A L T D E U T S C HE Τ Ε Χ Τ Β I Β L IΟ Τ Η ΕΚ Begründet von Hermann Paul f Fortgeführt von Georg Baesecke f Herausgegeben von Hugo Kuhn Nr. 57 Drei Reichenauer Denkmäler der altalemannischen Frühzeit Herausgegeben von Ursula Daab MAX NIEMEYER VERLAG / TÜBINGEN 1963 Alle Rechte vorbehalten Copyright by Max Niemeyer Verlag, Tübingen 1963 Printed in Germany Satz und Druck: H. Laupp jr Tübingen Inhalt süber sieht Vorwort VII Text der St. Pauler Lucasglossen 1 Text der Murbacher Hymnen 29 Text der altalemannischen Psalmenübersetzung 77 Althochdeutsches Glossar 93 Lateinisches Glossar 221 Literatur 267 DREI REICHENAUER DENKMÄLER DER ALTALEMANNISCHEN FRÜHZEIT Vorwort In diesem Bande sind drei der ältesten Reichenauer Über- setzungswerke zusammengefaßt: Die Lucasglossen, die Mur- bacher Hymnen und die altalemannischen Psalmen1). Ihnen gemeinsam ist die zwischenzeilige Übersetzungstechnik, die von den Iren und Angelsachsen in die Arbeitsweise der deutschen Klöster übertragen wurde2). Es sind Interlinearversionen3). Das deutsche Wort steht in feinerer, spitzer Schrift meistens über dem lateinischen, zu dem es gehört, in den altertümlichen Lucas- glossen mit wenigen Ausnahmen unter ihm oder am Rande, ge- legentlich auch im Kontext. Bei diesem Verfahren entsteht kein zusammenhängender deutscher Text, der ohne das Lateinische zu verstehen wäre4). Noch eine andere Eigentümlichkeit zeigt sich in diesen Denkmälern, nämlich die Abbreviaturen, die sich so darstellen, daß in den Lucasglossen oft nur die Endsilbe über das Lateinische geschrieben ist oder der Anfang des deutschen Wortes oder Anfang, ein Buchstabe aus der Mitte und das Ende5). Der 26. Hymnus zeigt die gleiche abgekürzte Gestalt. Sonst tritt diese Erscheinung in Η und vor allem in Ps seltener auf. Und x) zitiert Luc, H, Ps. 2) Baes. Abr. S. 83. 3) G. Baesecke, „Interlinearversion" im Reallex. der dt. Lit.-Gesch., ed. Merkerund Stammler, II 11 f., Hermaea S. 29ff. 4) Hermaea S. 30. 5) Hermaea S. 49 ff. VIII schließlich sind in der gesamten Reichenau-Murbacher Glosso- graphie die Doppelglossierungen üblich, die auch in diesen drei Übersetzungswerken festgestellt werden können. Die Lucas- glossen wiederholen nur das gleiche Wort, aber die Hymnen, die sich ihrer am auffallendsten bedienen, liefern Synonyme6). Ihrem Alter nach gehören alle drei, im weitesten Rahmen gespannt, in die Zeit etwa von 790 bis 820. Die Lucasglossen sind von ihnen als das älteste Denkmal anzusetzen, am Ende des 8. Jahrhunderts, Ps und Η sind etwa gleichaltrig, die Psalmen- übersetzung ist vor 817 geschrieben7), und die Hymnen stammen aus den Jahren 810 bis 8178). Diese Datierungen gelten für die uns erhaltenen Texte. In den Lucasglossen besitzen wir ein Stück originales Deutsch, das durch keine Mißverständnisse oder Schreibfehler des Abschreibers und durch keine Lautveränderung verjüngt, verfälscht oder verdorben wurde. Nicht so bei Η und Ps, die nicht nur aus einer früheren Vorlage stammen, sondern auch die Heimat wechselten. Die nicht auf uns gekommenen Originale sind in Reichenau zu lokalisieren, während die Ab- schriften in Murbach angefertigt wurden. Baesecke hat9) die Psalmenübersetzung für altertümlicher als die Benediktinerregel erklärt, die auf 790 bis 802 datiert ist10), so daß wir mit dem Original *Ps bis ins 8. Jahrhundert zurückgehen müßten11). Für die Hymnen bleibt: Anfang des 9.Jahrhunderts12). ·) Hermaea S. 45ff. ') Datierungen: St. S. 300 „um 820", Kögel Lit.-Gesch. II 476 „die letzten Jahre Karls", Ehrismann Lit.-Gesch. 1261 „Anfang 9. Jhs.", vgl. Baes. Abr. S. 11. 8) Datierungen: Siev. S. 4f., Ehrismann S. 258, Baes. Abr. S. 11 und 51. ") Beitr. 69 S. 398ff. 10) Beitr. 80 S. 403. 11) dagegen Vf., Zur Datierung der altalemannischen Psalmenüberset- zung, Beitr. 83, S. 281 ff. 12) Hermaea S. 29. IX Überlieferang, Ausgaben und Lichtdrucke Die Glossen zum Lucasevangelium 1, 64 bis 2, 51 sind erhalten im Codex SPauli 1/1, abgedruckt St. Gil. I 728,19 bis 737, 37. Der lateinische Text wurde häufig durch den Glossator nach der Vulgata verbessert oder ergänzt. Diese Zusätze und Änderungen sind zwischenzeilig oder am Rande mit der Glossierung daneben oder darunter geschrieben. Die Handschrift ist hier neu heraus- gegeben13). Von der Psalmenübersetzung werden ein Doppel- blatt in der Kreis- und Studienbibliothek zu Dillingen (Bayern) aufbewahrt, zwei Einzelblätter in der Staatsbibliothek zu Mün- chen mit dem Sigel Cgm 5248, l14). Die Murbacher Hymnen ha- ben wir im Cod. Oxoniensis Jun. 25 in der Bodleiana zu Oxford15). Die Handschrift enthält außer den Hymnen an Übersetzungs- werken die Glossare Ja, Jb und Je und Glossen zur Benediktiner- regel. Die 26 (oder 2716)) Hymnen sind in zwei Abteilungen, Ha und Hb, in den Codex eingebunden. Hb bedeutet die Hymnen XXII bis XXVI auf den Codexseiten 116a bis 117b, Ha die Hymnen I bis XXI auf den Seiten 122 b bis 129b. Zwischen beiden ist auf den Blättern 118a bis 121b das Glossar Je17) ein- getragen, und zwar von der gleichen Hand, die Hb geschrieben hat. Die Vereinigung von Hb und Ha in dieser Reihenfolge hat stattgefunden, bevor, vom gleichen Schreiber Hb Je, die Glossen zur Benediktinerregel18) eingetragen wurden, da er für sie nicht ") Beschreibung des Cod. St. Gil. IV S. 600, Abbildung Baes. Abr. Tafel II. 14) Ed. St. S. 293ff., Beschreibung S. 298ff., Abbildungen Baes. Abr. Tafel VI und VII von den Bll. 2b und la und 4b. 15) Beschreibung des Cod. Siev. Einleitung. le) Der 26. Hymnus ist von Grimm und Sievers als XXVa bezeichnet, s. Siev. Vorwort S. IV und Einleitung S. 8. Ich bleibe bei dieser nun schon gewohnten Zählung. ") St. Gil. IV 1-25, vgl. zu den Affatimglossen Je Baes. Abr. S. 20ff. und S. 69ff., Beitr. 82, S. 275ff. le) St. Gil. II 49, 7-51, 18. Vgl. Hermaea S. 55 ff. χ nur die freigebliebene Seite 122 a, sondern rückgreifend noch den leeren Raum der Rückseite von Blatt 121 neben dem Glossar Je dazu benutzt hat. In den Lichtdrucken nach althochdeutschen Handschriften sind reichlich Proben des Jun. 25 herausgege- ben19). Diese Ausgabe der drei zwischenzeiligen Übersetzungswerke ist so eingerichtet, daß das Deutsche, von dem Lateinischen getrennt, in der Kolumne rechts steht. In der Handschrift fehlender Text ist kursiv gedruckt. Die Blätter der Lucasglossen sind am Rande so stark beschädigt, daß zum Teil der erste oder letzte Buchstabe der Zeile oder halbe Wörter an ihrem Anfang oder Schluß fortgefallen sind. Ich mache in der Bezeichnung keinen Unterschied zwischen diesen Ausfällen und sonst fehlen- den oder nicht mehr lesbaren Buchstaben, von denen wir anneh- men können, daß sie einst geschrieben wurden. Die Anmerkun- gen geben Auskunft über die Ursache des fehlenden Textes. Die Längsstriche, die das Zeilenende angeben, dienen demselben Zweck. Der Inhalt Diese drei Denkmäler führen uns nicht nur in ein Stück Sprachgeschichte ein, sondern sie offenbaren auch ihrem Inhalt nach Beschäftigung, Arbeitsweise und Geistesrichtung der Be- nediktinerklöster und damit der Klöster des frühen Mittelalters überhaupt. Wenn wir von den Kirchenvätern absehen, so ma- chen Evangelium, Hymnengesang und Psalmenlesungen einen großen Teil des monastischen Lebensinhalts aus, und die fleißige Übersetzungsarbeit an diesem Gedankengut des Christentums zeugt von der geistigen Regsamkeit und der religiösen Versen- kung der Klosterbewohner. Die Vorschriften für den göttlichen Dienst hat der Heilige Benedikt seinen Mönchen in der Regel 19) Von den Hymnen: Lichtdr. 28, 31, 32, 33, von Jb: 26, 27, von den GH. zu Β: 30, von Je und den Gll. zu Β: 29, von Ja: 34, 35.