten in vielen Ländern. Offenbar zweifelt heute kaum jemand daran, daß es einer großen Zahl von Menschen weniger gut geht als zuvor, und daß eine noch größere Zahl in der Sorge lebt, daß es ihnen in ihrer unmittelbaren Zukunft noch weit schlechter gehen wird. Vorbei ist die glänzende Nachkriegszeit beispiello ser Expansion, die in den Augen vieler schon als Zeit ewig währenden Wachstums gegolten hatte. Wie schon oft in der Geschichte scheinen die schlechten Zeiten die guten Zeiten wieder einmal abgelöst zu haben, tiefes Unbehagen ist allgegenwärtig. Natürlich erin nern sich manche mit einem langen historischen Gedächtnis an schlechte Zeiten. Doch sind derer nur sehr wenige, und schließlich wurde die Mehrheit der heutigen Weltbevölkerung erst nach 1945 geboren. Was hat nun diesen Wandel verursacht? Hier stehen der öffentlichen Diskussion eine ganze Reihe von Bösewichtern zur Verfügung: Der vielleicht am weitesten ver breitete Standpunkt besagt, daß es sich bei dem Problem um eine "Ölkrise" handele, und daß die OPEC hierfür die Verantwortung zu tragen habe. Die ölproduzierenden Länder hätten sich seit 1973 wie ein Kartell verhalten und die Preise in schwindelnde Höhen getrieben. Dies habe zu weltweiter Inflation geführt, was wiederum Arbeits plätze zerstört habe und den Lebensstandard habe sinken lassen. Hier sind wir ande rer Meinung: Zweifellos haben die OPEC-Länder die Preise angehoben, doch hängt die Bewertung des Ausmaßes dieser Preis erhöhungen von der jeweiligen Perspektive ab. Wichtiger ist jedoch nicht nur, daß der Beginn der heutigen Schwierigkeiten aus einer Zeit vor der Ölpreiserhöhung datiert, sondern auch die Frage, weshalb es den OPEC-Ländern ausgerechnet 1973 möglich war, den Ölpreis nennenswert anzuhe ben, und nicht etwa 1963 oder 1953. Die Antwort hierauf liegt nicht im Bereich der politischen Entscheidungen der OPEC-Staaten. Ein zweiter Lieblingsbösewicht ist - zumindest in der westlichen Welt - die UdSSR: expansionistisch, hinterhältig und repressiv. Der UdSSR sei es gelungen, einem immer größeren Teil der Welt ihre Politik aufzuzwingen - sei es direkt oder durch Einschüchterung (die sogenannte Finnlandisierung). Wir stellen keineswegs die beträchtliche Zunahme der militärischen Stärke der Sowjetunion in Abrede, und wir wollen an dieser Stelle auch nicht in eine Diskussion darüber eintreten, in welchem Sinne die UdSSR ein sozialistischer Staat ist. Doch zeigt ein genauerer Blick auf die inneren Schranken der Sowjet-Ökonomie, auf die politischen Probleme in und zwi schen den Ländern des "sozialistischen Lagers" und auf die wachsenden Vorbehalte der Linken in allen Ländern der Welt gegenüber dem Sowjetsystem, daß das Bild von einem sowjetischen Moloch schief ist, und daß man sich die Sowjetunion besser als Papiertiger oder wenigstens als Riesen auf tönernen Füßen vorstellen sollte. Jedenfalls wird der Leser sehen, daß wir nicht der Ansicht sind, die Sowjetunion sei mit ihren Aktivitäten für den jetzigen Zustand der Welt verantwortlich. Ein dritter Bösewicht sind die Regierungen der Industrieländer. Sie seien zu groß und mächtig geworden und hätten eine unsinnige Politik betrieben, insbeson dere eine unsinnige Wirtschaftspolitik. Einige sagen, diese Politik sei zu inflationär gewesen, andere halten sie für zu deflationär. In den Augen einiger war diese Politik 2 Einleitung: Gemeinsame Prämissen zu dirigistisch und zu verschwenderisch, in den Augen anderer war sie nicht dirigi stisch genug. Daß solche konträren Analysen mit so widersprüchlichen impliziten Rezepturen angestellt werden, verweist auf den fragwürdigen Nutzen einer Auseinan dersetzung mit kurzfristigen politischen Maßnahmen, die letztlich nur der unbe stimmte Ausdruck tieferliegender Probleme sind, deren Ursachen nicht nur in der Fehlbarkeit der Mächtigen zu suchen sind. Es gibt kleinere Gruppen, die andere Bösewichter favorisieren, wenn auch ent schieden dezidierter. Eine Gruppe sieht in der Verschwendung natürlicher Ressour cen den großen Bösewicht. Die Welt befinde sich in einer fundamentalen ökologi schen Krise, die sich in den letzten Jahren beschleunigt habe. Die Krise sei nichts anderes als der Höhepunkt einer jahrhundertelangen Plünderung unserer natürlichen Umwelt. Wir bezweifeln keineswegs, daß diese Verschwendung tatsächlich stattfin det, doch glauben wir nicht, daß die vorgeschlagenen Problemlösungen (Sonnen-statt Kernenergie oder die sogenannten angepaßten Technologien als ökonomisches Ent wicklungsmodell) mehr als eine nur untergeordnete Rolle spielen können. Schließlich gibt es jene, die meinen, unser gegenwärtiges Dilemma sei das Resul tat eines weltweiten Sittenverfalls, der so alt sei wie das ökonomische Dilemma selbst. Die Inhalte dieses moralischen Protestes variieren. Ebenso wie im Fall der Ökologie konzentr{ert sich der Protest auf den fragwürdigen Nutzen, den die Neuerungen der letzten Jahrhunderte mit sich gebracht haben. Und wenn es auch keinen Zweifel daran gibt, daß sich auf dem Gebiet der gesellschaftlichen Werte ganz erhebliche Änderun gen vollzogen haben, daß sich diese Änderungen möglicherweise beschleunigt und auf den politischen und den ökonomischen Bereich übergegriffen haben, so vermuten wir doch, daß die Suche nach den Wurzeln des Übels auf diesem Gebiet die Dinge ebenfalls auf den Kopf stellt. Wir verwerfen all diese geläufigen Ansätze zur Erklärung der Krise, auch wenn sich jeder einzelne auf empirische Belege stützen kann und für das Verständnis der gegenwärtigen Situation von Bedeutung sein mag. Denn letztlich beziehen sich alle diese Überlegungen auf "intervenierende Variablen", deren Studium zu keiner ein deutigen und klaren Antwort auf die Frage führt, was die Krise ist, was sie verursacht hat, und wie sie sich entwickeln wird. Wir meinen iedoch, daß eine solche klare und eindeutige Erklärung möglich ist Wie der Leser in den folgenden vier Kapiteln sehen wird, sind unsere Vorstellungen hierüber zwar nicht deckungsgleich, doch teilen wir eine Anzahl wichtiger Prämissen. Dadurch unterscheidet sich unsere Analyse von vielen (wenn nicht gar den meisten) heute angestellten Überlegungen, weshalb es wichtig ist, gleich am Anfang darauf einzugehen. 1. Wir meinen, daß es ein gesellschaftliches Ganzes gibt, auf das die Bezeichnung "Kapitalistische Weltwirtschaft" zutrifft. Wir meinen, daß die Anfänge dieser kapita listischen Weltwirtschaft lange Zeit zurückliegen, ja, daß ihr Anfang vermutlich im sechzehnten Jahrhundert liegt. Der historische Ausgangspunkt dieser Weltwirtschaft lag in Europa, es dauerte bis ins neunzehnte Jahrhundert, bis sie von hier aus den gesamten Globus erfaßt hatte. Wir meinen, daß sie deswegen kapitalistisch genannt werden kann, weil sie vom Zwang zu schrankenloser Akkumulation beherrscht wird. Wir meinen, daß die Aneignung des von den direkten Produzenten der Welt erzeug ten Mehrwerts durch die Welt-Bourgeoisie nicht nur auf dem Wege der direkten Aneignung der am Weltmarkt gehandelten Waren geschieht, sondern auch auf dem Wege des ungleichen Tausches, dem Transfer von Mehrwert aus den Peripherien in die Zentren. Einleitung: Gemeinsame Prämissen 3 2. Wir meinen, daß eine sinnvolle Analyse einzelner Staaten für sich genommen nur möglich ist, wenn wir deren sogenanntes Innenleben in den Kontext weltweiter Arbeitsteilung stellen, also ihren Ort in der kapitalistischen Weltökonomie bezeich nen. Ebenso ist eine kohärente Analyse unmöglich, die "ökonomische", "politische" und "soziale" Variablen voneinander trennt. 3. Wir meinen, daß sich in zunehmendem Maße während der gesamten Geschichte dieser kapitalistischen Weltökonomie unterdrückte Gruppen innerhalb des Weltsy stems organisiert und sich gegen seine Imperative gewehrt haben. Dennoch war das kapitalistische Weltsystem niemals ernsthaft bedroht. Trotz der enormen pohtlschen Macht sowohl der Arbeiterklassen in aller Welt als auch der Länder in der Peripherie befinden sich Theorie und Praxis der sozialistischen Weltbewegung in einer ernsthaf ten Krise. 4. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die USA die Hegemonialmacht mit ökono mischer, politischer und militärischer Kommandogewalt. Die USA konnten dem Weltsystem zumindest eine gewisse Ordnung aufzwingen - eine Tatsache, die mit der beispiellosen ökonomischen Expansion des Systems korrelierte. Wir meinen, daß sich diese Hegemonie gegenwärtig zwar langsam aber unwiderruflich ihrem Ende nähert, wohlbemerkt nicht etwa deswegen, weil es den politischen Führern der USA am politischen Willen mangelte, sondern auf Grund objektiver Gegebenheiten. Dieser Abstieg der USA als Hegemonialmacht zeigt sich auf vielerlei Art und Weise: die zunehmende Konkurrenzfähigkeit japanischer und westeuropäischer Produkte, der Erosionsprozeß im Allianzsystem, das "aus der Zeit des Kalten Krieges stammt, das Entstehen einer Achse Washington-Tokio-Peking und der Ausbruch von Kriegen zwischen Ländern der Peripherie, unter ihnen Länder, die von kommunistischen Parteien regiert werden. 5. Wir meinen nicht, daß der Kampf zwischen kapitalistischen und sozialistischen Kräften auf die Auseinandersetzung zwischen den USA und der UdSSR reduziert werden kann, ja wir meinen sogar, daß beide Länder vielleicht nicht einmal ein gutes Beispiel für diesen Kampf abgeben, wie sehr auch die Propagandaapparate beider Seiten dies glauben machen mögen. Auch meinen wir nicht, daß eine Analyse der Krise mit der Betrachtung der Länder in den Zentren auskommt, so als gäbe es nur hier eine Krise. Denn die Ereignisse in China, der UdSSR und Osteuropa stehen nicht im Widerspruch zu oder außerhalb der Entwicklungen in der übrigen Welt. Die "Krise" ist weltweit und unteilbar und muß folglich auch als solche analysiert werden. Nachdem diese Prämissen dargelegt sind, verbleibt noch der Hinweis auf unsere Visionen und Vorurteile. Wir stehen alle links: wir meinen alle, daß eine Welt, deren politische Organisation demokratisch und deren sozioökonomische Struktur egalitär ist, wünschenswert und möglich ist. Wir meinen nicht, daß sich das kapitalistische System auf einem dieser Gebiete besonders bewährt hätte. Wir meinen alle, daß der Kapitalismus als historisches System ein Ende haben wird. Zwar divergieren unsere Vorstellungen über das, was ihn ersetzen wird (und unsere Vorstellungen über den Zeitpunkt seines Endes) mehr oder weniger, doch sind wir uns in den historischen Zielen eines weltweiten Sozialismus einig. Diese Ziele heißen Gleichheit und Demo kratie.

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