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Dramatisches Universum - Band 1 PDF

214 Pages·1.768 MB·German
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Preview Dramatisches Universum - Band 1

Vorbemerkung des Übersetzers J.G. Bennett (1897-1974) ist einer der bedeutendsten Exponenten der Lehre von der möglichen Evolution des Menschen, die von dem armenischen Mystiker G.I. Gurdjieff zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den Westen gebracht wurde. Zu Leben und Werk siehe https://de.wikipedia.org/wiki/John_G._Bennett. Die Übersetzung umfasst das erste Buch des ersten Bandes seines Hauptwerkes „The Dramatic Universe“, an dem Bennett viele Jahre arbeitete und das seine eigene Vision einer allumfassenden Kosmologie darstellt, wie sie von G.I. Gurdjieff in allegorischer Form in seinem Werk „Beelzebubs Erzählungen für seinen Enkel“ dargelegt wurde. Bennett war Naturwissenschaftler und sein zentrales Anliegen in diesem Teil besteht darin, eine Brücke zu bauen zwischen zeitgenössischem, wissenschaftlichem und dem hermetischen Denken. Bei diesem Versöhnungsprojekt ist er nicht der Erste und nicht der Letzte gewesen. Bereits die Schule des deutschen Idealismus verfolgte mit Goethe, Leipniz, Schelling und anderen ein ähnliches Anliegen. Unter den zeitgenössischen Denkern ist es insbesondere Ken Wilber mit seinem integralen Theorieansatz, der einmal mehr eine Theorie von All und Allem vorgestellt hat. Der Leser, der mit Wilbers ontologischen und epistemologischen Ansätzen vertraut ist, wird unschwer erkennen, dass Bennett viele von Wilders Ansätzen in einer Klarheit vorweggenommen hat, die fast den Eindruck des Plagiats aufkommen lässt, denn Wilber hat sich an keiner Stelle seines Werks auf J.G. Bennett bezogen, obwohl er sonst großen Wert auf umfangreiche Quellenzitation legt. Die Übersetzung des vorliegenden Teils des ersten Bandes stellte aus verschiedenen Gründen eine erhebliche Herausforderung dar. Zunächst hat Bennett zur Veranschaulichung seiner Überlegungen eine ganze Reihe eigener Neologismen entwickelt. Zum anderen hat er bestimmte Begriffe in einer sehr dezidierten Form verwendet, die über den gewohnten Sprachgebrauch hinausgeht. Zum dritten gleicht die Perspektive, aus der Bennett geschrieben hat, einem Ort „zwischen allen Stühlen“. Man hat oft den Eindruck, dass er sich nicht entscheiden konnte, ob er mit seinen Ausführungen vor allem die wissenschaftliche Gemeinde seiner Zeit erreichen wollte oder für den kleinen Kreis der mit Gurdjieffs Lehre vertrauten Eingeweihten schrieb, zu denen er gehörte, oder ob es ihm doch eher um die Allgemeinheit ging. Diese Unschärfe erleichtert die Lektüre nicht gerade und sie ist bei aller Brillanz und Präzision bei seinen Gedankengängen erkennbar. Die vorliegende Übersetzung ist eine Arbeitsfassung und erhebt keinen Anspruch auf vollständige Richtigkeit. Es fand kein Lektorat und Gegenlesen statt. Insofern ist der Text wahrscheinlich auch nicht fehlerfrei. Ich habe mich bemüht, so nah an Bennetts Sprache wie möglich zu bleiben und gleichzeitig auch eine gewisse Lesbarkeit herzustellen. Das Inhaltsverzeichnis und die Begriffserklärung beziehen sich auf den gesamten Band. Über jedwede Rückmeldungen zur Leseerfahrung freue ich mich. Dirk Böhm, im Juni 2018 [email protected] Das Dramatische Universum J.G. Bennett Band 1 Die Grundlagen der Naturphilosophie 𝛑ῶ𝛓 𝛄𝛆𝛎ό𝛍𝛈𝛎; 𝛑ό𝛉𝛆𝛎 𝛆ί𝛍ί; 𝛕ί𝛎𝛐𝛓 𝛘ά𝛒𝛊𝛎 ἧ𝛌𝛉𝛐𝛎; ἀ𝛑𝛆𝛌𝛉𝛆ῖ𝛎. 𝛑ῶ𝛓 𝛅ύ𝛎𝛂𝛍𝛂ί 𝛕𝛊 𝛍𝛂𝛉𝛆ῖ𝛎 𝛍𝛈𝛅ὲ𝛎 ἐ𝛑𝛊𝛔𝛕ά𝛍𝛆𝛎𝛐𝛓. Wie kam ich ins Sein? Wo komme ich her? Welchem Zweck dient mein Dasein? Um wieder zu verschwinden! Wie kann ich etwas lernen – nichts wissend? Vorwort Es besteht kein Zweifel, dass wir Menschen Teil der natürlichen Ordnung sind, aber wir können und müssen uns fragen, ob auch unsere Früchte derselben Ordnung entstammen. Die Frage, ob menschliches Dasein und das Dasein des Universums einander entsprechen, oder ob wir nur zufällige Gäste auf der kosmischen Bühne sind, muss jeden Menschen berühren – denn von der Antwort hängt die Entscheidung ab, welche Werte unser Leben bestimmen. Eine vollkommene Frage erfordert eine vollkommene Antwort, und diese kann nur unter Einbeziehung der gesamten menschlichen Erfahrung gegeben werden – unter Einbezug all dessen, was der Mensch in vergangenen Jahrhunderten über sich und das Universum gelernt hat. Ein solches Unterfangen ist offensichtlich unmöglich zu realisieren, solange nicht jede mögliche Erfahrung in ein schlüssiges System eingebracht werden kann, welches der menschliche Geist, dieses begrenzte und kapriziöse Instrument, in der Lage ist zu begreifen. Die Universalwissenschaften1 haben sich als Irrlicht erwiesen, die viele große Geister in den Morast bloßer Spekulation führten. Seit dem Scheitern von Hegels Kosmosophie2, Comtes Panhylismus3, Fechners Panenthismus4 und Bergsons Panpsychismus5 – um nur vier beachtenswerte Versuche eines allumfassenden Entwurfs zu nennen – hat sich die Philosophie von der Frage der Fragen abgewandt, um nunmehr dem herrschenden Kult der Spezialisierung zu folgen, in der Hoffnung, dass sich die Präzision bezüglich des Gegenstands gegenüber der Unbestimmtheit des Universalen als sicherer erweisen möge. Mittlerweile wurden die Grenzen menschlichen Wissens in alle Richtungen verschoben – Geschichte, Vorgeschichte und Paläontologie; Ethnologie und vergleichende Religionswissenschaften; Psychologie und Physiologie; Biochemie, Embryologie und Genetik; Physik, Astronomie und Mathematik – jede hat ihr Quentchen gutgesicherter Fakten beigetragen, die gemeinsam eine Situation geschaffen haben, wie es sie vielleicht nie zuvor in der langen Geschichte menschlicher Kultur gab. Wir müssen über viele Dinge nicht länger spekulieren, die unsere Vorfahren der Metaphysik oder Theologie zugeordnet haben, und es ist auch nicht mehr zulässig, das zu tun. Die Wissenschaften haben die alte spekulative Philosophie vernichtet, aber nichts an ihren Platz gestellt. Nun verfügen wir über all das Material für eine neue Synthese; aber es ist so gewaltig in seinen Ausmaßen und so verwirrend in seiner Vielfalt, dass kein einzelner menschlicher Geist auch nur den hundertsten Teil davon erfassen könnte. Kein moderner Pico della Mirandola könnte die gelehrte Welt herausfordern, über jeden bekannten Gegenstand zu sprechen. Kein moderner Descartes würde sich trauen zu behaupten, er habe alle Wissenschaften gemeistert. 1 Im Original: systema universi. (Anm. d. Übers.) 2 Der Begriff existiert nicht als philosophischer Begriff. Kosmos (gr. κόσµος kósmos ‚(Welt-) Ordnung‘, auch ‚Schmuck, Glanz, Ehre, militärische Ordnung, staatliche Ordnung‘), Sophia, gr. Weisheit. Etwa allumfassende Wahrheit. (Anm. d. Übers.) 3 Panhylismus (gr. πᾶν „alles“ und griechisch ὕλη, hylē ‚Stoff, Materie‘). Hyle taucht als philosophischer Begriff unter anderem im Kontext der aristotelischen Physik und Metaphysik auf, wo er innerhalb des Begriffspaares ‚Form‘ und ‚Stoff‘ verwendet wird. Hyle ist dort das erste Zugrundeliegende bar aller Bestimmung. (Anm. d. Übers.) 4 Panentheismus (gr. 𝛑ᾶ𝛎 („alles“) und ἐν θεῷ „in Gott“) ist ein 1828 von Karl Christian Friedrich Krause geprägter Terminus, der die Auffassung bezeichnet, dass das Eine in sich und durch sich auch das All sei. Bei späteren Autoren wird der Terminus als Bezeichnung für eine Auffassung gebraucht, nach der „Gott der Welt immanent und zugleich zu ihr transzendent ist, insofern die Welt ihrerseits Gott immanent, in Gott, von Gott umfasst ist“. (Anm. d. Übers.) 5 Panpsychismus (gr. 𝛑ᾶν pan „alles“ und ψυχή psyche „Geist, Seele“) ist eine metaphysische Theorie, der zufolge alle existenten (und nicht auf anderes reduzierbaren) Objekte geistige Eigenschaften besitzen. (Anm. d. Übers.) Und doch ist eine Synthese notwendig; denn solange nicht alles Wissen in ein schlüssiges System gebracht werden kann, müssen wir entweder die Hoffnung begraben, den Platz des Menschen im Universum zu finden oder anderenfalls in frommer Ergebung Dogmen akzeptieren, die die Erkenntnisse der Naturwissenschaften außer Acht lassen und uns der dauerhaften Trennung von Fakten und Werten fügen, die die Hauptursache unserer gegenwärtigen Verwirrung sind. Mehr als 35 Jahre sind vergangen, seit ich im Frühjahr 1929 zu der Überzeugung gelangt bin, dass viele hartnäckige Probleme gelöst würden, wenn wir das Hindernis überwinden könnten, Ereignisse lediglich in Form von Raum und Zeit zu denken und wenn wir unseren Horizont weiten würden, um die unsichtbare und unerforschte Dimension der Ewigkeit einzubeziehen. Ich nahm mir vor, die Dilemmata von Wissenschaft und Philosophie zu studieren – etwa das Äther-Paradox oder den Widerspruch von freiem Willen und universellem Gebot – um herauszufinden, ob das Material zur Erkenntnis der Ewigkeit nicht unbemerkt direkt vor unseren Augen läge. Bald darauf traf ich Gurdjieff, der mich sehen ließ, dass es nicht genügt, mehr zu wissen und dass es notwendig ist, mehr zu sein, wenn wir den Schleier von Raum und Zeit durchdringen wollen. In den darauffolgenden Jahren lernte ich bei ihm die Elemente einer umfassenden Kosmologie kennen, die versprach, die Welten des Faktischen und der Werte zu versöhnen und die Grundlagen einer neuen Weltanschauung zu legen. Gurdjieffs Kosmologie war, wiewohl großartig in ihrem kühnen Entwurf, weit davon entfernt, die Erkenntnisse der modernen Wissenschaften hinreichend zu würdigen. Viele Jahre kämpfte ich mit dem Problem, diese beiden Dimensionen zu vereinen. 1940 beschloss ich schließlich, einen neuen Anlauf zu nehmen und begann, das vorliegende Buch zu schreiben. Nach und nach sah ich, wie die Fragmente sich zusammenfügten und erkannte, dass die Systematisierung der gesamten menschlichen Erfahrung mehr als eine entfernte Möglichkeit bildete. Die Aufgabe lag völlig jenseits meiner eigenen Kräfte und konnte noch nicht einmal versuchsweise ohne die Zusammenarbeit mit Spezialisten in Angriff genommen werden, die mir bei der Lösung des Problems halfen, das ich für entscheidend hielt – zu zeigen, dass die mathematischen und physikalischen Wissenschaften einen ausgedehnteren dimensionalen Rahmen als den von Raum und Zeit benötigten, selbst in der in den Arbeiten Minkowskis und Einsteins verallgemeinerten Form. Das Vorhaben nahm Fahrt auf und es wurde deutlich, dass die zwei großen Probleme, die Systematisierung aller Gegebenheiten und die Versöhnung aller Werte nur gelöst würden, wenn wir für immer den engen Erdenbezug ablegen könnten, der ein so seltsames Relikt des Mittelalters ist und immer noch alle Diskussionen um die menschliche Bestimmung beherrscht. Der vorliegende Band beschäftigt sich lediglich mit der Welt der Gegebenheiten; er entstand parallel zum zweiten Band, den ich, wie ich hoffe, in ein oder zwei Jahren zur Veröffentlichung vorbereiten werde. Nur zusammen gelesen kann die Bedeutung des Werks für die Frage nach dem Platz des Menschen im Universum sichtbar werden. Zwischenzeitlich möchte ich klarstellen, dass dieses Buch keine Präsentation von Gurdjieffs Kosmologie darstellt. Es ist meine eigene Abhandlung, und vieles in ihr stammt aus Quellen, die mit Gurdjieffs Lehre sind nur wenig im Sinn haben. Sie zielt auf eine Präsentation, die nicht nur Berufsphilosophen zugänglich ist, sondern jedem Leser, der sich nicht scheut, das nicht unerhebliche Risiko des Versuchs auf sich zu nehmen, die Grundlagen zu meistern und sich mit der speziellen Terminologie vertraut zu machen, die zur Vermeidung von irreführenden Assoziationen notwendig ist. Nichtsdestotrotz hätte sie ohne die Stimulation durch Gurdjieffs inspirierte Einsicht in den kosmischen Plan nicht geschrieben werden können und auch nicht ohne Erdung in seinen Methoden, die ich das Glück hatte, von ihm persönlich und von seinem großen Schüler und Exponenten Ouspensky zu empfangen. Nicht lange vor Gurdjieffs Tod im Oktober 1949 sprach ich mit ihm über diese Arbeit und erzählte von der Richtung, in die ich mich bewegte. Er bewies durch seine Kommentare, dass er ihre Schlussfolgerungen vollständig begriff, leugnete aber jedes persönliche Interesse, indem er sagte: „Das ist Ihre Arbeit, nicht meine – macht nichts, wird gute Werbung sein für Beelzebub“, sich dabei auf sein eigenes Buch beziehend, All und Alles, das 1950 posthum veröffentlicht wurde. Ich akzeptierte seine Einschätzung. Gurdjieffs All und Alles enthält Einsichten, die weit über jene hinausreichen, zu denen ich selber kommen konnte, und jedem Leser, der nicht bloß eine neue Weltsicht, sondern eine neue Lebensweise zu finden hofft, ist geraten, Gurdjieffs Werk zu studieren, wie ich es getan habe. Nach vielleicht dreißig sorgfältigen Lektüren entdecke ich in ihm immer noch neue Bedeutungsebenen und – wie ich mich freue zu sagen - neue Belege, dass die Hauptannahmen meines Werks mit der direkten Intuition eines Genies übereinstimmen, dass ich mich nicht scheue übermenschlich zu nennen. Unter den vielen `Krümeln´ von der Ideentafel Gurdjieffs, die mein Denken bereichert haben, ist die Lehre von der gegenseitigen Erhaltung am wichtigsten, nach der jede erkennbare Entität in jeder Form von Existenz am universellen Austausch von Energie teilhat – im eigenen Dasein erhalten und das Dasein anderer erhaltend. Die Idee der gegenseitigen Erhaltung bildet insofern den Eckstein von Gurdjieffs Lehre, als sie beides erleuchtet, Gegebenheit und Wert, aber sie ist nur eine seiner vielen kühnen und originellen Vorstellungen. Er ließ weder ein geordnetes Denksystem zurück, noch schien er an einer systematischen Darstellung interessiert zu sein – er überließ es seinen Nachfolgern, die Ernte der Ideen einzubringen, die er gesät hatte. Eine Reihe von Büchern ist erschienen, die sich mit dem einen oder anderen Aspekt von Gurdjieffs Lehre und Methoden befassen, und Andere wurden durch seine Ideen inspiriert, ohne ihre Quelle zu erwähnen. Für nichts, was ich geschrieben habe, möchte ich Gurdjieffs Autorität in Anspruch nehmen, auch nicht für die Interpretationen, die auf seinem eigenen geschriebenen Wort beruhen; aber ich habe den Wusch, die Inspiration seiner Lehre zu würdigen und vielleicht noch mehr den Einfluss, den seine Individualität auf mein Leben hatte. Die Form des Buches selber ist integraler Teil der Darlegung, denn ich bleibe dabei, dass die Systematisierung des Materials die Systematisierung der Darstellung erfordert. Die Teilung in zwei Teile entspricht dem Dualismus von Rationalismus und Empirie, den das Buch in der korrelativen Triade von Sein, Funktion und Willen sowie hyponomen6, autonomen und hypernomen7 Formen des Daseins zu versöhnen sucht. Auf diese Weise fortfahrend sind das Rationale und das Empirische auf jeder Stufe auf`s Neue dazu gezwungen, einander zu bewältigen. Eine solche Methode wäre vor auch nur fünfzig Jahren schwerlich zu bewältigen gewesen, denn unser empirisches Wissen war damals noch ohne Zweifel umfassend genug, um das Gefäß der rationalen Spekulation zu füllen. Nun ist der Spieß umgedreht worden und die waghalsigste Spekulation wird überrollt von der Lawine empirischer Befunde. Das Werk ist notwendigerweise holprig – bei einigen Gegenständen kann ich mich auf die Gewissheit des Spezialisten berufen – aber ich habe mir vorgenommen, die Balance zwischen den Wissenschaftsbereichen ohne Rücksicht auf meine eigenen besonderen Studien zu wahren. Ein solches Werk muss notwendigerweise nur so von Irrtümern, Auslassungen, falscher 6 Zur Unterordnung tendierend. (Anm. d. Übers.) 7 Zur Überordnung tendierend. (Anm. d. Übers.) Beweisführung und ungenauer Zusammenfassung strotzen. Es war nicht mein Ziel, ein Kompendium der Wissenschaften oder eine systema naturae im Geist des siebzehnten Jahrhunderts zu schaffen. Ich wage mich an die weit riskantere Aufgabe, zu zeigen, dass die Erfahrung selbst es ist, die uns, wenn geduldig befragt, ihre eigene Lektion erteilen und die Frage beantworten wird, ob oder ob nicht der Mensch in seiner Gesamtheit und das Universum in seiner Gesamtheit Manifestationen derselben Gesetze sind und auf denselben Mustern beruhen. Ich wünschte zutiefst, ich könnte eine Sprache benutzen, der jeder ernsthafte Leser sofort in der Lage wäre zu folgen. Unglücklicherweise ist der Gegenstand so gewaltig, dass die Benutzung spezieller Zeichen zur Bestimmung wiederkehrender komplexer Begriffe unvermeidlich war. In den meisten Fällen haben sprachliche Zeichen genügt, aber in den Kapiteln 13-16 wäre die Vermeidung mathematischer Zeichen nur um den Preis erheblich ausgedehnter Erklärungen zu haben gewesen. Das Buch enthält jedenfalls nur wenig Mathematik – viele hundert Seiten mathematischer Analyse wurden ausgelassen oder in den drei Anhängen verdichtet – und ich habe nur selten versucht, auch nur eine Auswahl der Beweise aufzustellen und zu präsentieren, die manche der vorgebrachten Behauptungen unterstützen. In Konsequenz dieser Beschränkungen praktischer Natur erscheinen viele Passagen als unbegründete Spekulation oder schlimmer noch als unausgewogene Auswahl anschaulichen Materials. Ich kann nur hoffen, dass jene, die realisieren, dass wir um jeden Preis eine Möglichkeit finden müssen, all das, was die Naturwissenschaften in den letzten Jahrhunderten entdeckt haben, in eine kohärente Ganzheit zu bringen, eher bereit sind, der Methode eine Chance zu geben; und dass sie, falls kundig im einen oder anderen der behandelten Gegenstände, eher bereit sind, die Lücken zu füllen und die Fehler zu korrigieren, als das ganze Unternehmen zu verdammen. Ich habe bereits meine elementare und vorrangige Verpflichtung Gurdjieff gegenüber erwähnt. Ich möchte meine dankbare Wertschätzung auch jenen gegenüber zum Ausdruck bringen, die mich bei dem Vorhaben unterstützten. Der erste ist Mr. (nun Professor) M.W. Thring der hunderte von Stunden mit der Suche nach einer Möglichkeit verbrachte, meine Auffassungen von Zeit und Ewigkeit in mathematischen Begriffen zu interpretieren. Ohne seine brillante Arbeit hätten die zentralen Kapitel dieses Buches nicht geschrieben werden können. Nach ihm wurde die Aufgabe von Mr. R.I. Brown übernommen, mit dem ich die sechsdimensionale Geometrie in Kapitel 15 ausgearbeitet habe und für mich selbst die überaus wichtige, bis dahin nie vorgenommene Unterscheidung der drei inneren Dimensionen von Zeit, Ewigkeit und Hyparxis klärte. Der letztere Begriff wurde eingeführt, um den zeit-ähnlichen bestimmenden Zustand zu bezeichnen, durch den Kopplung, Interaktion und die Entstehung von Bewusstsein möglich werden. In Kapitel 4 über die Sprache wurde mir sehr durch den Rat und die Kritik von Boys geholfen, in den Kapiteln zur Biologie von Dr. Isobel Turnadge. Dr. Maurice Vernet half mir sowohl durch seine Bücher als auch durch viele fruchtbare Diskussionen und es hat mich sehr ermutigt zu sehen, dass wir von verschiedenen Ausgangspunkten zu ähnlichen Schlussfolgerungen bezüglich der Natur und Rolle des Lebens gelangten. Mr. Anthony Pierie hat das gesamte Werk korrekturgelesen. Meine Schüler im Institut für Vergleichende Studien in Geschichte, Philosophie und den Wissenschaften dienten mir durch ihre Reaktionen während der Lektüre in Studiengruppen und Sommerkursen als Prüfstein. Im Verlauf der fünfzehn Jahre, seit ich mit dem Schreiben des Buches begonnen habe, wurde es mindestens ein Dutzend Mal geändert und vollständig neu geschrieben. Die beschwerliche Aufgabe, mein gesprochenes und geschriebenes Wort zu deuten, fiel in den ersten neun Jahres Miss Cathleen Murphy zu und in den letzten fünf Jahren Mrs. Joan Cox. Mrs. E. Sawrey Cookson hat zwei Jahre an der Verbesserung der Darstellung gearbeitet. Diesen drei Damen und vielen anderen, die mir geholfen haben, bin ich auf eine Weise verpflichtet, die nur schwer wieder gutzumachen ist. Meine Verleger und insbesondere Mr. Paul Hodder-Williams stimulierten und ermutigten mich in diesem Vorhaben; es ist etwa zehn Jahre her, seit wir beschlossen, dass das Buch veröffentlicht werden sollte. Auch als Jahr um Jahr verstrich und die Arbeit unvollendet blieb, ist ihr geduldiges Vertrauen, dass die Aufgabe bewältigt werden sollte und würde, nie ins Schwanken geraten. Ich bin ihnen wirklich dankbar. Trotz all der Hilfe, die mir zu Teil wurde, ist mir sehr bewusst, wie sehr das Buch unter dem Anspruch eines Hartmann oder Lotze bleibt. Die einzige Rechtfertigung für seine Veröffentlichung liegt in der Überzeugung, dass das Vorhaben einer Systematisierung allen menschlichen Wissens nicht länger aufgeschoben werden kann und iim Wissen, dass jene, die als Spezialisten (inklusive der Berufsphilosophen) besser dazu geeignet wären, sich scheuen würden, einen so riskanten Pfad zu beschreiten. Die verbleibenden und zu bewältigenden Aufgaben sind zweifacher Natur. Wir müssen zunächst nach einem schlüssigen und adäquaten System von Werten suchen, die uns helfen zu verstehen, warum wir als Menschen existieren und wie wir leben müssen, um unserer Existenz gerecht zu werden. Die moderne Welt lehnt es hartnäckig und berechtigterweise ab, die Gewänder alter Systeme und Theologien zu tragen, die weder stichhaltig in ihrer Kosmologie sind, noch der Erfahrung entsprechen. Fortan werden wir weder akzeptieren, was wir fühlen, aber nicht verstehen, noch einen `kategorischen Imperativ´ befolgen, dem es nicht gelingt, die Billigung durch unsere Empfindungen zu erreichen. Die menschliche Spezies – die als individualisiertes Sein zu betrachten ist – bewegt sich von der Kindheit zur Pubertät. Wir können uns nicht länger mit den naiven Glaubenssätzen und Spekulationen zufriedengeben, die unser Verhalten in den Tagen der Kindheit prägten. So wie unser Erfahrungsschatz zunimmt, muss er mehr und mehr seinen Platz als Hauptquelle unserer Urteile einnehmen – aber durch subjektive Erfahrung entdeckte Werte können nur zufriedenstellen, wenn ausreichend bewiesen ist, dass sie auch auf der kosmischen Skala gültig und bedeutsam sind. Wir sollten vor allem jedem System misstrauen, das nur auf das menschliche Leben auf der Erde anwendbar ist oder auf irgendein phantasievolles Bild von ähnlichem Leben auf anderen Welten, hier oder `jenseits´. Im vorliegenden Band habe ich die Gleichwertigkeit von Gegebenheiten jeden Maßstabs und auf allen Ebenen betont. Das, was man `kosmische Intuition´ nennen könnte, zwingt uns, dieselbe Gleichwertigkeit für jedes akzeptable System von Werten zu fordern. Dies erfordert unter anderem eine umfassende Versöhnung von Wert und Gegebenheit, die nur in einem dritten Prinzip gefunden werden kann, das in der Lage ist, jede mögliche Erfahrung zu harmonisieren und jeder möglichen Existenz Bedeutung zu verleihen. Das Bestreben, die Natur dieses universal versöhnenden Prinzips zu formulieren bildet die zweite Aufgabe, die zu bewältigen ist. Es trifft sich gerade – und dies mag auch als Beweis dienen, dass unsere Bestimmung durch eine höhere Macht geleitet oder zumindest beeinflusst wird, - dass unser Wissen vom Universum - das Wissen um die menschliche Natur und die Geschichte inbegriffen - immens gewachsen ist. Es gibt jeden Grund zu der Annahme, dass dieser Fortschritt sich fortsetzen und der Menschheit größere Handlungsmacht geben wird als jemals zuvor. Die zerstörerischen und selbstzerstörerischen Handlungen der menschlichen Rasse haben eine erschreckende Eigenbewegung entwickelt. Obwohl es Anzeichen von Gegenbewegung gibt, ist die Menschheit weit davon entfernt, zu begreifen, in welchem Ausmaß Werte neu bewertet werden müssen, wenn wir überleben wollen. Glücklicherweise gibt es Gründe zur Hoffnung, dass das Wachstum des Wissens den Weg für ein besseres Verständnis der wahren Bedeutung des Lebens auf der Erde und in der universalen Ordnung bereitet. Indem wir uns zunehmend der Gesetze bewusst werden, welche die universalen Transformationen von Energie regieren, werden wir auch unsere Haltung unseren Wertesystemen gegenüber ändern. Ein wichtiges Element dieser Neubewertung muss in der Überwindung menschlicher Ästhetik und erdgebundener Theologien liegen. Alles, was existiert, Groß und Klein, ist von der Suche nach Werten betroffen, und wir Menschen müssen die Tatsache akzeptieren, dass unser kleines Klassenzimmer, die Erde, nicht das Zentrum des Universums ist. Wir können jedenfalls nicht zufrieden sein mit der bloßen Negation des Geozentrismus. Wenn unsere Werte sowohl universal als auch positiv sein sollen, müssen wir einen Schlüssel finden, um sowohl das `Warum` als auch das `Was` des kosmischen Prozesses zu verstehen. Das Postulat von der Gleichartigkeit von Gegebenheit und Wert wird sich als Instrument unbegrenzter Macht erweisen und kann uns, wenn auf die Erhellung der Doktrin des Gegenseitigen Erhaltens angewendet, eine schlüssige Antwort auf die fundamentalen Fragen unserer Existenz geben. Ich kann hier nicht mehr hoffen, als darauf, das wenige, was ich von Anderen gelernt habe, auszudrücken und mich selber im kosmischen Plan zu verstehen. J.G. Bennett Coombe Springs, Juni 1956 Inhalt Vorwort Einführung ERSTES BUCH: DIE GRUNDLAGEN TEIL EINS: METAPHYSIK Kapitel 1: Ausgangspunkte 1.1.1. Erste und letzte Fragen Nachdem die rationale Suche nach finalen Erklärungsprinzipien gescheitert ist, müssen wir uns einem kompromisslosen Relativismus zuwenden. Unsere Grundsätze müssen empirisch und empfänglich für Ausarbeitung und Verfeinerung sein. 1.1.2. Das Drama der Ungewissheit Ungewissheit und Risiko unbezweifelbar Elemente all unserer menschlichen Erfahrung – wir sollten deshalb die Annahme prüfen, dass alles Existierende dem Risiko unterliegt – das würde bedeuten, dass das Universum dramatisch ist. 1.1.3. Die Grenzen menschlicher Wahrnehmung Wir müssen die Grenzen der Sinneswahrnehmung und der intellektuellen Fähigkeiten des Menschen akzeptieren und anerkennen – die kurze Dauer des menschlichen Lebens und die Mangelhaftigkeit der Aufzeichnungen haben den Verlust des größten Teils der in einer Epoche erworbenen Erfahrung zur Folge. 1.1.4. Formen des Denkens Drei Arten des Denkens, (a) assoziativ, (b) logisch inklusive der Dialektik und (c) supralogisch – ungeachtet seiner extremen Seltenheit ist supra-logisches Denken für alle wichtigen Fortschritte in Wissenschaften und Künsten verantwortlich. 1.1.5. Die Bedeutung der Zahl Die Wichtigkeit multiperspektivischer Systeme in jeder Erfahrung gibt der Zahl eine Bedeutung jenseits der Arithmetik – Zahlen sowohl qualitativ als auch quantitativ. 1.1.6. Konkrete Formen und Magie Die konkrete Bedeutung der Zahl entsteht direkt in der Erfahrung – der alte Glaube, dass die Einsicht in Zahlen magische Kräfte verleiht heute in Verruf geraten – der Glaube an Magie herrscht immer noch in verschleierten Formen, nicht weniger naiv als die früheren – die wahre Bedeutung konkreter Formen. 1.1.7. Der schrittweise Zugang Wir werden einer Methode allmählicher Annäherung folgen – weder induktiv noch deduktiv – Versöhnung von Empirismus und Rationalismus. Kapitel 2. Die Entwicklung der Kategorien 1.2.1. Kategorien und Prinzipien Der Unterschied zwischen konkreten und abstrakten Aussagen – Abstraktion ist unvermeidbar, aber Ziel ist es, größtmögliche Konkretheit zu erreichen – Kategorien sind konkrete Formen, die in der Erfahrung erkannt werden – ursächliche Aussagen über Kategorien sind Prinzipien – Erklärung der Natur unserer Kategorien – Unterschiede zu denen von Aristoteles, Kant, Whitehead. 1.2.2. Die numerische Serie der Kategorien Kategorien bilden eine geordnete Abfolge – jede ist mit einer Zahl verbunden, die die Anzahl von Termen definiert, die für ihre Verwirklichung notwendig sind – Festsetzung der ersten zwölf Kategorien – Unterschied zu Hegels Entwicklung der Vorstellung. 1.2.3. Ganzheit Ganzheit ist allgegenwärtig, aber relativ – die Relativität von Ganzheit impliziert verschiedene Grade an Zusammengehörigkeit – Ganzheit als Eigenschaft man selbst zu sein. 1.2.4. Polarität Polarität als Dyade von Verbindung und Trennung – jedes Paar bildet eine Triade, aber die meisten Triaden sind banal – Polarität lässt Kraft entstehen. 1.2.5. Verbundenheit Alle Beziehungen sind reduzierbar auf drei unabhängige Terme – bejahende, verneinende und versöhnende Elemente – komplexe vielgestaltige Beziehungen sind immer auf die drei Elemente reduzierbar. 1.2.6. Dasein Dasein als einfache Identität – entsteht durch existenzielle Begrenzung innerhalb einer Struktur. 1.2.7. Möglichkeit Möglichkeit als komplexe Identität – entsteht durch Überlagerung von Triaden – erfordert nicht weniger als fünf Terme – Möglichkeit verbunden mit Sensitivität und daher mit dem Leben. 1.2.8. Wiederholung Wiederholung als Kombination von Unterschied, Identität und Bezogen Sein – erfordert zumindest sechs Terme - Wiederholen ist Rhythmik – auch die Bedingung für Wissen. 1.2.9. Struktur Struktur als organisierte Ganzheit – erlaubt Selbstregulation – erfordert sieben Terme – die Suche nach der universalen Form aller Formen – illustriert durch das Wachstum einer Eichel zum Baum. 1.2.10. Individualität Die Fähigkeit ein freies Agens zu sein – Selbstheiten – Macht der Wahl – organisierten Strukturen wohnt Initiative inne – erfordert acht Terme. 1.2.11. Muster Passives Muster als Ergebnis eines geordneten Prozesses – aktives Muster als Quelle der Ordnung – Muster ist universal – erfordert neun Terme. 1.2.12. Kreativität Die Macht, Muster hervorzurufen – der Charakter von Kreativität ist polar – 10 Terme erforderlich. 1.2.13 Herrschaft Die Macht Ordnung und Unordnung zu versöhnen – Herrschaft partizipiert nicht – Verbundenheit universaler Formen – Herrschaft, Bedürfnis und Notwendigkeit – Voraussetzung für Kreativität – erfordert elf Terme. 1.2.14 Selbstbeherrschung Gebündelte Macht – Selbstbeherrschung ist `sich selbst Gesetz´ - letzte Kategorie der natürlichen Ordnung – aber nur Vorbote der Kategorien der Werte – Quelle der methodologischen Regel der universellen Ähnlichkeit. Kapitel 3. Elemente der Erfahrung 1.3.1. Hylē Erfahrung als gegebene Totalität - `Realität´ bleibt undefiniert - Erfahrung ist notwendigerweise unvollständig und inkonsistent - Spezialisierung muss, wenn auch in den Naturwissenschaften erlaubt in der Philosophie aufgegeben werden – die Verbreitung dualistischer Theorien aufgrund der Beschränktheit des menschlichen Denkens – Verstehen ist nur möglich, wenn alle Erfahrung aus einem Stoff besteht – Einführung des Begriffs Hylē, um das materielle Substrat der Existenz zu bezeichnen.

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