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Direkte Demokratie: Forschung und Perspektiven PDF

386 Pages·2003·14.951 MB·German
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Theo Schiller· Volker Mittendorf (Hrsg.) Direkte Demokratie Theo Schiller' Volker Mittendorf (Hrsg.) Direkte Demokratie Forschung und Perspektiven Westdeutscher Verlag Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet uber <http://dnb.ddb.de> abrufbar. 1. Auflage Dezember 2002 AIle Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden 2002 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Fachverlagsgruppe BertelsmannSpringer. www.westdeutscher-verlag.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne dec Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jeder mann benutzt werden diirtten. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Biidde, Darmstadt Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier ISBN-13:978-3-531-13852-7 e-ISBN-13:978-3 -322-80430-3 DOl: 10.1007/978-3-322-80430-3 Gliederung 1. Neue Entwicklungen der direkten Demokratie Theo Schiller/Volker Mittendorf 7 2. Direkte Demokratie - Forschungsstand und Perspektiven OtmarJung 22 I. Entwicklung, Formen und Ergebnisse direktdemokratischer Verfahren 3. "Weimarer Erfahrungen": Heute noch eine Orientierungshilfe? Reinhard Schiffers 65 4. Obligatorisches Referendum, Plebiszit und Volksbegehren - drei Typen direkter Demokratie im europaischen Vergleich Roland Erne 76 5. Direkte Demokratie in der Schweiz: Ergebnisse neuerer empirischer Untersuchungen Lars P. FeldlGebhard Kirchgassner 88 6. Direkte Demokratie in den deutschen Bundeslandem Frank Rehmet 102 7. Die Entwicklung der Rechtsprechung zu Volksbegehren und Volksentscheid nach der Deutschen Einheit Peter Neumann 115 8. Das Verfahren zur HerbeifUhrung eines Volksentscheids als Filter am Beispiel eines Drei-Lander-Vergleichs Diana Schaal 153 II. Biirgerbegehren und Biirgerentscheid in den Gemeinden 9. Beschnittene Anwendungsbereiche fUr Bi.irgerbegehren und -entscheid Roland Geitmann 166 10. Kommunale Referenden in den ostdeutschen Kommunen - Regelung, Anwendungspraxis, Bestimmungsfaktoren Hellmuth Wollmann 179 II. Direkte Demokratie als verhandlungsdemokratischer Impuls - Wirkungen kommunaler Referenden in NRW Jorg Bogumil 194 12. Das Output-Spektrum von Bi.irgerbegehren und Bi.irgerentscheiden Andreas Kost 207 13. Wirkungen der direkten Demokratie auf das kommunale Parteiensystem Andreas Paust 218 6 Gliederung 14. Bilrgerbegebren und Bilrgerentscheid in den Hamburger Bezirken - eine Zwischenbilanz Andreas Dressel 231 15. Die direktdemokratische Praxis in den Hamburger Bezirken: Zwischen Konsenssuche und administrativer Sabotage Karsten Vollrath 249 III. Meinungsbildung und Kommunikation in der direkten Demokratie 16. Direkte Demokratie lemen oder Demokratie direkt lemen? Demokratiepadagogik als Demokratiepolitik Gerhard Himmelmann 262 17. Qualitative Unterschiede in der Wahl-und Abstimmungskamptkommunikation Volker Mittendorf 276 18. Prlldispositionen und Kampagnen bei Schweizer Volksabstimmungen Claude Longchamp 288 IV. Perspektiven direkter Demokratie 19. Reformperspektiven zum abrogativen Referendum in Italien Anna Capretti 305 20. Der Platz der direkten in einer parlamentarischen Demokratie Erwin K. Scheuch 316 21. Zur Diskussion tiber Volksbegehren und Volksentscheid auf Bundesebene Klaus Hahnzog 324 22. Das Design der Direkten Demokratie und deren Qualitllten Andreas Gross 331 Quellen und Literaturverzeichnis 340 Autorinnen und Autoren 385 Informationsquellen im Internet 387 Neue Entwicklungen der direkten Demokratiel Theo Schiller/Volker Mittendorf I. Eine Wende der Demokratiedebatte Seit etwa 1990 hat sich die Diskussion tiber Demokratie in Deutschland nachhaltig verandert: in den 90er Jahren gewann die Debatte tiber direkte Demokratie aktuelle und praktische Bedeutung. Bis dahin lag das Gravitationsfeld der Demokratie in der Bundesrepublik beim Verfassungstypus der parlamentarischen Reprasentativdemokra tie, die das Grundgesetz in den Mittelpunkt gerUckt hatte, und die von vie len Verfas sungsjuristen als allein verbindliches System beschworen wurde. Trotz des Autbruch signals von Bundeskanzler Willy Brandt, "mehr Demokratie" zu wagen, das von ba sisdemokratischen Bewegungen in Protestform aufgegriffen wurde, entwickelten sich zunachst keine entscheidungsrelevanten Positionen und VorstOBe, die zu einer struktu rellen Erweiterung direktdemokratischer Verfassungselemente h!itten ftlhren kOnnen. An der begrenzten Praxis der Volksbegehren und Volksentscheide in Bayem auf Lan desebene und der BUrgerentscheide auf Kommunalebene in Baden-WUrttemberg machte sich keine Dynamik ftlr einen breiteren Ausbau der direkten Demokratie in der alten Bundesrepublik Deutschland fest. Zwar festigte sich von 1949 bis 1989 zweifel los die politische UnterstUtzung und das Systemvertrauen der BevOlkerung ftlr die Demokratie, doch fllhrte auch ein zunehmender Meinungstrend ftlr mehr Beteili gungsmOglichkeiten durch Volksabstimmungen und auch die Protestpraxis der 70er und 80er Jahre noch nicht zu einer Erweiterung des institutionellen Repertoires. Ab 1989/90 brachten zwei Entwicklungen eine Wende in der Stagnation der di rekten Demokratie in Deutschland: zum einen das Ende der DDR und die deutsche Vereinigung, zum anderen die Verfassungsreform in Schleswig-Holstein nach der Barschel-Affiire. Mit Schleswig-Holstein ftlhrte erstmals nach langer Zeit ein Bundes land Volksrechte fllr die Landesgesetzgebung in erheblich erleichterter Form ein (drei stufig mit Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid) und erOffnete auch auf Kommunalebene die Beteiligungsform von BUrgerbegehren und BUrgerentscheid (vorher nur Baden-WUrttemberg seit 1956). Mit dem Ende der DDR und seinen dra matischen BUrgerprotesten wurde der BUrgerentscheid noch im letzten DDR Kommunalgesetz verankert, danach in allen Gemeindeordnungen der ostdeutschen I Am 20.121. Juni 2001 fand an der Universitllt Marburg (Forschungsstelle BUrgerbeteiligung und Direkte Demokratie, Institut fUr Politikwissenschaft) die Tagung Uber "Direkte Demokratie -Forschungsstand und Perspektiven" statl. Wir danken den Referenten, dass sie ihre Beitrllge fUr diesen Band zur VerfUgung gestellt, Uberarbeitet und erweitert haben. Einige weitere Beitrllge wurden zuslltzlich fUr den vorliegenden Band erbeten. FUr die ehrenamtliche Mitarbeit an der inhaltlichen Gestaltung und organisatorischen Mitar beit danken wir herzlich Herrn Dipl. Pol. Frank Rehmet. Unser besonderer Dank gilt Herrn Dr. JOrg Rappl, dem Leiter des Referats Demokratieentwicklung in der Hessischen Landeszentrale fUr politische Bildung, Wiesbaden, der diese und frUhere Tagungen zu Problemen von Demokratie und BUrgerteilhabe inhaltlich und finanziell gef{lrdert hat. 8 Theo Schiller / Volker Mittendorf Bundeslllnder, eben so Volksbegehren und Volksentscheid in den Landesverfassungen der neuen Lander (Paulus 1996). Die Gemeinsame Verfassungskommission von Bun destag und Bundesrat filr die Grundgesetzanpassung nach der deutschen Einheit schlug zwar auf diesem Hintergrund mit Mehrheit Volksbegehren und Volksentscheide auch fllr die Bundesebene vor, doch die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit fand sich nicht (vgl. Klages 1996). 1m Verlauf der 90er Jahre kam es jedoch auch in allen westdeut schen Bundeslandem zur Einft1hrung des kommunalen BUrgerentscheids (auJ3er in Berlin fllr die Bezirksebene) und in einigen Landern zu Diskussionen (und Teilergeb nissen) Uber Verfahrenserleichterungen bei Volksbegehren auf Landesebene. FUr die Bundesebene wurde zwar die Diskussion durch die Koalitionsvereinbarung der rot grUnen Regierung 1998 begonnen, doch bis 2002 ohne Ergebnis. Die europaische Ebene trug ebenfalls zu verstlirkter Aufinerksamkeit filr das Thema bei, da in mehreren Liindem weitere Integrationsentscheidungen wie Maastricht oder der Ni zza-Vertrag Volksabstimmungen auslOsten (Danemark, Frankreich, Irland) und fllr die Osterweite rung der EU sogar durch den zust!indigen EU-Kommissar Verheugen ein Referendum ins Gesprach gebracht wurde. Insgesamt wurde also in dem Jahrzehnt nach 1990 die Debatte Uber direkte Demokratie in Deutschland neu erOffnet und auf eine praxisrele vante Grundlage gestellt. Diese Entwicklung konnte sich auch auf positive Einstel/ungen der Bevolkerung stUtzen. Unabh!ingig von den Schwankungen volksabstimmungstrachtiger Themen zeigt sich in der Offentlichen Meinung der Bundesrepublik seit lllngerer Zeit eine sta bile Befilrwortung direktdemokratischer EntscheidungsmOglichkeiten mit zunehmen der Tendenz, die im Zusammenhang mit der Beurteilung der anderen Institutionen politi scher Willensbildung, insbesondere der Parteien, gesehen werden muss. Bereits seit den spaten 70er Jahren sprachen sich etwa die Halfte der BUrger fllr die Moglich keit von Volksentscheiden aus, in den 80er und 90er Jahren haben diese Werte noch zugenommen und lagen in Ostdeutschland anfangs sogar noch hOher (Noelle Neumann/KOcher 1993: 558-567; Fuchs 1997: bes. 272 ff.). Auf die Frage nach er wUnschten Grundgesetzanderungen wurde im November 1991 die Einfllhrung des Volksentscheids in den alten Undem von 66 Prozent, in den neuen Undem sogar von 80 Prozent der Befragten geriannt (Noelle-Neumann/KOcher 1993: 567). Seit im Lauf der 90er Jahre die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie in Ost deutschland noch deutlicher als im Westen zurUckging, verloren allerdings auch die der Demokratie zugeordneten Prinzipien etwas an Zustimmung, so auch der Wunsch nach Volksabstimmungen: Obersicht: ErwUnschte BeteiligungsmOglichkeiten Umfassende und direkte Volksabstimmung bei BUrgerbeteiligung (allg.) wichti en Fragen West (%) Ost (%) West (%) Ost (%) 1990 56 62 52 64 1993 60 66 60 72 2000 51 47 56 55 Quelle: Niedermayer (2001: 86) auf Grund diverser Umfragen. Neue Entwicklungen der direkten Demokratie 9 Bei den Eliten zeigte sich zunachst (Mitte der 90er Jahre) mehr ZurUckhaltung (deutli cher fUr Westdeutschland). Bei einer Differenzierung nach Generationspragungen wurde jedoch eine Polarisierung zwischen reprasentativen und "plebiszitaren" Demo kratievorstellungen sichtbar, denn die wahrend der Wohlstands- und der Protestphase der Bundesrepublik sozialisierten Eliteangeharigen erweisen sieh stark "plebiszitar" ausgeriehtet und befurworten Volksbegehren zu rund zwei Dritteln, wahrend die aus der Nachkriegsgeneration und frUheren Generationen Stammenden nur zu etwa 40 Prozent diese Position teilen (BUrklin 1997a: 244 und ders. 1997b: 400 ff.). Auch hier ist also die Grundstimmung erstaunlich positiv und in der Generationsentwieklung auf weitere Festigung angelegt. Nicht nur die EinfUhrung von Volksabstimmungen als neue Beteiligungsform wird relativ stark unterstUtzt, sondem auch die Bereitschaft zur Mitwirkung scheint ver breitet. So erklarten 1997 in einer Umfrage 35 Prozent, dass eine Beteiligung an BUr gerbegehreniBUrgerentscheiden fur sie in Frage kame. Diese erklarte Handlungsbereit schaft liegt zwar deutlich unter den oben genannten UnterstUtzungszahlen, doch be wegt sich dieser Wert in der oberst en Gruppe von 30 bis 35 Prozent, in die auch die meisten anderen Aktivitatsformen fallen (z. B. Unterschriften sammeln, sich an Be harden wenden, Mitarbeit in BUrgerinitiativen, Rechtsweg, UnterstUtzung von Interes senverband); die UnterstUtzung einer Partei kam auf28 %, die Mitarbeit in einer Partei nur auf 16 Prozent. Dass der tatsachliche Aktivitatsgrad fur alles sehr viel niedriger ausfallt, versteht sich von selbst, und es kann auch kaum Uberraschen, dass nur 9 Pro zent sich tatsachlich schon an einem BUrgerbegehrenl-entscheid beteiligt hatten (vgl. Gabriel 1999: 318 ff., 320). Auch in der sozial- und rechtswissenschaftlichen Literatur ist unverkennbar ein neues Interesse an Themen der direkten Demokratie zu verzeichnen. Zum einen sind groBere Arbeiten zu erwahnen, die intemationale und vergleichende Erfahrungen zu ganglich machen und verarbeiten. Neben Cronin (1989) und Butler/Ranney CZ1994) sind im deutschsprachigen Raum Luthardt (1994) mit Schwerpunkt auf europaischen Vergleichen und Mockli (1994) mit breiter angelegter Perspektive zu nennen, darUber hinaus die Rezeption der US-amerikanischen Praxis bei Billerbeck (1989), HeuBner (\ 994) und StelzenmUller (1994), mit Detailstudien zu Kalifomien Glaser (\ 997) und zu Finanzabstimmungen Bauer (\ 997). Zum anderen wurden fUr Deutschland ebenfalls seit Mitte der 80er Jahre juristische und rechtspolitische Grundlagen bereitgestellt (Obst 1986, Bugiel 1991, JUrgens 1993). Aus politikwissenschaftlicher und verfas sungspolitischer Sieht hat insbesondere Otmar lung (vgl. Literaturliste) in unzahligen Arbeiten den gesamten Diskussionsprozess begleitet und vorangetrieben, vor allem mit seiner Revision der gangigen Erklarung zum reprasentativen Purismus des Grundge setzes 1948/49 (lung 1994). Dankenswerter Weise hat Jung fur diesen Band die Auf gabe Ubemommen, eine breite EinfUhrung in "Forschungsstand und Perspektiven" zu geben. Die deutsche Diskussion weist auch in den 1990er lahren immer noch stark juristi sche Dominanz auf (vgl. die Hinweise bei lung in diesem Band). Doch ist eine zuneh mende Beachtung der direktdemokratischen Thematik auch in der Politikwissenschaft festzustellen. Wie bereits frUher die angelsachsische (Sartori 1992; Dahl 1989), bietet 10 Theo Schiller I Volker Mittendorf neuerdings auch die deutschsprachige Lehrbuchliteratur zur Demokratietheorie breite re Auseinandersetzungen an (Schmidt 32000: 355 ff.). Oberhaupt brachte die deutliche Intensivierung der weltweiten Demokratiedebatte seit Mitte der 80er Jahre wichtige Impulse auch fur die Probleme der direkten Demo kratie mit sich. Dafur war die Traditionslinie der partizipatorischen Demokratietheorie prlidestiniert und mit solch gewichtigen Arbeiten wie Benjamin Barber's "Strong De mocracy" (1984, dt. 1994) daran ebenso beteiligt wie die Wiederaufnahme der Plura lismusdebatte in Gestalt der Literatur tiber "Zivilgesellschaft" (Schmals/Heinelt, Hrsg. 1997). Insbesondere hat jedoch die stark durch Habermas inspirierte Diskussion tiber "diskursive", "reflexive" bzw. "deliberative Demokratie" (Schmalz-Bruns 1995) neue AnstOBe fur die normative Demokratiereflexion gebracht. Zugleich regten neue Kon zepte und praktische Erfahrungen tiber Konfliktvermittlung (Mediation) die Suche nach Offnungen des institutionellen Repertoires demokratischer Entscheidungsverfah ren an (ZilleBen u.a. 1993; ders. 1998). Freilich mtindeten diese neuen Diskussionsan siitze und auch die aktuellen Problem- und Krisendiagnosen zur Demokratie nicht umstandslos in positive Beurteilungen direktdemokratischer Institutionen. Einige Theoriekonzepte und Problemfaktoren schienen geradezu in die gegenteilige Richtung zu weisen. So werden "deliberative" und "reflexive" Kommunikationsansiitze ver schiedentlich in einem Spannungsverhiiltnis zu egalitiirer Beteiligungsausweitung gesehen (Eder 1995). Wenig teilnahmefreundlich stimmen auch die groBen Krisendia gnosen zu Politik und Demokratie der Gegenwart (z. B. Weidenfeld, Hrsg. 1996; Schneider-Wilkes, Hrsg. 1997; Pergerl Assheuer, Hrsg. 2000), die folgende Strukturde fizite betonen: • die Okonomisierung der Politik im Gefolge der neoliberalen Entstaatlichungsstra tegien, die die Kontroll- und Steuerungsmoglichkeiten der Politik ausdUnnen und damit auch demokratischen Entscheidungen zunehmend den Boden entziehen; • die Globalisierungsprozesse in Wirtschaft und Politik, die Steuerungsmoglichkei ten zunehmend zu Lasten nationalstaatlicher Institutionen auf die Europaebene und zu intemationalen Regimes verlagem; • die Technokratisierung der Politik durch wachsende Komplexitiit der Probleme und ein daraus resultierendes Anwachsen der Expertenmacht; • die Kommerzialisierung der Mediensysteme mit ihren weitreichenden, deformati- yen Auswirkungen auf die Grundlagen der Politikvermittlung. Diese Strukturdefizite der Demokratie scheinen, zumal in ihrer Kombination, einer unmittelbaren Entscheidungsbeteiligung des Volkes entgegenzustehen. Allerdings unterminieren diese Erosionsfaktoren auch die Politikfahigkeit der repriisentativen Parteiendemokratie, zumal deren VerschriinkungiVerfilzung mit den Offentlichen In stitutionen und der Korruptionstrend bereits starke Legitimationsverluste zur Folge haben (von Amim 2000; 2001). Insofem sind die Wege der "postparlamentarischen Demokratie" (A. Benz) nicht eindeutig vorgezeichnet. Einerseits deuten sie zum "ko operativen Staat" und zur "Verhandlungsdemokratie" mit ihren exklusiven Tendenzen zugunsten von Verbands- und Gruppeneliten. Auf der anderen Seite kommt offenbar auch die Notwendigkeit einer Re-Vitalisierung, einer RUckgewinnung der Kraftquellen einer "starken Demokratie" durch Zuwendung zur breiten aktiven Btirgerschaft in den Neue Entwicklungen der direkten Demokratie 11 Blick. So1chen Oberlegungen kommt entgegen, dass mit dem in den letzten Jahrzehn ten enorm gestiegenen Bildungsniveau in den westlichen Gesellschaften auch ein poli tisches Kompetenzpotenzial zur Verfilgung steht, das in den Inszenierungsritualen der Parteiendemokratie ziemlich leer lliuft. Freilich kumulieren sich im Zuge sozialer Spaltungstendenzen bei wachsenden Verlierergruppen Einkommens-, Bildungs- und Statusdefizite, die auch bei der politischen Beteiligung zu Desintegrationserscheinun gen filhren. Angesichts dieser kritischen und widersprilchlichen Problemlage ist es sicher sinnvoll, auch fur die Direkte Demokratie der Frage nachzugehen, welchen Beitrag sie filr die Erhaltung, Weiterentwicklung und Qualifizierung2 der Demokratie erbringen kann und wo ihre Starken und Schwachen als Erganzung der reprasentativen Parteiendemokratie liegen. 2. Grundbegriffe und Fragestellungen Einige definitorische und systematische Vorilberlegungen sollen nun einen Rahmen wichtiger Fragestellungen zur Analyse der direkten Demokratie abstecken, der die Verortung der Beitrage dieses Bandes erleichtert, wenn auch nieht aile Problemkreise ausgefilllt werden ktinnen. Wahrend im intemationalen Sprachgebrauch die Begriffe "direkte Demokra tie"/"direct democracy" und auch der verfahrensbezogene Begriff "referendum" trotz einer gewissen Bandbreite relativ eindeutig und neutral verwendet werden, finden sich im Deutschen oft heterogene, z. T. widersprilchlich wertende Begriffsverwendungen. So ist die Terminologie "Plebiszit" bzw. "plebiszitare Demokratie" mit einer traditio nell en Anspielung auf "plebs"/"Ptibel" weithin negativ eingefitrbt. Andererseits wird der Begriff "direkte Demokratie" immer wieder auf Reprasentationsstrukturen ange wandt. Demgegenilber soli als Definition grundsatzlich festgehalten werden: a) "Direkte Demokratie" bezieht sich auf all diejenigen Beteiligungsformen, die durch einen Ausltisungsakt "von unten" rur Sachentscheidungen ein Entschei dungsverfahren mit Stimmrecht aller BUrgerinnen und Bilrger ertiffnen. Das betrifft aueh die Unterwerfung eines parlamentariseh besehlossenen Gesetzes unter ein "fakultatives Referendum" (in der sehweizerisehen Terminologie). Als Grenzfall werden verfassungsmliBig festgelegte Faile eines "obligatorischen Referendums" ebenfalls einbezogen (insbes. Verfassungsreferenden, in sehweizerisehen Kantonen z. T. aueh das "obligatorisehe Finanzreferendum"), denn hierbei erfolgt die Auslti sung grundsatzlieh automatiseh und nieht naeh politisehem Ermessen von Repra sentationsorganen. b) Wahlen zu tiffentIiehen Amter gehtiren prinzipiell zur Sphare der Reprasentation, auch wenn sie als "Direktwahlen" z. B. von BUrgermeistem oder Prasidenten und nieht vermittelt tiber Parlamente, Wahlversammlungen usw. organisiert sind; sie ktinnen nieht als Teil der direkten Demokratie, die grundsatzlieh von Reprasentati on zu unterseheiden ist, aufgefasst werden. e) Die AusdrUcke "Plebiszit" oder "plebiszitar" werden reserviert rur solche Abstim mungsverfahren, die durch Amtstrager oder Organe "von oben" ausgeltist werden, 2 FUr Prinzipien und Qualitizierungskriterien der Demokratie vgl. Schiller 1999.

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