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Draußen vor dem Ghetto: Leopold Kompert Und Die 'Schilderung Jüdischen Volkslebens' in Böhmen Und Mähren PDF

408 Pages·2015·14.393 MB·German
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Conditio Judaica 22 Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Hans Otto Horch in Verbindung mit Alfred Bodenheimer, Mark H. Gelber und Jakob Hessing M. Theresia Wittemann Draußen vor dem Ghetto Leopold Kompert und die »Schilderung jüdischen Volkslebens in Böhmen und Mähren Max Niemeyer Verlag Tübingen 1998 Die Deutsche Bibliothek - CLP-Einheitsaufhahme Wittemann, Maria Theresia: Draußen vor dem Ghetto : Leopold Kompert und die >Schilderung jüdischen Volkslebens« in Böhmen und Mähren / M. Theresia Wittemann. - Tübingen : Niemeyer, 1998 (Conditio Judaica ; 22) Zugl.: München, Univ., Diss., 1997 ISBN 3-484-65122-9 ISSN 0941-5866 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Nadele Verlags- und Industriebuchbinderei, Nehren Inhalt Danksagung VII I. Einleitung 1 1. Entstehung einer deutsch-jüdischen Identität 2 2. Die Ghettogeschichte als literarische Selbstvergewisserung 8 3. Von Heinrich Heine zu Leopold Kompert und Joseph Roth 17 4. Stand der literaturwissenschaftlichen und historischen Forschung .. 24 II. Überblick über die Geschichte der Juden in den böhmischen Ländern von 906 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts 39 III. Spielarten deutsch-jüdischer Belletristik im Vormärz 55 1. Das Ghetto als Schauplatz jüdischer Identitätskonflikte: Heinrich Heines Der Rabbi von Bacherach 59 Exkurs: Die Blutgeschichte von Damascus 83 2. Doch eine jüdische Heiligenlegende: Heinrich Arndts David Isaac 86 3. Zwischen Anziehung und Abstoßung: Jacob Kaufmanns Der böhmische Dorfjude 91 4. Leopold Komperts erste Veröffentlichungen: Aus dem böhmisch-jüdischen Leben 97 IV. Voraussetzung und Gestalt der böhmischen Ghettogeschichte 107 1. Das Erbe Auerbachs und seine Metamorphose 108 2. Dichter des Details: Leopold Kompert und Adalbert Stifter 122 3. Die Ghettogeschichte im Kontext des poetischen Realismus: Sprache, Milieu, Raum, Figuren 138 V. Das Leben in der böhmischen 'Gasse' im Spiegel der Geschichten Leopold Komperts 159 1. Anzeichen eines jüdischen Patriotismus: Der Kaiser und 'seine' Juden - Judith die Zweite, Ohne Bewilligung, Die beiden Schwerter 160 VI Inhalt 2. Sündenfall und Strafe: Soziale Ausgrenzungsmechanismen im Ghetto -Alt Babele, Schlemiel, Die Schweigerin, Gottes Annehmerin 178 3. Die Familie als Heimat: Komperts Beitrag zum Mythos der jüdischen 'Mamme' - Die Augen der Mutter, Der Dorfgeher, Christian und Lea, Die Schwärmerin, Eine Verlorene 196 4. Der Jude als Bauer und Handwerker: Eine literarische Utopie - Am Pflug, Die Prinzessin, Trenderl 218 5. Wie man im Ghetto heiratet: Brautschau und Familiengründung Der Min, Franzefuß, Von meinem Großvater 230 6. Die Greisenherrschaft: Alte Menschen als Kontinuitätsgaranten - Wie Hund und Katze, Roßhaar, Eisiks Brille 241 7. Von der getrennten zur gemeinsamen Lektüre: Wandel im Geschlechterverhältnis - Auf der Beschau, Julius Arnsteiners Beschau 247 8. Einbruch der Welt ins Ghetto: Auflösung hierarchischer Familienstrukturen - Die Seelenfängerin, Die Jahrzeit, Der Karfunkel 261 9. Jüdische Zwischen-Existenz in einer gewandelten Welt - Die Kinder des Randars, Zwischen Ruinen 277 VI. Zwischen Imitation und Eigenart: Die Ghettogeschichten Eduard Kulkes 299 VII. Ausblick: Theresienstadt - ein Ghetto des Todes auf böhmischem Boden 327 VIII. Anhang: Stationen im Leben eines Ghettoschriftstellers: Von Münchengrätz nach Wien 339 Glossar 353 Bibliographie 355 Primärquellen 355 Sonstige Quellen 358 Forschungsliteratur 362 Abbildungen 385 Personenregister 391 Danksagung Als literaturwissenschaftliche Spurensuche verdankt sich vorliegende Arbeit der Mitwirkung vieler. In Frau Dr. Gabriele von Glasenapp fand ich eine Briefpartnerin, die von Anfang an auf meine Anfragen positiv reagierte und mir bereitwillig eigene Forschungsergebnisse mitteilte. Ebenso unterstützte mich der Kurator für die historische Dokumentation im Jüdischen Museum Prag, Herr Dr. Jiri Fiedler, durch die Zusendung von geschichtlichen Details zum ehemaligen Ghetto in Münchengrätz, Angaben zur Familie Leopold Komperts sowie mit wichtigen Literaturhinweisen. Mein Doktorvater, Herr Prof. Dr. Gerhard Neumann hat das Entstehen des Textes mit stetem Interesse begleitet. Besonderer Dank gilt auch Herrn Profes- sor Yosef Hayim Yerushalmi für das freundliche Gewähren einer sehr infor- mativen 'Fragestunde' und Herrn Prof. Dr. Hans Otto Horch, der die fertige Studie mit großem Wohlwollen aufnahm und ihr einen Platz in seiner renom- mierten Reihe "Conditio Judaica" gewährte. Anja Schoene und Diana Schaumlöffel haben Korrektur gelesen und we- sentlich dazu beigetragen, daß die Arbeit auch für "Nicht-Eingeweihte' lesbar blieb. Ihnen und Herrn Till Schicketanz, der das Layout für den Druck erstellte, sei an dieser Stelle herzlich Dank gesagt. Schließlich sollen auch die Menschen nicht unerwähnt bleiben, die den äu- ßeren Rahmen für meine Studien schufen: Schwester Bernhild Schuster und den Schwestern des Provinzrates sowie Schwester Evita Hackl und allen Mit- schwestern und Freunden, die mir in den Monaten des intensiven Studiums mit Verständnis begegneten, möchte ich von Herzen danken. Ein Stipendium der Ludwig-Maximilians-Universität München erleichterte mir nicht nur die Beschaffung des weitverstreuten Materials, sondern gab mir auch die Möglichkeit, in Prag und Wien zu recherchieren. I. Einleitung Seit der Öffnung der politischen Grenzen nach Osteuropa hin ist das Interesse an der deutsch-sprachigen Literatur in den ehemaligen böhmischen Kronlän- dern des Habsburgerreiches (Böhmen, Mähren, Österreichisch-Schlesien) neu erwacht. Tatsächlich geriet in der literaturwissenschaftlichen Forschung der Nach- kriegszeit trotz oder gerade aufgrund vermehrter Beschäftigung mit dem Werk Adalbert Stifters das böhmische Hinterland fast in Vergessenheit. Die Situati- on der jüdischen Bevölkerung Böhmens sieht man bislang vor allem durch den Spiegel der Prager Literatur um die Jahrhundertwende. Doch ihr berühmtester Exponent, der um 1883 geborene Franz Kafka, gehörte bereits der dritten Ge- neration deutschschreibender Juden an, die sich ihrer Ghettovergangenheit nur noch ex negatione bewußt waren, d.h. im Leiden an metaphysischer Ungebor- genheit und unter dem Eindruck eines Identitätsdefizits. Die vorliegende Studie macht es sich zur Aufgabe, anhand literarischer Texte die voremanzipatorische jüdische Lebenswirklichkeit in den böhmischen Ländern, ihre Auflösung nach 1848 und die damit verbundene Identitätspro- blematik nachzuzeichnen. Erstmals wird damit den frühen deutschsprachigen jüdischen Schriftstellern dieser Region eine eigene Untersuchung gewidmet.1 Dies erscheint dringlich angesichts des Abstandes, den zwei Weltkriege zur Epoche der Emanzipation und dem damaligen jüdischen Integrationsversuch geschaffen haben, erst recht aber vor dem Hintergrund der Shoa2, als man zwi- schen 1938 und 1945 von deutscher Seite aus die systematische Ausrottung der auf dem Gebiet der Vorkriegs-Tschechoslowakei ansässigen Juden betrieb und eine mehr als tausendjährige Kultur zerstörte. 1 Einen fundierten Überblick über die Ghettoliteratur im gesamten deutschen Sprachraum bietet seit kurzem Gabriele von Glasenapp: Aus der Judengasse. Zur Entstehung und Aus- prägung deutschsprachiger Ghettoliteratur im 19. Jahrhundert. Tübingen: Niemeyer 1996 (Conditio Judaica. Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturge- schichte, 11). 2 Dieser Begriff (hebr. Katastrophe, furchtbares Unglück) wird im folgenden dem geläufige- ren, aber aus seinem ursprünglichen, theologischen Kontext gelösten Terminus 'Holocaust' (griech. Brandopfer, Ganzopfer) vorgezogen. Auch der 'Erfinder1 dieses Wortes, Elie Wie- sel, hat sich kürzlich, am 27. Januar 1997, öffentlich davon distanziert. 2 I. Einleitung 1. Die Entstehung einer deutsch-jüdischen Identität Der Fall der Ghettomauern im 19. Jahrhundert konfrontierte die Juden West- europas mit einer völlig neuen Situation. Er eröffnete ihnen nicht nur erst- mals in ihrer Geschichte den freien Zugang zu christlich-säkularer Bildung und Wissenschaft, sondern erforderte auch eine Neubestimmung ihrer eige- nen Identität, die sie bisher fraglos als eine ausschließlich religiöse begriffen hatten. Der Assimilationsdruck von Seiten der nichtjüdischen Mehrheit war enorm; möglichst rasch und endgültig sollte es zu einer Absorption der miß- liebigen, aber einer "bürgerlichen Verbesserung"3 fur würdig befundenen Minorität kommen. Die beste Voraussetzung dafür sah man - darüber waren sich die Nachlaßverwalter der Aufklärung einig, die die "Idee des universel- len Menschentums"4 zwar postuliert, aber im Blick auf die Juden nicht kon- sequent genug vertreten hatte -, im Übertritt zum Christentum oder, als Mi- nimum einzufordernder 'Dankbarkeit', wenigstens in der Aufgabe all dessen, was einer reibungslosen Einordnung in die Gesellschaft hinderlich war. Konkret hieß das: Neben dem äußeren Erscheinungsbild sollten die Mehr- zahl der Ritualvorschriften, die das koschere Essen, den koscheren Haushalt und selbst die Gebetspflichten betrafen, sowie unter Umständen (z.B. im Kriegsfall) auch die vorgeschriebene Sabbatruhe aufgegeben werden. Die zentrifugalen Kräfte, die solche Forderungen in der europäischen Judenheit freisetzten, waren groß. Nicht nur daß der gemeindliche Zusammenhalt, be- reits seit Jahrzehnten durch gesetzliche Bestimmungen geschwächt, sich nun vollends aufzulösen drohte, auch an den Grundfesten der Religion selbst wurde gerüttelt. In den deutschen Territorien vollzog sich der Eintritt der Ghettobewohner in die nichtjüdische Gesellschaft fast überstürzt. Eventuellen Bedenken trat man mit dem Hinweis auf Moses Mendelssohn (1729-1786) als dem geistigen Vater der Emanzipation entgegen. Er hatte'die verschiedenen Strömungen in- nerhalb der westeuropäischen jüdischen Aufklärung (Haskala) geeint und seine Glaubensgenossen zugunsten der jeweiligen Landessprache zur Aufgabe der "deutsch-jüdischen Mundart"5 und der talmudischen Argumentationsweise, des 3 Der preußische Staatsbeamte Christian Wilhelm Dohm hatte 1781 auf Bitten elsässischer Juden und durch Vermittlung Mendelssohns eine Schrift mit dem Titel Über die bürgerliche Verbesserung der Juden verfaßt, die grundlegend wurde für die österreichische und für die preußische Emanzipationsgesetzgebung. 4 David Sorkin: Juden und Aufklärung. Religiöse Quellen der Toleranz. In: Die Juden in der europäischen Geschichte. Sieben Vorlesungen. Hg. von Wolfgang Beck. München: Beck 1992 (Beck'sche Reihe, 496), S. 50-66, hier: S. 55f. 5 Vgl. Sander L. Gilman: Moses Mendelssohn und die Entwicklung einer deutsch-jüdischen Identität. In: Zeitschrift für deutsche Philologie 99 (1980), S. 506-520. - Die talmudische Argumentation besteht im Gegensatz zur abendländischen Logik in einer Frage- und Ant- worttechnik auf der Basis von Analogieschlüssen.

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