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Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit: Ein Handbuch PDF

1069 Pages·2010·13.187 MB·German
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Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit Herbert Jaumann (Hrsg.) Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit Ein Handbuch De Gruyter ISBN 978-3-11-018901-8 e-ISBN 978-3-11-024106-8 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbiblio- grafie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2011 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/New York Gesamtherstellung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com Vorwort Gegenstand des Bandes sind orientierende, repräsentative Diskurse, deren Felder untereinander in Beziehung stehen und in denen die Mitglieder der frühneuzeitlichen Gelehrtenkultur arbeiten und produzieren, d. h. nach deren Tagesordnungen und innerhalb von deren Grenzen eben die Ge- lehrtenkultur selbst prozediert. Was die in Aussicht genommenen Themen angeht, hing es in erster Linie von den schließlich zur Mitarbeit gewonnenen Autoren ab, wel- che Themen bearbeitet wurden und auf welche verzichtet werden mußte. Dabei konnten sich verschiedene Veränderungen ergeben: Modifi katio- nen der Themenstellungen, Neuakzentuierungen, Verknüpfungen von zunächst getrennt gesehenen Aspekten zu einem neuen, synthetischen Thema, besonders aber auch die Hinzunahme anderer, hier nicht berück- sichtigter Themen. Für mögliche Themen und Themenkomplexe wurde zunächst ein Ma- ximalprogramm von mehr als 70 Themenstichworten zusammengestellt, die (hier nicht aufgelistet) vorläufi g in sechs Gruppen gegliedert waren: 1. Philologie und Artes, Poesie, Antikerezeption 2. Kulturen 3. Theologie, Kirche 4. Philosophie 5. Recht, Politik 6. Naturforschung, Mathesis, Medizin, materielle Kultur Da die sechs Themenbereiche nicht trennscharf unterschieden werden können, sind einige Themenstichworte in mehr als einer Gruppe auf- getreten. Solche Überschneidungen sind naturgemäß unvermeidlich und verweisen nur auf die zum Teil enge Verbindung der Kulturbereiche und Disziplinen (der infl ationäre Gebrauch des Worts ›Vernetzung‹ ist schwer erträglich, weshalb es hier unbenutzt bleiben soll). Zu umgehen wären solche Überschneidungen allenfalls mit Hilfe einer extrem kleinteiligen Gruppierung. Der thematische Horizont, der sich durch die am Ende zusammengekommenen Arbeiten ergibt, ist gewiß weit. Dennoch ist das Handbuch weder enzyklopädisch noch erschöpfend – Exhaustivität ist in Bereichen, deren Ausdehnung nicht defi niert ist, ohnehin ein Ding der Unmöglichkeit. Eine Gesamtschau ist weder deduktiv noch konsensuell VI Vorwort je erreichbar. Niemand kann sagen, was ›alles‹ ist. Aber auch diesseits unsinniger Ansprüche ist die Liste der fehlenden Beiträge lang. Manches wäre dringend zu wünschen gewesen: mehr Untersuchungen zur Antike- rezeption (etwa der Rezeption von Gellius und Lukian), dazu mehr Reli- gions- und Kirchengeschichte und vor allem mehr ›Kirchen- und Ketzer- geschichte‹; es fehlen Beiträge zu Recht und Jurisprudenz, zu Utopismus und ›Generalreformation‹ um 1600, zur Sozietätenbewegung, zur Wirt- schafts- und Technikgeschichte, zur Geschichte der Entdeckungsfahrten, zur Wahrnehmung der ›Wilden‹, zu den neu aufgeworfenen Fragen der Menschheitsgenese und zur Geschichte der frühneuzeitlichen Anthropo- logie. ein Handbuch Wie die Beiträge dieses Bandes sich von jeder Art von Lexikonartikel un- terscheiden sollten, so war auf der anderen Seite ebensowenig an einen Aufsatzband mit detaillierten Spezialuntersuchungen zur Gelehrten- und Wissenschaftsgeschichte gedacht. Es wäre vielmehr erfreulich, wenn dieser Band am Ende als ein Handbuch charakterisiert werden könnte, das neben zuverlässiger Sachinformation (auch Grundlageninformation) den Nach- druck auf Prüfung, Refl exion und, wenn nötig und möglich, Innovation von Deutungsperspektiven legt, ohne daß in jedem einzelnen Fall schon ausgearbeitete materiale Alternativen angeboten werden mußten. Konzeption des Handbuchs Die titelgebende Verwendung von Diskurs sei hier ausdrücklich als Konzes- sion an den konventionellen kulturwissenschaftlichen Sprachgebrauch ver- standen. Diskursanalysen in einem theoretisch ausgewiesenen Sinn sollten nicht ausgeschlossen sein, wurden aber auch nicht angestrebt, bestimmte theoretische Ansprüche sind hier mit dem Diskurs-Begriff also nicht not- wendig verbunden. In der heute üblichen vagen Bedeutung – meist als eine bloße Abbreviatur – signalisiert die Rede von ›Diskursen‹ gemeinhin allenfalls, daß man nicht an einer Darstellung interessiert ist, die die un- tersuchten Sachverhalte in erster Linie Autoren oder, allgemeiner, Personen zurechnet. In der Tendenz autorenunabhängige Frageinteressen, die es – soweit überhaupt denkbar – gerade in der deutschen Geisteswissenschaft seit dem 19. Jh., jedenfalls lange vor der Etablierung des Diskurs-Begriffes, stets gegeben hat, pfl egen bis heute auch mit Begriffen wie ›Problemge- schichte‹, ›Formgeschichte‹ oder ›Ideengeschichte‹ benannt zu werden, und der Titel des vorliegenden Projektes möchte Fragerichtungen dieser Art durchaus einschließen. Im Prinzip jedoch ist es den Autoren der Beiträge überlassen geblieben, ob und in welcher Richtung sie explizit theoriege- leitet verfahren und argumentieren wollten. Entscheidend waren und sind Vorwort VII die Ergebnisse, die ihre Untersuchungen für die Erkenntnis des Gegen- stands zutage fördern würden, mit oder ohne eine explizite Orientierung an einem wie immer verstandenen Diskurs-Begriff und den beträchtlichen Problemen, die damit nach wie vor verbunden sind.1 Frühe Neuzeit Unter Früher Neuzeit ist die europäische Makroepoche zwischen Spät- mittelalter und Französischer Revolution zu verstehen, also etwa das 15.– 18. Jahrhundert, in den landläufi gen Begriffen: vom Renaissancehumanis- mus bis zur Aufklärung, oder nach dem Vorschlag des großen Historikers Delio Cantimori (1955): die età umanistica von Petrarca bis Goethe oder von Cola di Rienzo bis Saint-Just. Diese Abgrenzungen sind vage, aber die Unschärfe bietet den Vorteil der Lizenz zur Flexibilität im einzelnen Fall. Wichtiger sind die Probleme des Namens und des Begriffs Frühe Neuzeit (dazu mein Art. in: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. 1. Berlin, New York 1997). Epochenbezeichnungen sind weder wohldefi - nierte mathematische Zeichen, noch sind sie von einem terminologischen System getragen. Sie sind vielmehr überkommene Wortprägungen hetero- gener Herkunft, in der Regel mit einer eigenen, oft speziellen Geschichte. Man muß damit vorlieb nehmen, voluntaristische Versuche kurzfristiger Korrekturen sind hier aussichtslos, und seien sie – man denke an den notorischen Fall des ›Barock‹-Begriffs – noch so überzeugend und not- wendig. Es hilft nur ebenso geduldige wie insistierende Refl exion auf die Vor- und Nachteile der im Gebrauch befi ndlichen Namen. Zu diesen ist sicher das Bestimmungswort ›früh‹ zu zählen, das dem Begriff automa- tisch den Index einer ›Vorgeschichte‹ zu einer ›späteren‹ (und womöglich ›eigentlichen‹) Neuzeit verpaßt und damit eine Teleologie suggeriert, die der Absicht, die besondere Eigenständigkeit dieser Epoche zu bekräfti- gen, auf fatale Weise zuwiderläuft und durch den gewissen Charme, den die Beschäftigung mit einer ›Frühzeit‹ verspricht, kaum aufgewogen wird. Ein Motiv für das Studium der Kultur der Frühen Neuzeit und dieser Epoche überhaupt ist es, sich deren Andersartigkeit wie auch Fremdheit so deutlich und nötigenfalls auch so drastisch vor Augen zu führen wie möglich, also den hier so häufi gen Anachronismus mit allen Mitteln zu meiden. Man kann das, etwa mit dem großen Historiker Lucien Fèbvre,2 1 Eine gut orientierende, differenzierte Übersicht über die Probleme in den verschiedenen Disziplinen, nicht nur in der Politikwissenschaft, vermittelt Brigitte Kerchner: Politik als Diskurs. Diskurstheorien und Diskursbegriffe in der Politikwissenschaft - ein Überblick. Berlin: Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft 2002 (POLYHIST, 14). 2 »le péché des péchés – le péché entre tous irrémisible: l’anachronisme«, in: Lucien Fèbvre: Le problème de l’incroyance au XVIe siècle. La religion de Rabelais (1942). Paris 1968, S. 15. VIII Vorwort zum Motiv von Geschichtsforschung überhaupt erklären – bei der Konzi- pierung auch dieses Handbuchs ist es leitend gewesen. Zwar ist die Frühe Neuzeit das Gestern zum Heute (und nicht das Vorgestern wie u. a. das sog. Mittelalter), d. h., es geht der Moderne unmittelbar voraus. Aber sie ist doch auch das Andere zur Identität der Neuzeit, die sich nicht zuletzt auch durch die Distanzierung, ja Abstoßung von der alteuropäischen Ge- lehrtenkultur, etwa deren grundsätzlich rhetorischer Verfassung oder der Nachahmungsdoktrin in der Dichtung, als Neuzeit selbst defi niert. Ein weiteres zentrales, aber seltsam unterschätztes Problem sind die beträcht- lichen Unterschiede in der Extension eines Epochenbegriffs je nach dem Sachgebiet, auf den er angewendet wird. So wird man den Beginn der Frühen Neuzeit ganz verschieden ansetzen müssen, je nachdem ob man die Geschichte der Waffentechnik, der Astronomie oder der Rhetorik im Auge hat – deren Vertreter übrigens alle, wenngleich in unterschiedlichem Maße, der Gelehrtenkultur angehören, mögen sie Leonardo da Vinci oder Jacopo Aconcio, Kopernikus oder Lipsius heißen. Gelehrtenkultur Darunter wird nicht nur die intellektuelle und theoretische, sondern auch die soziale und materielle Kultur verstanden, in der der gelehrte Autor lebt und für die er schreibt. In der europäischen Frühen Neuzeit ist ein Gelehrter eine Person, die in der Regel Institutionen des gelehrten Un- terrichts durchlaufen hat und mit bedeutenden Schriften hervorgetreten ist. Daß diese Bedeutung und der Diskurs, dem er zuzurechnen ist, noch heute anerkannt ist, zählte keineswegs zu den Auswahlkriterien dieses Handbuchs. Daß in der unübersichtlichen Gegenwart des frühen 21. Jahrhunderts etwas als bedeutsam erscheint, ist keinesfalls ein Kriterium für dessen reale Bedeutung. Die hier anvisierte Gelehrtenkultur beruht auf einem jüdisch-christlichen Fundament. Der Islam liegt nicht nur im spanischen Al-Andalus noch erheblich näher als in den Jahrhunderten der späteren Neuzeit. Selbstverständlich ist schließlich die Überlieferung bzw. Kontinuität der griechischen und lateinischen Antike, mehr oder weniger vermittelt durch das Christentum: Generell ist ein Aspekt dieser Gelehr- tenkultur immer Antikerezeption, classical tradition. Die Gelehrtenkultur ist den sich in eben der Frühen Neuzeit bildenden Nationalkulturen in Europa gemeinsam. Die frühneuzeitliche Kultur ist pränational, nicht in- ternational, und in diesem Sinne so übernational, wie sie in Europa seither nie wieder gewesen ist und nie wieder sein kann, selbst wenn die Vision eines postnationalen Europas, immer wieder voreilig beschworen, in ferner Zukunft einmal Wirklichkeit werden sollte. Für das Studium der Frühen Neuzeit ist die Kenntnis der Gelehrtenkultur auch deshalb so wichtig, weil die Kultur dieser Epoche durch nichts so geprägt ist wie durch den Typus Vorwort IX des Gelehrten und die Wissensformen, die dieser in unterschiedlichen Ämtern, Praktiken und kulturellen Produkten seiner Tätigkeit vermittelt und vertritt. Dieser Typus steht seit dem 15./16. Jahrhundert zwischen dem mittelalterlichen Kleriker und dem spezifi sch neuzeitlichen ›Intel- lektuellen‹ (oder auch dem ›Ideologen‹) sowie dem ›Gebildeten‹. Diese drei zuletzt genannten Begriffe gehören vor allem wegen ihres gänzlich säkularistischen Inhalts der Moderne seit der Wende zum 19. Jahrhundert an. Sie auf die Frühe Neuzeit oder noch weiter zurückzuprojizieren (wie u. a. bei Jacques Le Goff: Les intellectuels au Moyen Âge, zuerst 1957), trägt eher zur Verwirrung bei. Das Studium der Gelehrtenkultur ist schließlich zu unterscheiden von Wissenschaftsgeschichte schlechthin. Der Begriff der ›Wissenschaft(en)‹ und die Begriffe ihrer einzelnen Disziplinen werden meist in einer in ihren Konturen nicht ausreichend historisierten Bedeu- tung, also anachronistisch verwendet. Die ›Wissenschaften‹, die in den Diskursen der Gelehrtenkultur getrieben wurden, sind angemessen wohl als Artes et Scientiae zu bezeichnen, und beides ist schwerer in moderne Sprachen zu übersetzen, als es gewöhnlich scheint.3 Der Dank des Herausgebers gilt zuerst den Autoren, die ihre Beiträge ohne Ausnahme für diesen Band verfaßt haben, sowie dem Verlag De Gruyter und namentlich Herrn Dr. Heiko Hartmann, der das Projekt mit angeregt und konzipiert und während dessen Entstehung beständig mit kompetentem Rat begleitet und gefördert hat. Berlin und Neunburg, im Dezember 2009 Herbert Jaumann 3 Artes etwa kann man in diesem Zusammenhang gewiß nicht als ›Künste‹ wiedergeben, allenfalls als ›Kunstlehren‹.– Strikter noch ist die Abgrenzung gegen Spielarten der sog. ›Wissensgeschichte‹ nach Foucault und seinem Anhang oder gar der sog. ›Poetologie des Wissens‹ – hier ist schon die Wortbildung des Titels suspekt. Die Erledigung dieses selbst- gewiß als kulturwissenschaftliches Paradigma daherkommenden Ansatzes hat auf scharf- sinnige Weise Gideon Stiening geleistet: Am »Ungrund« oder: Was sind und zu welchem Ende studiert man ›Poetologien des Wissens‹? In: KulturPoetik 7.2 (2007), S. 234–248. Die korrekte Wortbildung ›Poeseologie‹ statt der wohl unausrottbaren falschen Bildung fi ndet sich inzwischen in aller wünschenswerten Genauigkeit begründet von Wilfried Barner: Poetologie? Ein Zwischenruf. In: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften 9 (2005), S. 389–399.

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