SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Walter Posch Dritte Welt, globaler Islam und Pragmatismus Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird S 4 März 2013 Berlin Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, 2013 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3−4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 Inhalt 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen 7 Akteure und Institutionen der iranischen Außenpolitik 7 Außenministerium und Präsidentschaftskanzlei 8 Präsident, Parlament und Splittergruppen 9 Der Hohe Nationale Sicherheitsrat 9 Klerus, Wächterrat, Feststellungsrat und Expertenrat 10 Think-Tanks und Fachzeitschriften 11 Die Rolle des Revolutionsführers in der iranischen Außenpolitik 11 Organisation des beyt-e rahbari und Interpretation der Ideologie 12 Revolutionäre und klerikale Funktionen Chameneis im Ausland 13 Führer der Islamischen Welt? 14 Ideologie und Pragmatismus in der iranischen Außenpolitik 14 Revolutionäre Außenpolitik in der iranischen Verfassung und ihre Konsequenzen 15 Bedeutung der Blockfreienbewegung 16 Antiamerikanismus 16 Wirtschaftskontakte und »Grand Bargain« 17 Enttabuisierung der Beziehungen zu den USA 17 Pragmatismus (maslahat) als Handlungsprinzip 19 Zentralasien und Afghanistan: Wirtschaft und Sicherheit 19 Iran als geoökonomische Drehscheibe 19 Internationale Transit- und Gasrouten 20 Wirtschaftsstrategie 21 Afghanistan 23 Dritte-Welt-Rhetorik und Machtprojektion: Irans Nuklearprogramm 23 »Atomgerechtigkeit« 24 Strategische Aspekte 26 Ideologische und strategische Konfrontationen im Nahen Osten 26 Irans »Strategische Vision« und ihre Grenzen 27 Der Persische Golf 27 Konfessionsneutrale Außenpolitik und Nationalismus 27 Iran und die 5. Flotte 28 Die »Achse des Widerstands« und der Kampf um Palästina 29 Strategische Konfrontationen im Arabischen Frühling 29 Saudischer Gegenschlag und der Bruch mit der Türkei 30 Eskalation in Syrien 32 Schlussfolgerungen und Empfehlungen 33 Abkürzungen Dr. Walter Posch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Naher/Mittlerer Osten und Afrika Problemstellung und Schlussfolgerungen Dritte Welt, globaler Islam und Pragmatismus. Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird Die Islamische Republik Iran ist einer der letzten Nationalstaaten, die sich strategisch und ideologisch bewusst in einen Gegensatz zu den USA stellen. Die Gründe hierfür liegen in der iranischen Geschichte des 20. Jahrhunderts sowie, aus Sicht des Regimes in Teheran, im islamischen Charakter und persischen Eigenheiten des Landes. Vor allem in der westlichen Welt herrscht mehr als dreißig Jahre nach der Islami- schen Revolution nach wie vor Unklarheit darüber, welcher Ideologie die »Islamische Republik Iran« eigentlich anhängt und daraus folgend an welchen Grundsätzen und Zielen sich die Außenpolitik des Landes orientiert. Die Meinungen dazu sind einerseits von Misstrauen gegenüber der islamischen Natur des Regimes oder gar Furcht vor religiösem Fundamenta- lismus bestimmt, andererseits von Überraschung über den Pragmatismus in der iranischen Außenpolitik. Je nachdem, welche Wahrnehmung überwiegt, führt dies zu zwei gegenteiligen Beurteilungen der Islamischen Republik: der Behauptung, ihre Politik sei von religiösem Irrationalismus dominiert, der in Kom- bination mit dem iranischen Nuklearprogramm eine globale Bedrohung darstelle, weshalb die internatio- nale Gemeinschaft diesem Programm wiederum ener- gisch entgegentreten müsse; und der gegenteiligen Auffassung, nach der die Ideologie nur schmückendes Beiwerk eines rational und interessengeleitet handeln- den Nationalstaats sei. Betrachtet man die Schwer- punkte der iranischen Außenpolitik genauer, so ist für sich gesehen keine der beiden Positionen haltbar. Ideologie und Pragmatismus gehen in der irani- schen Außenpolitik Hand in Hand. Die Frage, ob die Islamische Republik eine Ideologie ist, die sich der Ressourcen der iranischen Nation bedient, oder ob der Nationalstaat Iran sich eines ideologischen Konstrukts bedient, um den eigenen Status in der internationalen Gemeinschaft zu fördern, muss letzten Endes unbeant- wortet bleiben, weil darüber nicht einmal im Iran Einigkeit herrscht. Übereinstimmung herrscht jedoch darin, dass der Antiamerikanismus die Grundlage der Ideologie – und damit auch der Außenpolitik bildet. Eine Veränderung in diesem Punkt würde weitreichen- de Folgen für das Verhältnis Irans zur internationalen Gemeinschaft haben. Dennoch kam es immer wieder zu Kooperationen zwischen den USA und Iran, die auf SWP Berlin Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird März 2013 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen Interessenkonvergenzen beruhten. Zu einem Durch- verstanden wird. Beide Regionen sind gleich wichtig bruch in den Beziehungen konnte es indes bis jetzt für die Islamische Republik Iran, doch der Stellenwert nicht kommen. Die Gründe dafür sind nicht nur und das Prestige des Landes stützen sich aus zwei ideologischer Natur, sondern haben oft auch prak- Gründen auf sein Agieren im und gegenüber dem tische Ursachen. Auf amerikanischer Seite bereitet Nahen Osten: erstens, weil die feindliche Haltung schon die Frage Schwierigkeiten, wer mit wem im gegenüber Israel und die Ablehnung der amerikani- Iran Kontakt aufnehmen soll. schen Hegemonie in der Region in westlichen Augen Viel Unsicherheit herrscht nämlich auch über den als die wichtigste Bedrohung der regionalen Sicher- institutionellen Rahmen und die inneren Abläufe der heit gelten. Zweitens, weil für einen wichtigen Teil der iranischen Außenpolitik. Immer wieder wird darüber iranischen Eliten der Nahe Osten aus ideologischen spekuliert, wie groß der außenpolitische Handlungs- und biographischen Gründen von großer Bedeutung spielraum der iranischen Entscheidungsträger ist, sei ist. Die Beziehungen Teherans zu den ehemaligen es des Präsidenten, des Revolutionsführers oder des Sowjetrepubliken in Zentralasien und im Kaukasus Generalsekretärs des Hohen Nationalen Sicherheits- haben nie ein vergleichbares Gewicht gehabt und rats. Dabei lassen sich die Willensbildungsprozesse in wurden sowohl von westlicher als auch von iranischer der iranischen Außenpolitik recht gut nachvollziehen. Seite als sekundär betrachtet – obwohl sicherheits- Von besonderem Interesse für westliche Beobachter politische Aspekte und die ehrgeizige Wirtschafts- sind die jüngeren Entwicklungen in der iranischen politik der Islamischen Republik Iran geradezu das Think-Tank-Szene, deren Rolle bei der Unterstützung Gegenteil, nämlich ein Priorisieren der Region Zentral- der iranischen Diplomatie immer wichtiger wird. asien-Kaukasus, nahelegen würden. Die meisten Studien, die das Wesen und Funktio- Die Veränderungen im Nahen Osten seit dem Be- nieren der Islamischen Republik zu erklären suchen, ginn des Arabischen Frühlings hatten zunächst keine heben auf den Islam, die den Iran prägende Konfession Auswirkungen auf die strategische Position der Islami- des Schiismus (in seiner revolutionären Form) oder die schen Republik Iran. Die Rückbesinnung Ägyptens auf spezifische persische Kultur ab. Übersehen wird dabei seine Rolle als moderat islamische Macht wird von aber ein für die Iraner zentraler politischer Diskurs, Iran positiv beurteilt, ja teilweise überschwänglich die Dritte-Welt-Rhetorik, aus der die Iraner ihr Selbst- begrüßt. Die große Belastungsprobe für Iran ist jedoch verständnis beziehen, die Speerspitze der Entwick- Syrien. Der Volksaufstand gegen das Assad-Regime lungsländer zu sein. Aber gerade die sich hier mani- und das Ausscheren der palästinensischen Hamas aus festierende iranische Sichtweise der Welt ist das eigent- der sogenannten »Widerstandsachse« sind schwere liche ideologische Problem zwischen dem Westen und ideologische Rückschläge für Teheran. Die lange und Iran, weil sie in der Regel zu gegenteiligen Interpreta- schmerzhafte Agonie des Assad-Regimes hat schon tionen des Weltgeschehens führt. Das trifft nicht nur jetzt zu einem strategischen Patt zwischen regionalen für den klassischen Fall der unterschiedlichen Les- und globalen Akteuren geführt. Langfristig hat diese arten des Nichtverbreitungsvertrags zu, sondern auch Krise das Potential, sich zu einem regionalen bzw. für weniger komplexe Themen, wie die Frage, ob Iran regionenübergreifenden Krieg auf ethnischer und nun isoliert ist oder nicht. Es erklärt aber auch, warum konfessioneller Grundlage zu entwickeln. Das ist Iran mit großer Selbstverständlichkeit davon ausgeht, weder im Interesse des Westens noch der Islamischen dass sein Vorgehen und Verhalten von der »wahren Republik Iran. Ähnlich wie in Afghanistan dürfte es internationalen Gemeinschaft« – vertreten durch die unmöglich sein, die Syrienkrise ohne Einbindung Blockfreienbewegung – unterstützt wird, was wiede- Irans zu überwinden. Es empfiehlt sich also, das Ver- rum das iranische Selbstvertrauen und Selbstbewusst- hältnis zur Islamischen Republik Iran vor dem Hinter- sein stärkt. grund der veränderten Lage im Nahen Osten neu zu Aufgrund der geostrategischen Bedeutung Irans ist überdenken. Eine Einigung in der Nuklearfrage wird die Regionalpolitik des Landes neben dem Nuklear- damit umso dringlicher. programm das für die internationale Gemeinschaft wichtigste Element der Außenpolitik Teherans. Inner- halb der iranischen Regionalpolitik lassen sich zwei Schwerpunkte erkennen: Zentralasien-Kaukasus und der Nahe Osten, unter dem hier der Raum vom Persi- schen Golf bis zur Levante, einschließlich Ägyptens, SWP Berlin Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird März 2013 6 Außenministerium und Präsidentschaftskanzlei Akteure und Institutionen der iranischen Außenpolitik Westliche Beobachter beklagen immer wieder das Außenministerium und ihrer Ansicht nach komplizierte und undurchschau- Präsidentschaftskanzlei bare System der iranischen Außenpolitik. Es sei weder klar, wie die Kompetenzen verteilt sind, noch, über Auf Regierungsebene sind es das Außenministerium und welchen Einfluss auf dieses Politikfeld die involvierten die Präsidentschaftskanzlei, die außenpolitische Entschei- Institutionen verfügen. Die Teheraner Außenpolitik dungen erarbeiten. Ihre Kompetenzen sind klar ge- wird tatsächlich nicht nur im Außenministerium regelt. Dabei ist der Präsident in der stärkeren Posi- formuliert und durchgeführt. Andere Institutionen tion, so dass es selbst tatkräftigen Außenministern wie der Nationale Sicherheitsrat, das Büro des Präsi- schwerfällt, der Außenpolitik einen eigenen Stempel denten, das Büro des Revolutionsführers und das aufzudrücken. Hinzu kommt, dass die Außenminister Parlament sind ebenfalls daran beteiligt. Die öffent- oft einer anderen politischen Fraktion als der Präsi- liche Meinung fließt über das Parlament, über die dent angehören, eine bewusste Gepflogenheit, die den Empfehlungen staatlicher Think-Tanks, über Erklärun- Zweck erfüllen soll, andere Kräfte an der Gestaltung gen der Großayatollahs und über die Medien in den der Außenpolitik mitwirken zu lassen. Politisch ist Prozess der außenpolitischen Entscheidungsfindung diese Konstruktion nicht immer tragfähig. Besonders ein. Daneben machen extreme Splittergruppen ihren deutlich gezeigt hat dies der Fall von Außenminister Einfluss geltend, der jedoch abzunehmen scheint. Manutschehr Mottaki, der Ende 2010 von Präsident In der Praxis ist das Problem der unklaren Kompe- Mahmud Ahmadineschad abgesetzt wurde.2 Ahmadi- tenzverteilung zwischen staatlichen und revolutionä- neschad folgte mit dieser Abberufung einem inter- ren Institutionen mittels einer dreistufigen Konven- nationalen Trend: der Präsidialisierung der Außenpoli- tion geregelt worden.1 Diese beruht auf einem Mecha- tik.3 Als Präsident setzte er persönliche Beauftragte für nismus intensiver Konsultationen im Vorfeld und verschiedene Weltregionen und internationale Politik- weist dem Revolutionsführer die zentrale Rolle zu. bereiche ein, die aus der Präsidentschaftskanzlei her- 1. Die außenpolitische Analyse und der eigentliche aus in das Außenministerium hineinregierten. Den- Meinungsbildungsprozess finden innerhalb der formel- noch war es auch unter Ahmadineschad das Außen- len Institutionen statt. ministerium, das den außenpolitischen Meinungs- 2. Der Entscheidungsfindungsprozess findet formell (Insti- bildungsprozess dominierte. Seine strukturelle Stärke tutionen) und informell (politische Netzwerke) (Korpsgeist, eingespielte Prozeduren) erwies sich gegen- innerhalb der politischen Eliten statt, zu denen über den persönlichen Beauftragten des Präsidenten nicht nur aktive, sondern auch ehemalige Politiker als überlegen. sowie »unpolitische« Kleriker gehören. Deren Ernennung ist jedoch auch Ausdruck eines 3. Die endgültige Entscheidung wird als Konsens der Generationswechsels in der Personalpolitik. Jene politischen Elite vom Revolutionsführer formuliert. Berufsdiplomaten, die noch unter dem kaiserlichen Vorgängerregime gedient hatten oder die der ersten 2 Walter Posch, Foreign Minister Mottaki Dismissed and Salehi Installed. New Trends in Iranian Diplomacy before Istanbul Nuclear Talks, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, Januar 2011 (SWP-Comments 2/2011). 1 Bernard Hourcade, Géopolitique de l’Iran, Paris 2010, S. 158; 3 Volker Perthes, »Der zweite Mann: Präsidialisierung der Mehran Kamrava, »Iranian National-Security Debates. Faction- Außenpolitik«, in: Süddeutsche Zeitung, 25.4.2010; Seyyed alism and Lost Opportunities«, in: Middle East Policy, 14 (Som- Hamid Mottaghi, »Das Abenteuer der Beauftragten, die mer 2007) 2, S. 84–100; Walter Posch, E pluribus unum: Decision- Berater wurden. Eine Untersuchung der Ziele und Ursachen makers and Decision-making in Iran, Paris: European Union für die Ernennung der Sonderbeauftragten für Diplomatie«, Institute for Security Studies (EUISS), August 2008 (ISS Policy in: Hamschahri Mah, Oktober 2010, S. 64–66 (Persische Titel Brief 02). und Zitate wurden vom Autor übersetzt). SWP Berlin Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird März 2012 7 Akteure und Institutionen der iranischen Außenpolitik Generation von Revolutionären im Außenministerium der notwendigen Vernichtung Israels (2005) und ließ angehörten und die ihren Universitätsabschluss über- 2006 die schon erwähnte sogenannte »Holocaust- wiegend in Europa oder den USA gemacht haben, konferenz« organisieren.5 Unterschiedlicher hätten scheiden in diesen Jahren aus dem aktiven Dienst aus. die Akzente bei gleichbleibender Politik nicht sein Sie werden von Akteuren ersetzt, die den Iran-Irak- können. Krieg (1980–1988) als Soldaten miterlebt und ihre Anders verhält es sich mit verschiedenen Interessen- Ausbildung zur Gänze im Iran genossen haben. Eine gruppen und politischen Fraktionen, die sowohl Ein- Kenntnis von der Kultur des Westens, wie sie in der fluss auf die öffentliche Meinung nehmen, als auch im revolutionären Generation noch vorhanden ist, wer- Parlament auf die Entscheidungen des Präsidenten den die zukünftigen iranischen Diplomaten in dieser einzuwirken versuchen. Außenpolitische Auseinander- Form nicht mehr haben. Die Karriere des heutigen setzungen im iranischen Parlament können sehr hart Nuklearverhandlers Said Dschalili, der nach seiner geführt werden, vor allem dann, wenn die Anhänger Tätigkeit im Sicherheitsapparat in das Außenministe- des Präsidenten in der Minderzahl sind, wie es im rium gelangte, darf hier als exemplarisch gelten. Wie letzten Jahr der Präsidentschaft Chatamis der Fall war. sehr es unter der neueren iranischen Diplomatie an Dennoch ist auch in einer solchen Konstellation der einem kulturell-politischen Verständnis für den Präsident nach Verfassung und Konvention in der stär- Westen mangelt, konnte man an ihrem Verhalten keren Position. Als »lahme Ente« in der Außenpolitik nach den heftigen westlichen Reaktionen auf die gilt ein iranischer Präsident nur dann, wenn ihm der sogenannte »Holocaustkonferenz« im Jahr 2006 sehen: Revolutionsführer seine Huld öffentlich entzieht, wie Sie war nicht nur überrascht, sondern auch unfähig es Mahmud Ahmadineschad spätestens ab dem Früh- zu erkennen, dass die Äußerungen Ahmadineschads jahr 2011 erlebt hat. im Westen in einem Kontext mit der Verhärtung der Trotz der erkennbaren Bemühungen, die Entschluss- iranischen Position in der Nuklearfrage gesehen wur- fassung in außenpolitischen Fragen auf einen Konsens den. Seither prägt die Schreckensvision eines vom Iran zu gründen, kommt es immer wieder vor, dass ein- initiierten »nuklearen Holocaust«, also die Angst, dass zelne Gruppen sich übergangen fühlen und entweder Iran den Staat Israel mit Atomwaffen vernichten durch aggressive Rhetorik oder gar durch Gewalt ver- könnte, das Bild der Islamischen Republik in der west- suchen, Einfluss auf die Außenpolitik auszuüben. lichen Öffentlichkeit. Diese Gruppen gehören zum Umfeld der ideologischen Freiwilligenmilizen (Basidschis und Hezbollahis), deren Sprachrohr die Tageszeitung Keyhan ist. Ihre Aktivi- Präsident, Parlament und Splittergruppen täten sind zwar in erster Linie auf die Innenpolitik gerichtet, ihr Widerspruch entzündet sich aber an Im politischen Entscheidungsfindungsprozess spielt außenpolitischen Reizthemen wie dem Verhältnis zu der Präsident die zentrale Rolle. Es liegt an ihm, auf Israel und den USA. Sie waren es, die in den 1980er dem Boden der Verfassung und innerhalb des ideo- Jahren das Todesurteil gegen den britisch-indischen logisch gegebenen Rahmens neue außenpolitische Schriftsteller Salman Rushdie erwirkten, als die Regie- Akzente und Schwerpunkte zu setzen. Er muss sie nur rung Rafsandschani die Außenpolitik eigentlich de- vor dem Parlament, dem Revolutionsführer und im eskalieren wollte und die Innenpolitik vorsichtig Hohen Nationalen Sicherheitsrat vertreten. Das kann liberalisierte. Verantwortung tragen diese Kräfte auch zu dramatisch divergierenden Interpretationen der für eine Mordserie in den 1990er Jahren, der namhafte iranischen Außenpolitik führen, wie sich am Beispiel Intellektuelle zum Opfer fielen: Auch hier sollte der Israels zeigen lässt: Präsident Mohammad Chatami Präsident – damals Chatami – für seinen vermeint- besuchte die Synagoge in Teheran,4 förderte den Dia- lichen Liberalismus bestraft werden. Und auch Präsi- log der Kulturen und ließ durchblicken, dass Iran im dent Ahmadineschad wurde von diesen Milizen im Falle einer Lösung des Nahostkonflikts nicht »palästi- Sommer 2012 gezwungen, seine Verhandlungsbereit- nensischer als die Palästinenser« sein wolle. Präsident schaft mit den USA in aller Öffentlichkeit als Fehler zu Ahmadineschad hingegen zitierte Chomeinis Satz von 5 Gegenüber der amerikanischen Journalistin Barbara Slavin gestand Ahmadineschad dies im Jahr 2012 als Fehler ein, 4 Arash Abaie, »Report of Iranian President’s Visit from siehe »Wie viele Milliarden kostet denn die späte Reue Yousef-Abad Synagogue«, <www.iranjewish.com/News_e/ Ahmadineschads dem iranischen Volk?« (persisch), Baztab, 22-1.htm>. 29.9.2012. SWP Berlin Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird März 2013 8 Der Hohe Nationale Sicherheitsrat bezeichnen.6 In dieselbe Kategorie gehört auch der ziert außerdem strategische Zukunftsanalysen, die als Sturm der Basidschis auf die Botschaft des Vereinigten Grundlage für die Verteidigungsplanung gelten.9 Königreichs im Jahr 2011, der die gegenseitige Auswei- Größere Bedeutung erhielt der Rat durch die Beru- sung des Botschaftspersonals nach sich zog und bei- fung des Generalsekretärs Dr. Hasan Ruhani zum nahe zum Abbruch der britisch-iranischen Beziehun- iranischen Chefverhandler im Atomstreit mit der EU gen geführt hätte. Dieser Versuch, durch revolutio- im Jahr 2003. Der Grund für diese Personalentschei- näre Aktionen und Druck von der Straße die Außen- dung war der Zusammenbruch des Konsenses über die politik des Landes zu beeinflussen, fand im Gegensatz weitere Vorgehensweise in der Nuklearpolitik. Ein Teil zur Besetzung der US-Botschaft 1979 kein Echo in der der im Sicherheitsrat vertretenen politischen Kräfte Bevölkerung oder im Regime. So reagierte vor allem obstruierte aus innenpolitischen Kalkülen die Politik das iranische Außenministerium negativ auf diese des damaligen Präsidenten Chatami. Ruhani, der Verletzung der diplomatischen Konventionen. sowohl mit Reformisten als auch mit verschiedenen konservativen Gruppen gut vernetzt war und zudem das Vertrauen Chatamis und des Revolutionsführers Der Hohe Nationale Sicherheitsrat genoss, war daher besser geeignet, die Verhandlungen mit der EU und später mit den E3+3 (Großbritannien, Im Hohen Nationalen Sicherheitsrat der Islamischen Frankreich, Deutschland, USA, China und Russland) Republik Iran (HNSR) sitzen unter dem Vorsitz des zu führen. Seither sind diese Posten miteinander ver- Präsidenten die wichtigsten Vertreter des Militärs bunden. Mit der Schwächung Präsident Ahmadi- (Generalstab, Revolutionsgarden) und des Geheim- neschads ab 2011 wiederum ging eine politische Stär- dienstes, der Außenminister, Vertreter des Revolu- kung des neuen (seit 2007) Vorsitzenden Said Dschalili tionsführers und je nach Bedarf andere Fachminister. einher und damit eine weitere Aufwertung der Funk- Die Bedeutung des HNSR erschließt sich daraus, dass tion des Generalsekretärs des HNSR. der Präsident jede Angelegenheit zum Problem der nationalen Sicherheit erklären und der HNSR dadurch zur Ersatzregierung werden kann.7 Obwohl der HNSR Klerus, Wächterrat, Feststellungsrat und in erster Linie ein technisch-administratives Gremium Expertenrat ist, kommt ihm bei heiklen Sachfragen die Funktion eines Clearinghouse zu, das die verschiedenen Meinun- Eher konsultative Aufgaben kommen dem Hohen gen und Standpunkte in den Institutionen zur end- Klerus in Qom, dem Wächterrat, dem Feststellungsrat gültigen Entschlussfassung für den Revolutionsführer und dem Expertenrat zu. Der Hohe Klerus wird in der vorbereitet. Beim Großteil der Fälle handelt es sich um Regel über wichtige politische Ereignisse, wie zum sicherheitspolitische Routinearbeit, die unter Leitung Beispiel die Nuklearverhandlungen, informiert, hält des Generalsekretärs in Stellvertretung für den Präsi- sich aber in der Außenpolitik sonst zurück. Nur unter denten geleistet wird. Darüber hinaus ist der HNSR der Präsidentschaft Ahmadineschads kam es zu so das wichtigste Gremium, in das die Revolutionsgarden schweren Spannungen zwischen dem Klerus und der ihre außenpolitischen Vorstellungen einbringen. Denn Regierung, dass die Kleriker ihren Einfluss dazu nutz- das 2012 veröffentlichte Konzept der »Verteidigungs- ten, die Außenpolitik zu torpedieren.10 diplomatie«,8 das eine Aufwertung des Verteidigungs- Mehr noch als der Hohe Klerus haben der Wächter- ministeriums gegenüber dem Außenministerium vor- rat, der Expertenrat und der Feststellungsrat ein Recht sah, konnte sich nicht durchsetzen. Der HNSR publi- auf Anhörung durch den Revolutionsführer.11 Sie 6 »Der Präsident in einem dreistündigen Meeting mit den 9 Asgari, »Iran’s Defense Diplomacy« [wie Fn. 7], S. 178. Aktivisten der Studenten« (persisch), <www.598.ir>, 3.8.2012. 10 »Klare Worte von Hodschatoleslam Rahbar: Die Groß- Bei den Studenten handelte es sich um Basidschis. ayatollahs haben die Türen ihrer Büros für die Regierung 7 Mahmoud Asgari, »Iran’s Defense Diplomacy«, in: verschlossen!« (persisch), Schaffaf, 19.5.2012. Discourse. An Iranian Quarterly, 10 (Winter–Frühjahr 2012) 11 Der Expertenrat (»Versammlung der Experten der Führung« 1–2, S. 167–191, hier S. 184–186. <www.khobregan.ir>) überwacht die Amtsführung des Revo- 8 »Brigadier General Ahmad Vahidi on Iran’s Defense Diplo- lutionsführers und der »Wächterrat der islamischen Verfas- macy«, Teheran: Institute for Middle East Strategic Studies, sung« <www-shoura-gc.ir> das Parlament. Bei Konflikten mit Oktober 2012, <http://en.merc.ir/default.aspx?tabid=98& dem Parlament wird der »Konsultativrat zur Feststellung der ArticleId=312>. Interessen des Systems« (<www.maslehat.ir>) angerufen. SWP Berlin Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird März 2013 9 Akteure und Institutionen der iranischen Außenpolitik beraten aber nicht nur diesen, sondern koordinieren attachés an den Botschaften vertreten. Der Leiter von auch die Arbeiten der verschiedenen Institutionen wie IPIS wurde im Oktober 2012 mit der Koordination der Parlament, Außenministerium und HNSR. Diese Räte iranischen Track–two-Diplomatie betraut. balancieren auch politische Strömungen aus und Neben dem Außenministerium unterhält auch der sollen dadurch dazu beitragen, dass die Außenpolitik Feststellungsrat mit dem Center for Strategic Research von allen politischen Kräften gestützt wird. (CSR) einen eigenen Think-Tank,15 der außen- und sicherheitspolitische Forschung betreibt. CSR ist wie IPIS an der iranischen Track-two-Diplomatie beteiligt. Think-Tanks und Fachzeitschriften Beide Institute sind mit den einschlägigen akademi- schen Einrichtungen und mit dem aktiven diplomati- Auch der Iran hat außen- und sicherheitspolitische schen Dienst gut vernetzt. Eine mehrjährige wissen- Forschungsinstitute, deren Expertise sich das Außen- schaftliche Tätigkeit in einer der beiden Institutionen ministerium zunutze macht. Die Wissenschaftler sind ist für iranische Diplomaten nichts Außergewöhn- in der Artikulation ihrer Ansichten relativ frei. Revolu- liches. tionsführer Großayatollah Ali Chamenei tritt an Die dritte Denkfabrik mit direkter Politikrelevanz dieser Stelle für den freien Meinungsaustausch ein ist die Forschungsstelle des iranischen Parlaments, das und betont immer wieder, dass Meinungsunterschiede Majlis Research Center (MRC), das 2012 neu struktu- zwischen ihm und den Experten Letzteren nicht als riert wurde. Der Vorsitzende des außenpolitischen Widerstand gegen das System der »Herrschaft des Ausschusses des Parlaments, Kazem Dschalali, und Rechtsgelehrten« ausgelegt werden dürften.12 Parlamentspräsident Ali Laridschani bemühen sich, Die Mehrheit der Think-Tanks wurde erst Anfang dem MRC eine prominentere Rolle zu geben.16 Als der 1990er Jahre unter der Präsidentschaft Rafsan- Adresse für Auslandskontakte hat sich dieses Zentrum dschanis gegründet. Das trifft beispielsweise für die indes noch nicht etabliert. Diplomatenschule zu, die eigentlich eine Ausbildungs- Die Präsidentschaftskanzlei und die militärischen Einrich- stätte ist, an der aber auch geforscht wird. Die eigent- tungen (Armee und Revolutionsgarden, gemeinsamer liche außen- und sicherheitspolitische Forschung ist Generalstab, Stabsschulen bzw. Akademien) unter- im Zentrum für internationale Forschung und Aus- halten ebenfalls außen- und sicherheitspolitische bildung (Center for International Research and Forschungsstellen, deren Ergebnisse in den renom- Education, CIRE)13 im Außenministerium angesiedelt. mierten iranischen Fachzeitschriften veröffentlicht Zum CIRE gehört das international bekannte Institut werden (Journal für Nationale Sicherheit, Journal der Natio- für Außen- und Sicherheitspolitik (Institute for Politi- nalen Verteidigung, Name-ye Defa, Zeitschrift für Strategische cal and International Studies, IPIS),14 das sowohl For- Information, alle in persischer Sprache). Diese sind aber schung als auch Politikberatung betreibt. IPIS richtet so gut wie nie im Ausland verfügbar, da die einschlä- auch internationale Konferenzen aus und war im gigen Fachbibliotheken in Europa oder den USA selten Bereich der politikwissenschaftlichen Think-Tanks bis strategische Literatur in persischer Sprache führen. zur »Holocaustkonferenz« im Jahre 2006 eine der Von zentraler Bedeutung für den sicherheitspoliti- interessantesten Adressen im Mittleren Osten (IPIS schen Meinungsbildungsprozess ist die Hohe Natio- wurde daraufhin boykottiert und wird erst seit 2009, nale Verteidigungsuniversität (HNVU), die auch als nachdem ein Personalwechsel im Institut stattgefun- Kaderschmiede für die Elite des Sicherheitsapparats den hatte, von der internationalen Forschergemein- des Landes fungiert.17 Unter Verteidigungsminister schaft wieder konsultiert). Das Institut gibt neun General Vahidi wurde außerdem ein »Komitee zur außenpolitische Zeitschriften in mehreren Sprachen Verteidigungsdiplomatie« im Verteidigungsministe- heraus. IPIS wird indirekt durch die Forschungs- rium gegründet, das wie ein Think-Tank agiert, aber bislang auf internationaler Ebene noch nicht in Er- 12 »Ansichten von Experten, die mit der Ansicht des Revolu- scheinung getreten ist.18 tionsführers nicht übereinstimmen, gelten nicht als Wider- stand gegen die Herrschaft des Rechtsgelehrten« (persisch), Tabnak, 6.8.2012. 15 Center for Strategic Research, <www.csr.ir>. 13 Center for International Research and Education of the 16 Majlis Research Center, <http://rc.majlis.ir/en/news/show/ Ministry of Foreign Affairs, <www.dermfa.ir>. 816611>. 14 Institute for Political and International Studies, 17 Supreme National Defence University, <www.sndu.ac.ir>. <www.ipis.ir>. 18 Asgari, »Iran’s Defense Diplomacy« [wie Fn. 7], S. 180. SWP Berlin Wie die Außenpolitik Irans gemacht wird März 2013 10