Detlev Stummeyer Domagk 1937 – 1951 Im Schatten des National sozialismus Domagk 1937–1951 Detlev Stummeyer Domagk 1937–1951 Im Schatten des Nationalsozialismus Detlev Stummeyer Edingen-Neckarhausen Deutschland ISBN 978-3-662-61386-3 ISBN 978-3-662-61387-0 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61387-0 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany Danksagung Ursula Ferdinand, Berlin hat mir dankenswerterweise nicht ausgewertete Dokumente aus dem Universitäts-Archiv Münster Gerhard Domagk und Herbert Siegmund betreffend überlassen und damit alles Weitere angestoßen. Manfred Messerschmidt, Freiburg, der die historische Forschung um Paul Bosse fach- kundig angeregt und gefördert hat, bin ich in herzlicher Dankbarkeit verbunden. Ohne Hans Hermann Pogarell vom Bayer-Archiv Leverkusen und ohne seinen Spürsinn wäre diese Arbeit nicht möglich gewesen. Einschließen in meinen Dank möchte ich die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der verschiedenen Archive in Münster, Duisburg, Wiesbaden, Göttingen, Halle, Hannover, Berlin, Freiburg, München, Greifswald, Hamburg und Frankfurt sowie Washington DC und Stock- holm, mit deren Dokumenten oftmals wichtige Fragen geklärt werden konnten. Dies gilt in gleicher Weise den Angestellten der Universitätsbibliothek Heidel- berg für die Literaturbeschaffung. In besonderer Weise zeigte sich die Instituts- bibliothek der Geschichte der Medizin in Heidelberg hilfsbereit, die über eine breite Literatur zur Sulfonamid-Problematik verfügt. Andrea Weber-Knapp und John Petermann machten sich die Mühe, Korrektur zu lesen. Aber ohne die Hilfe meiner Frau, ihr Interesse an diesem Thema als Enkelin von Paul Bosse und ohne ihren Zuspruch wäre dieses Projekt nicht entstanden. Dafür sei ihr besonders gedankt. V Vorwort Es gibt bisher erst eine Biografie über Domagk. Das erstaunt wegen seiner wissen- schaftlichen Bedeutung – hauptsächlich wegen der Entdeckung der antimikro- biellen Eigenschaft der Sulfonamide, die 1939 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde. Weniger bekannt ist er als Tuberkulose- oder gar als Krebsforscher. Am wenigsten verlässlich bekannt jedoch ist seine Haltung zum Nationalsozialis- mus. Domagk war ein in der Industrie forschender Pathologe, wozu er sich ent- schieden hatte, weil er hier im Gegensatz zur Universität anspruchsvollere Arbeitsbedingungen anzutreffen hoffte – mit Recht. Doch er ließ den Faden zur Universität nie abbrechen: 1958 wurde er in Münster Ordinarius, nachdem die nachdrängende Penicillinära nicht mehr aufzuhalten war. Wenn Domagk und seine Stellung im Nationalsozialismus angemessen beurteilt werden sollen, muss seine Prägung zum erklärten Deutsch-Nationalen mit seiner markanten Aversion gegen liberale und demokratische Strebungen und Sympathien für das „3. Reich“ einerseits, seine Eingebundenheit in die damalige I.G. Farben andererseits berücksichtigt werden – sie war eng verbunden mit NS-Deutschland; I.G. Farben verdiente während des Kriegs alleine schon an der massenhaften Produktion kriegswichtiger Sulfonamide für die Wehrmacht. Inso- fern ist Domagks Involviertheit in das nationalsozialistische Deutschland alles andere als verwunderlich, zumal er, hochgeehrt, zur ärztlichen Elite gehörte, deren Vertreter zum großem Teil mit dem NS-System zusammenarbeiteten. Hier wird versucht, soweit die vorgefundenen Unterlagen hierzu Auskunft geben, wichtige Etappen in der Zeit von 1937 bis 1951 zu beleuchten sowie das weithin vergessene Sulfonamidbuch seines frühen Mitstreiters Paul Bosse aus der Vergessenheit zu holen, das in der erbittert geführten Auseinandersetzung um eine Sulfonamidbehandlung in der Kriegschirurgie eine bedeutsame Rolle spielte. Eine Neubewertung seiner Nobelpreisehrung wird versucht; ebenso wird seine Tuberkuloseforschung näher kritisch beleuchtet. VII VIII Vorwort Domagk – im Schatten des Nationalsozialismus: Die NS-Zeit überschattete sein Leben und warf nach dem Krieg so ihre Schatten, dass er nicht den ihm gebührenden Erfolg ernten konnte. Detlev Stummeyer Inhaltsverzeichnis 1 Das ominöse Tagebuch ...................................... 1 2 Domagks Lebenserinnerungen ............................... 7 3 Domagk und Behnke ........................................ 17 4 Marfanil und die Kriegschirurgie ............................. 23 4.1 Sulfonamide in der Geschichte ............................ 23 4.2 Zur Sulfonamidforschung in der Kriegschirurgie .............. 27 4.3 Der unentschiedene Streit in der Kriegschirurgie? ............. 41 5 Die Nobelpreisehrung ....................................... 47 6 Das Sulfonamidbuch Bosse-Bosse-Jaeger ....................... 63 6.1 Zur Genese des Sulfonamidbuchs .......................... 65 6.2 Das Sulfonamidbuch .................................... 67 6.3 Paul Bosse und seine Familie im Nationalsozialismus .......... 71 6.4 Kein Schutz für die Familie Bosse .......................... 76 7 Domagks Geheimnis ........................................ 79 7.1 Historisches ........................................... 79 7.2 Conteben ............................................. 85 7.3 INH (Isonicotinsäurehydrazid) ............................. 92 7.4 Fälschungen ........................................... 97 7.5 Zusammenfassung ...................................... 101 7.6 Ausklang ............................................. 105 8 Catel und die Mammolshöhe ................................. 109 9 Domagks engster Mitarbeiter ................................. 115 10 Resümee .................................................. 127 IX Kapitel 1 Das ominöse Tagebuch Es gibt kein „Tagebuch“ von Gerhard Domagk und doch muss es hier Thema werden. Seine vermeintliche Existenz hat die Aufgabe zu unterstreichen, wie wenig Domagk vom Nationalsozialismus beeinflusst ist. Er hat das, was später „Tagebuch“ genannt wird, Anfang der 1960er Jahre als Lebenserinnerungen geschrieben. Domagk selbst macht in seinen Memoiren keinen Hehl aus seinen Sympathien für Hitler und deswegen taugt es auch nicht als Kronzeuge für seine Gegnerschaft zum NS-System, es sei denn man unterschlägt die anderslautenden Stellen von der langanhaltenden Loyalität. Robert Behnisch, einer der Domagk zuarbeitenden Chemiker, hat schon 1986 in diesem Sinn davon geschrieben, dass Domagk für die Gestapo, die ihn im November 1939 verhaftet, schon länger zur Gruppe der Verdächtigten gehöre – ohne Beleg und entgegen den Dokumenten.1 Es stellt sich im Gegenteil die Frage, wieso die Rede vom „Tagebuch“ so wirk- mächtig werden konnte, dass diese Annahme bisher nur halbherzig infrage gestellt wurde. Gleichzeitig wird er aber auch Opfer dieser Umdeutung von Erinnerung zu „Tagebuch“. Die Zitate aus dem „Tagebuch“ wollen die Verstrickung unkennt- lich machen. Aber damit werden auch die Erfolge, die seine Verstrickung in das NS-System offenbaren, geschmälert: Er ist als Tuberkuloseforscher weitgehend unbekannt. Grundmann, sein erster und bisher einziger Biograf, reklamiert für ihn wegen der Entwicklung des ersten synthetischen Tuberkulostatikums einen zweiten Nobelpreis.2 Deswegen kann man sagen, der Schatten des National- sozialismus, in dem Domagk steht, überdauert die Zeit des Nationalsozialismus. Zum ersten Mal in der wissenschaftlichen Literatur wird 1992 ein „Tagebuch“ von Domagk erwähnt, nachdem Domagks Lebenserinnerungen bereits 1989 1Behnisch R (1986) Die Geschichte der Sulfonamidforschung. MPS, Mainz, S. 49. 2Grundmann E (2001) Gerhard Domagk – Der erste Sieger über die Infektionskrankheiten. LIT, Münster, S. 127. Die 2., textlich unveränderte Auflage erscheint 2018. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 1 D. Stummeyer, Domagk 1937–1951, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61387-0_1 2 1 Das ominöse Tagebuch für die Broschüre „Ein Pionier, der Medizingeschichte machte“ im Literatur- verzeichnis aufgeführt sind. Frank Ryan, der 1990 das Bayer-Archiv Lever- kusen im Rahmen seines Buchprojekts aufsucht, discovered dabei the diary of Gerhard Domagk. Ryan bedankt sich bei Götz Domagk, dem ältesten Sohn von Gerhard Domagk, für den ungehinderten Zugang zu diesem „Tagebuch“. In einer Fußnote erklärt er, wie es entstanden sei: Dieses Dokument sei Schreibmaschinen geschrieben, etappenweise von Gerhard Domagk seiner Sekretärin diktiert und von ihm selbst korrigiert worden. Die mannigfachen Zitate aus Domagks diary, die in Ryans Buch vorgenommen werden, sind nicht mit entsprechenden Seiten- zahlen belegt, da die Paginierung des Dokuments irregular sei, so Ryan weiter.3 Wer dieses Dokument, Domagks „Tagebuch“, selbst zur Hand nimmt, ver- steht Ryans Kommentar. Selbst bei flüchtigem Lesen wird schnell deutlich, dass dieses „Tagebuch“ mit Hilfe von Unterlagen nach dem Krieg geschrieben sein muss. Es wäre auch fahrlässig und gefährlich von Domagk gewesen, ein tatsäch- liches Tagebuch mit NS-kritischen Einträgen aus dem Jahr 1944/1945 zu führen, nach seinen Erfahrungen mit der Gestapo im November 1939. Auch bei ihm wird schnell aus dem genialen Führer Adolf der Wahnsinnige.4 Und Domagk gibt sich erstaunlich wenig Mühe, seine Sympathie für Hitler und seine Zusammenarbeit im NS-System nicht offenzulegen, die ihm – da er kein Parteimitglied ist – in keiner Weise verdächtig ist. Es lässt sich Ryans Kommentar zu dem „Tagebuch“, es sei von Domagk abschnittsweise diktiert worden – diese Aussage legt er dessen Sohn in den Mund – so lesen, als habe Domagk für das Diktat das originale, handschriftliche Tagebuch benutzt. Auch wenn man davon absieht, dass es genügend Hinweise gibt, die die Existenz eines solchen originalen Tagebuchs verneinen, bleiben diese diktierten „Tagebucheintragungen“ wegen der Möglichkeit, Auslassungen und Ergänzungen vorzunehmen, „Lebenserinnerungen“ – wie sie auch im Archiv genannt werden. Gerade in diesem Zusammenhang ergeben sich viele offene Fragen, wenn der Zeitrahmen von Domagks Autorenschaft feststeht. Besonders fällt dies auf, wenn Domagk die Entwicklung seiner Tuberkulose- forschung schildert. Sie kann nur im Abstand von Jahren geschrieben sein, weil sie sich eher liest wie eine Geschichte, die den Leser an den wichtigen Marksteinen dieser Entwicklung nicht teilnehmen läßt. Und ebenfalls gibt er sich keine besondere Mühe, seine Erinnerungen in eine Tagebuchform zu bringen: Auf jeden Fall hat er, wenn überhaupt, nur sehr wider- willig diese Verwandlung mitgetragen. Von einem originalen Tagebuch Domagks ist in der wissenschaftlichen Literatur nicht die Rede, nur von diary entries – und diese stammen aus seinen Lebenserinnerungen! 3Ryan F (1992) Tuberculosis: The Greatest Story Never Told. Swift Publishers, Bromsgrove, S. 414, 415. 4Domagk G (o. J.) Lebenserinnerungen (unveröffentlichtes Manuskript), S. 237 [BAL (Bayer-Archiv-Leverkusen) 271–2. Wenn nicht anders angegeben, wird aus Bd. I zitiert.]